TE Bvwg Beschluss 2019/2/4 W254 2190349-1

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Veröffentlicht am 04.02.2019
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Entscheidungsdatum

04.02.2019

Norm

AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W254 2190349-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gesetzlich vertreten durch XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2018, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des

angefochtenen Bescheides aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Bruder, XXXX , am XXXX .2017 legal und im Besitz eines österreichischen Visums ein. Für diese wurden jeweils am 17.05.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gestellt.

Im Zuge der am 17.05.2017 erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte die gesetzliche Vertreterin zu den Anträgen der Beschwerdeführerin und deren Bruders befragt zusammenfassend aus, dass ihre Kinder für zwei Jahre entführt, geschlagen, missbraucht und vergewaltigt worden seien.

Über Aufforderung der belangten Behörde wurde die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Mutter in der XXXX vorstellig. Die Untersuchung ergab, dass an der Beschwerdeführerin eine Beschneidung XXXX ) vorgenommen wurde.

Am 23.01.2018 wurde die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde zu den Anträgen der Beschwerdeführerin und deren Bruders auf internationalen Schutz einvernommen. Darin wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin beschnitten worden sei und auch nochmals beschnitten werden sollte. Im Übrigen führte die gesetzliche Vertreterin aus, dass man ihr die Kinder 2009 nach dem Tod deren Vaters und ihrer zweiten Eheschließung weggenommen habe. Ihre Kinder hätten bei ihrem Onkel väterlicherseits und ihrer Tante gelebt, welche sie geschlagen und misshandelt hätten. Mit Unterstützung ihrer Tante und ihres Neffen habe sie die beiden nach Österreich holen können. Abschließend gab sie noch an, dass sie sich von ihrem Mann, mit dem sie gemeinsam nach Österreich eingereist sei, scheiden habe lassen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.01.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.01.2019 erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - sofern hier wesentlich - aus, dass den Angaben ihrer Mutter zu den vorgebrachten Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen in deren Asylverfahren die Glaubwürdigkeit versagt worden sei, weshalb nunmehr auch nicht glaubhaft sei, dass die Beschwerdeführerin in irgendeiner Form davon betroffen sei. Auch hätten keine anderen Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes festgestellt werden können. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde unter Aufzählung der Widersprüchlichkeiten des Aussageverhaltens der Mutter zusammenfassend aus, dass es sich um ein konstruiertes Vorbringen handle. Zudem seien die Ausführungen der Mutter, wonach die Beschwerdeführerin nochmals beschnitten werden sollte, vor dem Hintergrund, dass sie bereits beschnitten wurde, nicht glaubhaft. Es hätten sich auch keine anderen Fluchtgründe aus den Feststellungen zu ihrem Herkunftsland oder dem Amtswissen der belangten Behörde ergeben. Auch sei sie als Angehörige ihrer Volksgruppe oder ihres Religionsbekenntnisses keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt.

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 30.01.2018 erhob die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Bruder XXXX beide gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, mit Schriftsatz vom 26.02.2018 fristgerecht Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen die inhaltliche Rechtswidrigkeit und die Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert. Zunächst wird darin ausgeführt, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Bruder sowie dem bereits anhängigen Verfahren einer weiteren Schwester, XXXX , ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 vorliege. Weiters wird ausgeführt, dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung auseinandergesetzt habe. Bei der Beschneidung der Beschwerdeführerin handle es sich in Hinblick auf die weiteren Formen der Beschneidung um einen verhältnismäßigen geringen Eingriff. Diesbezüglich werde auf einen Bericht der WHO verwiesen. Die Beschwerdeführerin habe im Fall einer Rückkehr eine weitere Beschneidung zu befürchten und stelle dies ein asylrelevantes Vorbringen dar. Die belangte Behörde wäre als Spezialbehörde verpflichtet gewesen, entsprechende Länderberichte zur Genitalverstümmelung in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführerin sei aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der jungen Frauen in Somalia, welchen eine erhebliche Gefahr einer Genitalverstümmelung drohe, der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen. Überdies hätte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin und ihren Bruder, allenfalls im Beisein der Mutter, einvernehmen müssen. Die Brandverletzungen seien gänzlich außer Acht gelassen worden. Zudem seien sowohl die Beschwerdeführerin als auch deren Bruder XXXX aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlichen Rückkehrer einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die zu treffenden Feststellungen entsprechen der Darstellung des Sachverhalts im Verfahrensgang, auf die verwiesen wird. Dieser Sachverhalt wird der Entscheidung als Sachverhaltsfeststellung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt und der Verfahrensgang ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch VwGH 25.01.2017, Zl. Ra 2016/12/0109).

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt.

Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen, so steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Materialien zum AsylG 2005 gehen davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV 952 BlgNR XXII. GP).

Gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG sind die Bestimmungen des § 34 AsylG nicht anzuwenden auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.

Verfahrensgegenständlich hat es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und darüber hinaus den mangelhaft ermittelten Sachverhalt in wesentlichen Teilen nicht seiner Entscheidung berücksichtigt. Der angefochtene Bescheid ist aus nachfolgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im Rahmen der Einvernahme zum Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz brachte die gesetzliche Vertreterin u.a. vor, dass die Beschwerdeführerin zwar schon beschnitten sei, jedoch sollte sie nochmals beschnitten werden. Aus dem vorliegenden Befund XXXX geht hervor, dass es sich bei der Beschneidung der Beschwerdeführerin um eine Beschneidung XXXX handelt. Es handelt sich dabei um eine leichte Form der Beschneidung. Dennoch unterließ es die belangte Behörde, die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin eingehend und ausführlich zu diesem Themenkomplex zu befragen.

