TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/17 W261 2192889-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.01.2019
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Entscheidungsdatum

17.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2192889-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin Gastinger, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch das Amt der NÖ Landesregierung, Gruppe Gesundheit und Soziales, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt vom 19.03.2018, Zahl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 17.01.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Gang des Verfahrens:

Der minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste nach eigenen Angaben am 12.05.2016 gemeinsam mit seinem älteren Bruder, XXXX, IFA Zl. XXXX, irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Schreiben vom 13.05.2016 bevollmächtigte die BezirkshauptmannschaftXXXX als regionale Organisationseinheit des Landes Burgenland als Jugendwohlfahrtsträger den älteren Bruder des BF mit der Pflege und Erziehung hinsichtlich des BF für die Dauer des Aufenthaltes in Österreich bzw. bis auf Widerruf.

Am 19.06.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (in der Folge BFA oder belangte Behörde), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertreterin des Amtes der NÖ Landesregierung als gesetzliche Vertreterin des mj. BF. Dabei gab er an, er lebe aktuell mit seinen beiden älteren Brüdern, XXXXund XXXX, IFA Zl. XXXX, zusammen. Er besuche derzeit die Schule. Er sei in der Provinz Nagarhar geboren, er spreche Dari und Paschtu, er sei aktuell 14 Jahre alt. Er habe die 6. Klasse der Schule abgeschlossen, könne lesen und schreiben, habe jedoch keinen Beruf erlernt. Sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter sei die Zweitfrau des Vaters des BF gewesen, und er habe neben seinen beiden leiblichen Brüdern auch noch fünf ältere Stiefbrüder, mit denen er sich nicht gut verstehe. Er habe sieben oder acht Onkel väterlicherseits. Seine Mutter und seine beiden Neffen würden bei einem Onkel mütterlicherseits leben, welcher für diese sorge. Er habe Afghanistan verlassen müssen, weil die Stiefbrüder und der Onkel väterlicherseits seinen älteren Bruder getötet hätten. Sie seien auch mehrere Male bei seiner Familie gewesen, und hätten diese geschlagen. Sie hätten die Mutter des BF bedroht, sie hätten für sie arbeiten müssen, und diese hätten ihnen nicht erlaubt, die Schule zu besuchen. Eines Tages hätten sie deren Haus in Brand gesteckt. Die Familie sei dann zum Onkel mütterlicherseits gegangen, und sein Bruder habe gesagt, dass sie von dort weggehen müssten. Sein älterer Bruder sei Polizist gewesen, die Stiefbrüder und der Onkel hätten gewollt, dass dieser den Job aufgebe. Solange der Bruder noch gelebt habe, sei es der Familie gut gegangen, nachdem dieser getötet worden sei, hätte er dort nicht mehr leben können. Er wisse nicht, wie sein Bruder getötet worden sei, er sei vor dem Haus getötet worden.

Die belangte Behörde wies in weiterer Folge den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 19.03.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. ab. Weiters erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit. (Spruchpunkt III.), erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg. cit. iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg. cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg. cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach die belangte Behörde aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg. cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde führte begründend aus, dass der BF keine Gründe geltend machen habe können, wonach er in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten habe. Der BF habe lediglich oberflächliche und inhaltsleere Angaben zu seinen Fluchtgründen gemacht. Zwischen seinen Aussagen und den Aussagen seiner Brüder gebe es Widersprüche. Falls dieser Vorfall stattgefunden habe, liege eine Verfolgung durch Private vor, wofür ein Zusammenhang mit einem Konventionsgrund fehle. Er sei im Falle seiner Rückkehr nicht bedroht oder gefährdet. Er verfüge über Angehörige im Heimatland, er könne seinen Lebensunterhalt bestreiten, er sei wirtschaftlich ausreichend abgesichert, er könne, wie seine beiden Brüder auch, für seinen Lebensunterhalt aufkommen und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Es sei dem BF nicht zuzumuten, in seine Herkunftsprovinz zurückzukehren, es stünde ihm jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Kabul zur Verfügung. Ein schützenswertes Privat- und Familienleben liege nicht vor, zumal auch seine beiden Brüder nicht zum dauerhaften Aufenthalt berechtigt seien, denn auch in deren Verfahren sei eine Rückkehrentscheidung getroffen worden.

