TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/14 W235 2118991-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.02.2019
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Entscheidungsdatum

14.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §52
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §40

Spruch

W235 2118991-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2015, Zl. 1067510709-150463615, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.10.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Beigabe eines unentgeltlichen Verfahrenshelfers wird gemäß § 40 VwGVG und § 52 BFA-VG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Somalia, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 05.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 07.05.2015 wurde die Beschwerdeführerin einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei sie im Wesentlichen angab, dass sie traditionell verheiratet sei. In Mogadischu habe sie ein Jahr lang die Grundschule besucht. Sie gehöre der Volksgruppe der Madhiban an und bekenne sich zum Islam. Ihr Ehegatte sei in Äthiopien bei ihrer Mutter wohnhaft. Ihr Vater sei bereits verstorben. Weiters habe sie noch eine Schwester, deren Aufenthaltsort ihr jedoch unbekannt sei. Sie stamme aus dem Dorf XXXX in der somalischen Provinz XXXX. Ca. im August 2014 habe sie ihr Heimatdorf verlassen und sei mit einem LKW nach Äthiopien und von dort aus in den Sudan gebracht worden. Vom Sudan sei sie nach Libyen und von Libyen aus mit einem Schlauchboot nach Italien gefahren. Danach sei die Beschwerdeführerin mit dem Zug nach Österreich gefahren, wo sie am 05.05.2015 angekommen sei und einen Asylantrag gestellt habe.

Zu ihrem Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Vater eine Landwirtschaft gehabt habe. Diese Landwirtschaft habe ihm eine bewaffnete Gruppe wegnehmen wollen. Da er dieser Wegnahme nicht zugestimmt habe, sei er erschossen worden. Die ältere Schwester der Beschwerdeführerin sei weggelaufen. Die Beschwerdeführerin sei mit ihrer Mutter nach Äthiopien geflohen, weil "diese Gruppe" sie mit dem Tod bedroht habe. Bei einer Rückkehr nach Somalia habe sie Angst um ihr Leben. Von staatlicher Seite habe die Beschwerdeführerin mit keinen Sanktionen zu rechnen.

1.3. Am 02.12.2015 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab dabei zunächst an, dass es ihr gut gehe. Die anwesende Dolmetscherin verstehe sie gut. Sie gehöre dem Clan der Madhiban und dem Subclan der Mahamed (auch: Mohammed) Barre an. Sie sei verheiratet, habe jedoch keine Kinder. Ihr Mann, der auch somalischer Staatsbürger sei und dem Clan der Isaaq angehöre, halte sich derzeit in Äthiopien auf. Sie habe im September 2014 geheiratet. Die Beschwerdeführerin habe ihren Mann erst in Äthiopien kennen gelernt. Er sei ein Schlepper und so habe sie ihn kennen gelernt.

Die Beschwerdeführerin sei in Mogadischu geboren und später mit ihrer Familie in das Dorf XXXX, im Verwaltungskreis XXXX, geflüchtet, wo sie bis zur Ausreise aufhältig gewesen sei. Dort hätten sie ein unbewohntes Grundstück gefunden und der Vater der Beschwerdeführerin habe dort Gemüse und Obst angebaut. Die Familie habe dort lange Jahre gelebt bis XXXXzu ihrem Vater gekommen sei und gesagt habe, das Grundstück gehöre ihnen. XXXX gehöre nämlich dem Mehrheitsstamm, dem Clan der Habr Gedir, an. Dann sei ihr Vater getötet worden. Ihre Schwester sei vergewaltigt worden. Das sei schon früher gewesen und zwar auch von einem Mehrheitsstamm; von welchem, wisse sie nicht. Dann hätten die Beschwerdeführerin und ihre Mutter Somalia verlassen. Die Beschwerdeführerin glaube, dass ihre Familie im Jahr 2010 nach XXXX gezogen sei. Mogadischu hätten sie verlassen, weil dort Krieg geherrscht habe. Bis August 2014 hätten sie sich in XXXX aufgehalten. Dann sei der Mehrheitsstamm gekommen und habe ihrem Vater das Land wegnehmen wollen. Die Jahre davor sei niemand gekommen. Sie glaube, dass "sie" nunmehr gekommen seien, weil die Landwirtschaft gut gelaufen sei und die Familie viel habe ernten können. Daher seien "sie" gierig geworden. Diese Leute hätten die Kontrolle des Dorfes inne, weil sie die Mehrheit seien. Al Shabaab unterstütze diesen Clan auch. An dem Tag, an dem ihr Vater getötet worden sei, sei sie mit ihrer Mutter zum Markt gegangen, um Ware zu verkaufen. Ihr Vater und ihre Schwester seien zu Hause geblieben. Man habe ihren Vater zuvor gewarnt, dass er in zwei Wochen das Grundstück verlassen müsse, aber sie hätten nicht gewusst, wohin. An dem Tag, als die zwei Wochen vorbei gewesen seien, seien "die Leute" gekommen. Die Beschwerdeführerin und ihre Mutter seien nicht zu Hause gewesen, da sie vergessen hätten, dass die Zwei-Wochen-Frist vorbei sei. Als sie zurückgekommen seien, hätten sie Schreie gehört. "Sie" hätten ihren Vater getötet und das Haus verbrannt. "Sie" hätten die Landwirtschaft gewollt. Würde die Familie der Beschwerdeführerin einem größeren Stamm angehören, wäre das nicht passiert. Ihrem Vater sei in den Kopf geschossen worden. Die Beschwerdeführerin habe die Männer gesehen, die ihn umgebracht hätten, und kenne diese auch. Es seien vier bewaffnete Personen gewesen. Einer davon habe ihren Vater erschossen. Sie habe "es" jedoch nicht gesehen und wisse daher nicht, wer geschossen habe. Drei der Männer seien über 40 Jahre alt, einer sei jünger gewesen. Die Schwester der Beschwerdeführerin sei seither vermisst. Man wisse nicht, ob sie getötet worden sei. Auf Vorhalt, die Beschwerdeführerin habe zuvor angegeben, sie habe die Männer gesehen, gab sie an, sie habe sie nicht gesehen, da sie mit der Leiche ihres Vaters beschäftigt gewesen sei. Danach habe sie ihre Schwester nicht mehr gefunden. Auf die Frage, was die Männer, die ihren Vater getötet hätten, getan hätten als die Beschwerdeführer mit ihrer Mutter gekommen sei, antwortete sie, dass "sie" bei der Landwirtschaft geblieben seien. Sie seien bewaffnet gewesen und hätten gesagt, das Land gehöre nun ihnen. Die Beschwerdeführerin und ihre Mutter hätten dann die Leiche des Vaters zu den Nachbarn gebracht und dort gewaschen. Sie seien nur einmal ins Haus gegangen und hätten die wichtigsten Dinge geholt. Bei einer Rückkehr nach Somalia befürchte die Beschwerdeführerin, dass diese Männer sie vergewaltigen würden. Woanders in Somalia hätten sie sich nicht niederlassen können, da sie keinen Vater mehr gehabt hätten, der sie versorgt habe.

