TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/19 W226 1425962-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.2019
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Entscheidungsdatum

19.02.2019

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W226 1425962-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA:

Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.12.2018, Zl. 740781403-171074697, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2004 minderjährige, zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte durch seine gesetzliche Vertretung einen Asylerstreckungsantrag.

Nachdem dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers (Vater) der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde und die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Kernfamilie festgestellt wurde, ist dem Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.11.2004 gemäß § 11 AsylG 1997 stattgegeben und dem Beschwerdeführer Asyl in Österreich durch Erstreckung gewährt worden. Gemäß § 12 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Nachdem der Beschwerdeführer als Jugendlicher bereits zweimal straffällig geworden war, wurde diesem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.03.2012, Zl. 04 07.814-BAL gemäß § 7 Abs. 1 AsylG der zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und wurde gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dem Beschwerdeführer wurde darüber hinaus der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, zeitgleich jedoch dessen Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet für auf Dauer unzulässig erklärt.

Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.03.2012 brachte der Beschwerdeführer im damaligen Verfahren fristgerecht Berufung ein, wobei das Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2014 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchführte.

Der Beschwerdeführer, welcher in der Zwischenzeit wegen drei weiterer Straftaten rechtskräftig verurteilt worden war, schilderte im Rahmen dieser Beschwerdeverhandlung im Wesentlichen, russischer Staatsbürger mit tschetschenischer Volksgruppe zu sein. Nach Schilderung seines schulischen Werdeganges im Bundesgebiet schilderte der Beschwerdeführer, der Beschwerdeverhandlung war eine Dolmetscherin für die russische Sprache beigezogen, dass er einige Monate als Lagerlogistiker und einige Monate als Kochlehrling gearbeitet habe, er habe niemals eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt. Seine Eltern und er hätten nur aufgrund der allgemeinen Situation die Russische Föderation verlassen, es sei "damals einfach ein schrecklicher Ort" gewesen.

Nach Erörterung der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten schilderte der Beschwerdeführer gegenüber dem damals zuständigen Richter des Bundesverwaltungsgerichts, dass ihm gar keiner gesagt habe, dass seine Ausweisung für auf dauerhaft unzulässig von der Behörde angesehen worden war. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er selbst gar keine Berufung hätte machen wollen, aber die Jugendwohlfahrt habe es ausdrücklich so machen wollen, das sei gegen seinen Willen so entschieden worden. Er wolle nur in Österreich bleiben, seine Lehre fertig machen und eines Tages seine Freundin heiraten.

Der Beschwerdeführer wurde vom damals erkennenden Richter dezidiert gefragt, ob er sich eigentlich selbst in der Russischen Föderation verfolgt sehe und gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass es nicht der Fall sei.

In weiterer Folge zog der inzwischen volljährige Beschwerdeführer ausdrücklich die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des Bundesasylamtes zurück, weshalb das Verfahren wegen Zurückziehung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.06.2014, Zl. W129 1425962-1/14E eingestellt wurde.

Laut Aktenlage stellte der Antragsteller in weiterer Folge am 14.08.2017 einen Antrag auf Ausfüllung einer Duldungskarte, den er laut Aktenlage am 07.09.2017 wieder zurückgezogen hat.

Am 19.09.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Der Beschwerdeführer wurde mit Verbesserungsauftrag vom 07.11.2017 aufgefordert, einen gültigen - russischen - Reisepass und einen Nachweis über die Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung nachzureichen. Der Beschwerdeführer legte in weiterer Folge die Kopie einer russischen Geburtsurkunde vor sowie eine Bestätigung über eine Absolvierung einer Externistenprüfung betreffend die Fächer Deutsch und Mathematik. Am XXXX wurde der BF erneut wegen einer schweren Straftat - § 84 Abs. 4 StGB und § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG - zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt.