Mit Verfahrensanordnung vom 19.03.2018 teilte die belangte Behörde dem BF mit, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag stellte die belangte Behörde dem BF den Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater amtswegig zur Seite.

Mit Eingabe vom 16.04.2018 erhob der BF, bevollmächtigt durch das Amt der NÖ Landesregierung, Gruppe Gesundheit und Soziales, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger Tatsachenfeststellung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und unrichtiger Beweiswürdigung. Er sei Sohn und Bruder eines regierungstreuen Staatsbürgers und sei aufgrund von Sippenhaftung in politische und religiöse aktuelle und unmittelbar drohende Verfolgungsgefahr durch die oppositionelle, militante Gruppierung der Taliban ausgesetzt, deren Ziel es ist, die gesamte Staatsmacht in Afghanistan wieder zu erlangen, gelangt. Sein Vater sei bereits als Polizist tätig gewesen, sein ermordeter Bruder ebenso, weshalb seine Familie als regierungstreu anzusehen sei. Die belangte Behörde habe bei der Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit außer Acht gelassen, dass der BF jugendlichen Alters sei, kaum Schulbildung und mangelnde Begleitung durch Angehörige habe. Er habe altersentsprechend ein detailliertes Vorbringen erstattet. Er sei in seinem Herkunftsstaat vielfältiger individueller Gefahr ausgesetzt. Zwangsrekrutierung, Entführung bis Ermordung durch die Taliban, sowie aufgrund der prekären Allgemeinlage, ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt, unmittelbaren Einschränkungen und einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen. Ihm drohe Gefahr für Leib und Leben. Die belangte Behörde habe gänzlich die dortige konkrete und spezielle Gefahr Minderjähriger außer Acht gelassen. Bei alleinstehenden Minderjährigen hätte ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab zu gelten, den die belangte Behörde nicht berücksichtigt habe. Die belangte Behörde habe - trotz erhöhter Vulnerabilität aufgrund seiner Minderjährigkeit - dies hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes nicht berücksichtigt. Bei richtiger Tatsachenfeststellung, Berücksichtigung der Länderberichte und richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis kommen müssen, und dem BF zumindest subsidiären Schutz zu gewähren gehabt. Eine Ausweisung aus Österreich mit ungeklärter Versorgungs- und prekärer Sicherheitslage nach Afghanistan entspreche nicht dem Kindeswohl. Die belangte Behörde sei verfassungsmäßig verpflichtet, das Kindeswohl zu berücksichtigten, was diese in rechtswidriger Weise unterlassen habe.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang mit Schreiben vom 18.04.2018 dem BVwG vor, wo dieser am 18.04.2018 einlangte.

Mit Schreiben vom 07.05.2018 legte der BF dem BVwG weitere Integrationsunterlagen vor. Mit Eingabe vom 01.10.2018 übermittelte der BF die aktuellen UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, das Gutachten von Fredericke Stahlmann vom 28.03.2018, einen Kommentar von Thomas Ruttig zum Gutachten Mahringer, einen ärztlichen Befund, wonach der BF unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und weitere Integrationsunterlagen.

Am 04.10.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari, und der beiden älteren Brüder des BF, welche als Zeugen einvernommen wurden, statt, zu der der BF persönlich gemeinsam mit seiner gesetzlichen Vertreterin erschien. Die belangte Behörde verzichtete entschuldigt auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF führte in dieser mündlichen Beschwerdeverhandlung zu seinen persönlichen Verhältnissen aus. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, was er bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ausgesagt hatte. Seine beiden als Zeugen einvernommenen Brüder bestätigten im Wesentlichen die Aussagen des BF. In der mündlichen Verhandlung legte der BF medizinische Unterlagen vor.

Das erkennende Gericht legte dem BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 11.09.2018 vor. Dem BF wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Das BVwG räumte den Parteien des Verfahrens eine Frist zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme hierzu ein. Weder die belangte Behörde noch der BF gaben eine schriftliche Stellungnahme ab.

Das BVwG führte am 12.12.2018 eine Auskunft im Strafregister durch, wonach für den BF im Strafregister der Republik Österreich keine Verurteilung aufscheint.

