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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zulässigkeit des Individualantrags von Grundeigentümern auf Aufhebung einer Gemeindeverordnung betreffend die Öffentlicherklärung eines privaten Weges; Gesetzwidrigkeit der Verordnung wegen Begründung des Gemeingebrauches an dem Weg ohne Eigentumserwerb durch die GemeindeSpruch
Die Verordnung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn vom 20. Dezember 1994, mit der die Straße "Frauenfeld" zur Gemeindestraße erklärt wird, kundgemacht durch Anschlag an der Gemeindetafel vom 16. Jänner bis 24. Februar 1995, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Vorarlberger Landesregierung ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Die Stadtgemeinde Dornbirn ist schuldig, den Antragstellern zu Handen ihres bevollmächtigten Vertreters die mit S 27.000,-
bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn beschloß am 20. Dezember 1994 folgende (in der Zeit vom 16. Jänner 1995 bis 24. Februar 1995 durch Anschlag an der Gemeindetafel kundgemachte) Verordnung:
"Gemäß §9 Abs3 Straßengesetz, LGBl. Nr. 8/1969, wird die Straße 'Frauenfeld', GST-NR 10925/19, mit einer Länge von ca. 185 m, einschließlich des ostseitigen Stichweges zu den GST-NRN 10970/2 und 10948, mit einer Länge von ca. 40 m, jedoch ausgenommen den westseitigen Stichweg entlang der GST-NR 10925/5 zu GST-NR 10970/1, jeweils Grundbuch Dornbirn, zur Gemeindestraße erklärt."
Dieser Beschluß wurde auch im Dornbirner Gemeindeblatt vom 13. Jänner 1995 kundgemacht.
2.1. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag wird begehrt, die Verordnung der Stadtvertretung der Stadt Dornbirn vom 20. Dezember 1994, "kundgemacht im Gemeindeblatt vom 13. Jänner 1995", zur Gänze, in eventu die folgende Wortfolge wegen Gesetzwidrigkeit kostenpflichtig aufzuheben:
"Gem. §9 Abs3 Straßengesetz, LGBl. Nr. 8/1969, wird die Straße 'Frauenfeld', GST-NR 10925/19, mit einer Länge von ca. 185 m, einschließlich des ostseitigen Stichweges zu den GST-NR 10970/2 und 10948, mit einer Länge von ca. 40 m, ..., jeweils Grundbuch Dornbirn, zur Gemeindestraße erklärt."
2.1.1. Zur Antragslegitimation verweisen die Antragsteller auf die beigelegten Grundbuchsauszüge, aus welchen hervorgehe, daß sämtliche Antragsteller Miteigentümer der von der Erklärung zur Gemeindestraße betroffenen Wegparzelle Frauenfeld,
GST-NR 10925/19 in EZ 2139 Grundbuch 92001 Dornbirn, seien. Ihre Antragslegitimation ergebe sich daraus, daß nach den Regeln über die Miteigentumsgemeinschaft jeder Miteigentümer berechtigt sei, sämtliche Rechtsmittel zur Wahrung des Gesamtrechtes wahrzunehmen.
Der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis
VfSlg. 10754/1986 ausgesprochen, daß durch die Öffentlicherklärung eines in der Natur bestehenden privaten Weges Gemeingebrauch begründet werde. Dieser sei jedermann im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften gestattet und dürfe von niemandem eigenmächtig behindert werden. Der Eigentümer müsse also die Benützung des Weges durch jedermann in Kauf nehmen. Durch eine solche Verordnung werde daher in das Eigentumsrecht aktuell und nicht bloß potentiell eingegriffen.
2.1.2. Des weiteren bringen die Antragsteller ua. vor, die Wegparzelle Frauenfeld sei 1963 anläßlich eines Umlegungsverfahrens geplant worden. Sie fahren fort:
"In weiterer Folge wurden in diesem Bereich jeweils Einfamilienhäuser errichtet und die genannte Wegparzelle durch die jeweiligen Bauwerber provisorisch geschottert.