Den der belangten Behörde amtswegig bekannten Länderberichten ist u. a. zu entnehmen, dass die weibliche Genitalverstümmelung in Somalia weit verbreitet ist und nicht beschnittenen Mädchen und Frauen eine solche bei einer Rückkehr aufgrund des sozialen Drucks drohen könnte. Wie auch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 24.06.2010, Zl. 2007/01/1199) zu entnehmen ist, kann weibliche Genitalverstümmelung sehr wohl unter Umständen als asylrelevante Verfolgung qualifiziert werden. Den (auch im Bescheid festgestellten) Länderberichten ist zudem zu entnehmen, dass es bezogen auf das Alter bei der Beschneidung zwar unterschiedliche Angaben gibt. Dabei nennt UNICEF ein Alter von vier bis vierzehn Jahren als üblich (OZ 1 AS 149). Damit fällt die Beschwerdeführerin als XXXX Mädchen in die Risikogruppe hinein.

Vor diesem Hintergrund war die belangte Behörde daher von sich aus verpflichtet, Ermittlungen zu einer sich daraus ergebenden allfälligen Bedrohung in Somalia anzustellen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Das Bundesamt hätte von sich aus die Situation rückkehrender minderjähriger Mädchen nach Somalia, die eine Beschneidung XXXX aufweisen, jedenfalls näher beleuchten und dahingehende Ermittlungen - auch durch entsprechende Befragung (insbesondere im Hinblick auf den Umstand, wonach die Gefahr einer weiteren Beschneidung vorgebracht wurde) der gesetzlichen Vertreterin - tätigen müssen. Die belangte Behörde ist dieser Verpflichtung nicht ausreichend nachgekommen. Zwar finden sich im angefochtenen Bescheid der Beschwerdeführerin - die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation enthaltenen allgemeinen - Ausführungen zur weiblichen Genitalverstümmelung. Jedoch fand weder eine ausführliche Befragung der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin dazu statt, noch wurden (ausreichende) Ermittlungen und darauf basierende substantiierte Feststellungen zur Situation von Frauen in Somalia und insbesondere zur Gefahr einer weiteren Beschneidung und den damit verbundenen Problemen für den Fall einer Rückkehr getroffen. Eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex erschöpfte sich in der Beweiswürdigung dahingehend, als die belangte Behörde die Gefahr einer weiteren Beschneidung im Hinblick auf die bereits durchgeführte Beschneidung als nicht glaubhaft abtat. Damit hat die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen zur Feststellung des in diesem Punkt entscheidungsrelevanten Sachverhalts unterlassen und die Gefahr der weiteren Beschneidung der Beschwerdeführerin nicht ausreichend berücksichtigt.

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei Letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren dazu angehalten, sich mit dem Themenbereich der weiblichen Genitalverstümmelung (insbesondere mit der Gefahr einer weiteren Beschneidung) eingehend auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte Befragung, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen. Aufgrund des zu behandelnden Themenbereichs der weiblichen Genitalverstümmelung wird die Einvernahme von einer weiblichen Organwalterin der belangten Behörde unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen sein oder eine entsprechende Belehrung iSd § 20 AsylG 2005 zu erfolgen haben.

Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - insgesamt unterlassen, sich mit den im Verfahren hervorgekommenen Fluchtgründen eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. etwa VwGH 20.10.2015, Zl. Ra 2015/09/0088, wonach bei Nichtfeststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eine Zurückverweisung zulässig ist).

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Unter Wahrung des Grundsatzes der amtwegigen Ermittlungspflicht und des Parteiengehörs wird die belangte Behörde auch aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat treffen, das Vorbringen der gesetzlichen Vertreterin vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Herkunftsstaat würdigen und schließlich die rechtlichen Konsequenzen daraus ziehen müssen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die belangte Behörde aus den oben angeführten Erwägungen in entscheidenden Punkten die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und daher den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit belastet hat, sodass die nunmehrige Durchführung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht einer Neudurchführung des Verfahrens gleichkommt. Sohin liegen verfahrensgegenständlich jedenfalls die in der eingangs zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs genannten krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücke vor.

Durch das mangelhaft geführte Ermittlungsverfahren hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vornahme weiterer Ermittlungen bzw. überhaupt die Durchführung wesentlicher Teile der Asylverfahren auf das Bundesverwaltungsgericht verlagert, weshalb im Einklang mit den Erkenntnissen des VwGH zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, Zlen. Ro 2014/03/0063 und Ra 2014/08/0005, der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt I. zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihren in Österreich lebenden Geschwistern kein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vorliegt, da Geschwister nicht unter dem Begriff der "Familienangehörigen" iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, auf den § 34 AsylG 2005 verweist, subsumierbar sind. Das Asylverfahren der Mutter (IFA-Zl.: XXXX ) wurde bereits im Jahr 2015 rechtskräftig entschieden. Demnach ist kein Familienverfahren in Betracht zu ziehen (siehe dazu insbesondere das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, wonach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 dahingehend auszulegen ist, dass eine gemeinsame Führung der Verfahren nur dann zu erfolgen hat, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind).

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W254.2190349.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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