Entscheidungsdatum
04.02.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W246 2155580-1/19E
Schriftliche Ausfertigung des am 03.12.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2017, Zl. 1089348907/151462897, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer
gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 30.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.
3. Am 10.04.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.
Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er nach dem Tod seiner Eltern ca. ein Jahr lang bei seinem Onkel gewohnt habe, der ihn sehr schlecht behandelt habe. Danach habe ihn sein Onkel nach Pakistan geschickt, wo er als Teppichknüpfer gearbeitet habe. Nach zwei Jahren sei der Beschwerdeführer erkrankt und nach Afghanistan zu seinem Onkel zurückgekehrt. In der Folge habe der Beschwerdeführer ca. drei bis vier Jahre bei seinem Onkel gelebt, der ihn wie einen Menschen zweiter Klasse behandelt habe. Schließlich habe der Beschwerdeführer mit der Tochter seines Onkels, also der Cousine des Beschwerdeführers, fliehen wollen, wofür er die Grundstücke seiner Familie verkauft habe und mit seiner Cousine zum Haus des Käufers der Grundstücke gegangen sei. Der Onkel des Beschwerdeführers habe jedoch von seinem Plan erfahren und sei ebenfalls zum Haus des Käufers der Grundstücke gekommen, wo er die Cousine des Beschwerdeführers geschlagen sowie dann wieder nach Hause mitgenommen habe. Gegenüber dem Beschwerdeführer, der sich verstecken habe können, habe der Onkel indirekt Todesdrohungen ausgesprochen. Daraufhin sei der Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist und nach einem Aufenthalt im Iran in weiterer Folge nach Europa gelangt.
Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme mehrere Unterlagen zum Nachweis seiner Integrationsverfestigung in Österreich vor.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde.
6. Mit Schreiben vom 15.10.2018 ergänzte der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters die Beschwerdeausführungen. Zudem brachte der Beschwerdeführer ein Medikamentenverordnungsblatt, eine ärztliche Stellungnahme, eine psychotherapeutische Stellungnahme sowie einen Ambulanzbericht einer Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, wonach der Beschwerdeführer u.a. an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, in Vorlage.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.10.2018 u.a. im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher er ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und seiner Integration in Österreich befragt wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte zuvor mit, dass die Teilnahme eines Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei.
Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung eine Vielzahl von Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.
8. Mit Schreiben vom 09.11.2018 nahm der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters zu dem vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterial Stellung.
9. Am 03.12.2018 setzte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung fort. Nach Schluss der Verhandlung verkündete der Richter das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Das Verhandlungsprotokoll vom 03.12.2018 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl samt Hinweis auf die mündliche Verkündung mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2018 übermittelt.
10. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beantragte mit Schreiben vom 12.12.2018 gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, (in der Folge: VwGVG) fristgerecht eine schriftliche Ausfertigung des am 03.12.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie der Beschwerdeergänzung, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der erhobenen Stellungnahme und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende
Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen
Umständen im Herkunftsstaat:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Er ist in einem Dorf in der Provinz Maidan Wardak geboren, wo er ein Jahr einen Koranunterricht besuchte und u.a. als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Bestellung von familieneigenen landwirtschaftlichen Grundstücken tätig war.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen und zur Ausreise des Beschwerdeführers:
