TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/15 W215 2128768-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.02.2019
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Entscheidungsdatum

15.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55 Abs1a

Spruch

W215 2128768-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.11.2018, Zahl 831527902-180824902, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. wird wegen entschiedener Sache als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkte III. bis VI. wird gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, und § 55 Abs. 1a FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Asylverfahren:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt gemeinsam mit seiner Mutter, XXXX, geb. XXXX, und seiner Schwester, XXXX, geb. XXXX, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und alle stellten am 21.10.2013 Anträge auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung am 23.10.2013 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Schwester am 25.09.2013 von der russischen Polizei entführt und am 28.09.2013 von Verwandten freigekauft worden sei. Er selbst sei im Mai 2013 insgesamt ein bis zwei Tage vom russischen Militär eingesperrt worden, weshalb seine Mutter gesagt habe, dass sie Tschetschenien verlassen müssten. Weiters sei dem Beschwerdeführer im Jahr 2009 vom russischen Militär auf den Rücken und auf den Bauch geschlagen worden.

In seiner niederschriftlichen Befragung im Bundesasylamt am 03.12.2013 führte der Beschwerdeführer auf Nachfrage seine Fluchtgründe näher aus und gab zusammengefasst an, dass er, sowie seine Mutter und Schwester, mehrmals von Widerstandskämpfern aus Rache verprügelt worden seien, weil sie angeblich ihre Mitkämpfer an Behörden verraten hätten. Erstmals sei er am 04.05.2009 von unbekannten Russen geschlagen worden, am 10.12.2012 sowie 20.07.2013 seien Personen zu ihnen nach Hause gekommen und hätten den Beschwerdeführer bzw. auch seine Mutter und Schwester verprügelt. Sie seien dann an einen anderen Ort gefahren, um sich zu verstecken, seien aber auch dort von den Widerstandskämpfern gefunden worden. Diese hätten sie am 20.09.2013 geschlagen und den Beschwerdeführer mitgenommen, woraufhin er drei Tage lang gefoltert, gequält und bedroht worden sei, bis ein einflussreicher Verwandter ihnen geholfen habe. Am 25.09.2013 seien der Beschwerdeführer und seine Mutter erneut geschlagen worden und die Widerstandskämpfer hätten seine Schwester mitgenommen. Am 28.09.2013 sei seine Schwester freigekauft worden und am selben Tag hätten sie beschlossen, nach XXXX zu fahren, von wo aus sie nach Österreich gereist seien. Im Falle einer Rückkehr würden der Beschwerdeführer und seine Familie von Widerstandskämpfern getötet werden.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX zu einer ärztlichen Untersuchung zum Zwecke der Einholung eines fachärztlichen Gutachtens geladen. Dem XXXX Gutachten vom XXXX ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an einer XXXX leide. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 06.02.2014, Zahl 831527902-1736927, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.10.2013, ebenso wie die Anträge seiner Mutter und Schwester, unter Spruchteil I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1. AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab. Unter Spruchteil III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß

§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2014, Zahl 831527902-1736927, eingebrachte Beschwerde wurde nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 02.12.2014 und 30.12.2014 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.02.2015, Zahl W216 2002029-1/18E in allen Spruchpunkten abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass in der mündlichen Beschwerdeverhandlung weitere Ungereimtheiten hinzugekommen sind, die das Vorbringen des Beschwerdeführers, seiner Mutter und seiner Schwester als unglaubwürdig erscheinen lassen. Zur gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, dass im Hinblick auf die im XXXX angeführte XXXX nicht von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen ist. Es besteht im Falle einer Rückkehr nicht die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer aufgrund der XXXX in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte.

Die Behandlung einer gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 19.11.2015, E 2173/2015-5, abgelehnt.

Auch im Verfahren der Schwester des Beschwerdeführers erging vom Bundesverwaltungsgericht eine gleichlautende, negative Entscheidung. Diese stellte, nach islamischer Eheschließung mit einem in Österreich aufenthaltsberechtigten russischen Staatsangehörigen und Schwangerschaft, in der Folge einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 55 AsylG, der vom Bundesamt mit Bescheid vom 28.12.2015 zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.07.2016 abgewiesen. Nach neuerlicher Antragstellung wurde der Schwester mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2017 ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG ausgestellt.

Die Beschwerde der Mutter des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.02.2015 hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen, hinsichtlich Spruchpunkte II. und III. stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben. Im fortgesetzten Verfahren wurde der Mutter mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2016 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

2. Zweites Asylverfahren:

Der Beschwerdeführer kam nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, blieb illegal im Bundesgebiet und brachte am 27.05.2016 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein.

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, Österreich seit der letzten Antragstellung nicht verlassen zu haben. Zu den Gründen der neuerlichen Antragstellung gab er an, in Österreich bleiben zu wollen, da die alten Gründe noch aufrecht seien und er Angst vor den Widerstandskämpfern in Tschetschenien habe.

Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 23.06.2016 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Beschwerdeführer aus, dass er Österreich seit der letzten Asylantragstellung nicht verlassen habe. Danach befragt, ob sich hinsichtlich seiner Fluchtgründe etwas geändert habe, gab der Antragstelle an, dass sich nichts geändert habe, aber sie immer noch nach ihm suchen würden. Er stelle neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, weil er Angst habe, dass er dann nicht mehr lange am Leben bleibe. Außerdem wolle er hier bei seiner Mutter bleiben, sie brauche ihn.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 23.06.2016, Zahl 3831527902-29031424, wurde gemäß § 12a Abs. 2 AsylG der faktische Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß

§ 12 AsylG aufgehoben und mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.08.2016, Zahl W103 2128768-1/4E die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.