2. Mit dem nunmehr in seinem Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2015 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkte I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 04.12.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).

In seiner Begründung stellte das Bundesamt zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin gesund und strafrechtlich unbescholten sei. Ihr Vorbringen sei nicht glaubhaft gewesen. Es habe daher nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin Somalia aufgrund einer gegen sie gerichteten Verfolgung verlassen habe. Festgestellt werde, dass ihr eine Rückkehr in ihre Heimat derzeit nicht zumutbar sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf auf den Seiten 9 bis 29 des angefochtenen Bescheides Länderfeststellungen zur Lage in Somalia (darunter auch zu den Clanstrukturen und zur Situation der Frauen).

Der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin bestimmte Sachverhalte enthalte, die - wenn man den Länderfeststellungen folge - nicht glaubwürdig seien. Es sei nicht glaubhaft, dass Al Shabaab bei Clanstreitigkeiten zugunsten der großen Clans entscheide, da diese bevorzugt Angehörige von Minderheitenclans rekrutieren würden. Da diese jedoch von den größeren Clans seit Jahrzehnten diskriminiert würden, sei nicht davon auszugehen, dass sich Al Shabaab auf die Seite eines großen Clans stellen würde. Auch, dass die Beschwerdeführerin und ihre Mutter am Tage des Fristendes zum Markt gegangen seien, da sie vergessen hätten, dass es der letzte Tag der Frist sei, könne nicht nachvollzogen werden. Ferner sei die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen, Details vorzubringen, die darauf schließen ließen, dass die vorgebrachte Geschichte der Wahrheit entspreche. Die Feststellungen zum Herkunftsland würden auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl basieren.