Mit Kaufvertrag vom 17.11.1969 erwarb die Stadt Dornbirn die angrenzende Gp. 11054/5. In weiterer Folge wurde noch Ende 1969 der genannte Straßenzug asphaltiert. Am Status der genannten Wegparzelle als nicht öffentliche Privatstraße änderte sich hiedurch jedoch nichts. ...
Erst im Jahre 1987, als die Benützung der genannten Privatstraße durch auswärtige Kraftfahrzeuglenker festgestellt werden mußte, wurde jeweils eine Fahrverbotstafel mit dem Hinweis 'Privatstraße' aufgestellt. Durch diese Maßnahme sollte lediglich klargestellt werden, daß es sich nach wie vor um eine nicht öffentliche Straße handelt. ..."
Zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verordnung bringen die Antragsteller vor,
"daß eine derartige Erklärung jedenfalls auf Grundlage des §9 Abs2 und Abs3 des Vorarlberger StraßenG, LGBl. Nr. 8/1969, erfolgt. ...
Schon aus dem reinen Wortlaut des Gesetzestextes ist zu ersehen, daß die vorliegende Verordnung die Bedingungen des §9 leg.cit. nicht erfüllt. Es ist nämlich davon auszugehen, daß die genannte Wegparzelle bislang lediglich als Zufahrt für die Miteigentümer gedient hat, während sämtliche anderen Wohngebiete durch öffentliche Straßen erschlossen wurden. ...
Es wird ... auch auf die Ausführungen des Amtes der Vorarlberger Landesregierung vom 3.8.1993 verwiesen, wonach die Erklärung zur Gemeindestraße die Gemeinde unmittelbar zum Erwerb des Straßengrundes verpflichtet (vgl. auch §4 Abs2 des Vorarlberger StraßenG). ...
Anläßlich der Prüfung eines auf §44 Vorarlberger StraßenG beruhenden Enteignungsbescheides hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 20.10.1988, 84/06/0237, ausgesprochen, daß schon das Fehlen einer einzigen Voraussetzung - hier die schlüssig aufgezeigte Möglichkeit einer zweckmäßigeren Führung der Straße aus dem Gesichtspunkt des Verkehrs - genügt, um den Antrag eines Enteignungswerbers aus dem Grunde des §44 Abs1 Vorarlberger StraßenG abzuweisen.
Wenn nun, wie bereits ausgeführt, die Erklärung einer Privatstraße zur Gemeindestraße aktuell und nicht nur potentiell in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift und überdies auch die Grundlage für eine spätere Enteignung bildet, ... so haben für eine derartige Erklärung zur Gemeindestraße dieselben Grundsätze zu gelten. Es muß deshalb die vorliegende Verordnung auch aus diesem Grund als gesetzwidrig betrachtet werden.
Schließlich ist auch im Lichte des §4 Abs2 des Vorarlberger StraßenG zu bedenken, daß durch die Erklärung zur Gemeindestraße eine Verpflichtung der Gemeinde zum Erwerb des Straßengrundes erfolgt. Für den Fall, daß die Grundeigentümer nicht einvernehmlich zum Verkauf ihrer Liegenschaft bewegt werden können, führt dies zwingend zum Erfordernis der Enteignung. ..."
Die Antragsteller beziehen sich dann auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Enteignung und setzen fort:
"Bedenkt man nun, daß durch die Erklärung einer Privatstraße zur Gemeindestraße der Gemeingebrauch begründet wird und somit der frühere Eigentümer seine Verfügungsmacht vollkommen verliert, so stellt sich doch die Frage, ob nicht bereits §9 Vorarlberger StraßenG darauf Bedacht nehmen müßte, daß eine Enteignung nur unter oben genannten Kriterien stattfinden darf. Die Problematik besteht darin, daß zwar §44 des Vorarlberger StraßenG normiert, daß die Enteignung nur zulässig ist, wenn eine andere unter dem Gesichtspunkt des Verkehrs, der Wirtschaftlichkeit und des Landschaftsschutzes zweckmäßigere Führung oder Erhaltung der Straße nicht möglich ist, für die Überprüfung der Notwendigkeit des Baues einer solchen Straße aber kaum Raum bleibt, weil die Notwendigkeit auf Grund der von der Landesregierung bzw. Gemeindevertretung erlassenen Verordnung bereits feststeht. Solange eine solche Verordnung nicht erlassen wurde, fehlen die Voraussetzungen für eine Enteignung. ...
