TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/21 W125 1317053-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2019
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Entscheidungsdatum

21.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z6
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W125 1317053-3/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , StA Russische Föderation, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3.9.2018, Zl 486808701-14897315, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird gemäß § 7 Abs 1 Z 1 und Abs 4, § 8 Abs 1 Z 2, § 57, § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs 2 und Abs 9, § 46 und § 55 Abs 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird insofern stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 und Z 6 FPG auf zehn Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz

1.1. Der Beschwerdeführer reiste am XXXX .2007 illegal und schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellte an demselben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, Staatsangehöriger der Russischen Föderation zu sein, aus der Teilrepublik Tschetschenien zu stammen und der tschetschenischen Volksgruppe anzugehören. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer vor, sein Herkunftsland verlassen zu haben, da er in seiner Heimat von den Behörden bezichtigt worden sei, auf der Seite der XXXX zu stehen. Aus Sicherheitsgründen habe er das Land verlassen müssen. Sein Leben sei dort gefährdet gewesen. Er habe zuvor bereits in Polen einen Asylantrag gestellt.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8.1.2008 wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz ohne ihn die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 Asylgesetz 2005 als unzulässig zurückgewiesen, für die Prüfung des Antrages Polen als zuständig festgestellt und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung an den damals noch zuständigen unabhängigen Bundesasylsenat.

1.4. Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31.1.2008 wurde dieser Berufung gemäß § 41 Abs 3 Asylgesetz stattgegeben, der Asylantrag zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben, da seitens der belangten Behörde trotz diagnostizierter psychischer Auffälligkeiten keine Feststellungen zur Überstellungsfähigkeit erfolgt und keinerlei Befragungen hinsichtlich des Bruders des Beschwerdeführers, dessen Asylverfahren zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls noch offen war, erfolgt waren.

1.5. Nach Zulassung seines Verfahrens brachte der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30.7.2008 zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst vor, er habe in Österreich mehrere Verwandte, die bereits anerkannte Konventionsflüchtlinge seien. Insbesondere lebe auch sein Bruder als anerkannter Flüchtling in Österreich. Der Beschwerdeführer habe in der Heimat in der Moschee Religionsunterricht genommen. Seine Probleme hätten im August beziehungsweise September 2007 begonnen. Einer seiner Mitschüler habe an Kampfhandlungen teilgenommen. Dieser sei zuvor mehrere Male mitgenommen worden, da er gekämpft habe. Schließlich habe man versucht, sie im August 2007 alle mitzunehmen. Im September 2007 habe der Beschwerdeführer schließlich die Heimat verlassen. Er habe Angst gehabt, mitgenommen zu werden. Zweimal sei in der Heimat, einmal bei Nachbarn und einmal bei einem Freund, nach dem Beschwerdeführer gefragt worden. Als ein namentlich genannter Mitschüler des Beschwerdeführers von den Behörden mitgenommen worden sei, habe sich dieser den Kämpfern angeschlossen und sei schließlich getötet worden. Mehrere Mitschüler des Beschwerdeführers seien daraufhin mitgenommen worden und der Beschwerdeführer selbst sei geflüchtet.

1.6. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.8.2008 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt traf in diesem Bescheid aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, stellte die Identität des Beschwerdeführers aufgrund seiner Angaben fest und führte begründend zusammengefasst aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund der ungenauen Angaben unglaubhaft sei. Auch sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer das Land verlassen würde, obwohl keiner der Mitschüler für längere Zeit angehalten worden sei. Der Beschwerdeführer sei auf näheres Nachfragen Antworten schuldig geblieben.

1.7. Mit Schriftsatz vom 5.9.2008 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde, worin der genannte Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wird. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu Unrecht die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe. Das Verfahren sei mangelhaft geblieben. Weiters würden zu den Gründen, die die Flucht des Beschwerdeführers verursacht hätten, auch die Flucht seines Bruders, der in Österreich als Asylberechtigter anerkannt worden sei, zählen. Dies habe die Behörde zu Unrecht nicht berücksichtigt.

