Entscheidungsdatum
13.11.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W111 2158859-1/11E
Schriftliche Ausfertigung des am 17.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Werner DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2017, Zl. 1054513709-150304991, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Ausmaß eines Jahres erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger Somalias, stellte am 24.03.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er zuvor unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist war. Anlässlich seiner am Folgetag durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an (vgl. Verwaltungsakt, Seiten 1 bis 6), er sei sunnitischer Moslem, Angehöriger der Volksgruppe der Rahanweyn und habe die schlepperunterstützte Ausreise aus Somalia im November 2014 angetreten. Zum Grund seiner Flucht gab der Beschwerdeführer an, seine Eltern seien verstorben und seine Geschwister verhungert; er habe niemanden mehr in Somalia. Im Jahr 2012 habe Al Shabaab versucht, ihn telefonisch anzuwerben. Persönlichen Kontakt zu den Terroristen habe er nie gehabt. Der Beschwerdeführer habe Somalia aus Angst vor der Terrormiliz verlassen und wolle in Europa leben und arbeiten. In seiner Heimat sei er keiner persönlichen Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt gewesen.
Am 15.02.2017 wurde durch den nunmehrigen gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erhoben.
Am 13.04.2017 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Der Beschwerdeführer gab anlässlich jener Einvernahme kurz zusammengefasst an (zum detaillierten Verlauf seiner Befragung vgl. Verwaltungsakt, Seiten 69 bis 77), gesund zu sein und sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen; seine bisher erstatteten Angaben hätten der Wahrheit entsprochen und seien korrekt zu Protokoll genommen worden. Der Beschwerdeführer sei im Dorf XXXX geboren worden, nach dem Tod seiner Eltern habe eine Tante ihn nach XXXX mitgenommen, wo er in der Folge aufgewachsen sei, ein Jahr lang die Schule besucht und zuletzt bis zu seiner Ausreise als Kellner in einem Restaurant gearbeitet hätte. Dadurch habe er etwa 3,- USD monatlich verdient und damit seien Lebensunterhalt bestreiten können. Seine Tante lebe nach wie vor in XXXX , weitere Verwandte habe der Beschwerdeführer nicht. Der Beschwerdeführer stehe zu seiner Tante sowie zu Freunden in XXXX in Kontakt. Seine Ausreisekosten in der Höhe von USD 6.000,- habe seine Tante durch Verkauf eines Grundstücks finanziert. Der Beschwerdeführer habe keine Probleme mit den Behörden seines Herkunftsstaates gehabt, er habe sich nie politisch betätigt und sei von keinen Problemen in Zusammenhang mit seiner Religions- oder Clanzugehörigkeit betroffen gewesen.
Zum Grund seiner Flucht gab der Beschwerdeführer an, im Jahr 2012 in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für ein Restaurant, in dem Regierungsmitglieder verkehrt hätten, seitens der Al Shabaab persönlich angesprochen und aufgefordert worden zu sein, dieser mitzuteilen, wenn Regierungsmitglieder ins Restaurant kämen. Einige Tage später sei er angerufen und zu einer Mitarbeit aufgefordert worden. Eines Tages habe Al Shabaab in dem Restaurant eine Explosion verursacht, bei der es zu Verletzten und Todesopfern gekommen wäre. Auch der Beschwerdeführer sei verletzt worden und aus Angst nicht nach Hause zurückgekehrt; nach einer Woche habe er weitergearbeitet und in der Folge immer wieder Anrufe durch Al Shabaab erhalten, welche begonnen hätte, ihm zu drohen. Da er Angst gehabt hätte, habe er Somalia nach Rücksprache mit seiner Tante im Jahr 2012 verlassen. Sein zweites Problem sei gewesen, dass er damals in der Schule durch ein anderes Kind "Bastard" genannt worden wäre. Zu darüberhinausgehenden Beschimpfungen oder Beleidigungen sei es nicht gekommen. Auf diesbezüglichen Vorhalt erklärte der Beschwerdeführer, nicht zu wissen, wie es zu der widersprüchlichen Darstellung seines Fluchtgrundes anlässlich der Erstbefragung gekommen wäre.
Mit Eingabe vom 24.04.2017 übermittelte der Beschwerdeführer Unterlagen zum Beleg seiner in Österreich gesetzten Integrationsbemühungen.
