RS Vfgh 2019/3/12 G386/2018, V78/2018 ua (G386/2018-12 V78-80/2018-12)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 12.03.2019
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18
B-VG Art118 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z9
B-VG Art139 Abs1 Z2
B-VG Art139 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
RaumOG Tir 2016 §69, §71, §113
Flächenwidmungsplan der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee vom 15.12.2016 idF der elektronischen Kundmachung v 13.06.2017
V der Tir Landesregierung über die erstmalige elektronische Kundmachung von Flächenwidmungsplänen vom 03.10.2016, LGBl 110/2016
Tir Plangrundlagen- und PlanzeichenV 2016 idF vom 03.10.2016
VfGG §7 Abs1
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Aufhebung von Bestimmungen des Tir RaumOG 2016, der Tiroler Plangrundlagen- und PlanzeichenV 2016 sowie der V über die erstmalige elektronische Kundmachung von Flächenwidmungsplänen und des gesamten Flächenwidmungsplans der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee; Kundmachung von – im eigenen Wirkungsbereich zu erlassenden – Flächenwidmungsplänen nur unter der rechtlichen Verantwortung eines Gemeindeorgans möglich; Verstoß gegen die Grundsätze der Gemeindeautonomie durch elektronische Kundmachung von Flächenwidmungsplänen der Gemeinden durch die Landesregierung

Rechtssatz

Verfassungswidrigkeit des §69 Abs1, §71 Abs1, Teilen von §113 Tir RaumOG 2016 (im Folgenden: TROG 2016) und Gesetzwidrigkeit der Verordnung der Tiroler Landesregierung über die erstmalige elektronische Kundmachung von Flächenwidmungsplänen näher bezeichneter Gemeinden vom 03.10.2016, LGBl 110/2016, des §14 einer Wortfolge des §15 der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 15.08.2013 idF vom 03.10.2016, LGBl 112/2016 (im Folgenden: Tir Plangrundlagen- und PlanzeichenV 2016). Inkrafttreten dieser Aufhebungen mit Ablauf des 31.12.2019. Aufhebung des Flächenwidmungsplans der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee vom 15.12.2016 idF der elektronischen Kundmachung vom 13.06.2017 (im Folgenden: Flächenwidmungsplan 2016).

Die Tiroler Landesregierung machte den Flächenwidmungsplan 2016 elektronisch "gemäß §113 Abs9 iVm §§71, 69 TROG 2016" kund. Für den VfGH besteht sohin kein Zweifel, dass die Tiroler Landesregierung sowohl die in Prüfung gezogene Bestimmung des §71 Abs1 TROG 2016 als auch den in §113 Abs4 TROG 2016 normierten Verweis "§71" - §113 Abs9 TROG 2016 verweist seinerseits auf §113 Abs4 TROG 2016 - bei Erlassung des elektronisch kundgemachten Flächenwidmungsplanes 2016 angewendet hat und auch der VfGH diese im Rahmen des Gesetzesprüfungsverfahrens in Prüfung gezogenen Bestimmungen bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens anzuwenden hat. Davon zu unterscheiden ist die von der Tiroler Landesregierung aufgeworfene Frage des zur Beseitigung der angenommenen Verfassungswidrigkeit notwendigen Aufhebungsumfanges, die vom VfGH nicht im Rahmen der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens zu beantworten ist.

Widerspruch von Bestimmungen des TROG 2016 zu Art118 Abs2 iVm Art118 Abs3 Z9 B-VG:

Gemäß Art118 Abs2 B-VG umfasst der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde neben den in Art116 Abs2 B-VG angeführten Angelegenheiten "alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden". Der eigene Wirkungsbereich wird durch diese Generalklausel und ergänzend durch die in Art118 Abs3 B-VG demonstrativ aufgezählten Angelegenheiten abschließend umschrieben.

Im Hinblick auf die ausdrückliche Festlegung in Art118 Abs3 Z9 B-VG besteht für den VfGH kein Zweifel, dass die "örtliche Raumplanung" in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt. Sämtliche Angelegenheiten, die zur örtlichen Raumplanung gehören, hat der Gesetzgeber demzufolge als Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu bezeichnen.