In rechtlicher Hinsicht wurde zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, glaubhaft zu machen, dass sie ihre Heimat aufgrund einer ihr drohenden Verfolgung bzw. aus Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention verlassen habe. Daher habe es schon aus diesem Grund nicht zur Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten kommen können. Aber auch wenn man ihr Glauben geschenkt hätte, könne kein Tatbestand eines Konventionsgrundes erkannt werden. Es sei zwar durchaus in Frage zu stellen, auf welcher rechtlichen Basis die vorherrschenden Clangruppen des Dorfes die Familie der Beschwerdeführerin von der von ihr genutzten landwirtschaftlichen Fläche vertrieben hätten, allerdings habe die Beschwerdeführerin selbst behauptet, dass das Land von ihrer Familie ohne rechtliche Grundlage genutzt worden sei. Ihr Vater habe das Land weder erworben noch geerbt. Dass man ihre Familie dazu gezwungen habe, dieses Land zu verlassen, entspreche daher noch keiner Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Auch die Ermordung des Vaters habe sich nicht gegen die Person der Beschwerdeführerin gerichtet. Sie und ihre Mutter hätten die Möglichkeit bekommen, nach dem Tod des Vaters das Land zu verlassen und seien von den Mitgliedern des vorherrschenden Clans auch keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen, da diese nur am Land und nicht an der Person der Beschwerdeführerin interessiert gewesen seien. Betreffend die Zugehörigkeit zum Clan der Madhiban könne eine generelle Verfolgung im Konventionssinn aus den Länderfeststellungen nicht erkannt werden. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die Behörde im Fall der Beschwerdeführerin aufgrund der derzeit schlechten allgemeinen Lage in Somalia von der realen Gefahr einer Bedrohung gemäß § 8 AsylG ausgehe. Unter Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der gesetzlich vorgesehenen Dauer erteilt.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.12.2015 wurde der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge mangelhafter Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst und verfahrensrelevant ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin in Äthiopien ein Mitglied des Issaq-Clans geheiratet habe, wozu die Behörde jedoch keine Befragung vorgenommen bzw. keine Feststellungen getroffen habe. Wenn die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vorwerfe, es sei nicht nachvollziehbar, dass sie mit ihrer Mutter am letzten Tag der Frist zum Markt gegangen sei, da sie vergessen hätten, dass es der letzte Tag der Frist sei, sei anzuführen, dass die Beschwerdeführerin bei genauerer Befragung sagen hätte können, dass ihrem Vater bereits öfter eine Frist gesetzt worden sei, aber nach Verstreichen dieser Fristen nie etwas geschehen sei. Aus diesem Grund seien die Beschwerdeführerin und ihre Mutter davon ausgegangen, dass ihrem Vater auch diesmal nichts geschehen würde, weshalb sie auch das Fristende vergessen hätten. Wenn die Behörde der Beschwerdeführerin vorwerfe, es sei nicht glaubwürdig, wenn sich Al Shabaab bei Clanstreitigkeiten zugunsten der großen Clans entscheiden würde, da diese selbst bevorzugt Angehörige von Minderheitenclans rekrutiere und daher nicht davon auszugehen sei, dass sich diese Milizen auf die Seite der großen Clans stellen würden, sei der Behörde entgegenzuhalten, dass sie nicht offenlege, auf welche Länderberichte sie sich dabei beziehe. Außerdem würden sich im Bescheid keinerlei Länderfeststellungen finden, aus denen hervorgehe, dass die Mitglieder von Al Shabaab ausschließlich Angehörige von Minderheitenclans wären. Im gegenständlichen Fall seien die Mörder des Vaters der Beschwerdeführerin, insbesondere der genannte XXXX, nicht nur Mitglieder des Mehrheitsclans der Habr Gedir, sondern auch Mitglieder von Al Shabaab. Obwohl der belangten Behörde hätte bekannt sein müssen, dass die Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan wie den Madhiban ein häufiger Grund für asylrelevante Verfolgung sein könne, habe die Behörde die Beschwerdeführerin nicht genauer dazu befragt. Daher habe die Behörde auch nicht in Erfahrung bringen können, dass die Angehörigen der Madhiban seitens der Mehrheitsclans, aber auch seitens der Polizei und der somalischen Behörden in der Herkunftsregion der Beschwerdeführerin diskriminiert würden und keinerlei Unterstützung und Schutz erhielten. Darüber hinaus habe es die belangte Behörde unterlassen, die Beschwerdeführerin genauer zur Situation von Frauen in Mischehen zu befragen, obwohl diese angegeben habe, mit einem Mann aus dem Mehrheitsclan der Issaq verheiratet zu sein.

Ferner seien die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid unvollständig und veraltet. Es würden detaillierte Länderfeststellungen zur Situation der Madhiban fehlen. In der Folge zitiert die Beschwerde wörtlich aus einem Bericht des UN Human Rights Councils vom 29.09.2015 und führt dazu aus, dass viele Minderheiten in Somalia an verschiedenen Formen der Diskriminierung leiden würden und sich nicht auf den Schutz von Mehrheitsclans verlassen könnten. Zudem würden die Frauen in diesen Minderheitenclans zusätzlich an geschlechtsspezifischen Formen der Diskriminierung leiden. Unter Zitierung eines Auszugs aus den UNHCR-Richtlinien aus 2010 wurde ausgeführt, dass aus diesen hervorgehe, dass Angehörige von Minderheitenclans einem erhöhten Risiko von Vergewaltigungen, Angriffen und Misshandlungen ausgesetzt seien. Weiters zitierte die Beschwerde aus ACCORD Anfragen vom 27.02.2013 und vom 12.06.2015 auszugsweise und verwies darauf, dass diesen zu entnehmen sei, dass Angehörige von Minderheiten nur eingeschränkten Zugang zu Gerichten hätten. Auch habe es die Behörde unterlassen, sich mit der Situation von Frauen in Mischehen auseinanderzusetzen und wurde auch hier aus verschiedenen Berichten vom Dezember 2009, vom Mai 2010, vom April 2011, vom Dezember 2011, vom Feber 2013, vom Oktober 2013, vom Feber 2014, vom November 2014 und vom Juni 2015 auszugsweise zitiert.

Zudem sei die Beschwerdeführerin als Minderheitenangehörige auch der massiven Diskriminierung seitens der somalischen Behörden ausgesetzt. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Clan der Madhiban drohe der Beschwerdeführerin Verfolgung. Diese drohende Verfolgung sei als Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen, ethnischen bzw. religiösen Gruppierung zu qualifizieren, da die Madhiban als "unislamische" und "unreine" Berufskaste bezeichnet würden. Die Beschwerdeführerin habe zudem darauf hingewiesen, dass sie sich fürchte, im Fall einer Rückkehr nach Somalia vergewaltigt zu werden. Ihre Schwester sei bereits von einem Angehörigen eines Mehrheitsclans vergewaltigt worden. Der Beschwerdeführerin drohe nicht nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit Verfolgung, sondern auch eine geschlechtsspezifische Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen.

Es werde die Beigabe eines unentgeltlichen Verfahrenshelfers beantragt, da der Beschwerdeführerin ein Rechtsanspruch auf Vertretung im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zukomme. Eine bloße Rechtsberatung sei mit einer Rechtsvertretung durch einen Verfahrenshelfer nicht gleichwertig.

4. Am 24.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Somalisch statt, an der die Beschwerdeführerin mit ihrem Vertreter teilnahm. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist nicht erschienen; das Bundesamt hat bereits mit Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an einer allfälligen Verhandlung verzichtet.