2. Mit im Spruch angeführten Bescheid vom 29.04.2017 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Partei zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging im Rahmen der Entscheidungsbegründung aufgrund widersprüchlicher und gesteigerter Angaben von einer Unglaubwürdigkeit der durch den Beschwerdeführer vorgebrachten Bedrohungslage durch Al Shabaab aus und konnte auch keine darüberhinausgehende Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr feststellen. Der Beschwerdeführer sei gesund, arbeitsfähig und verfüge über soziale Anknüpfungspunkte in XXXX . Eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person habe sich nicht ergeben.
3. Gegen den oben angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht am 19.05.2017 eingebrachte Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt (im Detail vgl. Verwaltungsakt, Seiten 222 bis 225), die Behörde habe die angenommene Unglaubwürdigkeit des vorgebrachten Fluchtgrundes unberechtigterweise auf im Vergleich mit der Erstbefragung vermeintlich aufgetretene Widersprüche gestützt. Entgegen der Ansicht der Behörde verfüge Al Shabaab weiterhin über eine Präsenz in XXXX . Der Beschwerdeführer könne weder staatlichen Schutz, noch solchen durch seinen Minderheits-Clan, in Anspruch nehmen. Überdies habe die Behörde eine Auseinandersetzung mit der in Somalia vorherrschenden Dürrekatastrophe verabsäumt.
4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 24.05.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
5. Am 17.10.2018 fand zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der Beschwerdeführer sowie eine Dolmetscherin für die somalische Sprache teilgenommen haben (siehe Verhandlungsprotokoll). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war ordnungsgemäß geladen worden, verzichtete jedoch auf eine Teilnahme an der Verhandlung.
Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:
"(...) R: Möchten Sie Ihrem bisherigen Verfahren etwas hinzufügen oder korrigieren?
BF: Vor dem BFA habe ich ausgesagt, dass ich in einem Restaurant gearbeitet habe und mich um meine Tante gekümmert habe, weil sie alt war. Dies wurde nicht vollständig protokoliert. Ich habe durch meine Berufstätigkeit 3$ am Tag verdient, protokoliert wurde aber, dass ich 3$ pro Monat verdient habe. Ich habe gesagt, dass meine Probleme im Februar 2012 begonnen haben und ich im März 2012 Somalia verlassen habe, dies wurde nicht protokoliert. Meine Angaben waren vollständig und richtig und wurden auch- bis auf die obigen Ausbesserungen- richtig protokolliert.
R: Bitte schildern Sie mir in kurzen Worten Ihren Lebenslauf.
BF: Ich heiße XXXX , bin am XXXX geboren, bin in XXXX geboren es liegt in der Region Bay, als ich klein war sind meine Eltern verstorben und meine Tante hat mich nach XXXX mitgenommen. Sie hat Gemüse verkauft. Meine Tante hatte keine eigenen Kinder. Sie war verwitwet. Sie ist im Oktober 2017 verstorben. Ein Nachbar, der Lehrer in einer Koranschule war hat mich angerufen. Meine Tante hatte nur ein kleines Grundstück mit einer Hütte aus Faltblech. Was mit dem Grundstück geschehen ist, weiß ich nicht. Ich weiß nicht was mit dem Grundstück passiert ist, da ich nicht in Somalia bin. Ich habe keine Verwandten in Somalia. Ich habe in Somalia außer meiner Tante keine Verwandten gehabt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich zumindest niemanden gesehen habe, da mir meine Tante niemanden vorgestellt hat. Ich hatte zwar 3 Brüder, diese sind allerdings alle im Jahr 2011 verstorben. Nachgefragt gebe ich an, dass wir in Somalia sehr arm waren.
R: Welche Schulbildung haben Sie?
BF: Ich ging nur ein Jahr zur Schule. Ich kann somalisch schreiben und ein wenig lesen.
R: Wohin gingen Sie nachdem Sie im März 2012 Somalia verlassen haben?