1.8. Mit Urteil des XXXX vom 17.12.2008 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 127, § 130 (erster Fall) sowie des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von acht Monaten verurteilt, wobei sechs Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Erschwerend wurde das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, als mildernd wurden der bisher ordentliche Lebenswandel, der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, das Alter von unter 21 Jahren sowie die objektive Schadensgutmachung durch Sicherstellung der Diebesbeute gewertet.

1.9. Mit Eingabe der Landespolizeidirektion XXXX vom 17.2.2013 wurde dem (damals noch zuständigen) Asylgerichtshof zur Kenntnis gebracht, dass gegen den Beschwerdeführer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft aufgrund des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs erstattet worden sei und der Beschwerdeführer aktuell über keine aufrechte Meldung im österreichischen Bundesgebiet verfüge.

Mit Verfahrensanordnung des Asylgerichtshofes vom 20.3.2013 wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt, da der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht ermittelt werden konnte.

Mit Verfahrensanordnung vom 29.4.2013 wurde das Beschwerdeverfahren wieder fortgesetzt, da der Beschwerdeführer wieder über eine Wohnsitzmeldung verfügte.

1.10. Mit Schreiben vom 8.7.2013 wurde dem Asylgerichtshof ein Beschluss des XXXX vom 24.6.2013 zur Kenntnis gebracht, wonach gegen den Beschwerdeführer wegen Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr die Untersuchungshaft verhängt wurde. Der Beschwerdeführer sei dringend verdächtig, das Verbrechen des gewerbsmäßigen Betrugs nach den §§ 146, 148 erster Fall StGB begangen zu haben.

1.11. Mit Schreiben vom 22.10.2012 wurden der Beschwerdeführer, die österreichische Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sowie das Bundesasylamt zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 5.11.2013 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, geladen.

1.12. Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 19.9.2013 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Wochen, Probezeit drei Jahre, verurteilt.

1.13. Am 5.11.2013 fand eine Verhandlung vor dem Asylgerichtshof unter Beisein des Beschwerdeführers, der Lebensgefährtin und der gemeinsamen minderjährigen Tochter statt. Das Bundesasylamt nahm an der Verhandlung nicht teil, sondern teilte mit Schreiben vom 1.10.2013 mit, dass die Teilnahme eines Vertreters aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei und beantragte zugleich die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Im Zuge der Verhandlung fand eine eingehende Befragung des Beschwerdeführers sowie der als Zeugin geladenen österreichischen Lebensgefährtin zu den Fluchtgründen durch den Asylgerichtshof statt und wurde auch die Möglichkeit eingeräumt, zu den im Verfahren herangezogenen Länderberichten Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer bezeichnete sich dort als in Österreich gut integriert, bezüglich der Erstverurteilung wegen Diebstahls sei er nicht schuldig gewesen. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, XXXX , wurde als Zeugin einvernommen.

1.14. Mit Urteil des XXXX vom 22.1.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs, teils als Beitragstäter, nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148, 2. Fall, 12, 3. Fall StGB sowie wegen des Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2013 mehrmals unter Verwendung falscher Namen Waren bei Versandhäusern bestellte und die Absicht hatte, sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu sichern.

1.15. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.1.2014 wurde der gegen den Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 21.8.2008 erhobenen Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und wurde gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aufgrund von Bedrohungen seitens der Sicherheitskräfte, welche dem XXXX zuzurechnen seien, verlassen habe. Er sei erstmals im Sommer 2004 gemeinsam mit seinem Vater von Sicherheitskräften auf eine Polizeistation mitgenommen, angehalten und dort misshandelt und möglicherweise mit Strom gefoltert worden. In den Jahren 2005 und 2006 sei es zu weiteren Anhaltungen gekommen, wobei der Vater des Beschwerdeführers mit Strom gefoltert worden sei. Grund für die letzten beiden Anhaltungen sei der in Österreich asylberechtigte Bruder gewesen, da die Sicherheitskräfte versucht hätten, im Rahmen der Anhaltungen Informationen über dessen Aufenthaltsort und dessen Aktivitäten zu erhalten. Der Beschwerdeführer sei in das Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte geraten und sei es im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation wahrscheinlich, dass er noch weitere Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte. Rechtlich wurde eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie erkannt. Ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 wurde zum damaligen Zeitpunkt (unter Miteinbeziehung der Verurteilung vom 23.1.2014) verneint, ein besonders schweres Verbrechen lag nicht vor.