Der VfGH bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss (VfGH 03.12.2018, V63/2018) eingenommenen Auffassung, dass der Gesetzgeber die Modalitäten der Kundmachung einer Verordnung, in concreto eines Flächenwidmungsplanes, also die Art und Weise der Kundmachung, regeln kann. Dem Gesetzgeber steht es somit frei, die elektronische Kundmachung eines Flächenwidmungsplanes vorzusehen und deren Modalitäten näher zu regeln.

Das im Prüfungsbeschluss dargelegte Bedenken des VfGH ging ausschließlich dahin, ob der Gesetzgeber mit der Kundmachung des im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu erlassenden Flächenwidmungsplanes ein Organ (hier: die Tiroler Landesregierung) in dessen eigenem rechtlichen Verantwortungsbereich zuständig machen darf, das kein Organ der Gemeinde ist.

Nach Auffassung des VfGH muss der Gesetzgeber von Verfassungs wegen vorsehen, dass die Kundmachung des (im eigenen Wirkungsbereich zu erlassenden) Flächenwidmungsplanes unter der rechtlichen Verantwortung eines Gemeindeorgans erfolgt:

Fällt eine Angelegenheit in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, so wie im gegenständlichen Fall die Angelegenheiten der "örtlichen Raumplanung" iSd Art118 Abs3 Z9 B-VG, ist nicht bloß die Vorbereitung und der Beschluss eines zu einer solchen Angelegenheit gehörigen Rechtsaktes, sondern auch dessen Erlassung bzw die Veranlassung der Kundmachung dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zuzuordnen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Beschluss des zuständigen Gemeindeorgans betreffend den Flächenwidmungsplan erst durch die Kundmachung des Rechtsaktes Geltung erlangt und damit die Kundmachung ein untrennbarer Teil des Verfahrens zur Erlassung des Flächenwidmungsplanes ist.

Bezogen auf die Kompetenz des Art118 Abs3 Z9 iVm Art118 Abs2 B-VG scheidet es demnach aus, dass der Gesetzgeber der Gemeinde bloß die Durchführung des Verfahrens zur Erlassung und die Beschlussfassung hinsichtlich des Flächenwidmungsplanes überträgt, die Kundmachung des von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich beschlossenen Flächenwidmungsplanes hingegen (nicht von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen ist, sondern) von Gesetzes wegen von der Tiroler Landesregierung vorgenommen werden muss.

Der VfGH übersieht dabei nicht, dass es aus mannigfaltigen Gründen zweckmäßig ist, ein System der elektronischen Kundmachung der Flächenwidmungspläne aller Gemeinden zentral (beim Land Tirol) einzurichten. Dabei steht es dem Gesetzgeber offen, die Mitwirkung von Organen des Landes oder anderen externen Einrichtungen bei der faktischen Durchführung der Kundmachung vorzusehen, wenn und insoweit dies unter der rechtlichen Verantwortung des vom Gesetzgeber mit der Kundmachung des Flächenwidmungsplans betrauten Gemeindeorgans erfolgt.

Aufhebung des Flächenwidmungsplans 2016 und - infolge der Aufhebung der mit E v 03.12.2018, V 63/2018 geprüften Bestimmungen des TROG 2016 - Aufhebung der Verordnung über die erstmalige elektronische Kundmachung von Flächenwidmungsplänen näher bezeichneter Gemeinden vom 03.10.2016, LGBl 110/2016, sowie Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen der Tir Plangrundlagen- und PlanzeichenV 2016 wegen Wegfalls der gesetzlichen Grundlage und Verstoßes gegen Art18 Abs2 B-VG. Die übrigen, nicht in Prüfung gezogenen Bestimmungen der Tir Plangrundlagen- und PlanzeichenV 2016, können sich (zumindest teilweise) auf sonstige, vom VfGH mit diesem Erkenntnis nicht aufgehobene Bestimmungen des TROG 2016 stützen.

(Anlassfall E3084/2018, E v 13.03.2019, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Flächenwidmungsplan, Verordnung Kundmachung, Wirkungsbereich eigener, Gemeinderecht, Selbstverwaltung, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G386.2018

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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