TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/21 W187 2208965-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2019
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Entscheidungsdatum

21.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W187 2208965-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum (20. Februar 2020) erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste schlepperunterstützt unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag im Rahmen einer Erstbefragung von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, am XXXX in Afghanistan, Kandahar, geboren zu sein. Beweggrund für seine Ausreise sei eine Entführung durch die Taliban und ein Zwangsrekrutierungsversuch durch selbige als Selbstmordattentäter gewesen.

2. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin wegen Zweifel an seiner behaupteten Minderjährigkeit einer Altersfeststellung unterzogen, deren Ergebnis als spätestmögliches Geburtsdatum den XXXX feststellte. Das Ergebnis der Altersfeststellung wurde dem Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Hierzu wurde im Zulassungsverfahren mit Eingabe vom XXXX Stellung genommen.

3. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Zulassungsverfahren einvernommen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde sodann mit Bescheid des BFA vom XXXX ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn für die Prüfung des Antrags zuständig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erstattete der Beschwerdeführer zudem eine schriftliche Stellungnahme zu seinem Fluchtvorbringen.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , W243 2143854-1, wurde der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom XXXX stattgegeben und das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen.

5. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab er an, an Depressionen zu leiden. Er befinde sich in medizinischer Behandlung und nehme Medikamente. Sein Vater sei im Jahr 2010 ermordet worden, sein Bruder sei seit einem Anschlag im Jahr 2014 gelähmt. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, von den Taliban entführt und zur Zusammenarbeit aufgefordert worden zu sein. Da sein Schwager bei den Vereinten Nationen arbeite und Kontakt mit dem Distriktgouverneur pflege, hätte der Beschwerdeführer Informationen über diese Treffen an die Taliban weiterleiten sollen. Im Gegenzug hätten die Taliban dem Beschwerdeführer finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. Er habe die Zusammenarbeit verweigert und stattdessen seinen Schwager informiert, weshalb ihm nun Verfolgung durch die Taliban drohe.

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA Befunde und Integrationsunterlagen vor.

6. In weiterer Folge holte das BFA ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 24.8.2018 betreffen den Beschwerdeführer ein, welches eine leicht- bis mittelgradige rezidivierende depressive Störung feststellte.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen [gemeint: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom XXXX , unterstützt durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Gemeinsam mit der Beschwerde wurden ein Beweismittel betreffen das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sowie Befundberichte der psychiatrischen Ambulanz XXXX für den Zeitraum Februar 2017 bis August 2018 vorgelegt.

9. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters, einer Vertrauensperson und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja, ich verstehe sie gut.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, ich bin gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ja, beides. Mir wurde erklärt, dass ich psychisch krank bin. Ich leide an massiven Schlafstörungen. Ich bin mit den Gedanken extrem durcheinander. Teilweise bin ich bis um 3 Uhr in der Früh wach und kann nicht schlafen. Es sind die Gedanken, die mich verfolgen. Ich habe Angstzustände im Schlaf. Ich kann nicht lange gehen bzw. stehen bleiben. Ich werde dann wackelig auf den Beinen und zittere zugleich. Ich leide an Atemnot, das artet dann auch aus. Ich habe dann das Gefühl, dass mein Herz explodiert. Oft ist es auch so, wenn man mir etwas sagt, dann verstehe ich den Sinn nicht bzw. ich vergesse, was man mir gesagt hat. Es ist ein eigenartiger Zustand. Ich habe das Gefühl, dass ich das Leben nicht bewusst wahrnehmen kann. Dann habe ich eigenartige Zustände. Ich liege im Bett und habe plötzlich das Gefühl, dass eine Flut mich fortbewegt. Und dann bekomme ich Atemnot, ich versuche zu schreien, damit man mich hört. Obwohl ich weiß, dass es gut für mich ist, mit anderen zusammen zu sein, halte ich es draußen schwer aus. Ich bin müde von meinem Leben und müde davon, diese negativen Gedanken nicht loswerden zu können. Ich gerate auch schnell in Stress, Panik und Stress zugleich. Wenn ich draußen Polizisten sehe, die bewaffnet sind, dann gerate ich durch den Anblick der Waffen in Panik.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX geboren, so wurde das hier festgestellt. Geboren wurde ich in der Provinz Kandahar, im Distrikt XXXX , im einem Gebiet, das als XXXX bezeichnet wird. Geboren wurde ich im Dorf XXXX .