Am 29.12.2017 übermittelte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Heilung des Mangels "Vorlage eines gültigen Reisedokumentes im Original", den er im Wesentlichen dahingehend begründete, dass es ihm nicht möglich sei, einen russischen Reisepass bei der russischen Vertretung in XXXX zu beschaffen. Es sei ihm empfohlen worden, nach Russland zu gehen und dort einen Pass zu beantragen, das sei ihm aber ohne Reisedokument nicht möglich. Ohne gültigen Ausweis habe er in Österreich keine Chance, einen russischen Pass zu erhalten. Die vom BF vorgelegte russische Geburtsurkunde würde der russischen Botschaft nicht ausreichen, sie würden ein Personaldokument benötigen, was die Geburtsurkunde jedoch nicht darstelle. Seine Geschwister und Eltern würden die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, er wisse auch nicht, ob es ihm jemals möglich sein werde, einen russischen Pass zu bekommen.

Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer am 30.01.2018 ein schriftliches Parteiengehör, wonach beabsichtigt sei, den Antrag gem. § 55 AsylG abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen. Die belangte Behörde verwies auf die insgesamt sieben strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, zugleich wurde diesem ein Fragenkatalog übermittelt, betreffend seine Lebenssituation im Bundesgebiet.

In einer schriftlichen Eingabe führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er sich seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhalte, er wisse nicht, wo sie genau vor der Ausreise gelebt hätten. Es sei in Tschetschenien gewesen. Im Fall der Rückkehr nach Tschetschenien hätte er niemanden dort, die ganze Familie lebe in Österreich und habe auch schon die österreichische Staatsbürgerschaft. Zudem beherrsche er die russische Sprache nicht. Er könne kyrillische Buchstaben nicht lesen oder schreiben und wäre demzufolge in Tschetschenien und Russland ein Analphabet. In der Heimat habe er auch keine Kontakte mehr, es könne allerdings sein, dass Cousins des Vaters noch dort leben würden, aber die kenne er nicht. In Österreich habe er Volksschule und Hauptschule absolviert, danach eine Lehre als Koch begonnen. Derzeit arbeite er nicht, hätte aber eine Einstellungszusage. Er werde von seiner Familie unterstützt, bei dieser lebe er auch. Über Kranken- oder Unfallversicherung verfüge er nicht, er lebe seit fast 14 Jahren in Österreich und habe mehr als die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht. Er habe seine Zeit in Österreich sehr wohl genutzt, sich zu integrieren, er sei zur Schule gegangen und habe auch eine Lehre begonnen und lebe auch die ganze Familie hier.

Zudem habe er im Jahr XXXXgeheiratet, sei aber inzwischen schon wieder geschieden, zu seinen Eltern und seinen Geschwistern habe er aber eine sehr innige Beziehung.

Außerdem verwies der BF darauf, dass er in Österreich Fußball gespielt habe, er habe Wasserball gespielt, geboxt und Taekwondo gekämpft.

Zu den strafrechtlichen Verurteilungen führte der Beschwerdeführer aus, dass er noch als Kind wegen Vergehen nach dem SMG angezeigt worden sei, die Staatsanwaltschaft sei aber von der Verfolgung zurückgetreten. Die Verurteilungen seien erfolgt, als der BF noch ein Minderjähriger gewesen sei, zuletzt sei er im November 2017 wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung verurteilt worden, er werde seine Haftstrafe im Februar 2018 antreten. Die Schwere seiner Taten seien ihm durchaus bewusst und er bereue zutiefst, was er bisher begangen habe, habe aber fest vor, in Zukunft nicht mehr delinquent aufzutreten. Er wolle "von vorne anfangen." Bei den ersten Vergehen und Verbrechen sei seine Minderjährigkeit zu berücksichtigen, und an das Waffenverbot halte er sich seit dem Jahr 2016, habe somit seit über eineinhalb Jahren keinen Verstoß mehr gegen das Waffenverbot begangen.

Ein Einreiseverbot würde ein sehr massiver Einschnitt in sein Familienleben sein, denn er würde dann für mehrere Jahre von seiner in Österreich lebenden Familie getrennt sein, ohne Möglichkeit, auf - wenn auch nur kurzfristige - wechselseitige Besuche. Ein Besuch der Eltern und Geschwister sei wegen der Asylanerkennung im Jahr 2004 sehr gefährlich.