Nach dem Tod seiner Eltern kamen der Beschwerdeführer und sein Bruder in die Obsorge seines Onkels väterlicherseits, der den Beschwerdeführer ständig schlecht behandelte, indem er ihn u.a. schlug. Nach ca. einem Jahr bei seinem Onkel väterlicherseits schickte ihn dieser nach Pakistan, wo er als Teppichknüpfer arbeitete. Nach zwei Jahren Aufenthalt in Pakistan erkrankte der Beschwerdeführer und kehrte zu seinem Onkel väterlicherseits nach Afghanistan zurück. In der Folge lebte der Beschwerdeführer mehrere Jahre bei seinem Onkel väterlicherseits, der ihn weiterhin schlecht behandelte. Schließlich beschloss der Beschwerdeführer gemeinsam mit der Tochter seines Onkels väterlicherseits, also der Cousine väterlicherseits des Beschwerdeführers, zu fliehen, wofür er mit ihrer Hilfe die Grundstücke seiner Familie verkaufte und sich später mit ihr beim Haus des Käufers der Grundstücke traf. Der Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers erfuhr jedoch vom Plan des Beschwerdeführers und kam ebenfalls zum Haus des Käufers der Grundstücke, wo er die Cousine väterlicherseits des Beschwerdeführers schlug und sie dann wieder nach Hause mitnahm. Davor sprach der Onkel väterlicherseits gegenüber dem Beschwerdeführer, der sich im Haus des Käufers der Grundstücke verstecken konnte, indirekt Drohungen aus. Der Beschwerdeführer reiste in der Folge aus Afghanistan aus und gelangte zunächst in den Iran, wo ihn zwei Söhne des Onkels väterlicherseits, die zu diesem Zeitpunkt im Iran lebten, ausfindig machten. Aus diesem Grund reiste der Beschwerdeführer in weiterer Folge nach Österreich weiter, wo er am 30.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan die Gefahr eines Ehrenmordes seitens seiner Familienangehörigen auf Grund des versuchten gemeinsamen "Weglaufens" mit seiner Cousine väterlicherseits.
1.3. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer leidet u.a. an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 19.10.2018 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Wardak / Maidan Wardak
(Maidan) Wardak ist eine der zentralen Provinzen Afghanistans (Pajhwok o.D.). Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud/Behsood und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 615.992 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben hauptsächlich ethnische Paschtunen, Tadschiken und Hazara; auch Kuchis sind in der Vergangenheit insbesondere in den Distrikt Behsood gezogen (EASO 12.2017).
Die Hauptautobahn (Ring Road) Kabul-Kandahar führt durch die Provinz Maidan Wardak, von wo aus sie die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen des Landes mit der Hauptstadt Kabul verbindet (Khaama Press 6.5.2016; vgl. Tolonews 23.1.2018). Polizisten arbeiten hart daran, die Autobahn von Minen zu befreien, da der südliche Abschnitt der Kabul-Kandahar Autobahn neun Provinzen mit der Hauptstadt Kabul verbindet (Tolonews 23.1.2018).
Mit Stand November 2017 ist die Provinz Wardak zumindest seit dem Jahr 2006 komplett opiumfrei; im Jahr 2005 wurden in Daimirdad noch 106 Hektar Mohnanbauflächen verzeichnet (UNODC 11.2017).
Drei Frauen haben bei der Provinzwahl von Maidan Wardak Sitze für den Provinzrat erhalten (GV 8.3.2018). Im März 2018 hat eine Gruppe junger Frauen in der Provinz die Kunstbewegung "Village Sisters Art Movement" gegründet, wodurch Lyrik-Vorträge organisiert werden. Das Projekt wird vom Kultur- und Informationsdepartment begrüßt (Pajhwok 9.3.2018).
Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage
Wardak zählt seit einiger Zeit zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv, speziell in den Distrikten nächst der Autobahn (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 1.1.2018, Khaama Press 25.12.2017, Khaama Press 8.12.2017, Khaama Press 23.11.2017, FN 8.11.2017, Khaama Press 21.8.2018, Khaama Press 11.7.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 81 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 83 zivile Opfer (42 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten/willkürlichen Tötungen und Luftangriffen. Dies deutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Wardak
In der Provinz Wardak werden groß angelegte militärische Operationen durchgeführt (Tolonews 23.11.2017; vgl. Xinhua 18.3.2018, Tolonews 18.3.2018, Tolonews 22.11.2017, Tolonews 1.7.2017 Pajhwok 19.5.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Xinhua 18.3.2018; vgl. Tolonews 18.3.2018, Tolonews 23.11.2017). Bei diesen Operationen werden unter anderem auch Führer von regierungsfeindlichen Gruppierungen getötet (Xinhua 14.1.2018; vgl. Khaama Press 23.11.2017, Tolonews 1.7.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt; bei diesen werden auch Aufständische getötet (Independent 24.11.2017; vgl. Khaama Press 12.8.2017, Pajhwok 10.4.2017).
Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (Pajhwok 3.3.2018; vgl. Tolonews 7.11.2017, Tolonews 11.7.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Wardak
Regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv (Khaama Press 11.3.2018). Dazu zählen u.a. die Taliban (Tolonews 18.2.2018; vgl. Xinhua 14.1.2018, Khaama Press 9.12.2017); Quellen zufolge hat das Haqqani-Netzwerk in einem Teil der Provinz Wardak eine Zentrale gehabt (ATN 23.11.2017; vgl. Tolonews 23.11.2017, Khaama Press 23.11.2017, SP 13.3.2018, UW 3.2012). Das Haqqani-Netzwerk operiert großteils in Ostafghanistan und der Hauptstadt Kabul (Xinhua 18.3.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden keine IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet (ACLED 23.2.2018).
Religionsfreiheit
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des Inhabers/der Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).
Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
Schiiten
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge sind 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4% der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war, diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist; außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara; nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
1.4.2. Anfragebeantwortung von ACCORD vom 23.02.2017 u.a. zu Rachehandlungen in Afghanistan wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs und gemeinsamen Weglaufens (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
"[...]
In einem im November 2007 veröffentlichten Bericht zu einem von ACCORD veranstalteten Herkunftsländerseminar zu Afghanistan findet sich die Zusammenfassung eines Vortrags von [...], damals Mitarbeiter des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Kabul. Wie [...] bemerkt, gebe es in Afghanistan den Begriff ‚namus', der mit ‚Ehre', aber auch mit ‚Eigentum' übersetzt werden könne. Basierend auf der traditionellen afghanischen Redensart ‚zan, zar, zamin' (Frauen, Gold, Land) umfasse der Begriff ‚namus' die Ehefrau (bzw. die Ehre der weiblichen Familienmitglieder), Eigentum und das Recht auf Wasser und Land. Wenn eines dieser ‚namus'-Elemente verletzt werde, werde das Thema Blutfehde garantiert aufkommen.
[...]
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender folgendermaßen auf die Lage von Personen ein, die in Blutfehden verwickelt seien:
‚Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt.' [...]
[...]
[...], Privatdozent am Zentralasien-Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin (Deutschland), schreibt in einem vom AAN veröffentlichten Artikel vom März 2011, dass schlechte Taten (ebenso wie gute) eine reziproke Reaktion erfordern würden. Falls es sich bei der schlechten Tat um einen Angriff auf die Ehre oder körperliche Integrität einer Person handle, bedeute dies, Rache für die Tat zu nehmen. Diese Rache habe das Ziel, das ursprüngliche Gleichgewicht zwischen Personen und Gruppen sowie die Ehre wieder herzustellen. Dieses Gleichgewicht wird auch als ‚badal' bezeichnet. Ein Zyklus gewaltsamer Vergeltungstaten könne in eine Blutfehde münden. Diese Fehden würden nicht deshalb ‚Blutfehden' genannt, weil es dabei unbedingt zu Blutvergießen kommen müsse, sondern weil sie von blutsverwandten Familiengruppen ausgeführt würden. Rachehandlungen könnten durch patrilineare Verwandte (d.h. Verwandte in männlicher Linie) der verletzten, getöteten oder anderweitig geschädigten bzw. entehrten Person vorgenommen werden und könnten sich gegen den Täter selbst oder einen von dessen patrilinealen Verwandten richten:[...]