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Paschtu. Ich kann nicht sinnerfassend lesen, aber ich kann etwas lesen. Ich verstehe ganz wenig Dari und Farsi, aber nicht alles, was man mit mir bespricht. Deutsch habe ich hier gelernt, weitere Sprachen spreche ich nicht.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich gehöre zum Stamm der Kakar an und bin Sunnite. Ich bin unverheiratet.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe nur in meinem Heimatdorf, in der Provinz Kandahar gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: In unserem eigenen Haus.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich konnte dort zwei Jahre die Schule besuchen. Ich hatte ein Lebensmittelgeschäft, wo ich Obst und Gemüse verkauft habe.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Sie leben zurzeit in der Stadt Kandahar.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Jedes Mal, wenn es mir schlecht geht, wenn ich eine Panikattacke habe, versuche ich meine Mutter zu erreichen. Es ist auch die innere Unruhe, weil die Lage dort ebenkatastrophal schlecht ist. Ich versuche auch meinen Bruder zu erreichen. Es beruhigt mich, dass sie am Leben sind.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Meine Schwester, sie lebt in einem Dorf in der Provinz Kandahar. Diese Gegend, wo sie lebt, bezeichnet man als XXXX

.

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Nein, meine Schwester ist verheiratet und hat ein eigenes Leben. Die Gefahr hat mich betroffen, meine Mutter und meinen Bruder halten sich in der Stadt auf.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe eine Lehre angefangen, mit der Absicht, mich beschäftigt zu halten. Es ist mehrere Male in der Arbeit passiert, wo meine Knie angefangen haben zu zittern, wo ich nicht Herr über mich selbst war. Dem Chef hat das natürlich nicht gefallen. Der Chef hat mir gesagt, es wäre besser, wenn ich zuerst gesund werde und dann ans Arbeiten denke, aber ehrlich gesagt, nehme ich zuhause nur Medikamente ein, das tut mir nicht gut. Ich versuche dennoch nicht aufzugeben und besuche einen Deutschkurs.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe Kontakt zu einer Familie. Das ist die Frau XXXX und der Herr XXXX . Sie leben eigentlich in XXXX . Sie halten sich dort auf.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Das habe ich nicht verstanden. Nein.

Richter: Praktizieren Sie Ihre Religion in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Ich bete für mich selbst. Ich brauche, um die Gebete zu verrichten, nicht zwingend eine Moschee.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Hier meinen Sie? Nein, nie.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Warum ich Afghanistan verlassen habe? Es war an einem Freitag in der Früh. Ich war unterwegs zu meinem Schwager, zu dem Ehemann meiner Schwester. Ich war unterwegs, als plötzlich ein Fahrzeug angehalten hat. Ein Mann ist herausgesprungen aus dem Fahrzeug und hat eine Waffe gegen mich gerichtet. Dann hat man mich aufgefordert, in das Auto einzusteigen. Ich war erstarrt, weil ich nicht sofort reagiert habe, hat er mich zum Auto geschliffen und mich in das Auto, auf die Rückbank hingeworfen. Ich hatte große Angst, dieser Mann sagte zu mir "Nicht bewegen." Er hat die Waffe auf meinen Fuß gerichtet und gebrüllt und gesagt "Wenn du zuckst, schieße ich. Wenn du zuckst, töte ich dich und das war es mit deinem Leben." Ich wurde von dort weggebracht, in ein Haus, in einen Raum. Ich wurde in dem Zimmer, vom Zeitgefühl her würde ich sagen, eineinhalb Stunden alleine eingesperrt. Danach wurde die Türe aufgesperrt, ich habe zwei Männer gesehen. Als ich diese Männer gesehen habe, bin ich aufgestanden und habe gefragt, was ich verbrochen hätte. Sie haben mich aufgefordert, mich hinzusetzen und mich ruhig zu verhalten. Mir wurde gleich die Frage gestellt "Bist du ein Moslem?" Ich habe gesagt "Ja, natürlich bin ich ein Moslem."