In weiterer Folge wurde eine nicht näher ausgeführte Einstellungszusage einer offensichtlich im Gastronomiebereich tätigen Unternehmung in Bregenz übermittelt, wobei sich dieser jedoch nicht entnehmen lässt, in welchem Ausmaß und zu welcher Entlohnung der BF angestellt werden sollte.

Am 16.07.2018 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF durch die belangte Behörde. Der BF führte aus, dass ihm sein Pass in Kroatien abgenommen worden sei, seit 2017 warte er auf Papiere und seit 2016 könne er nicht arbeiten, weil er keinen Pass habe. In Österreich habe er ein Jahr als Koch gearbeitet, da würde er gerne weitermachen. Er befinde sich derzeit in einer Justizanstalt, auch dort arbeite er als Koch und er hoffe, dass er noch eine Chance bekomme. Zuletzt habe er 16 Monate bekommen, es habe eine Auseinandersetzung mit einem Kollegen gegeben, dieser sei gefallen. Der BF habe die Rettung geholt und die Polizei habe alles aufgeschrieben. Es sei nur eine leichte Auseinandersetzung gewesen. Er würde gerne ein Geschäft aufmachen und unabhängig sein, er habe keinen Führerschein, keine Wohnung und keine Perspektive, obwohl er XXXX Jahre alt sei. Der BF wolle eine Lehre als Koch fertigmachen, er könnte als Hilfskoch anfangen und wenn dann dort die Lehrstelle frei werde, könnte er die Lehre fertigmachen. Er habe noch ein Zeugnis vom ersten Lehrjahr, diese Lehre habe er dann abgebrochen, da er zuvor auf die schiefe Bahn gekommen sei. Er sei unverheiratet, könne aber bei den Eltern nach der Entlassung wohnen. Er könnte auch mit Fußfessel arbeiten, eine Wohnung bezahlen und selbständig sein. Der Besitzer einer namentlich genannten Gastronomieunternehmung würde ihn auch mit Fußfessel anstellen. Im Gefängnis habe er zudem den Hauptschulabschluss nachgemacht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf Mängelbehebung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen und der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 19.09.2017 gemäß § 55 AsylG abgewiesen.

Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen und es wurde festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt, einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt und zuletzt gegen den BF ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erlassen.

Spruchpunkt I. wurde dahingehend begründet, dass der BF trotz mehrfacher Nachfrage keinerlei Nachweise vorgelegt habe, dass er jemals persönlich bei der russischen Botschaft vorgesprochen hätte. Die belangte Behörde verwies auf eine Mitteilung der Konsularabteilung der Botschaft der Russischen Föderation, wonach alle russischen Staatsbürger Reisepässe beantragen können, wenn eine Person keine Unterlagen habe, könne die Identität auf persönliche Anfrage geprüft werden. Der BF sei mehrfach persönlich, telefonisch und über den Bewährungshelfer hingewiesen worden, dass er persönlich mit der russischen Geburtsurkunde bei der Botschaft vorsprechen müsse, es werde nicht geglaubt, dass der BF persönlich einen Antrag auf Feststellung der Identität bei der russischen Botschaft gestellt habe. Der Behörde seien zahlreiche Fälle bekannt, bei denen nach persönlicher Vorsprache, entsprechenden Angaben und nach einem Ermittlungsverfahren in der Russischen Föderation sogar ohne jegliche Dokumente ein russischer Reisepass ausgestellt werden könne.

Die abweisende Entscheidung zu § 55 AsylG wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen dahingehend begründet, dass sich der BF derzeit in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX befinde. Bislang habe er sich für die Dauer von insgesamt drei Jahren bereits in einer Justizanstalt aufgehalten, habe auch für wenige Monate einen Wohnsitz ohne die Eltern begründet. Bei den Eltern habe er sich gemeldet, weil der BF ohne Einkommen keine eigene Wohnung sich leisten könne. Der Umstand, dass man sich mit Eltern und Geschwistern gut verstehe, reiche für das Entsprechen eines Familienlebens bei Erwachsenen nicht aus. Die vom BF erwähnte Absolvierung einer Schule sei in Österreich verpflichtend, weshalb vom Besuch einer Schule nicht eine besondere Integrationsbereitschaft abgeleitet werden könne.