BF: Ich bin in den Jemen gefahren. Nachgefragt gebe ich an, dass ich dort arbeiten wollte. Ich habe dort in der Region XXXX als Autowäscher gearbeitet. Dort arbeitete ich zweieinhalb Jahre. Neben der Arbeit als Autowäscher, habe ich im Hafen als Hilfsarbeiter bei den Fischern gearbeitet. Ich wäre auch dortgeblieben, hätte ich nicht die Folgen des Bürgerkriegs zu spüren bekommen. Als die Kampfhandlungen begonnen haben, ist jeder geflüchtet, ich bin in Richtung Saudi-Arabien geflüchtet, ich glaube das war im September 2014. Als wir die saudische Grenze überquert haben, wurden wir ins Gefängnis gebracht. Ich war dort bis Oktober 2014 im Gefängnis und dann wurden wir per Flugzeug zurück nach XXXX gebracht. Als ich in XXXX ankam, ging ich zuerst zu meiner Tante, welche mir sagte, dass ich nicht bei ihr bleiben kann. Sie sagte mir, dass sie alt wäre und ich außer ihr keine Verwandten hätte. Meine Tante konnte alleine in XXXX leben, da ihr Nachbar ihr geholfen hat, weil sie eine alte Frau war. Mir hätte der Nachbar natürlich nicht geholfen. Meine Tante wollte auch das Haus verkaufen. Sie hat auch das Haus verkauft. Der Erlös diente einerseits der Finanzierung meiner Reise, andererseits konnte sie sich dann die kleine Wellblechhütte kaufen, von dieser habe ich Eingangs gesprochen. Meine meinte, dass es für mich in Somalia keine Zukunft gäbe, weil die wirtschaftliche Lage sehr schlecht sei und ich darüber hinaus keine familiäre Unterstützung hätte. Wenn ich nach einer Unterstützung durch meine übrigen Clanmitglieder angesprochen werde gebe ich an, dass diese alle selbst arm sind und daher für mich nichts hatten, da ich auch mit diesen nur sehr weitschichtig verwandt bin. Nachgefragt gebe ich an, dass ich aus dem Verkauf des Grundstücks 6000$ bekommen habe. Im November 2014 bin ich Richtung Türkei geflogen.
R: Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Armut und Perspektivlosigkeit der Grund zu Ihrer Ausreise war?
BF: Ja.
R: Sie haben Eingangs angegeben, dass Sie aus XXXX stammen. Wo befindet es sich?
BF: XXXX ist etwa 30km entfernt von XXXX , es befindet sich im Landesinneren von Somalia, von XXXX aus gesehen Richtung Äthiopien.
R: Waren Armut und Perspektivlosigkeit die einzigen Gründe warum Sie Somalia verlassen haben?
BF: Ja.
R: Im erstinstanzlichen Verfahren haben Sie die Al Shabab als Grund für Ihre Ausreise angegeben.
BF: Ich habe bisher die Wahrheit angegeben möchte das auch weiter tun. Al Shabab hat bewirkt, dass die Lage in Somalia sich deutlich verschlechtert hat, aber meine Ausreise hat mit Al Shabab direkt nichts zu tun. Ich möchte diesbezüglich meine Angaben aus dem erstinstanzlichen Verfahren korrigieren.
R: Hatten Sie jemals mit Al Shabab Kontakt bzw. wurden Sie von Mitgliedern von Al Shabab jemals persönlich bedroht.
R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?
BF: Nein.
Vorgelegt wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betreffend Somalia (Stand 12.01.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 17.09.2018). Der BFV verzichtet auf ein angebotenes Exemplar. Der BFV verzichtet des Weiteren auf eine Stellungnahme.
Einsicht genommen wird in den Strafregister Auszug vom 17.10.2018, es scheinen keine Verurteilungen auf.
R: Möchten Sie noch eine Stellungnahme abgeben?
BF: Nein.
BFV: Nein. (...)"
Anschließend wurde das gegenständliche Erkenntnis durch den zuständigen Einzelrichter mündlich verkündet.