Danach hat der Mann zu mir gesagt "Du heißt XXXX und du bist der Sohn von XXXX ." Ich wurde dann gefragt "Kennst du einen Mann namens XXXX ?" Ich habe geantwortet "Ja, ich kenne ihn, er ist mein Schwager." Mir wurde gesagt, sie hätten die Information erhalten, dass mein Schwager Beziehungen zu einem Kommandanten und Distriktgouverneur, der auch für die Grenzüberwachung zuständig war, namens XXXX pflegt. Sie haben mir gesagt, sie hätten erfahren, dass mein Schwager intensive Beziehungen zu diesem Mann pflegen würde. Die Männer wollten von mir, dass ich ihnen Bericht erstatte darüber, wann sie sich treffen, wo sie sich treffen und über was sie sich austauschen. Ich muss ihnen darüber Bericht erstatten. Im Gegenzug würden sie die Lebenskosten meiner Familie zur Gänze übernehmen und alle Extrawünsche, die ich hätte, bezahlen. Es war eine erdrückende, einschüchternde Situation. Ich war gestresst und wollte einfach weg von dort. Ich habe ihnen gesagt, ich mache das, um einfach von dort wegzukommen. Ich hatte Angst, Angst, die man sich nicht vorstellen kann. Ich habe zugestimmt, weil ich auch Angst um meine Familie hatte. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, in diesem Moment hatte ich Angst zu sterben. Nachdem die Männer mir ihre Aufforderung gesagt haben, sind sie auch weggegangen. Es ist viel Zeit vergangen, bis ein weiterer Mann gekommen ist. Ich wurde in ein Auto reingesetzt. Dieser Mann hat mich bis zu einem Dorf namens XXXX gefahren, das ist ein Dorf in unserer Umgebung. Dort ist er stehen geblieben, er hat mir mein Handy und alles andere, was ich dabei hatte, zurückgegeben. Er hat auch eine Nummer gespeichert unter dem Namen XXXX . Ich wurde freigelassen, aber den Boden unter meinen Füßen hatte ich verloren. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich habe dann entschieden, nicht nach Hause zu gehen, sondern zu meinem Schwager in das Dorf XXXX . Ich habe mich meinem Schwager anvertraut und ihm erzählt, was alles vorgefallen ist. Mein Schwager hat die Nummer, die in meinem Handy gespeichert wurde, rausgeschrieben und dann hat er die SIM Karte zerstört. Vier Tage, nachdem die SIM Karte zerstört wurde, kam ein Anruf auf das Handy meiner Mutter. Ein Mann hat sich als mein Freund ausgegeben und dieser Mann sagte, er möchte mich treffen, es sind auch noch andere Freunde, die mich sehen wollen. Sie wollten mit mir sprechen. Ich habe das Handy genommen und mit "Hallo" geantwortet und gesagt "Ich bin es XXXX ." Daraufhin hat der Mann zu mir gesagt "Du hast dein Wort nicht gehalten." Dann meinte er zu mir "Du glaubst, du bist von uns weggegangen. Glaube ja nicht daran, dass du uns entkommen kannst. In ganz Afghanistan bist du ab jetzt nicht mehr sicher. Wir werden dich finden und ich schwöre dir, dass wir dich sofort töten werden." Ich habe gesagt "Das, was ihr von mir fordert, das kann ich nicht machen." Als ich das gesagt habe, wurde aufgelegt. Ich habe dann aus Panik die SIM Karte, die meine Mutter hatte, auch zerstört. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Wenn ich rausgegangen bin, hatte ich Verfolgungsängste. Meine Mutter hatte Angst um mich und ich selbst hatte auch Angst um mich. Einfach rauszugehen, um etwas zu holen, war schon unmöglich. Ich bin damals schon psychisch krank geworden. Zwei oder zweieinhalb Monate war ich nur im Haus meines Schwagers sozusagen eingesperrt. Nach diesen zwei bis zweieinhalb Monaten wurde ich aus der Heimat weggebracht. So bin ich nach Österreich gekommen.