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten

2.1. Das nunmehr gegenständliche Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gegen den Beschwerdeführer wurde spätestens im Jahr 2015 eingeleitet.

2.2. Mit Urteil des XXXX vom 16.6.2015 wurde der Beschwerdeführer als einer von insgesamt zehn Angeklagten wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 34 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 19.9.2013 gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Der Beschwerdeführer reiste jeweils gemeinsam mit Mittätern aus Österreich mit dem Ziel Syrien, konkret jenes Gebiet, welches vom IS kontrolliert wird, aus. Der Beschwerdeführer und seine Mittäter hatten die Absicht, sich dem IS anzuschließen und am bewaffneten Kampf beziehungsweise sonstigen Unterstützungshandlungen teilzunehmen.

Der Beschwerdeführer zeigte sich nach anfänglichem Leugnen über den Hintergrund und das Reiseziel zumindest dahingehend geständig, dass dieses das Gebiet des IS in Syrien war und er von einem Mittäter gehört habe, dass dieser Leute in die Türkei bringe, die später nach Syrien reisen, um sich dort dem islamischen Staat anzuschließen.

Der Beschwerdeführer leistete durch das Zugestehen des Reiseziels zwar einen Beitrag zur Wahrheitsfindung, es konnte aber nicht ein umfassendes (und reumütiges) Geständnis als mildernd gewertet werden, weil er die subjektive Tatseite (Wissen um Förderung der terroristischen Vereinigung und deren strafbarer Handlungen) bestritt. Als erschwerend wurden im Falle des Beschwerdeführers die wiederholte gleichartige Beteiligung sowie der rasche Rückfall gewertet.

2.3. Am 5.4.2018 fand in der Justizanstalt Eisenstadt eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines für die Sprache Russische bestellten Dolmetschers statt.

Im Rahmen derer gab der Beschwerdeführer zunächst zu seinem Gesundheitszustand befragt an, dass es ihm gut gehe; er habe weder physisch noch psychisch Probleme und nehme auch keine Medikamente ein.

Originaldokumente habe er in Österreich keine, er habe aber eine Kopie seines abgelaufenen Reisepasses in Traiskirchen abgegeben.

Auf Vorhalt der Verurteilung wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB führte der Beschwerdeführer aus, dass er 2013 wegen Betrugs verurteilt worden sei und kurz vor seinem zweiten Haftantritt nach Syrien gereist sei. Er habe dort einfach seine Freiheit genießen und in Frieden leben wollen. Näher dazu befragt, gab er an, auf der Seite des Islamischen Staates habe leben wollen. Er habe nicht längerfristig geplant gehabt, nach Syrien zu gehen, habe dann aber Leute kennengelernt und habe nicht erneut eine Haftstrafe absitzen wollen. Eine Rückkehr nach Russland wäre für ihn nicht in Frage gekommen, da er dort Probleme gehabt habe. Aus heutiger Sicht würde es für ihn nicht in Frage kommen, nach Syrien zu reisen und auf dem Gebiet des Islamischen Staates zu leben. Er sei dankbar, dass man ihn verhaftet habe, man habe ihm sein Leben gerettet. Über weiteres Befragen brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sich nicht dem IS habe anschließen wollen. Auf Vorhalt des Strafurteils gab der Beschwerdeführer dann an, er habe den IS unterstützen wollen, habe aber davor nicht gewusst, wie das Leben dort ist. Näher zu seiner Religiosität befragt, führte der Beschwerdeführer aus, "normal" religiös zu sein; er sei Muslim und mit der Scharia aufgewachsen. Er glaube an den Islam und das Gesetz des Islams; die Scharia sei sein Gesetz.