Mit Eingabe vom 30.10.2018 ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um schriftliche Ausfertigung des in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer, dessen präzise Identität nicht festgestellt werden konnte, ist Staatsangehöriger Somalias, der Volksgruppe der Rahanweyn und dem moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung zugehörig. Der Beschwerdeführer stammt ursprünglich aus der Region Bay, übersiedelte jedoch bereits im Kindesalter nach dem Tod seiner Eltern mit einer Tante nach XXXX , wo er sich bis zur Ausreise aufhielt. Er hat in Mogadischu ein Jahr lang die Schule besucht und seinen Angaben zufolge bis zu seiner Ausreise im Jahr 2012 als Kellner in einem Restaurant gearbeitet. Im Anschluss hielt er sich zwei Jahre lang im Jemen auf, bevor er - infolge einer kurzfristigen Rückkehr nach XXXX - schlepperunterstützt nach Europa reiste. Die Tante des Beschwerdeführers ist im Oktober 2017 verstorben, darüber hinaus hat er keine Angehörigen in Somalia.
1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen betreffend eine Gefährdung seiner Person durch Angehörige der Al Shabaab wird der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt.
Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der prekären Lage in Somalia in Verbindung mit der allgemeinen problematischen Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Staatsgebiet, sowie aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat nicht mehr über familiäre bzw. soziale Kontakte verfügt, bei einer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht bzw. ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes treffen würde.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, hat an Deutschkursen teilgenommen und verrichtete gemeinnützige Hilfstätigkeiten.
1.3. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird auf die dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebrachten Länderberichte verwiesen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia, Stand 17.09.2018), aus welchen sich die verfahrensgegenständlich relevante Lage ergibt. Diese stellt sich auszugsweise wie folgt dar:
(...)
KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)
Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt - speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).
Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden.
Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).
In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED 12.9.2018).
Die Prognose für den Zeitraum August-Dezember 2018 in IPC-Stufen stellt sich wie folgt dar:
...
Insgesamt sind ca. 4,6 Millionen Menschen weiter auf Unterstützung angewiesen, im Februar 2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA 11.9.2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA 2.9.2018).
Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)
Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).
Quellen:
? ACTED (12.9.2018): Drought conditions continue to persist in Badhan district,
https://reliefweb.int/report/somalia/drought-conditions-continue-persist-badhan-district, Zugriff 14.9.2018
? FAO - FAO SWALIM / FSNAU (6.9.2018): Somalia Rainfall Outlook for 2018 Deyr (October-December) - Issued: 6 September 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-rainfall-outlook-deyr-2018-october-december-issued-6-september-2018, Zugriff 14.9.2018
? FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (31.8.2018):
Somalia Price Bulletin, August 2018, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-price-bulletin-august-2018, Zugriff 14.9.2018
? FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit / Famine Early Warning System Network (1.9.2018): FSNAU-FEWS NET 2018 Post Gu Technical Release,
https://reliefweb.int/report/somalia/fsnau-fews-net-2018-post-gu-technical-release-01-sep-2018, Zugriff 14.9.2018
? UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.9.2018): Somalia - Humanitarian Snapshot (as of 11 September 2018),
https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-snapshot-11-september-2018, Zugriff 14.9.2018
? UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (5.9.2018): Humanitarian Bulletin Somalia, 1 August - 5 September 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/humanitarian-bulletin-somalia-1-august-5-september-2018, Zugriff 14.9.2018
? UN OCHA - UN UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.9.2018): Somalia - Food security improving but recovery remains fragile,
https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-food-security-improving-recovery-remains-fragile, Zugriff 14.9.2018
? WB - Worldbank (6.9.2018): World Bank's Flagship Infrastructure Project Launched in Somalia,
https://reliefweb.int/report/somalia/world-bank-s-flagship-infrastructure-project-launched-somalia, Zugriff 14.9.0218
KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)
Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).
Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).
Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):
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(FEWS 3.2018)
Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).
Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).
Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).
In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).
Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:
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(FEWS 4.2018b)
Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).
...
Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).
Quellen:
-
FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia
-
Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook-update/april-2018, Zugriff 2.5.2018
-
FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia
-
Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018
-
FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia
-
Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018
-
FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018
-
FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,
https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff 2.5.2018
-
UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavy-rains-2-may-2018, Zugriff 3.5.2018
Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
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Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017
-
BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
-
BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017
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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017
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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):
SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017
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Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die
Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).
b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.
c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.
Operational Areas
d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;
Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama'a in Zentralsomalia;
e) Einige Gebiete (schraffiert) - vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia - unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.
f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.
g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).
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Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2016; vgl. ACLED 2017).
Quellen:
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018