Die britische Nichtregierungsorganisation Country of Origin Research and Information (CORI) zitiert in einem im Februar 2014 veröffentlichten Herkunftsländerbericht den an der Boston University (USA) tätigen Anthropologieprofessor [...] mit der Aussage, dass Blutfehden, die mit Frauen in Zusammenhang stünden, auf eine Entehrung einer Frau durch einen Außenstehenden, etwa durch Vergewaltigung oder gemeinsames ‚Weglaufen', zurückzuführen seien. Die männlichen Blutsverwandten der Frau (oder der Ehemann, falls die Frau verheiratet sei), würden dann versuchen, den ‚Täter' aus Vergeltung zu töten. Neben Blutfehden gebe es noch die Kategorie ‚Verlust von Ehre' (‚namus') infolge eines (wahrgenommenen) Verhaltens der Frau, das intern in der Familie als Schande angesehen werde und zu ihrer Tötung führe. Bei solchen ‚Ehrenmorden' würden die Frau (und im Falle gemeinsamen Weglaufens auch der beteiligte Mann) getötet, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. [...] weist darauf hin, dass die Tötung eines an einer solchen Ehrverletzung beteiligten Mannes nicht Teil eines (Blut)rachezyklus sei, da Rachehandlungen nicht von Verwandten eines Mannes ausgeführt werden könnten, der zum Zeitpunkt seiner Tötung eine ‚schändliche' Tat begangen habe. Indes könne ein ‚erfolgreiches' gemeinsames Weglaufen mitunter eine Blutfehde auslösen, wenn der Familienverband des Mannes dem Paar Schutz biete und es zu keiner Einigung mit der Familie der Frau komme. Wie [...] weiter bemerkt, seien Frauen, Mädchen und Buben von Blutrache ausgenommen. Die häufigsten Ziele seien Brüder des Täters, obwohl auch andere erwachsene patrilineare männliche Verwandte des Täters auch gefährdet sein könnten. Bezüglich der Frage, welches Spektrum an Personen ein geeignetes Ziel sein könnten, gebe es unterschiedliche Meinungen. So könne die Tötung eines alten Großvaters als unehrenhaft angesehen werden, obwohl dieser der älteste Mann im Familienverband sei:[...]
[...]
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) schreibt in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender unter anderem Folgendes über die Fähigkeit des afghanischen Staates, Zivilisten vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen:
‚Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird in vielen Distrikten durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte sind Berichten zufolge oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben.
Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.
Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass bis zu zwei Drittel der afghanischen Bürger, die Kontakt zu Staatsbediensteten auf Provinz- und Distriktebene hatten, Schmiergelder zahlen mussten, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten. Innerhalb der Polizei sind Berichten zufolge Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem ist Berichten zufolge auf ähnliche Weise von weitreichender Korruption betroffen.' [...]
[...]"
1.4.3. Auszug aus der gutachterlichen Stellungnahme der Ländersachverständigen Mag. MALYAR vom 23.09.2017 zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der afghanischen Behörden im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W246 2137371-1 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
"[...]
[Fragestellung des Gerichts:] Ist in Afghanistan im Allgemeinen Schutzfähig- und Schutzwilligkeit des Polizei- und Justizapparats vor Gewalthandlungen durch Privatpersonen vorhanden?
In der Strategie der westlichen Besatzer, bis 2014 durch Aufrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte, kommt der afghanischen Polizei eine wichtige Rolle zu: Sie soll die vom Militär befreiten Gebiete halten und die Sicherheit garantieren, die für einen zivilen Aufbau notwendig ist. Die afghanische Polizei sowie der Justizapparat sind jedoch als hochgradig korrupt bekannt. Der schlechte Ruf der Sicherheitskräfte und der Justiz ist seit Jahren konstant. Somit sind Justiz und Polizei weiterhin häufig schlecht ausgestattet und ausgebildet. Diese mangelhafte Ausbildung der Polizisten stellt ein großes Problem dar. Beim Aufbau des Polizeiapparates wurde lange Zeit die Quantität der Qualität bevorzugt. Dennoch sind die Armee und Polizei gewachsen. Allerdings sind bei der Besetzung höherer Stellen innerhalb der Polizei persönliche Beziehungen wichtiger als der professionelle Hintergrund. Auch die schlechte Ausrüstung wurde immer wieder bemängelt, so fehlt es beispielsweise vielen Polizisten an Munition und Fahrzeugen. All dies führt dazu, dass weder die Polizei noch die Justiz wirklich in der Lage sind, der Bevölkerung Schutz zu gewähren.