Nachgefragt, wie er zur Demokratie stehe, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, kein Problem mit der Demokratie zu haben.

Näher dazu befragt, wie er zum IS stehe, führte der Beschwerdeführer aus, nichts mit diesen Leuten zu tun zu haben. Wenn in Syrien Frieden wäre und es wirklich einen Staat gebe, der nach islamischen Regeln regiert werde und mit dem keine westlichen Länder Probleme hätten, würde er dort leben.

Die Frage, ob die Tatsache, dass Österreich ein demokratischer Rechtsstaat sei, mit dem Glauben des Beschwerdeführers und dessen Ansicht vereinbar sei, verneinte er: "Ich habe damit nichts zu tun. Das ist euer Land und eure Gesetze. In eurem Land dürfen die Muslime auch leben und die Meinungsfreiheit genießen". Nochmalig nachgefragt, was nicht vereinbar sei, gab der Beschwerdeführer schließlich an, kein Problem zu haben. Früher habe jeder seinen Glauben gehabt und in Frieden gelebt.

Personen, die Mohammed Karikaturen zeichnen, stehe er negativ gegenüber; diese sollten lebenslang eingesperrt werden. Im Jahr 2017 habe es in einem arabischen Land einen Mann gegeben, der im Internet seine Meinung gesagt habe, um die Leute zu provozieren und habe über Frankreich gelästert. Dieser sei dann festgenommen worden und habe zehn Jahre lang 10.000 Schläge erhalten, da er keine Provokation zwischen Ländern verursachen dürfe. Dieses Vorgehen sei seinem Dafürhalten nach gut. Man sollte versuchen, derartige Provokationen zu vermeiden.

Zu den Verhältnissen im Herkunftsland befragt, brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, zuletzt 2007 dort aufhältig gewesen zu sein, konkret in der Stadt XXXX . Die Frage, ob er auch jemals in Moskau gelebt habe, bejahte der Beschwerdeführer; sein Onkel habe früher dort gewohnt, er habe ihn einmal für ungefähr ein Monat besucht, dieser sei nun aber schon verstorben und habe der Beschwerdeführer nunmehr keine Verwandten mehr in Moskau.

Auf die Frage, ob es nunmehr Gründe gebe, die gegen eine Rückkehr in die Russische Föderation sprächen, führte der Beschwerdeführer aus, schon bevor er wegen des Betruges verurteilt worden sei, eine Nachfrage geschickt zu haben, woraufhin die Landespolizei zu seinen Eltern gegangen sei und diesen dann Probleme gemacht habe. Es habe sich dabei um tschetschenische Sicherheitskräfte gehandelt. Konkret hätten sie seiner Mutter ein Foto gezeigt, als diese gesagt habe, dass es sich dabei nicht um den Beschwerdeführer handelt, hätten sie sie in Ruhe gelassen. Auch wegen der zweiten Verurteilung habe der Beschwerdeführer Probleme; er werde von jeder Seite Schwierigkeiten bekommen und habe ihm auch sein Cousin geraten, nicht nach Hause zu kommen. Nachgefragt, weshalb die tschetschenischen Sicherheitskräfte wissen, dass der Beschwerdeführer in Österreich verurteilt worden ist, gab er an, dass diese hier Leute hätten. In XXXX habe es beispielsweise einen "tschetschenischen Jungen" gegeben, der früher Lehrwächter von XXXX gewesen und für sechs Jahre in Österreich gewesen sei. Er habe auch gewusst, weshalb der Beschwerdeführer in Haft genommen worden sei. Dieser wäre anschließend wieder nach Hause gegangen und habe seine Arbeit als Leibwächter fortgesetzt. Der Beschwerdeführer könne nicht sicher sagen, dass dieser nichts weiterleiten werde.