Das BVwG führte am selben Tag eine Abfrage im Betreuungsinformationssystem durch, wonach der BF seit seiner Ankunft in Österreich Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF trägt den Namen XXXX und ist im Dorf XXXX, im Distrikt Besud in der Provinz Nangarhar, Afghanistan geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Das Geburtsdatum wird mit XXXX festgelegt. Der BF ist minderjährig, ledig und kinderlos.

Die Muttersprache des BF ist Dari.

Die Familie des BF besteht aus seinem Vater XXXX, er ist bereits verstorben, seiner Mutter XXXX, seinen Brüdern, XXXX, IFA Zl. XXXX und XXXX. Der BF hatte noch einen älteren leiblichen Bruder, der im Jahr 2016 gewaltsam getötet wurde. Die Mutter des BF war die Zweitfrau seines Vaters. Der BF hat von der Erstfrau seines Vaters noch fünf ältere Halbbrüder. Die Mutter des BF lebt gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Onkel mütterlicherseits des BF, im Iran.

Der BF hat Onkel väterlicherseits, welche in Afghanistan leben.

Der BF besuchte vier Jahre lang die Schule. Er hat keine Berufsausbildung und nicht gearbeitet. Der BF ist Zivilist.

Die Familie des BF ist Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken im Heimatdorf des BF.

Der BF reiste Anfang 2016 aus Afghanistan aus und gelangte gemeinsam mit seinen beiden älteren Brüdern über Pakistan, den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er gemeinsam mit seinem BruderXXXX am 12.05.2018 illegal einreiste und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der BF verließ gemeinsam mit seinen beiden älteren Brüdern Afghanistan aufgrund des Umstandes, dass es Probleme aufgrund von Erbschaftstreitigkeiten mit den fünf Halbbrüdern und den Onkeln väterlicherseits gab. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF aufgrund dieser Erbschaftstreitigkeiten von seinen fünf Halbbrüdern und seinen Onkeln väterlicherseits weiterhin bedroht werden wird.

Der BF war in seinem Herkunftsstaat Afghanistan weder aufgrund von politischen, ethnischen oder religiösen Gründe konkret gegen ihn als Person gerichteter psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt, noch droht ihm im Falle seiner Rückkehr eine solche Verfolgung.

1.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Mai 2016 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Seine zwei Brüder, XXXX und XXXX, leben als Asylwerber in Österreich. Deren Asylverfahren sind zum Entscheidungszeitpunkt beim BVwG anhängig.

Der BF leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und ist aus diesem Grund in medizinischer Behandlung. Der BF nimmt wegen seiner Einschlafstörungen das Medikament Seroquel.

Der BF besuchte mehrere Deutschkurse. Er ist außerordentlicher Schüler der 4. Klasse der XXXX. Er konnte seine Deutschkenntnisse stark verbessern. Er nahm an einer Aktion "Sauberes XXXX" der Marktgemeinde XXXX ebenso teil, wie an einem Projekt "Revitalisierung des Waldlehrpfades" der Stadtgemeinde XXXX. In seiner Freizeit geht der BF Kickboxen und spielt mit seinen Freunden Football. Er plant, nach Erreichung des Pflichtschulabschlusses eine Ausbildung als Krankenpfleger zu machen. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat (innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative):

Dem BF ist eine Rückkehr und (Wieder-)Ansiedlung in seine Herkunftsprovinz Nagarhar oder in eine andere Provinz Afghanistans aufgrund seiner individuellen Umstände nicht zumutbar. Der BF verfügt in Afghanistan über kein familiäres oder soziales Netzwerk, mit dessen Unterstützung er eine Existenzgrundlage aufbauen könnte.

Der BF ist als Minderjähriger eine besonders vulnerable Person. Er läuft als Minderjähriger Gefahr, Opfer von Zwangsarbeit und Ausbeutung zu werden. Der BF hat bisher keinerlei Berufserfahrung gesammelt.

Bedingt durch seine Krankheit, eine posttraumatischen Belastungsstörung, und seiner Minderjährigkeit wird es für ihn, im Vergleich zur übrigen dort lebenden Bevölkerung, ungleich schwieriger sein, eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu finden, und sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

Die beim BF vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan Fuß zu fassen, und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der BF vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 11.09.2018, in den notorischen UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und den notorischen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

Die Provinz Nangarhar, die Herkunftsprovinz des BF, liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.573.973 geschätzt.