Eingangs der Verhandlung gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie gesund und nicht schwanger sei. Sie habe bis dato die Wahrheit gesagt und die jeweiligen Dolmetscher in den bisherigen Einvernahmen gut verstanden. Als die Beschwerdeführerin aus Somalia ausgereist sei, sei sie ledig gewesen. Dann habe sie in Äthiopien geheiratet und sei nunmehr verwitwet. Kinder habe sie keine. Ihr verstorbener Mann, den sie erst in Äthiopien kennengelernt habe, sei ebenfalls somalischer Staatsangehöriger und gehöre dem Hauptclan der Isaaq, dem Subclan der Saad Nuse und dem Subsubclan der Reer Ahmed Abdulle an. Die Isaaq seien ein nobler Clan. Die Beschwerdeführerin sei sunnitische Muslimin und gehöre dem Hauptclan der Madhiban und dem Subclan der Mohammed Barre Saad an. Dann gehe es in der Clanabstufung weiter mit Jubril, Aden und Wa'es. Wegen ihrer Clanzugehörigkeit habe sie in Somalia Probleme gehabt, jedoch nicht wegen ihrer Religion. Die Angehörigen ihres Clans seien diskriminiert worden. Sie habe keinen Kontakt zu anderen Clans haben und auch keinen Angehörigen eines Mehrheitsclans heiraten dürfen. Man dürfe auch keine "besseren" Berufe ausüben. Diese Probleme würden alle Angehörigen ihres Clans betreffen. Ihre "Clanleute" würden als Schuster, Schmied oder Schlachter arbeiten. Es gebe auch viele Sänger. Sie würden nur minderwertige Berufe ausüben und hätten keine Posten in der Regierung. Angehörige anderer Clans seien Tierhüter, Landwirte und Hirten. Der Clan ihres Mannes sei ein starker Clan, aber nicht der stärkste Clan in Somalia. Sie würden sich für sehr nobel halten und hätten auch viele Sänger. Die Beschwerdeführerin habe nur die Koranschule besucht, habe aber zu Hause etwas Englisch gelernt. Das habe ihr ein Verwandter, der früher Lehrer gewesen sei, beigebracht. Dieser Verwandte gehöre auch den Madhiban an, habe allerdings seine Ausbildung unter der Siyad Barre Regierung erhalten.

Zu den bereits mit der Ladung versendeten Länderberichten zur Situation in Somalia gab der Vertreter der Beschwerdeführerin an, dass aus diesen hervorgehe, dass im Fall einer Rückkehr familiäre und Clanverbindungen für die Sicherheit, die soziale Akzeptanz und die Grundversorgung entscheidend seien. Als alleinstehende Frau und Angehörige einer Minderheit könne die Beschwerdeführerin nicht auf eine Kernfamilie und auch nicht auf Clanunterstützung zurückgreifen. Es bestehe das Risiko, dass sie sich im Fall einer Rückkehr in einem Lager für Binnenvertriebene wiederfinde. Die Länderinformationen würden bei alleinstehenden, weiblichen Minderheitenangehörigen von dem Risiko ausgehen, dass sie im Lager für Binnenvertriebene Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt werden könnten. Dies stelle eine Verfolgungsgefahr aus Gründen der Ethnie in Zusammenhang mit Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmen sozialen Gruppe, nämlich jener der alleinstehenden Frauen, dar. Das Bundesverwaltungsgericht habe in vergleichbaren Fällen mit Erkenntnissen vom 23.05.2016, W211 1416195, und vom 09.06.2016, W232 2119670, Asyl zuerkannt. Auch habe die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen im Wesentlichen widerspruchsfrei und detailliert wiedergegeben. Es habe bereits schwerwiegenden Verfolgungshandlungen gegen ihre Familie gegeben und bestehe daher eine entsprechend hohe Verfolgungsgefahr für die Beschwerdeführerin. Die Besitzverhältnisse des Landes, das die Familie der Beschwerdeführerin bebaut habe, seien nicht festgestanden und nach mehreren Jahren, als die Ernteerträge zugenommen hätten, sei es auch zu Verfolgungshandlungen gekommen. Dadurch werde bestätigt, dass es Angehörigen der Madhiban im Vergleich zu anderen Clans nicht gestattet sei, landwirtschaftliche Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum auszuüben.

Zu ihrem Wohnort, zu ihren Familienangehörigen, zu ihrem Leben in Somalia und zur Ausreise gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in Somalia keine Familie mehr habe. Ihre Mutter sei in Äthiopien, ihr Vater sei verstorben und ihre Schwester werde vermisst. Die Beschwerdeführerin sei in Mogadischu geboren und habe dort bis 2010 gelebt. Dann sei sie nach XXXXin XXXX gezogen, wo sie bis zur Ausreise aufhältig gewesen sei. Wer jetzt an ihrer Adresse lebe, wisse sie nicht. Sie glaube, die Leute, die ihrem Vater das Feld weggenommen hätten. Es sei bekannt gewesen, dass die Familie der Beschwerdeführerin dort gelebt habe. Die Grundstücke seien frei gewesen und man sei dorthin geflüchtet und habe einfache Hütten errichtet. Dort seien sowohl Einwohner als auch "Flüchtlinge" gewesen. In Somalia habe die Beschwerdeführerin ihrer Mutter im Haushalt geholfen und am Feld gearbeitet. Die Ernte sei mittwochs auf den Markt gebracht und verkauft worden. Die wirtschaftliche Situation sei "normal" gewesen. Somalia habe sie 2014 verlassen und sei nach Äthiopien gereist, wo sie einige Monate verbracht habe. Dann sei sie über den Sudan, Ägypten und Italien nach Österreich gefahren. Ab Äthiopien habe sie die Hilfe von Schleppern in Anspruch genommen.

Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Familie "vom Feld" gelebt habe. Sie hätten das Feld gemeinsam bestellt. Im Dorf habe es Leute gegeben, die vom Vater der Beschwerdeführerin Geld kassiert hätten, da sie gemeint hätten, das Feld würde nicht ihrer Familie gehören und daher müsste ihr Vater bezahlen. Am Ende hätten sie das Feld haben wollen und gemeint, die Familie der Beschwerdeführerin müsse gehen. An einem Mittwoch seien die Beschwerdeführerin und ihre Mutter wie üblich auf den Markt gegangen, um die Ernte zu verkaufen. Da seien "die Männer" gekommen und hätten ihren Vater getötet. Als die Beschwerdeführerin und ihre Mutter zurückgekommen seien, sei die Hütte in Flammen gewesen und der Vater tot am Boden gelegen. Die Schwester der Beschwerdeführerin sei seit damals vermisst. Das sei im August 2014 gewesen. Vier Männer seien am Feld gewesen und einer davon habe den Vater der Beschwerdeführerin erschossen. Das hätten "die Leute" erzählt. Der Täter heiße XXXX (auch und in der Folge: XXXX) und gehöre zum Clan der Habr Gedir. Von den anderen Männern kenne sie die Namen nicht. Ihr Vater sei deshalb an diesem Tag getötet worden, da die Männer eine Frist von zwei Wochen gesetzt hätten, dass die Familie das Grundstück verlasse. Das hätten sie jedoch nicht ernst genommen, sondern gedacht, sie würden wie immer kommen, das Geld kassieren und dann wieder gehen. Sie hätten vergessen, dass die Frist an diesem Tag aus gewesen sei. Dass die Frist für das Verlassen des Grundstücks gewesen sei, hätten sie überhaupt vergessen. Sonst hätten die Männer immer Geld genommen und seien wieder gegangen. Wie oft ihrem Vater eine solche Frist zum Verlassen des Grundstücks gesetzt worden sei, wisse die Beschwerdeführerin nicht. Es sei "oft" gewesen und zwar seien sie ab dem vierten Jahr, in dem die Familie dort gelebt habe, gekommen und hätten begonnen, Geld zu kassieren. Am Anfang seien sie nur mit dem Geld einverstanden gewesen, dann seien sie gierig geworden und hätten das Feld gewollt, da es gute Ernte geliefert habe. Ihr Vater habe "unzählbar" oft Geld bezahlt; jedes Mal, wenn "sie" Geld gebraucht hätten, seien sie gekommen. Die Beschwerdeführerin selbst sei von diesen Männer nie persönlich bedroht worden. Ihre Mutter habe sie und ihre Schwester immer in ein Zimmer gebracht, da sie nicht gewollt habe, dass sie mitbekämen, worum es gehe. Als die Beschwerdeführerin und ihre Mutter gesehen hätten, dass der Vater tot sei, hätten sie nichts machen können, außer die Leiche zu reinigen und zu beerdigen. Als sie vom Markt zurückgekommen seien, seien die vier Männer noch da gewesen.

Der weitere Verlauf der Befragung gestaltete sich wie folgt:

"R: Die haben einfach zugelassen, dass Sie die Leiche gereinigt haben und beerdigt haben?

BF: Wir als Frauen konnten nichts machen, selbst wenn wir geschrien hätten. Sie wussten, dass wir nichts machen. Wir haben nur geweint und sind weggegangen.

R: Wurden Sie in diesem Zusammenhang von den Männern bedroht, angegriffen oder gehindert die Leiche zu beerdigen?

BF: Sie haben gedroht uns zu töten, wie meinen Vater, wenn wir das Grundstück nicht verlassen. Die anderen Leute, die dort waren, haben sie gefragt warum sie meinen Vater so angegangen haben, wir sind ja auch Muslime. Sie haben darauf geantwortet, das wir nicht verschwinden wollten und sie uns oft vorgewarnt haben. Wir sind selbst schuld und sie würden uns auch töten, wenn wir nicht verschwinden.

R: Wurden Sie von diesen 4 Männern daran gehindert die Leiche zu den Nachbarn zu bringen, zu reinigen und zu waschen?

BF: Nein, daran haben sie uns nicht gehindert. Ich war damals jung. Ich habe geschrien und gefragt, warum sie ihn getötet haben. Einer der Männer hatte die Pistole an meinen Kopf gesetzt und gesagt, wenn ich nicht still bleibe, dann wird er mir das gleiche wie meinem Vater antun."

Die Beschwerdeführerin wisse, dass XXXX ihren Vater getötet habe, weil die Leute aus der Nachbarschaft auf ihn gezeigt und gesagt hätten, er habe geschossen. Auf Vorhalt, sie habe vor dem Bundesamt gesagt, dass sie nicht wisse, wer auf ihren Vater geschossen habe, gab die Beschwerdeführerin an, sie könne sich nicht daran erinnern, dass sie "so etwas" gesagt habe. Sie könne sich an den Täter erinnern. Es seien immer die gleichen vier Leute gewesen, die das Geld geholt und die Frist gesetzt hätten. Wem das Grundstück, dass ihre Familie bewirtschaftet habe, tatsächlich gehöre, wisse sie nicht. Sie glaube nicht, dass es vorher jemandem gehört habe. Auch andere Flüchtlinge seien dorthin gekommen und hätten unbewohnte Grundstücke bestellt. Es gebe keine staatlichen Strukturen in Somalia. Auf die Frage, wieso die Familie das Grundstück nicht einfach verlassen habe, gab die Beschwerdeführerin an, man habe nur ihre Familie aufgefordert, wegzugehen. Alle anderen hätten bleiben dürfen. Wenn Regierungsleute gekommen wären und sie aufgefordert hätten, wären sie weggezogen, aber es seien nur normale Zivilisten gewesen. Auf Vorhalt, warum sie vor dem Bundesamt und in der Beschwerde nicht angegeben habe, dass die Familie mehrmals um Geld erpresst worden sei, gab die Beschwerdeführerin an, so genau habe man sie nicht befragt.