Die belangte Behörde verwies darauf, dass der BF in den Jahren 2011 bis 2012 insgesamt neun Monate lang eine Lehre als Koch begonnen, diese jedoch nicht abgeschlossen habe und habe der BF in den Jahren 2013 bis 2015 insgesamt neun Monate als Arbeiter gearbeitet, ansonsten sei er in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die vom BF in einer Stellungnahme erwähnte Tätigkeit als Umzugshelfer habe nicht festgestellt werden können.

Die belangte Behörde verwies auf die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des BF im Bundesgebiet, der BF spreche auch die Muttersprache und habe noch die ersten acht Jahre seines Lebens in Tschetschenien verbracht. Er sei in einer tschetschenischen Familie aufgewachsen und sei mit den tschetschenischen Sitten und Gebräuchen vertraut, wenn auch die Eltern inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Die kyrillische Schrift könne er erlernen. Im Hinblick auf die im Vergleich zur Aufenthaltsdauer durchschnittliche sprachliche und nur geringfügige beruflich-soziale Integration hätten keine Anhaltspunkte gefunden werden können, die für eine außergewöhnliche Konstellation sprechen würden. Die mehrfachen strafrechtlichen Verurteilungen wegen Gewalt- und Eigentumsdelikten und die fehlende Einsicht würden dazu führen, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen am Verbleib in Österreich der Vorrang zu geben sei. Der Eingriff in den Schutz auf Privat- und Familienleben sei daher gerechtfertigt und zum Schutz der österreichischen Bevölkerung vor weiteren Verbrechen auch notwendig.

Zur Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung in den Herkunftsstaat führte die belangte Behörde aus, dass der BF mehrfach selbst ausdrücklich angegeben habe, sich in der Russischen Föderation nicht verfolgt zu fühlen. Dem BF sei es somit möglich, nach Tschetschenien zurückzukehren, wobei es ihm aber freistehe, sich auch in anderen Landesteilen anzusiedeln, da in der Russischen Föderation Bewegungsfreiheit herrsche.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die sofortige Ausreise des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich sei, für die Behörde stehe zudem fest, dass für den BF bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung bestehe.