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar.

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt.

Im Zeitraum 01.01.2017 bis 30.04.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. So war Nangarhar die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz, wobei zu diesen mehrere südliche Distrikte gezählt werden. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren. Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden.

Die Provinz Nagarhar zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass im Einzelfall nur minimale Teilvoraussetzungen erfüllt sein müssen, um berechtigten Grund für die Annahme zu liefern, dass Zivilisten, welche in diese Provinz zurückgebracht werden, eine reelle Gefahr, ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen, gewärtigen hätten.

1.5.2 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

1.5.3 Kinder und Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern. Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren.

Kinder, vor allem Buben, sind als Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt. In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen. Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Kinderarbeit bleibt daher ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt.

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet.

Die Lebensbedingungen für Kinder in Waisenhäusern sind schlecht. Berichten zufolge sind 80% der Kinder zwischen vier und 18 Jahren in den Waisenhäusern keine Waisenkinder, sondern stammen aus Familien, die nicht die Möglichkeit haben, für Nahrung, Unterkunft und Schulbildung zu sorgen. Quellen zufolge werden Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt; auch sind sie manchmal Menschenhandel ausgesetzt. Der Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtungen und Bildung wird nicht regelmäßig gewährleistet.

Mit dem Begriff "unbegleitete Minderjährige" werden Personen bezeichnet, die unter 18 Jahre alt sind bzw. das nationale Volljährigkeitsalter nicht erreicht haben und getrennt von ihren Eltern bzw. ohne die Obhut eines Vormundes leben.

Ca. 58% der nach Afghanistan zurückkehrenden Jugendlichen sind minderjährig. Besonders gefährdet sind aus dem Iran kommende unbegleitete Minderjährige, deren Anzahl im Jahr 2017 auf ca. 2.000 geschätzt wurde. Schätzungen zufolge waren ungefähr 15% der aus dem Iran zurückgeführten Afghanen zum Zeitpunkt ihre Rückkehr zwischen 15 und 17 Jahre alt, dennoch gab es auch einige Zehnjährige darunter. Die Rückkehr ist oft nicht freiwillig und zahlreiche Heimkehrer sind unbegleitete Buben, die willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt sind. Schätzung von IOM zufolge ist die Anzahl der nach Afghanistan zurückkehrenden unbegleiteten Minderjährigen von 2.110 im Jahr 2015 auf 4.419 im Jahr 2017 gestiegen.

Einer Aussage des Direktors der Afghanistan Migrants Advice and Support Organisation aus dem Jahr 2015 zufolge gibt es in Afghanistan keine auf UMF spezialisierten Reintegrationsprogramme. Wegen der hohen Zahl an Rückkehrern und Rückkehrerinnen beschränken sich die Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen auf die Bereitstellung von Grundversorgungsdiensten wie Unterkunft, Essen und Transport. Unbegleitete Minderjährige werden durch Vormundschaftsvereinbarungen von IOM versorgt. Kinder sind gefährdet, sexuell durch Mitglieder der Sicherheitskräfte missbraucht zu werden.

Quellen zufolge entscheidet meist der weitere Familienkreis, ein minderjähriges Familienmitglied nach Europa zu schicken. Ohne familiäre Unterstützung wäre es dem Minderjährigen meistens gar nicht möglich, die Reise nach Europa anzutreten; dies ist eine wichtige Netzwerkentscheidung, die u.a. die Finanzen der Familie belastet. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Minderjährige unabhängig von seiner Familie beschließt, das Land zu verlassen und nach Europa zu reisen. Meist sind dies junge Leute aus gebildeten, wohlhabenden Familien. Dies wird oft durch den Kontakt zu Freunden und Bekannten im Ausland, die über soziale Medien ein idealisiertes Bild der Lebensbedingungen in Europa vermitteln, gefördert. Eine größere Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen ist auf der Suche nach Arbeit in den Iran, nach Pakistan, Europa und in urbane Zentren innerhalb Afghanistans migriert; viele von ihnen nutzten dafür Schlepperdienste.

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.5.5 Hazara

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welchen der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.

1.5.6 Schiiten

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist.