Richter: Der Mann, der Sie aufgehalten und aus dem Auto geholt hat, hatte dieser irgendwelche besonderen Merkmale?

Beschwerdeführer: In dem Fahrzeug waren insgesamt drei Männer, die anderen zwei waren maskiert, ich konnte diese Gesichter nicht richtig sehen. Der Mann, der ausgestiegen ist, sah ganz gewöhnlich aus und hatte keine Merkmale. Als ich in das Auto hineingesetzt wurde, wurde mein Gesicht mit einem Stoff zugebunden, danach habe ich nichts mehr sehen können.

Richter: Hatten die Männer, mit denen Sie in dem Haus zu tun hatten und die Sie zur Zusammenarbeit aufgefordert haben, besondere Merkmale? Haben sie sich als Angehörige einer bestimmten Gruppe zu erkennen gegeben?

Beschwerdeführer: Als die Männer das Gespräch mit mir angefangen hatten, hatten sie die Überhand. Ich war erstaunt, wie viele Informationen sie über mich hatten. Diese Männer waren gewöhnlich gekleidet und sahen wie gewöhnliche Männer aus. Sie haben nur die Worte zu mir gesagt, die ich gesagt habe. Sie haben nichts erwähnt, nur das mit meinem Schwager und XXXX . Weitere Gespräche haben sie nicht mit mir geführt. Sonst haben sie mir nichts gesagt.

Richter: Was war mit dem Vorfall mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern in Pakistan?