Obwohl also bereits durch die Erklärung zur Gemeindestraße im Sinne des §9 Vorarlberger StraßenG ... ein Eingriff erfolgt, der einer Enteignung gleichzusetzen ist, orientiert sich die genannte Gesetzesstelle in keiner Weise an jenen Kriterien, die Voraussetzung für eine zulässige Enteignung sind. ..."
Die Antragsteller legen des weiteren ausführlich dar, weshalb ihrer Ansicht nach weder die Notwendigkeit gemäß §9 Abs2 noch die Wichtigkeit für den Verkehr innerhalb der Gemeinde gemäß §9 Abs3 Vorarlberger StraßenG, LGBl. 8/1969, (in der Folge: Vlbg. StrG) gegeben sei.
2.2. Die Vorarlberger Landesregierung und die Stadtvertretung der Stadt Dornbirn haben in Äußerungen (unter Vorlage der Verordnungsakten) die Abweisung des Antrages begehrt und die Gesetzmäßigkeit der Verordnung verteidigt. Die Vorarlberger Landesregierung führt ua. aus, durch die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße werde die Öffentlichkeit dieser Straße und damit der Gemeingebrauch begründet. Die Erklärung einer Privatstraße ohne öffentlichen Verkehr zur Gemeindestraße bewirke daher eine Eigentumsbeschränkung. §9 Abs2 und 3 Vlbg. StrG regelten die sachlichen Voraussetzungen für die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße nach Gesichtspunkten des Allgemeininteresses. Die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße habe die Rechtswirkung, daß eine spätere Enteignung in Betracht komme.
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Vlbg. StrG lauten:
"Öffentliche Straßen
§1. (1) bis (4) ...
(5) Öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes sind die dem Gemeingebrauch gewidmeten Straßen. Sie gliedern sich in
a)
Landesstraßen,
b)
Gemeindestraßen,
c)
Genossenschaftsstraßen und
d)
öffentliche Privatstraßen
(6), (7) ...
Gemeingebrauch
§2. (1) Der Gemeingebrauch einer Straße ist die jedermann unter den gleichen Bedingungen und innerhalb der durch die Art der Straße sowie durch die straßenpolizeilichen Vorschriften festgelegten Grenzen ohne ausdrückliche Bewilligung zustehende Benützung zum Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr sowie zum Reiten oder Viehtrieb.
(2) ...
(3) Wenn strittig ist, ob und in welchem Umfang eine Straße dem Gemeingebrauch gewidmet ist, hat hierüber die Behörde zu entscheiden. In diesem Verfahren haben der Eigentümer des Straßengrundes und derjenige, der die Straße bisher erhalten hat, die Rechte einer Partei. In einem solchen Verfahren ist die Gemeinde, durch deren Gebiet die Straße führt, anzuhören.
(4) und (5) ...
Rechte und Pflichten des Straßenerhalters
§4. (1) ...
(2) Landesstraßen und Gemeindestraßen müssen im Eigentum des Straßenerhalters stehen. ...
(3) bis (5) ...
Gemeindestraßen
Begriff, Erklärung und Auflassung, Straßenerhalter
§9. (1) Gemeindestraßen sind die von der Gemeindevertretung durch Verordnung als solche erklärten Straßen. ...