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Namen, zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF gründen sich auf seine diesbezüglichen Angaben im gegenständlichen Verfahren; das BVwG sieht keine Veranlassung, an diesen Aussagen des BF zu zweifeln. Die Feststellung zur Muttersprache des BF ergibt sich aus seinem Vorbringen anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (vgl. S 3 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Der BF kennt nach seinen eigenen Angaben sein Geburtsdatum nicht (vgl. S 5 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Das angegebene Geburtsdatum basiert auf seinen Angaben vor der belangten Behörde. Dieses Datum dient primär der Identifizierung im Asylverfahren. Es steht fest, dass der BF sowohl zum Zeitpunkt der Einreise, als er ca. 13 Jahre alt war, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung mit einem Alter von ca. 16 Jahren, minderjährig war und ist.

Die Angaben des BF zu seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen und beruflichen Werdegang, seinen Familienangehörigen und seiner Ausreise aus Afghanistan sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen plausibel. Die vom BF hierzu getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei.

Die Feststellung, dass der BF ledig und kinderlos ist, ergibt sich aus seinen durchgängig gleichlautenden Angaben im Verfahren.

Die Reiseroute, der Zeitpunkt des Verlassens Afghanistans, der Zeitpunkt der Einreise in Österreich und der Zeitpunkt der Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2 Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Aus den Ausführungen des BF und seiner beiden als Zeugen einvernommen älteren Brüder anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 04.10.2018 ergibt sich für die erkennende Richterin folgendes Bild:

Der BF und seine beiden Brüder sind die Kinder der Zweitfrau des Vaters des BF (vgl. S 10, 13 und S 16 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Der BF hatte noch einen älteren Bruder, der im Jahr 2016 gewaltsam zu Tode kam (vgl. S 11, S 14 und S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Aus der ersten Ehe des Vaters des BF stammen fünf Halbbrüder. Der Vater war für die Regierung tätig und war wohlhabend, was dadurch belegt ist, dass sowohl der BF ("Ich weiß nicht, wo wird die Grundstücke haben, aber ich weiß, dass wir Grundstücke haben.", vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), als auch seine beiden Brüder (Z1, S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung, und Z 2, S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung) dies einhellig bestätigen.

Solange der Vater des BF am Leben war, er verstarb als der BF ein Kleinkind war eines natürlichen Todes (vgl. S 8 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), gab es so gut wie keine Berührungspunkte zwischen den beiden Familien. Die zwischenfamiliären Probleme begannen mit dem Tod des Vaters (vgl. S 13 und S 16 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Der ältere Bruder des BF, der ebenfalls in verschiedenen und durchaus einflussreichen Positionen für die Regierung tätig war, vermochte noch über lange Zeit für Ruhe zwischen den Familien zu sorgen. Wenn sowohl der BF, als auch seine beiden als Zeugen einvernommenen Brüder mehrfach ausführen, dass diese Halbbrüder deren älteren Bruder mehrfach bedroht und letztendlich sogar getötet hätten, so muss diesen entgegengehalten werden, dass keiner der drei Brüder persönlich bei der gewaltsamen Tötung des Bruders anwesend war, und sie nach ihren eigenen Angaben nicht wissen, wer letztendlich für den Tod des älteren Bruders verantwortlich war. (BF: "Wir wussten nicht, wer ihn getötet oder ermordet hat." vgl. S 11 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung, Z1: "Wir haben es nicht mit unseren eigenen Augen gesehen, wer meinen Bruder getötet hat, und wie er getötet wurde. Aber meine Halbbrüder und meine Onkel väterlicherseits haben ihn immer bedroht.", vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung und Z2: "Wir waren im Haus und wussten von nichts. Als wir dann aus dem Haus hinausgegangen sind, sahen wir, dass mein Bruder getötet worden war.", vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Nachdem der ältere Bruder des BF zuletzt in maßgeblicher Position für den Präsidenten arbeitete (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), und der ältere Bruder bereits einmal beinahe Opfer eines Anschlages wurde (vgl. S 11, S 13 und S 16 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), kann nicht ausgeschlossen werden, dass der ältere Bruder nicht von seinen Halbbrüdern getötet wurde, sondern von Aufständischen, welche nach den Länderinformationen gerade in der Provinz Nangarhar tätig sind. Einen Beweis oder eine Bescheinigung dafür, dass die älteren Halbrüder des BF für dessen Tod verantwortlich sind, konnte weder der BF noch seine beiden als Zeugen einvernommene Brüder erbringen.