Beschwerdeführer: Mein Bruder ist erkrankt. Meine Mutter, meine Schwester samt ihren Kindern, mein Bruder und XXXX sind nach Pakistan. Mein Bruder war schwer krank, damit er dort behandelt wird. Ungefähr 20 oder 21 Tage, genau weiß ich es nicht mehr, nachdem sie weggefahren sind, habe ich einen Anruf erhalten. Ich habe mich damals in der Heimat aufgehalten. Als ich abgehoben habe, hat sich mein Cousin mütterlicherseits gemeldet, der Sohn meiner Tante mütterlicherseits. Er hat mir gesagt, dass ein Vorfall passiert ist und ich soll versuchen, so schnell wie möglich zu meiner Familie zu kommen. Ich habe sofort gefragt, was für ein Vorfall und er meinte "Deine Mutter, deine Schwester, eigentlich alle, sind im Krankenhaus." Als ich nochmal gefragt habe, weswegen, sagte er, es sei zu einer Explosion gekommen. Es ging um meine Familie, ich war ratlos. Ich habe sonst niemanden. Ich habe sofort meinen Schwager angerufen. Als ich ihm gesagt habe, was passiert ist, ich habe ihm gesagt, dass mein Cousin mich angerufen hat und er in Tränen ausgebrochen. Es ging um seine Frau und seine Kinder. Ich habe die Nummer von meinem Cousin meinem Schwager weitergegeben, damit er direkt mit ihm sprechen kann. Er war sehr unruhig, so habe ich ihn noch nie erlebt. Nach zehn Minuten hat er mich zurückgerufen und meinte "Wir fahren morgen in der Früh los." Als wir dort angekommen sind, was meine Schwester schwer verletzt. Sie hatte mehrere Splitter abbekommen und unter anderem wurde ihre Leber verletzt. Meine Mutter hatte mehrere Verletzungen am Kopf, auch einen Schädelbruch. Mein Bruder hat die schwersten Verletzungen ertragen, seitlich am Körper hat er die meisten Splitter ertragen. Ich habe die Ärzte gefragt, was ich tun soll. Sie sagten mir, dass er längere Zeit im Krankenhaus bleiben muss. Sie sagten zu mir, dass der Zustand meines Bruders sehr kritisch sei. Die Ärzte habe dann gesagt, er muss in ein Spital in Karachi behandelt werden, sie können nichts mehr für ihn tun. Wir haben ihn dann nach Karachi gebracht. Ungefähr ein Monat, 27 Tage, wurde er in Karachi behandelt. Nur im Vorfeld, weil ich das vergessen habe, bevor ich ihn nach Karachi gebracht habe, war mir bewusst, dass ich nicht genug Geld für seine Behandlung haben werde. Ich habe ihn dennoch in das Spital XXXX gebracht. Ich habe ihn in das Spital in Karachi gebracht und musste zurück nach Afghanistan kehren, um das Geld für die Behandlung zu bekommen. In der Notlage habe ich mein Geschäft an einen Freund verkauft. Er hat mir gesagt, dass er mir nicht alles sofort ausbezahlen kann, aber die Hälfte. 700.000 Afghani hat er mir sofort geben können. Mit dem Geld bin ich in das Spital XXXX gefahren. Ein Monat wurde er dort behandelt, danach haben die Ärzte gesagt, dass sie ihn nicht heilen können. Ich bin dann mit meinem Bruder und der restlichen Familie nach Kandahar gekommen. Ungefähr eineinhalb Jahre nach diesem Vorfall, ich meine diesen Bombenanschlag bei dem mein Bruder schwer verletzt wurde, wurde ich mit dem Tod bedroht, wie ich es bereits geschildert habe. Ich habe den Referenten das erzählt und jedes Mal, wenn ich gesprochen habe, hat er auf den Tisch geschlagen. Ich muss doch erzählen, was mich dazu bewegt hat, die Heimat zu verlassen. Jeden Menschen, der mir Halt gegeben hat, musste ich ungewollt verlassen. Nachdem ich meinem Bruder erwähnt habe, ist der Referent ausgerastet und hat gemeint, das würde mich nicht direkt betreffen, aber das hat auch mit mir zu tun. Auf der einen Seite sagt man, man soll alle Gründe nennen, auf der anderen Seite fühle ich mich hilflos. Wenn ich in meine Heimat zurückkehre, werden sie mich wirklich nicht am Leben lassen. Sie meinen das ernst und setzen das auch um. Ich möchte gerecht behandelt werden und gesund werden. Ich möchte einen klaren Gedanken fassen können, etwas Positives auch im Leben erkennen. Ich brauche wirklich Hilfe. Es ist so, als hätte ich mich selbst verloren. Ich weiß wirklich nicht weiter. (Der Beschwerdeführer weint immer wieder während der Erzählung) Ich muss einen Beginn schaffen, um endlich mein Leben anpacken zu können, ansonsten fressen die Gedanken mich innerlich auf.

Richter: Wer sind "sie", die Sie in Afghanistan umbringen würden?

Beschwerdeführer: Diese Leute haben mächtig und gewaltig gewirkt. Sie wollten Informationen über meinen Schwager haben. Ich kenne diese Leute nicht. Das sind Personen, die gegen den Staat sind, weil mein Schwager, er arbeitet für eine Institution namens XXXX .

Richter: Ist diese Gruppe eine Gruppe, die ähnlich den Taliban den Staat bekämpft oder eher eine kriminelle Organisation, die wegen Schmuggels Interesse an der Grenzkontrolle hat, oder aus einem anderen Grund gegen den Staat ist?

