Entscheidungsdatum
18.02.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W123 2194992-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2018, Zahl: 1095252207-151780791, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, stellte am 15.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der am 16.11.2015 erfolgten Erstbefragung brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie und ihr Ehemann auf Grund der Probleme ihres älteren Bruders bedroht worden seien.
3. Am 08.11.2017 fand vor der belangten Behörde eine Einvernahme statt.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte III.-VI.).
5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die am 03.05.2018 fristgerecht eingebrachte Beschwerde.
6. Am 08.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Die Beschwerdeführerin ist volljährig, nennt sich XXXXund ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie ist in der Provinz Kandahar, Ort XXXX, geboren und aufgewachsen. Die Eltern der Beschwerdeführerin waren nicht streng religiös und haben die Beschwerdeführerin nicht zur Einhaltung der Islamischen Vorschriften gezwungen. Die Beschwerdeführerin hat sich freiwillig an diese Vorschriften gehalten. Der Vater der Beschwerdeführerin, der bereits verstorben ist, ermöglichte der Beschwerdeführerin einen Schulbesuch, erlaubte ihr jedoch nicht mehr, die Universität zu besuchen.
Nach der Heirat mit ihrem jetzigen Ehemann lebte die Beschwerdeführerin ebenfalls in ihrem Herkunftsort, jedoch bei ihren Schwiegereltern. Im dortigen Alltag war sie durch ihre Schwiegereltern, insbesondere der Schwiegermutter, fremdbestimmt und verrichtete im Wesentlichen den Haushalt für die gesamte Familie. Die Beschwerdeführerin durfte im Rahmen dieses Familienverbandes keine selbständigen Entscheidungen treffen, nicht alleine einkaufen gehen und musste zudem eine Burka tragen.
Die Beschwerdeführerin hält sich derzeit gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem minderjährigen Sohn in Österreich auf. In Österreich trifft die Beschwerdeführerin ihre Entscheidungen selbst.
Die Beschwerdeführerin ist überzeugte Muslimin, respektiert aber genauso das Christentum und hat für die Pfarrgemeinde freiwillige Arbeiten verrichtet. Die Beschwerdeführerin trägt seit ca. 2 Jahren keine Kopfbedeckung mehr.
Die Beschwerdeführerin verfügt über 12-jährige Schulbildung in Afghanistan, hat jedoch keinen Beruf erlernt. Sie absolvierte die Deutschkurse A1 und A2 und besucht derzeit den B1-Kurs im Pfarrzentrum. Die Beschwerdeführerin hat freiwillige Tätigkeiten verrichtet. Die Beschwerdeführerin besucht einen Tanzkurs, macht Yoga und Pilates, geht Radfahren und macht Spaziergänge mit Freundinnen. Die Beschwerdeführerin schaut Nachrichten im Fernsehen an, liest Zeitungen und verfügt über Allgemeinbildung.
Die Beschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, neuerlich nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie selbst lebt in Österreich nicht nach dieser Tradition. Die Lebensweise der Beschwerdeführerin in Österreich ist als "westlich" zu bezeichnen. Ihre Lebensumstände in Afghanistan stünden mit jenen, welche sich die Beschwerdeführerin aus freiem Willen zu gestalten wünscht, in unüberwindbarem Gegensatz.
Aufgrund ihrer "westlichen" Lebensweise und Erziehung droht der Beschwerdeführerin bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes.
2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zu Identität, Familienverhältnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin gründen sich auf ihre diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin aufkommen lässt.
2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Einleitend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin vorbrachte, aufgrund ihrer westlichen Orientierung in Afghanistan verfolgt zu werden.
Die Feststellungen in Bezug auf die Beschwerdeführerin als eine bzw. ein "westlich" orientierte Frau ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin in der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der von der Beschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte. Die Beschwerdeführerin vermochte zu überzeugen, dass sie sich einer "westlichen" Wertehaltung und einem "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild zuwandte und daran festzuhalten gewillt ist. Das Bundesverwaltungsgericht gewann bei der Einvernahme der Beschwerdeführerin den Eindruck, dass es sich bei dieser um eine Person handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild ablehnt und ablegte und stattdessen "westliche" Werte verinnerlichte und auch danach lebt. Die Beschwerdeführerin ist nach ihrem Auftreten, ihren Anschauungen und ihrem Lebenswandel als "westlich" orientierte Frau anzusehen.
Die rasche Anpassung der Beschwerdeführerin an "westliche" Verhältnisse ist vor dem Hintergrund der glaubwürdigen Ausführungen der Beschwerdeführerin, dass die einschränkenden Regeln für Frauen in Afghanistan - etwa in Bezug auf Bewegungsfreiheit und den Aufenthalt an öffentlichen Orten - für diese gelten, Ausdruck des ausgeprägten Verlangens der Beschwerdeführerin nach Bildung und in weiterer Folge auch nach Berufstätigkeit sowie sich an einer "westlichen" Lebensweise zu orientieren.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin im Laufe ihres Aufenthaltes in Österreich ein nicht unbeachtliches Wissen über die sogenannte "westliche Welt" (Geschichte Österreichs, EU, USA etc.) angeeignet hat und dem erkennenden Richter einen glaubhaften Eindruck vermittelte, aktiv an Weiterbildung interessiert zu sein (vgl. dazu insbesondere, Verhandlungsniederschrift, Seite 10 f).