Plausibel und nachvollziehbar ist jedoch, dass nach dem Tod des älteren Bruders des BF seine Halbbrüder und die Onkel väterlicherseits die Chance nutzen, um die Mutter des BF und ihre drei jüngeren Söhne, die damals 18 (Z1), 16 (Z2) und 13 (BF) Jahre alt waren, weiter zu bedrängen und zu bedrohen. Hintergrund für diese Bedrohungen ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weniger die Tätigkeit des älteren Bruders, sondern vielmehr der Umstand, dass der Vater der Familie seiner Zweitfrau auch Grundstücke hinterlassen hat, wie dies sowohl Z1 ("Sie wollten uns auch töten, denn wir haben sehr viel Besitz.", vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung) als auch Z2 ("Außerdem besitzen wir drei Brüder Land. Wir haben unser Land, das wir geerbt haben, noch nicht verkauft., vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung) auch am Rande ausführen. Die um einiges älteren Halbbrüder sahen die Chance, das offensichtlich nicht unbeträchtliche Vermögen des gemeinsamen Vaters nicht mit den ungeliebten Kindern der Zweitfrau teilen zu müssen. Nachvollziehbar ist auch, dass die älteren Halbbrüder den BF und seine beiden leiblichen Brüder vermehrt unterdrückten und auch deren Mutter schlugen (vgl. z.B. Z2, S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Auch der Umstand, dass das Haus des BF und seiner Familie angezündet wurde (vgl. S 11, S 14 und S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), ist im Lichte der zwischenfamiliären Streitigkeiten um das Vermögen und die Grundstücke des gemeinsamen Vaters grundsätzlich ebenso nachvollziehbar, wie die daraus folgende Konsequenz, dass die Familie des BF aufgrund dieser Bedrohungen zum Bruder der Mutter der BF zog. Schließlich beschlossen die drei Brüder auf Anraten des Onkels mütterlicherseits, Afghanistan zu verlassen, um sich dem Druck und dem Einfluss ihrer Halbbrüder zu entziehen (vgl. S 11, S 15 und S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Aufgrund dieser Erwägungen wird festgestellt, dass der BF Afghanistan aufgrund von Erbschaftsstreitigkeiten mit seinen älteren Halbbrüdern und den Onkeln väterlicherseits verließ. Nachdem der BF und seine zwei Brüder die geerbten Grundstücke nach eigenen Angaben noch nicht verkauft haben, ist im Falle einer - theoretischen - Rückkehr des BF in sein Heimatdorf mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Halbbrüder die Bedrohungen fortsetzen werden, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen war.

Die Feststellung, wonach der BF in seinem Heimatstaat weder aufgrund politischer, ethnischer oder religiöser psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt war oder dass ihm eine solche Verfolgung droht, gründet sich auf das Vorbringen des BF bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wo er auf die diesbezügliche Frage der erkennenden Richterin antwortete: "Außer von meinem Onkel väterlicherseits und von meinen Halbbrüdern wurde ich nicht bedroht." (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

2.3 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zu seiner Antragstellung, seinem Aufenthaltstitel in Österreich und zu den Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 12.12.2018.

Die Feststellung zu den in Österreich als Asylwerber lebenden Brüder beruht auf deren Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung bzw. auf eine Einsichtnahme in das Betreuungsinformationssystem. Der mj. BF hat ein gutes Einvernehmen mit seinen Brüdern. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung lebten die drei Brüder noch in der selben Betreuungseinrichtung.

Die Feststellungen, dass der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und wegen seiner Einschlafstörungen Medikamente nimmt, gründet sich auf den von der gesetzlichen Vertreterin des BF mit Schriftsatz vom 01.10.2018 vorgelegten Befund des Universitätsklinikums XXXX vom 20.09.2018.

Die Feststellungen zu den Deutschkursen, seinem Schulbesuch und seinen außerschulischen Aktivitäten beruhen auf seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und auf die von ihm im Rahmen des Verfahrens vorgelegten unbedenklichen Integrationsunterlagen.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug vom 12.12.2018.