Befragt zur vorgebrachten Vergewaltigung ihrer Schwester gab die Beschwerdeführerin an, einige Monate bevor ihr Vater getötet worden sei, sei ihre Schwester blutend von zwei Frauen nach Hause gebracht worden. Sie sei ins Spital gebracht, dort behandelt und gereinigt worden. Wer ihre Schwester vergewaltigt habe, wisse sie nicht.

Auf Vorhalt, sie habe angegeben, nur die Angehörigen eines noblen Clans könnten Landwirte seien bzw. auf die Frage, wie dann ihr Vater als Landwirt habe arbeiten können, brachte die Beschwerdeführerin vor, dass ihr Vater "das" trotz der Schwierigkeiten tun habe müssen, um zu überleben. Man befinde sich am Land und müsse etwas tun, um Geld zu verdienen. Mit "Mehrheitsclan" in ihrem Dorf meine sie die Angehörigen von Habr Gedir, das sei der Clan der Täter. Auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin mehr von dem Mann erzählen könne, der ihren Vater getötet habe, gab sie an: "Er hat dort gewohnt. Er war manchmal da und manchmal weg. Er hatte mit den Al Shabaab zu tun. Früher wussten wir nicht davon und er war ein Habr Gedir." Auf Vorhalt, in der Beschwerde sei vorgebracht worden, der Mörder ihres Vaters sei auch Mitglied von Al Shabaab, brachte sie vor, es mache für sie keinen Unterschied, ob man mit "ihnen" zu tun habe oder Mitglied sei. Auf die Frage, weshalb sie den Mörder ihres Vaters zuvor als "Zivilisten" bezeichnet habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass er für sie von Anfang an "so" ausgesehen habe.

Bei einer Rückkehr nach Somalia befürchte die Beschwerdeführerin, wie ihre Schwester vergewaltigt zu werden. Sie brauche ein Leben, eine Arbeit und Sicherheit. Sie wolle, dass man aufhöre, ständig die Frage zu stellen, "wer ich bin und wem ich zugehöre." Mit "wer ich bin" meine sie die Clanzughörigkeit. Es gebe auch keinen Staat, keine Regierung und keine Sicherheit. Die Beschwerdeführerin habe ihren verstorbenen Mann heimlich geheiratet. Seine Angehörigen würden Probleme mit ihr haben. Die weiteren Angaben der Beschwerdeführerin gestalteten sich wie folgt:

"R: Wieso? Die wissen das doch nicht, wenn Sie ihn heimlich geheiratet haben?

BF: Es gibt keine Kinder aus dieser Ehe, aber es gibt Zeugen nach islamischen Vorschriften. Das sind seine Clanangehörigen.

R: Dann haben Sie aber nicht heimlich geheiratet.

BF: Ohne Zeugen ist die Ehe dann nicht gültig. Davon haben nur 2 oder 3 weitere Personen gewusst und nicht alle. Es hat keine Hochzeitsfeier stattgefunden.

R: Was wären die Folgen, wenn Sie zurückkommen und herauskommt, dass Sie jemanden aus einem Mehrheitsclan geheiratet haben?

BF: Sie können mit mir machen, was sie wollen. Sie könnten mich töten. Sie könnten mich auch vergewaltigen.

R: Wer ist "sie"?

BF: Die Leute von meinem verstorbenen Mann.

R: Kennen Sie diese Leute, wie heißen sie, wer sind sie, wo leben sie?

BF: Ich meine seine Angehörigen, wenn die Zeugen es verraten."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

1.1.1. Die Beschwerdeführerin ist eine somalische Staatsangehörige. Sie gehört dem Clan der Madhiban (Subclan: Mohammed Barre Saad, Subsubclan: Jubril, Subsubsubclan: Aden, Subsubsubsubclan: Wa'es) an und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Die Beschwerdeführerin wurde in Mogadischu geboren und zog im Jahr 2010 mit ihrer Familie (Eltern und Schwester) nach XXXXim Verwaltungskreis XXXXin der Provinz XXXX, wo sie bis zu ihrer Ausreise aus Somalia aufhältig war. Nicht festgestellt werden kann, wo sich die genannten Familienangehörigen der Beschwerdeführerin aufhalten. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in Somalia über keine Bekannten, Clanverwandten oder Nachbarn (mehr) verfügt. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin verheiratet ist bzw. verheiratet war.

Die Beschwerdeführerin reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2. Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben der Beschwerdeführerin zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass die Familie der Beschwerdeführerin mehrmals von vier Männern aufgefordert bzw. bedroht worden war, diesen das von ihr bewirtschaftete Grundstück zu übergeben und in der Folge - als der Vater der Beschwerdeführerin dem nicht nachgekommen ist - den Vater der Beschwerdeführerin erschossen hätten. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Nicht festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Somalia aus Gründen ihrer Zugehörigkeit zum Clan der Madhiban bzw. ihrer Glaubensrichtung oder aus sonst in ihrer Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin noch aus amtswegiger Wahrnehmung.