Beschwerdeführer: Wir vermuten, dass es sich um die Taliban handelt, weil, wer sonst hätte Interesse an solchen Informationen. Diese Ortschaften, eigentlich die gesamte Provinz, wird nur von den Taliban kontrolliert.

Richter: Sind Sie über den geschilderten Vorfall hinaus jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Nein, keine weiteren Vorfälle.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin mit Schlepperhilfe gekommen. Ich wurde über den Landweg weggebracht, zuerst war ich im Iran und in der Türkei. Dann war ich in Griechenland. Dann glaube ich war Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Mein Schwager hat alles bezahlt.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Weil mein Leben in Gefahr ist. Ich möchte endlich ein Leben führen und ich habe hier um Schutz angesucht. Ich möchte ein freies Leben führen. Ich habe binnen kürzester Zeit viel Leid ertragen müssen. Ich habe meinen Vater verloren. Mein Bruder ist körperlich behindert. Er kann nie wieder gehen. Ich möchte endlich hier ankommen, ich möchte diese Belastung, diesen Stresszustand, die Furcht, in die Hölle zurückgeschickt zu werden, endlich loswerden. Ich schäme mich auch für meinen Zustand, dass ich meine Tränen nicht zurückhalten kann. Es kommt auch vor, dass ich mir selbst Schläge verpasse, um mich selbst zu fühlen. Ich möchte endlich leben, auf meinen eigenen Beinen stehen. Diese Gedanken verschlimmern diesen Stresszustand und dann verliere ich die Fassung, damit meine ich die Hoffnung. Dann denke ich mir "Was passiert, wenn mir all das wiederfährt?" Ich habe sehr viel an Gewicht abgenommen.

Rechtsvertreter: Wovon leben Ihre Mutter und Ihr Bruder?

Beschwerdeführer: Mein Schwager unterstützt sie und darüber hinaus gibt es auch ein wenig Einnahmen durch das Grundstück, das wir besitzen.

Rechtsvertreter: Haben Sie beruflich jemals etwas Anderes gemacht als Obst verkaufen?

Beschwerdeführer: Nein, habe ich nicht.

Rechtsvertreter: Waren Sie in Afghanistan jemals in größeren Städten?

Beschwerdeführer: Nein, war nicht.

Rechtsvertreter: Weiß Ihre Schwester, was Ihr Schwager bei seiner Arbeit macht?

Beschwerdeführer: Nein.

Rechtsvertreter: Wieso weiß sie so etwas nicht?

Beschwerdeführer: Natürlich wollte sie wissen, was er genau macht. Mein Schwager hat ihr erklärt, dass er über seine Arbeit nicht sprechen darf.

Rechtsvertreter: Was ist das für eine Nachbarschaft, in der Ihr Schwager und Ihre Schwester leben?

Beschwerdeführer: Das ist eine Gegend, wo nur Staatsbedienstete leben können. Einfache Zivilisten können diese Gegend nicht betreten. Wenn man diese Gegend betritt, muss man einen Ausweis besitzen, dann darf man hineintreten.

Rechtsvertreter: Sie waren zweieinhalb Monate bei Ihrem Schwager. Könnten Sie dort länger bleiben? Wie konnten Sie dort leben?

Beschwerdeführer: Nein, diese Möglichkeit hatte ich nicht. Die Zeit, die ich dort verbracht habe, war ich sozusagen dort eingesperrt. Darüber hinaus konnte mein Schwager mich nicht beschützen. Er kann auch meine Mutter und meinen Bruder nicht beschützen.

Rechtsvertreter: Durften Ihre Mutter und Ihr Bruder nicht länger bei Ihrem Schwager bleiben?

Beschwerdeführer: Sie leben nicht bei ihm, sondern in der Stadt Kandahar.

Rechtsvertreter: Wer kümmert sich um Ihren Bruder?

Beschwerdeführer: Mein Schwager kümmert sich um das Geld, unser Grundstück wurde verpachtet und von den Einnahmen leben sie auch. Meine Mutter kümmert sich um ihn.