Das erlassene Einreiseverbot wurde dahingehend begründet, dass der BF eine Vielzahl von Straftaten begangen habe, das wiederholte Fehlverhalten des Fremden würde eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bewirken. Der BF habe insgesamt bereits drei Jahre in Haftanstalten verbracht, seit dem 15. Lebensjahr sei er wiederholt straffällig geworden, wobei die Delikte von bloßen Sachbeschädigungen über Eigentumsdelikte bis hin zu schweren Gewaltverbrechen sich gesteigert hätten. Der BF habe gegen das gegen ihn erlassene Waffenverbot verstoßen, nach Aberkennung des Asylstatus habe er Raubüberfälle, Erpressung, Nötigung, gewerbsmäßigen Betrug und Einbruchsdiebstahl begangen. Auch eine positive Prognose sei nicht möglich, da die Ausführungen bezüglich Arbeitsaufnahme vage und ziellos geblieben seien, der BF habe nur ein unverbindliches Schreiben zu einer Stelle als Hilfskoch vorlegen können. Ein Einstieg in das Berufsleben und eine längerdauernde Arbeitsaufnahme würden nicht ernsthaft geplant erscheinen. Die Verbüßung von Haftstrafen habe in der Vergangenheit nichts bewirkt, der BF habe seine Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich geschützten Werten mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Erlassung eines achtjährigen Einreiseverbotes sei somit notwendig, um die Menschen in Österreich für längere Zeit vor den Untaten des BF zu schützen und bei diesem die Einsicht zu bewirken, dass fortgesetzte Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung in Österreich nicht mehr geduldet werden.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und dabei im Wesentlichen wie folgt ausgeführt: Die belangte Behörde habe das sehr ausgeprägte Privat- und Familienleben missachtet. Es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 seiner Mitwirkungspflicht nicht zur Gänze nachgekommen sei, da er keinen gültigen Reisepass beigebracht habe. Hätte die belangte Behörde jedoch die persönliche Situation des BF berücksichtigt, dann hätte sie eine anderslautende Entscheidung erlassen. Der BF habe sich um ein Identitätsdokument intensiv bemüht und habe auch ein solches in Form einer russischen Geburtsurkunde vorgelegt. Soweit ihm möglich war, habe er mitgewirkt, Fragen beantwortet und Stellung genommen. Er sei mehrmals bei der russischen Botschaft in XXXX gewesen, auf das habe er schon schriftlich hingewiesen. Dem BF sei es trotz mehrmaliger persönlicher Vorsprache nicht gelungen, einen Reisepass oder eine Bestätigung zu bekommen, dass er keinen Reisepass erhalte. Der BF habe Zugtickets vorzulegen, aus denen würde deutlich hervorgehen, dass der BF tatsächlich bei der russischen Botschaft in XXXX gewesen sei. Aufgrund des bestehenden Privat- und Familienlebens sei dem BF jedenfalls eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, eine Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung sei nur dann gegeben, wenn die Behörde einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden und den staatlichen Interessen gefunden habe. Die Eltern und auch die jüngeren Geschwister würden den BF nicht nur seelisch, sondern auch finanziell unterstützen, der BF lebe seit der Einreise im Jahr 2004 fast ununterbrochen mit den Eltern und den weiteren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Der BF lebe somit insgesamt 15 Jahre in Österreich und habe somit die innerliche und mentale Bindung zum Land seiner formellen Staatsbürgerschaft faktisch verloren. Nicht nur der BF selbst, sondern auch seine Kernfamilie in Österreich würden im Fall seiner Rückkehr massiv in ihrem Recht auf Privatleben in Österreich eingeschränkt werden. Der Aufenthalt in Österreich sei umso mehr notwendig, um seine familiären und sozialen Bindungen aufrecht zu erhalten. Bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt sei nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt habe, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sei eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausnahmsweise möglich. Es sei zwar richtig, dass der BF momentan keine fixe Anstellung habe, er habe aber einen neuen Lebensweg in Angriff genommen, was auch aus der Tatsache, dass der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt habe, eindeutig belegbar sei.

Dies sei nämlich mit der Absicht verbunden gewesen, damit einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Für einen Vorbestraften sei es schwierig, eine regelmäßige Beschäftigung zu erhalten, er bemühe sich aber trotz seiner Delikte sich an das gesellschaftliche Leben in Österreich anzupassen. Er wolle seine abgebrochene Lehrausbildung als Koch fortsetzen und künftig hierzulande einen Beruf problemlos ausüben, um sich selbst erhalten zu können. Der BF habe darüber hinaus eine weitere Arbeitszusage vorzulegen. Der Vorwurf der belangten Behörde, der BF habe im Bundesgebiet nicht länger als fünf Monate gearbeitet, sei dahingehend zu beantworten, dass diese als zu kurz vorgeworfenen Anstellungen ihren Ursprung beim Nichtvorliegen einer Beschäftigungsbewilligung haben, da dem BF stets mitgeteilt worden sei, er sei für eine Stelle gesetzmäßig nicht anstellbar. Ab positiver Erledigung des Antrags, werde er durch seine Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. Der BF habe sich somit "ausgezeichnet eingelebt", er habe viele österreichische Freunde. Der BF sei mit Österreich sehr tief verwurzelt und "fühle sich dem Land sehr verbunden".