1.2. Zur verfahrensrelevanten Situation in Somalia:

1.2.1. Sicherheitslage und Situation im Bundesstaat South West State (SWS; Lower Shabelle, Bay, Bakool):

Die Macht der Regierung des SWS reicht kaum über Baidoa hinaus. In vielen nicht von der al Shabaab kontrollierten Orten in Bay und Bakool bestehen nur rudimentäre Verwaltungen, die oftmals von Äthiopien organisiert worden sind. Die al Shabaab kontrolliert viele Straßenverbindungen und ländliche Gebiete (BFA 8.2017). Im Dezember 2017 hat der SWS begonnen, Bezirksräte für Baidoa, Baraawe und Berdale aufzustellen. Der Bezirksrat für Xudur war bereits im Oktober eingerichtet worden, auch ein Bürgermeister wurde ernannt (UNAMIS 20.12.2017).

Der Regierung ist es mit internationaler Unterstützung gelungen, eine eigene kleine Armee aufzubauen, die South West State Special Police Force (SWSSPF) (BFA 8.2017).

Die al Shabaab hat 2017 einige Gebiete im Shabelle-Tal zurückgewonnen, darunter die Stadt Bariire. Regierungskräfte hatten sich von dort aus Protest gegen Rückstände bei der Auszahlung des Soldes zurückgezogen (ICG 20.10.2017). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind besonders hart von der Gewalt betroffen (DIS 3.2017). Einerseits bildet das Dreieck Afgooye-Mogadischu-Merka das einsatztechnische Schwergewicht der al Shabaab (BFA 8.2017). Andererseits ist die Gewalt im Gebiet eher von Clanauseinandersetzungen geprägt, als von al Shabaab (DIS 3.2017). Die drei maßgeblichen Akteure im Dreieck sind folglich AMISOM, Milizen und al Shabaab. Dabei kommt es in und um Afgooye häufig zu Anschlägen und Angriffen (BFA 8.2017). Zwar wird Afgooye von AMISOM kontrolliert (DIS 3.2017), doch ist die al Shabaab bereits mehrfach in die Stadt eingedrungen und hat die SNA dort auch regelmäßig zurückgeworfen. Genauso regelmäßig ist die al Shabaab aus Afgooye auch wieder abgezogen. Al Shabaab hat bisher nicht erkennen lassen, dass sie die Stadt länger besetzt halten oder mit der dort stationierten AMISOM den Kampf aufnehmen möchte (BFA 8.2017).

Qoryooley wird zwar von AMISOM kontrolliert (DIS 3.2017), doch ist das Gebiet gefährdet. Gleichzeitig gibt es in diesem Gebiet auch Clan-Konflikte, v.a. zwischen Habr Gedir, Biyomaal und Rahanweyn. Die Fruchtbarkeit der Gegend ist ein Mitgrund für die Dichte an Gewalttätigkeiten. Es kommt häufig zum Streit über Ressourcen; und viele Clans sind involviert. Die al Shabaab und AMISOM ergreifen im Rahmen derartiger Konflikte Partei (BFA 8.2017).

Clanauseinandersetzungen in Lower Shabelle, bei welchen in erster Linie Habr Gedir, Biyomaal und Digil involviert sind, dauern seit 2014 an. Nach der kurzfristigen Übernahme von Merka durch die al Shabaab im Februar 2016, bei welcher sich offenbar Milizen der Habr Gedir und Elemente der somalischen Armee auf die Seite der Islamisten geschlagen hatten, haben sich die Biyomaal mit AMISOM alliiert. Dahingegen haben sich Netzwerke der Habr Gedir auf die Seite der al Shabaab gestellt (SEMG 8.11.2017).

In der Folge hat al Shabaab bereits im Oktober 2016 mit dem Verbrennen und Plündern von Biyomaal-Dörfern begonnen (SEMG 8.11.2017); bei Kämpfen zwischen Habr Gedir und Biyomaal in Lower Shabelle wurden 2016 insgesamt 28 Zivilisten getötet (USDOS 3.3.2017). Die Situation ist im Mai 2017 eskaliert (SEMG 8.11.2017), als mindestens achtzehn Dörfern zwischen Merka und Afgooye Häuser von Biyomaal verbrannt und zahlreiche Menschen vertrieben wurden. Außerdem wurden Dutzende Menschen entführt und in einem provisorischen Lager in Mubarak gefangen gehalten (HRW 26.7.2017). 2017 ging al Shabaab gegen die Biyomaal vor. Ganze Dorfbevölkerungen wurden aus dem Gebiet zwischen Merka und Afgooye vertrieben (BFA 8.2017). Im August 2017 kam es zwischen Milizen der Biyomaal auf der einen und Milizen der Habr Gedir und al Shabaab auf der anderen Seite zum Streit um die Stadt Merka (SEMG 8.11.2017).

[...]