2.4 Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat (innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative)

Die Feststellungen zur Rückkehr des BF nach Afghanistan ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom BF in seiner Beschwerde, in seinen Stellungnahmen zur Gefährdungslage in Afghanistan diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Der BF stammt aus der Provinz Nangarhar, welche laut übereinstimmenden Länderinformationen zu einer der gefährlichsten Provinzen Afghanistans zählt, wo laut EASO willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass es Zivilisten grundsätzlich nicht zugemutet werden kann, in diese Provinz zurückzukehren, weil aufgrund der dort herrschenden Zustände eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben besteht.

Der BF ist als Minderjähriger, der bedingt dadurch, dass sich seine Mutter und sein Onkel mütterlicherseits in Iran aufhalten, und seine beiden leiblichen Brüder in Österreich als Asylwerber leben, über kein soziales Netzwerk verfügt, der zudem noch an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leidet und bisher keinerlei Berufserfahrung hat, als besonders vulnerable Person anzusehen. Der BF hat zwar Onkel väterlicherseits in seiner Herkunftsprovinz, kann jedoch von diesen keine Unterstützung erwarten. Dem BF ist Recht zu geben, wenn er in seiner Beschwerde ausführt, dass die belangte Behörde in ihrer Entscheidung auf diese individuellen Umstände im Einzelfall keine Rücksicht nahm. Entgegen den Ausführungen belangten Behörde ist es ihm daher aufgrund seiner individuellen Situation nicht möglich, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Der BF würde, wie dies auch die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen belegen, insbesondere auf Grund seiner nachgewiesenen psychischen Erkrankung ohne familiären und/oder sozialen Rückhalt bei einer Rückkehr bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Der BF wird dort als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling in seinem psychischen Zustand mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Lebensgrundlage vorfinden, die es ihm ermöglichen wird, die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz zu decken.

Es wird nicht verkannt, dass in der afghanischen Bevölkerung viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen leiden. Auch die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. Selbst in der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018). Gerade diese nach den Länderinformationen notwendige starke familiäre und soziale Unterstützung hat der BF nicht, zumal sich seine Mutter im Iran aufhält, und die Verwandten väterlicherseits, wie seine Halbbrüder und seine Onkel, ihn wegen Erbschaftsangelegenheiten bedrohen.

Beim BF handelt es sich demgemäß eindeutig um eine vulnerable Person, welche besonderen Schutzes bedarf.

2.5 Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht. Jene Länderinformationen, die der BF mit seiner Stellungnahme vom 01.10.2018 dem BVwG vorlegte, decken sich im Wesentlichen mit den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen. Insoweit der BF sich auf das Gutachten von Fredericke Stahlmann bezieht, ist dem entgegen zu halten, dass dort zwar der Schluss gezogen wird, dass alleine aufgrund der Anwesenheit einer Person in Afghanistan die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinsichtlich ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit bestehe. Dabei ist jedoch zu beachten, dass in diesem Gutachten eine subjektive Quellenauswahl und Quelleninterpretation vorgenommen wird. Von regionalen Einzelfällen werden Rückschlüsse auf die Situation in Afghanistan landesweit gezogen. Die Gutachterin trifft zur Sicherheitslage in Afghanistan teilweise nur sehr allgemein gehaltene Aussagen, die im Übrigen einer rechtlichen Beurteilung gleichkommen, und lässt dabei vor allem regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen vollkommen außer Acht. Insbesondere weist das Gutachten von Stahlmann nicht denselben Beweiswert für das erkennende Gericht auf, wie länderkundliche Informationen (z.B. Länderinformationsblatt, UNHCR-Richtlinien), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen, und vermag daher die auf objektiven und für jedermann nachvollziehbaren Quellen beruhenden Länderinformationen nicht zu entkräften. Im Ergebnis lässt sich aus allen in dieses Verfahren eingebrachten Länderinformationen ableiten, dass Minderjährige, die an einer psychischen Krankheit leiden und weder ein soziales oder familiäres Netz in Afghanistan und auch keine Berufserfahrung haben, als vulnerable Personen anzusehen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1 Zu Spruchteil A I - Abweisung des Antrages auf internationalen Schutzes laut Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides:

Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) lauten wie folgt:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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