Die belangte Behörde habe sich mit seiner Lage überhaupt nicht auseinandergesetzt und wäre es möglich gewesen, konkrete Nachforschungen im Hinblick auf die persönliche Lage des BF in Bezug auf das Heimatland durchzuführen. Der BF habe Tschetschenien im Kindesalter verlassen, er spreche die Muttersprache seiner Eltern auf einem sehr geringen Sprachniveau und sei deshalb die Rückkehr in die Russische Föderation nicht zumutbar. Zudem stelle der BF keine Gefahr für die allgemeine Sicherheit Österreichs dar, dies trotz seiner Bescholtenheit, denn der BF habe sein Fehlverhalten zutiefst bereut und seine Verfehlungen bereits verbüßt.

Der Beschwerde beigelegt war eine Mitteilung eines Abholgroßmarktes, wonach dem BF eine Tätigkeit im Unternehmen in Aussicht gestellt werden könne, datierend mit 28.01.2019 sowie ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung am 24.04.2018. Deutsch-Kommunikation und Gesellschaft wurden dabei mit Genügend, Mathematik mit Befriedigend bewertet. Beigelegt war zudem ein Schreiben seines Bewährungshelfers sowie eine Entscheidung des XXXX betreffend vorzeitige bedingte Entlassung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.) Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Seine Identität steht fest. Er gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und bekennt sich zum moslemischen Glauben.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist. Er stellte im Wege seines gesetzlichen Vertreters (Vater) einen Asylerstreckungsantrag und wurde dem Antrag mit Bescheid vom 18.11.2004 stattgegeben und festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Eltern und mehrere Geschwister des Beschwerdeführers leben als anerkannte Flüchtlinge in Österreich, wie dargestellt wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.03.2012 der Status des Asylberechtigten aberkannt.

Der Beschwerdeführer wurde mehrfach in Österreich rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und zwar mit:

* BG XXXX, XXXX, vom XXXX wegen § 125 StGB, Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe (Jugendstraftat);

* Landesgericht XXXX, GZ. XXXX, vom XXXX wegen § 146 StGB, § 229 StGB, § 241 e (3) StGB, § 142 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 9 Monaten, davon 6 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren und unter Anordnung der Bewährungshilfe (Jugendstrafhaft);

* LG XXXX, XXXX vom XXXX wegen § 50 WaffG, § 15, §§ 127,129 Z2 StGB, §§ 146, 148 1. Fall StGB, §§ 15, 105 StGB, § 144 (1) StGB § 15 StGB;

Freiheitsstrafe 10 Monate (Jugendstraftat)

* BG XXXX, GZ XXXX, vom XXXX, wegen § 125 StGB (Jugendstraftat);

* Landesgericht XXXX, GZ. XXXX, vom XXXX wegen §142 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten, (Junger Erwachsener);

* Landesgericht XXXX, GZ. XXXX, vom XXXX § 50 (1) Z 3 WaffG, § 84

(4) StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten.

2.) Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leidet, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers wurde nicht vorgebracht.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Be-schwerdeführers in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder inner-staatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer Tschetschenisch, etwas Russisch und Deutsch spricht. Der Beschwerdeführer ist ledig (zwischenzeitig nur nach muslimischem Ritus angeblich verehelicht gewesen), kinderlos und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Bis zu seiner Ausreise im Jahr 2004 hat der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation gelebt.

Er hat die Volksschule und die Hauptschule besucht. Nach Aktenlage hat der BF eine Lehre als Koch begonnen, jedoch - auch wegen der Straftaten - niemals abgeschlossen.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer eine Lebensgemeinschaft bzw. eine eheähnliche Beziehung führt. Der BF verfügt im Bundesgebiet über seine Eltern und Geschwistern sowie Freunde und Bekannte.

3.) Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor. Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Russland gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.

Zur Situation in Tschetschenien/in der Russischen Föderation wird festgestellt;

1.4.1.1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.4.1.1.a. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

1.4.1.2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.2.a. Sicherheitslage im Nordkaukasus im Allgemeinen

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.2.b. Sicherheitslage in Tschetschenien im Besonderen

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.3. Rechtsschutz / Justizwesen im Allgemeinen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkrimi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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