Quellen:

* BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017;

* DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):

South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017;

* HRW - Human Rights Watch (26.7.2017): Al-Shabab Forces Burn Villages, http://www.refworld.org/docid/5979e8514.html, Zugriff 11.11.2017;

* ICG - International Crisis Group (20.10.2017): Managing the Disruptive Aftermath of Somalia's Worst Terror Attack , http://www.refworld.org/docid/59e9b7e74.html, Zugriff 11.11.2017;

* SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017;

* UNAMIS - UN Assistance Mission in Somalia (20.12.2017): Devolution moves ahead in Somalia's south west state with formation of district councils in Baidoa and Barawe,

https://reliefweb.int/report/somalia/devolution-moves-ahead-somalia-s-south-west-state-formation-district-councils-baidoa, Zugriff 12.1.2018 und

* USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

1.2.2. Minderheiten und Clans:

Die somalische und auch die puntländische Verfassung bekennen sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 1.1.2017). Allerdings waren Regierung und Parlament für lange Zeit entlang der sogenannten

"4.5 Lösung" organisiert, welche bedeutet, dass die Vertreter der großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam die Hälfte dieser Sitze zustehen (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren. Insgesamt hat sie bisher weder zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bedingten Gleichberechtigung beigetragen, noch hatte sie positive Auswirkungen auf das Miteinander auf Gemeindeebene (ÖB 9.2016). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017).

Die Minderheiten sind im somalischen Parlament und der somalischen Regierung vertreten, ihre Stimme hat aber wenig Gewicht. Weder das traditionelle Recht xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. (SEM 31.5.2017). Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 3.3.2017). Einzelne Minderheiten (u.a. Jareer, Benadiri, Gabooye) leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 1.1.2017).

Minderheitengemeinden sind überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 3.3.2017).

Gruppen wie die Rahanweyn, die Bantu oder die Madhiban können nur in geringerem Ausmaß auf Rücküberweisungen durch Angehörige in der Diaspora zählen, da sich in der Diaspora verhältnismäßig wenige Rahanweyn und Bantu finden (SEMG 8.11.2017).

Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia;

* EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017;

* ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia;

* SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/ herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017;

* SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017 und

* USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index. htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

1.2.2.1. Bevölkerungsstruktur:

Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 3.3.2017). Eine andere Quelle besagt, dass laut einer Schätzung aus dem Jahr 2002 die Minderheiten zusammen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Somalias ausmachen sollen (ÖB 9.2016). Jedenfalls gibt es in ganz Somalia eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, SEM 31.5.2017). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 4.2017a). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Allerdings gibt eines keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können ihre Abstammung auf einen mythischen gemeinsamen Vorfahren namens Hiil bzw. dessen Söhne Samaale und Saab zurückverfolgen, die vom Propheten Mohammed abstammen sollen. Die meisten Minderheiten können eine solche Abstammung hingegen nicht geltend machen (SEM 31.5.2017).

Die Somalis sehen sich also als Nation arabischer Abstammung. Die "noblen" Clanfamilien sind meist Nomaden:

* Die Darod sind gegliedert in die drei Hauptgruppen Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während die Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Jubba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

* Die Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind die Habr Gedir und die Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

* Die Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Djibouti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind die Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

* Die Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

* Die Rahanweyn bzw. Digil/Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen. Sie gelten als Nachfahren von Saab, dem Bruder von Samaale (SEM 31.5.2017; vgl. AA 4.2017a).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 4.2017a).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung;

Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben;

sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017;

* AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia;

* LI - Landinfo (4.4.2016): Somalia: Praktiske forhold og sikkerhetsutfordringer knyttet til reisevirksomhet i Sør-Somalia, http://www.landinfo.no/asset/3331/1/3331_1.pdf, Zugriff 15.12.2017;

* ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia;

* SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/ herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017 und

* USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index. htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

1.2.2.2. Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation:

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich Abstammung, Sprache und Kultur nicht von der Mehrheitsbevölkerung. Anders als die "noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten (SEM 31.5.2017). Madhiban sind in ganz Somalia zu finden, speziell aber im Norden des Landes (SEMG 8.11.2017). Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017).

Dabei sind Madhiban teils schwerer Diskriminierung ausgesetzt. Ein Beispiel der Benachteiligung zeigt sich im Konflikt um Galkacyo, wo die Madhiban durch humanitäre Organisationen benachteiligt wurden. Da den Madhiban in IDP-Lagern dort die Aufnahme verweigert wurde, haben sie mit Hilfe einiger Angehöriger in der Diaspora den Kauf eines geeigneten Grundstücks in Galkacyo organisiert, um dort Madhiban-IDPs unterzubringen. Im August 2017 taten es die Tumal den Madhiban gleich (SEMG 8.11.2017).

Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffen oder Misshandlungen hinsichtlich der Gabooye (SEM 31.5.2017).

Einzig in der Frage der Mischehen besteht noch eine gesellschaftliche Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch. Mischehen kommen äußerst selten vor - insbesondere die zuletzt genannte Konstellation. Es bestehen aber offenbar regionale Unterschiede: Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017).

Kommt eine Mischehe zustande, dann kommt es häufig zur Verstoßung der betroffenen Person durch die eigenen Familienangehörigen (des Mehrheits-Clans). Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck. Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist aber die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel weniger gut organisiert sind und eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. die Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum benachteiligt Minderheitenangehörige bei der Arbeitssuche, bei der ohnehin auch oft schon die Clanzugehörigkeit zu Diskriminierung führen kann. Da sie über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren Angehörige berufsständischer Gruppen zudem in geringerem Ausmaß von Auslandüberweisungen als die Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige der berufsständischen Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Sie stellen zwar nach wie vor die ärmste Bevölkerungsschicht; trotzdem gibt es Minderheitenangehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft. (SEM 31.5.2017).

Quellen:

* SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/ herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017 und

* SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

1.2.3. Frauen:

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).

Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).

Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 3.3.2017). Andererseits gibt es Berichte die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.1.2017).

Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).

[...]

Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).

Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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