Auf weitere Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass es, abgesehen von dem einen Mal, als die Sicherheitskräfte zu seiner Mutter gekommen seien, keine weiteren Zwischenfälle gegeben habe.

Was ihm im Falle einer Rückkehr konkret drohen würde, könne er nicht sicher sagen, aber sein Bruder habe auch Probleme gehabt und sei dieser noch hier. Er befürchte, dass man ihm wegen seiner Verurteilung und auch wegen seines Bruders Gewalt antun könne. Der Beschwerdeführer und sein Vater seien bereits festgenommen worden; nunmehr gehe es seinem Vater aber gut; dieser sei 2009, 2010 oder 2011 aufgrund von politischen Problemen nach Österreich gekommen, sei dann aber wieder zurückgekehrt. Danach habe der Vater des Beschwerdeführers keine Probleme gehabt, auch nicht wegen des Bruders. Wenn der Beschwerdeführer zurückkehren würde, würde dies aber alles wieder anfangen.

Zu den Lebensverhältnissen in Österreich gab der Beschwerdeführer an, zwischen 2015 und 2017 zwei Jahre lang im Gefängnis die Berufsschule besucht zu haben; er habe XXXX "studiert". Außerdem habe er in Haft für zwei Jahre einen Deutschkurs absolviert; dies sei ebenfalls zwischen September 2015 und Juli 2017 gewesen. Im Moment arbeite er in der Handwerkstatt.

Auf Nachfrage, was er zwischen 2007 und 2015 gemacht habe, brachte der Beschwerdeführer vor, davor keine Möglichkeit gehabt zu haben, Sport zu machen oder eine Berufsschule zu besuchen. Weil man ihm nicht geholfen habe, habe er auch den Betrug begangen. Nach Verbüßung der Haftstrafe habe er einen Aufenthaltsstatus erhalten und habe er dann den XXXX gemacht.

Zu seinen familiären Verhältnissen gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, verheiratet zu sein und drei Kinder zu haben; diese seien XXXX geboren. Mit seiner Frau sei er nach islamischem Recht verheiratet; sie hätten auch beabsichtigt standesamtlich zu heiraten, jedoch habe man dort zu viele Papiere von ihnen verlangt. Die Frau und die Kinder des Beschwerdeführers befänden sich derzeit in XXXX im XXXX im Kinderdorf und erhielten dort Sozialhilfe. Sie hätten nunmehr aber eine Wohnung in XXXX gefunden.

Der Beschwerdeführer habe weiters einen älteren Bruder sowie eine Tante, einen Onkel und eine Cousine im Bundesgebiet. Er habe zu allen seinen Familienangehörigen im Bundesgebiet Kontakt. Er habe, als er XXXX gemacht habe, auch Kontakt zu verschiedenen Österreichern gehabt, könne sich aber nicht genau erinnern, nunmehr sehe er diese nicht mehr.

Derzeit absolviere er in der Haftanstalt keine Kurse, da er einen solchen nicht bekommen habe, auch den XXXX habe er nicht bekommen. Er habe aber versucht, die Zeit bestmöglich zu nutzen und habe nicht die gesamte Zeit geschlafen.

Derzeit erhalte er etwa einmal pro Monat von seiner Frau und den Kindern Besuch; auch sein Bruder sei schon zweimal vorbeigekommen. Als er in XXXX gewesen sei, sei seine Frau jede Woche gekommen; nunmehr habe er aber Sorge wegen der Anfahrt und sei es auch teuer und schwierig mit den Kindern, weshalb er seiner Frau gesagt habe, sie solle nur einmal pro Monat kommen. Das Verhältnis zu seinen Kindern sei gut, nur ein- oder zweimal sei seine Frau ohne Kinder gekommen.

Auf Nachfrage führte der Beschwerdeführer aus, nunmehr überhaupt nicht mehr zu befürchten, straffällig zu werden. Er habe nachgedacht und habe dieses Mal "sehr hart bezahlt und würde auch das nächste Mal sehr hart bezahlen". Er denke nunmehr, bevor er etwas tue, nach.