[...]

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen aktuellen Arztbericht vom XXXX , ein Schreiben seiner Deutschlehrerin vom XXXX sowie eine Kopie des Ausweiseses seines Schwagers vor. Die Rechtsvertretung erstattete unter Verweis auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 eine mündliche Stellungnahme zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hg. Akt betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in das im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeholte neurologisch-psychiatrische Gutachten, in die vorgelegten Befunde und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Identität steht nicht fest. Sein Geburtsdatum wurde mit XXXX festgestellt. Der Beschwerdeführer ist im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls volljährig. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer spricht muttersprachlich Paschtu, er kann diese Sprach grundsätzlich lesen und schreiben, hat allerdings Schwierigkeiten, Texte sinnerfassend zu lesen.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Kandarhar, Distrikt XXXX , geboren und dort im afghanischen Familienverband aufgewachsen. Er hat an keinem anderen Ort Afghanistans gelebt. Der Beschwerdeführer hat einen jüngeren, noch minderjährigen Bruder und eine ältere Schwester. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Die übrige Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers. Die Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und führt ein eigenes Familienleben; Sie lebt mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in einem Dorf in der Provinz Kandarhar. Der Bruder und die Mutter des Beschwerdeführers leben in der Stadt Kandarhar.

Der minderjährige Bruder des Beschwerdeführers ist im Jahr 2013 schwer erkrankt und wurde im Jahr 2014 während eines medizinischen Aufenthalts in Pakistan Opfer eines Bombenanschlags. Er erlitt dabei schwere Verletzungen und ist seither dauerhaft gelähmt. Er bedarf der Pflege und Unterstützung seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer besuchte zwei Jahre die Grundschule in seinem Heimatdorf. Er hat keine Berufsausbildung, besaß aber bis zum Jahr 2014 ein eigenes Lebensmittelgeschäft, in welchem er selbst Obst und Gemüse verkaufte. Zur Finanzierung der Behandlungskosten seines Bruders musste der Beschwerdeführer das Lebensmittelgeschäft in Kandarhar verkaufen. Seither ist die finanzielle Situation der Familie angespannt. Der Beschwerdeführer hielt seine Familie nach dem Verkauf des Lebensmittelgeschäftes mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Seit seiner Ausreise leben seine Mutter und sein Bruder von den Einnahmen aus der Verpachtung ihres Grundstücks und sind zusätzlich auf finanzielle Unterstützung durch den Schwager des Beschwerdeführers angewiesen.

Die übrigen Verwandten des Beschwerdeführers, nämlich seine Tanten und Onkel mütterlicherseits, leben in Pakistan. Der Onkel des Beschwerdeführers väterlicherseits ist bereits verstorben.

Der Beschwerdeführer reiste Ende 2015 aus Afghanistan aus.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte in Österreich am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit einer Verfolgung durch die Taliban begründete.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politi-schen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit April 2016 durchgehend in Österreich auf und ist von Beginn an redlich um eine Integration in Österreich bemüht. Zu diesem Zweck nahm er an einem Werte- und Orientierungskurs teil (AS 531) und arbeitet seit dem Jahr 2016 durchgehend am Erwerb von Deutschkenntnissen. Ein Sprachzertifikat hat er bislang nicht erworben, besucht aber regelmäßig einen privaten Deutschkurs. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung hat der Beschwerdeführer Schwierigkeiten, Neues zu erlernen. Er ist kann sich jedoch bereits gut mit seinen Mitmenschen auf Deutsch verständigen und ist bestrebt, weitere Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache zu machen. Im Juni 2017 schloss der Beschwerdeführer den Lehrgang "Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch" an der Fachschule für wirtschaftliche Berufe der Dominikanerinnen XXXX ab (AS 533). Im August 2018 hat der Beschwerdeführer eine Lehre als Koch angefangen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte geknüpft und ist insbesondere eng mit einer österreichischen Familie befreundet. Er legte einige Unterstützungsschreiben vor. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer leidet an wiederkehrenden schweren depressiven Episoden. In Österreich wurde bei ihm im Dezember 2016 zunächst eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Bei seiner erstmaligen Untersuchung in einer internen Ambulanz am XXXX .2016 berichtete der Beschwerdeführer über ausgeprägte Schlafstörungen und Alpträume aufgrund seiner Erlebnisse in Afghanistan und klagte über Appetitlosigkeit sowie wiederkehrendes Schwindelgefühl. Ihm wurde damals ein Psychopharmakon verordnet. Bei der Kontrolluntersuchung in der internen Ambulanz am XXXX 2016 wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer an ausgeprägten Flashbacks leidet; ihm wurde dringend eine Vorstellung bei einem Facharzt für Psychiatrie empfohlen.