(2) Die Gemeindevertretung hat nach Maßgabe der finanziellen Mittel die vorwiegend für den Verkehr innerhalb des Gemeindegebietes notwendigen Straßen als Gemeindestraßen zu erklären. Notwendig sind diejenigen Straßen, durch die ganzjährig bewohnte Siedlungen mit mindestens 100 Einwohnern erschlossen werden. Eine Notwendigkeit liegt nicht vor, wenn von anderer Seite für eine solche Verkehrsverbindung Vorsorge getroffen wird. Ein Rechtsanspruch auf Erklärung einer Straße als Gemeindestraße besteht nicht.
(3) Die Gemeindevertretung kann darüber hinaus durch Verordnung Straßen, die vorwiegend für den Verkehr innerhalb der Gemeinde wichtig sind, als Gemeindestraßen erklären.
(4) bis (7) ...
Öffentliche Privatstraßen
Begriff
§20. (1) Alle dem Gemeingebrauch gewidmeten Straßen, die nicht Bundes-, Landes-, Gemeinde- oder Genossenschaftsstraßen sind, sind öffentliche Privatstraßen. Für diese Straßen ist es ohne Bedeutung, ob sie vom Eigentümer ausdrücklich als solche erklärt oder stillschweigend dem Gemeingebrauch gewidmet sind. Eine stillschweigende Widmung liegt vor, wenn der Eigentümer der Straße den Gemeingebrauch auf dieser Straße durch mindestens 20 Jahre geduldet hat, ohne daß er durch Absperrungen, Aufschriften oder ähnliche Vorkehrungen unmißverständlich zu erkennen gegeben hat, daß er den Gemeingebrauch nicht oder nur vorübergehend duldet. Durch eine bloße Änderung des Verlaufes der Straße wird die Erklärung oder stillschweigende Widmung nicht ausgeschlossen.
(2) ..."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes greift eine Verordnung, mit der ein in der Natur bereits vorhandener und daher benützbarer Weg zur öffentlichen Verkehrsfläche erklärt wird, in die Rechtssphäre des betreffenden Grundeigentümers aktuell und nicht bloß potentiell ein; zur Konkretisierung der Wirkung der Verordnung bedarf es keines weiteren behördlichen Aktes (VfSlg. 10754/1986 mwH); im Falle von Miteigentum ist auch der einzelne Miteigentümer antragslegitimiert (vgl. VfSlg. 11850/1988, 12133/1989).
Der Antrag ist daher zulässig.
2. Zur Sache:
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach (VfSlg. 13198/1992 mwN) dargelegt hat, wird durch die Öffentlicherklärung eines in der Natur schon bestehenden privaten Weges (an dem noch kein Gemeingebrauch besteht oder dessen Gemeingebrauch nicht durch Bescheid geklärt ist (§2 Abs3 Vlbg. StrG)) - in der Erklärung zur Gemeindestraße liegt, wie sich aus §1 Abs5 litb Vlbg. StrG ergibt, eine solche Öffentlicherklärung - in gesetzwidriger Weise Gemeingebrauch begründet, solange die Gemeinde nicht das Eigentum an den in Betracht kommenden Straßengrundstücken - oder allenfalls ein Verfügungsrecht kraft eines anderen Privatrechtstitels - erworben hat.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß dem Antrag zwar nicht ausdrücklich, aber erkennbar und hinreichend deutlich iSd §57 Abs1 VerfGG das Bedenken zu entnehmen ist, die Verordnung sei aus diesem Grund gesetzwidrig.
2.3. Da im vorliegenden Fall feststeht, daß weder ein Eigentumserwerb noch der Erwerb eines sonstigen dinglichen Rechtes stattgefunden hat, genügt es, auf die Vorjudikatur zu verweisen (VfSlg. 13198/1992 ua.). Die bekämpfte Verordnung ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.
2.4. Auf das weitere Antragsvorbringen war daher nicht mehr einzugehen.
3. Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §61a VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 4.500,- enthalten.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Straßenverwaltung, Widmung (einer Straße), Gemeingebrauch (einer Straße), Öffentlicherklärung (einer Straße)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:V75.1995Dokumentnummer
JFT_10029688_95V00075_00