Zu seinen familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat führte der Beschwerdeführer aus, dass sich sein Vater, seine Mutter und seine Schwester mit deren Familie noch im Heimatdorf beziehungsweise im Nachbardorf aufhalten würden. Seine Eltern würden, ebenso wie die Schwester, in einem Eigentumshaus leben. Er habe mit allen Familienangehörigen telefonischen Kontakt. Die Mutter des Beschwerdeführers betreibe ein XXXX und der Vater eine XXXX . Die Schwester sei zu Hause, ihr Mann arbeite. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie würde er als unterdurchschnittlich bezeichnen. Seine Familienangehörigen hätten keine Probleme und würden "normal" leben. Abgesehen von dem bereits erwähnten Vorfall, bei dem der Mutter des Beschwerdeführers ein Bild gezeigt worden sei, habe es keine Schwierigkeiten gegeben.

Der Beschwerdeführer sei zuletzt im September 2007 im Heimatland gewesen; seit er hier in Österreich sei, sei er nicht mehr in die Russische Föderation eingereist.

Auf die Frage, was passieren würde, wenn er sich in Moskau niederlasse, gab der Beschwerdeführer an, es nicht zu wissen. Wenn die tschetschenischen Sicherheitsbehörden wissen, dass er in Moskau ist, würden sie ihn holen. Ein Freund habe ihm angeboten, dass er einen Job in einem XXXX als Security bekomme; er habe aber keine Vorstellung, ob dies möglich wäre. Wenn er abgeschoben werden würden, würde er nicht dortbleiben.

Nach Rückübersetzung nahm der Beschwerdeführer diverse Korrekturen vor; unter anderem stellte er klar, zuvor von seinem Inlandsreisepass gesprochen zu haben, sein Auslandsreisepass befinde sich in Polen, das Original seines Inlandsreisepasses sei in Tschetschenien. Außerdem führte er aus, dass es seiner Familie finanziell "ganz normal" und nicht schlechter als dem Durchschnitt gehe; sie hätten auch Räume zu ihrem Haus hinzugebaut.

2.4. Am 17.4.2018 übermittelte der Beschwerdeführer eine schriftliche Ergänzung zur Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 5.4.2018. Dieser waren eine Beurkundung über die Anerkennung der Vaterschaft betreffend seine jüngste Tochter sowie ein Beschluss des Bezirksgericht XXXX vom 19.2.2018 beigefügt, wonach der Beschwerdeführer und die Kindesmutter mit der Obsorge für die drei minderjährigen Kinder betraut sind und die hauptsächliche Betreuung im Haushalt der Mutter erfolgt.

Aus einem im Akt befindlichen Schreiben, das der Beschwerdeführer am 9.7.2018 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , übermittelte, führte dieser aus, in der JA XXXX mit einem Komplizen namens XXXX inhaftiert gewesen zu sein. Dieser sei nach Tschetschenien abgeschoben und von den Sicherheitskräften der tschetschenischen Regierung in Haft genommen worden. Diese Information habe er von einem XXXX im Rahmen eines Telefonats erhalten. Dieser sei zuvor ebenfalls in der JA XXXX inhaftiert gewesen und sei nunmehr nach wie vor in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer führte aus, dass ihm im Falle einer Abschiebung dasselbe Schicksal wie XXXX drohe und er durch die Komplizenschaft sicherlich ebenfalls von den dortigen Sicherheitskräften festgenommen werden wird. Durch die bereits bekannten gewaltsamen Verhörpraktiken und Haftverhältnisse in Tschetschenien müsse er um sein Leben bangen.

2.5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3.9.2018 wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis vom 30.1.2014 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetztes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 Z 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 52 Abs 9 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 und 6 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde insbesondere die folgenden Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation:

"1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html, Zugriff 28.6.2017)

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 21.6.2017

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 21.6.2017

2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind beziehungsweise planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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