Im Zuge einer Untersuchung in einer psychiatrischen Ambulanz am XXXX .2016 erhielt der Beschwerdeführer erstmals die Diagnose "schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome". Seither befindet er sich in regelmäßiger ambulanter Behandlung in der psychiatrischen Ambulanz des Bezirkskrankenhauses XXXX . Im Februar 2017 wurde der Beschwerdeführer aufgrund einer weiteren schweren depressiven Episode für zwei Wochen stationär in der psychiatrischen Abteilung behandelt. Grund hierfür waren anhaltende Schlafstörungen, Ängste und Paniksymptome, eine ausgeprägte Inappetenz mit Gewichtsverlust, Antriebslosigkeit und Suizidgedanken ohne Konkretisierung. Im Mai 2017 wurde beim Beschwerdeführer ein depressives Syndrom mit Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Bei den Kontrollterminen im November 2017, Dezember 2017, Jänner 2018, Februar 2018 und März 2018 wurde stets ein Rezidiv einer schweren depressiven Episode festgestellt. Bei den Kontrolluntersuchungen im April, Juli und August 2018 wurde die Diagnose "Traumafolgestörung" sowie "Rezidiv einer schweren depressiven Episode in Teilremission" gestellt. Der jüngste Arztbrief vom XXXX diagnostiziert dem Beschwerdeführer abermals eine komplexe Traumafolgestörung, die mit dissoziativen Bewusstseinsveränderungen, Angstzuständen und Suizidgedanken einhergeht. Konkrete Suizidpläne werden in sämtlichen Arztbriefen verneint.

Der Beschwerdeführer benötigt aufgrund seiner psychischen Erkrankung mehrmals täglich Medikamente, die er von einem Facharzt verordnet bekommt. Die Dauermedikation des Beschwerdeführers ist (in variierenden Dosierungen) Sertralin und Seroquel. Aufgrund der Einnahme dieser Antidepressiva hat der Beschwerdeführer mit Nebenwirkungen, insbesondere mit starken Konzentrationsschwierigkeiten, zu kämpfen. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Erkrankung im alltäglichen Leben beeinträchtigt. Er ist zwar nach eigenen Angaben durchaus arbeitswillig - nicht zuletzt, um sich mithilfe einer Beschäftigung von seinen negativen Gedanken abzulenken - hat aber aufgrund seiner psychischen Erkrankung Probleme, seine Aufgaben als Kochlehrling zur vollsten Zufriedenheit seines Arbeitgebers ausüben. So leidet er während seiner Arbeitszeit insbesondere öfter unter zittrigen Beinen und Kontrollverlust.

Der Beschwerdeführer leidet weiters an keiner akut lebensbedrohenden Krankheit.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018, Stand: 8.1.2019):

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage

1.4.1.1 Kurzinformation vom 8.1.2019

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

1.4.1.2 Kurzinformation vom 23.11.2018

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

1.4.1.3 Kurzinformation vom 29.10.2018

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

1.4.1.4 Kurzinformation vom 19.10.2018

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokoll V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Millionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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