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher zum Ergebnis, dass davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer allgemein als "westlich" zu bezeichnenden Lebensweise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen würde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.2. Die Beschwerdeführerin brachte als fluchtauslösendes Ereignis im Wesentlichen vor, dass sie als Frau in Afghanistan keine Rechte und Freiheiten habe.
Im konkreten Fall ist die vorgebrachte Verfolgung als eine "gegen die Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung" gerichtete Maßnahmen unter "dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen" (vgl. VwGH 26.02.2002, 98/20/0544; 31.01.2002, 99/20/0497).
In seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, 2017/18/0301, sprach der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf afghanische Frauen, die "westliches" Verhalten oder "westliche" Lebensführung annahmen, ua Folgendes aus:
"[...]
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten ‚westlich' orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388, mit weiteren Nachweisen). Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994-1000). [...]
Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Aus diesem Grund ist etwa das Revisionsvorbringen, die Erstrevisionswerberin könne im Falle einer Rückkehr nach Kabul - ohne männliche Begleitung - nicht mehr den Freizeitsport Nordic Walking ausüben, für sich betrachtet jedenfalls kein Grund, ihr asylrechtlichen Schutz zu gewähren. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. idS VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388). In diesem Sinne ist auch die rechtliche Argumentation des BVwG zu verstehen, der Bruch mit den gesellschaftlichen Normen des Heimatlandes muss ‚deutlich und nachhaltig' erfolgt sein.
[...]"
3.3. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre die Beschwerdeführerin zunächst mit einer für sie prekären Sicherheitslage konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie in fast allen Teilen Afghanistans ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Gemäß den Länderfeststellungen ist dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische Gefährdung, bei nonkonformem Verhalten (dh bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen, wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Am Beispiel der die Frauen und Mädchen betreffenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wird anschaulich, dass afghanische Frauen de facto einer Verletzung in grundlegenden Rechten ausgesetzt sind. Es bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen. Widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Für die Beschwerdeführerin würde sich die derzeitige Situation in Afghanistan so auswirken, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt, unmittelbaren Einschränkungen und aufgrund dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre.
Die Beschwerdeführerin allerdings wäre in Afghanistan zudem einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt, weil sie als Frau nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern sich eine "westliche" Lebensführung aneignete, gegensätzlich zu dem in der afghanischen Gesellschaft weiterhin vorherrschenden traditionell-konservativen Rollenbild der Frau. Der Einschätzung des UNHCR, der Indizwirkung zukommt (vgl. VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182), zufolge sind Frauen/Mädchen besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird. Afghanische Frauen, die einen weniger konservativen Lebensstil angenommen haben, beispielsweise solche, die aus dem Exil im Iran oder in Europa zurückgekehrt sind, werden nach wie vor als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen. Die Beschwerdeführerin würde dadurch gegenwärtig in Afghanistan als eine Frau wahrgenommen werden, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt (vgl. dazu EGMR, Case N. vs. Schweden, 20.07.2010, 23505/09, ebenfalls unter Hinweis auf
UNHCR).
Die der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan drohende Situation ist daher in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität (vgl. zur Definition des Verfolgungsbegriffes und der erforderlichen Intensität Putzer, Leitfaden Asylrecht² [2011] Rz 53-57).
Es ist nach Lage des Falles zudem davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin vor dieser Bedrohung in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden kann. Zwar stellen diese Umstände keine Eingriffe von staatlicher Seite dar, dh sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet, jedoch ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Gegenwärtig besteht in Afghanistan kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Beschwerdeführerin ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren, dass sie angesichts des sie als Frau "westlicher" Orientierung betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Angesichts der dargestellten Umstände ist im Fall der Beschwerdeführerin daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan als Frau dort mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund ihrer "westlichen" Lebenshaltung Eingriffe asylrelevanter Intensität mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat, sich sohin aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung iSd GFK außerhalb Afghanistans befindet und in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.4. Der Antrag auf internationalen Schutz ist gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bedarf es des asylrechtlichen Schutzes nicht, wenn dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offensteht, in denen er frei von Furcht leben kann und dies ihm zumutbar ist (vgl. VwGH 25.11.1999, 98/20/0523; 08.09.1999, 98/01/0503). Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Beschwerdeführerin jedoch nicht, da im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen ist, in der sie dem "westlich" orientierte Frauen betreffenden erhöhten Sicherheitsrisiko und den daraus resultierenden Einschränkungen ausgesetzt wäre.
Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (§ 6 AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Art. 1 Abschnitt C GFK) ist im Verfahren nicht hervorgekommen.
3.5. Der Beschwerde war daher stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W123.2194992.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.03.2019