[...]"
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.1.):
Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht; die zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffenen Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Verfahren. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln. Dass die Muttersprache des Beschwerdeführers Dari ist, folgt u.a. aus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. u.a. S. 3 des Verhandlungsprotokolls vom 16.10.2018).
Die Feststellungen zu seinem Geburtsort und seinem "schulischen" sowie "beruflichen" Werdegang ergeben sich aus seinen im Verfahren getätigten, im Wesentlichen gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen und zur Ausreise des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.2.):
Der Beschwerdeführer wiederholte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft die in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben zu seinem Fluchtgrund und führte diese nach konkreterer Befragung durch den erkennenden Richter wesentlich näher aus. Er vermochte mit seinen Ausführungen ein eindeutig nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse zu zeichnen und vermittelte neben seinen im Kern widerspruchsfreien Angaben auch durch sein Auftreten, durch seine klare sowie authentische Art der Schilderung der relevanten Ereignisse und v.a. durch sein - teils von sich aus, teils auf Nachfrage durch den erkennenden Richter dargelegtes - Detailwissen zu den im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen stehenden Umständen und Gegebenheiten (s. v.a. S. 12 ff. des Verhandlungsprotokolls vom 16.10.2018) während der gesamten Verhandlung den Eindruck, das Erzählte tatsächlich erlebt zu haben.
Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr eines Ehrenmordes seitens seiner Familienangehörigen v.a. auf Grund des versuchten gemeinsamen "Weglaufens" mit seiner Cousine väterlicherseits drohen würde, ergibt sich somit aus seinen - wie soeben dargestellt - glaubhaften Angaben und zudem aus dem in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterial (s. v.a. Pkt. II.1.4.2.). Daraus geht hervor, dass u.a. auch gemeinsames "Weglaufen" einer Frau mit einem Mann zur Annahme einer Ehrverletzung und daraus resultierenden Bedrohungshandlungen durch die Familienangehörigen der Frau führen kann. Hierzu wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt, dass nach dem in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterial solche Ehrverletzungen zwar insbesondere innerhalb der Volksgruppe der Paschtunen zu finden sind; nach den Länderberichten kommen solche Ehrverletzungen jedoch auch bei anderen Volksgruppen in Afghanistan durchaus vor.
2.3. Zu den Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.3.):
Die Feststellungen zu der beim Beschwerdeführer vorliegenden posttraumatischen Belastungsstörung ergeben sich aus den dahingehend vorgelegten und nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unbedenklichen Unterlagen (s. Pkt. I.6.).
2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.4.):
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (vgl. u.a. die Kurzinformationen vom 29.10.2018, 23.11.2018 und 08.01.2019 zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Das unter Pkt. II.1.4.1. auszugsweise wiedergegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 samt Aktualisierungen bis 11.09.2018 und der unter Pkt. II.1.4.2. auszugsweise wiedergegebene Länderbericht wurden beim ersten Verhandlungstermin in das Verfahren eingeführt (s. S. 23 des Verhandlungsprotokolls vom 16.10.2018). Die unter Pkt. II.1.4.3. teilweise dargestellte gutachterliche Stellungnahme einer Ländersachverständigen wurde im Rahmen des zweiten Verhandlungstermins in das Verfahren eingeführt (vgl. S. 4 f. des Verhandlungsprotokolls vom 03.12.2018).
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 22/2018, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 56/2018, (in der Folge: AsylG 2005) eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A) Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Nach § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und es ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).
3.2. Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall Folgendes auszuführen:
3.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht vor dem Hintergrund des in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterials (s. Pkt. II.1.4.) auf Grund des glaubhaften Vorbringens des Beschwerdeführers (s. Pkt. II.2.2.) davon aus, dass ihm be