Der Beschwerdeführer wurde am 14.11.2016 in Verwaltungsverwahrungshaft genommen, um die für den 15.11.2016 geplante Abschiebung in die Russische Föderation sicherzustellen. Aufgrund des massiven körperlichen Widerstands des Beschwerdeführers musste die Abschiebung am 15.11.2016 jedoch abgebrochen werden.

Am 16.11.2016 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Zahl 831527902-436141615 einen Schubhaftbescheid zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers. Die dagegen erhobene Beschwerde vom 09.12.2016 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.08.2018, Zahl W171 2141708-1/7E, als unbegründet abgewiesen.

Im Zuge seiner Abschiebung am 12.12.2016 leistete der Beschwerdeführer erneut körperlichen Widerstand, die Überstellung in die Russische Föderation konnte letztlich aber durchgeführt werden.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2018, Zahl 160744535, wurde der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gegen ihn gemäß § 20 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Russland zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise.

Der Bescheid erwuchs am 22.03.2018 in Rechtskraft.

3. Drittes und gegenständliches Asylverfahren:

Der Beschwerdeführer reiste in der Folge neuerlich illegal nach Österreich ein und stellte am 30.08.2018 den dritten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung am selben Tag führte der Beschwerdeführer aus, nunmehr neue Fluchtgründe zu haben: "Ich habe mit [den] Behörden in Tschetschenien Probleme. Nach meiner Abschiebung habe ich bei meiner Großmutter ein Jahr und 2 Monate gelebt. Ich bin von der Polizei im Februar dieses Jahres mitgenommen worden. Das hängt mit einem Vorfall aus 2009 zusammen. Ich habe meinem Nachbar meine Wohnungsschlüssel übergeben. Das Haus wurde renoviert. Mein Nachbar hat den Schlüssel an Kämpfer (das sind Männer [die] gegen das Regime im Untergrund kämpfen) übergeben. Am 10.02.2018 war das. Ich wurde von der Polizei geschlagen und misshandelt. Ich wurde bedroht von der Polizei. Sie haben gesagt, sie würden mich umbringen, wenn ich nicht alles sage. Ich bin geflüchtet und zu meinem Freund gefahren. Mein Freund heißt [...]. Dort hielt ich mich bis 26.08.2018 auf. Gestern bin ich nach Österreich gekommen."

Im Zuge seiner niederschriftlichen Befragung im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2018 gab der Beschwerdeführer an, dass er einen USB-Stick als Beweis vorlegen könne. Auf einem Video sehe man, wie seine Großmutter geschlagen werde, auf einem weiteren Video bitte seine Großmutter darum, dass der Beschwerdeführer als Flüchtling aufgenommen werde, da ihm Gefahr drohe. In Österreich würden seine Mutter und seine Schwester leben, seine Mutter brauche seine Hilfe, da sie eine Operation auf einem Bein gehabt habe und bald eine neue Operation brauche. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er im Februar 2018 bei seiner Großmutter gewesen sei und drei oder vier Leute vom Sicherheitsdienst gekommen seien und ihn auf die Polizeistation mitgenommen hätten, wo sie ihn geschlagen und befragt hätten. Als die Sicherheitsmänner weggewesen seien, habe ihn der Revierinspektor aus Mitleid laufen lassen. Daraufhin habe der Beschwerdeführer seine Großmutter angerufen und sei zu einem Freund gefahren, bei dem er sich bis zu seiner Ausreise am 26.08.2018 aufgehalten habe. Auf die Frage, was sich seit Abschluss seines letzten Asylverfahrens für ihn persönlich verändert habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass sich die Verwandten der Freiheitskämpfer an ihm rächen wollen würden, da er jetzt volljährig sei und sie glauben würden, dass er die Freiheitskämpfer an die Behörden verraten habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.11.2018, Zahl 831527902-180824902, wurde in Spruchpunkt I. der dritte Antrag auf internationalen Schutz vom 30.08.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 30.08.2018 hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß

§ 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. In Spruchpunkt IV. wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. In Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht.

Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 29.11.2018, erhob der Beschwerdeführer am 07.12.2018 fristgerecht gegenständliche Beschwerde und führte aus, dass es die Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen und eine Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren Beweise und der herkunftsstaatspezifischen Informationen verabsäumt habe. Darüber hinaus liege in Österreich schützenswertes Familienleben gemäß Art. 8 EMRK vor, da sich hier die Mutter und Schwester aufhalten würden und sich der Beschwerdeführer um seine kranke Mutter kümmere.

Die Beschwerdevorlage vom 07.12.2018 langte am 12.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der Beschwerdeführer, dessen Identität nicht festgestellt werden kann, ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe.

2. Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Schwester und Mutter zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 21.10.2013 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Nach einem inhaltlich geführten Verfahren wurde sein Asylantrag mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2014, Zahl 831527902-1736927, abgewiesen. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde wurde nach Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen am 02.12.2014 und 30.12.2014 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.02.2015,

Zahl W216 2002029-1/18E, abgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 19.11.2015,

E 2173/2015-5, abgelehnt.

Nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens kam der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern blieb illegal im Bundesgebiet und brachte am 27.05.2016 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 23.06.2016, Zahl 3831527902-29031424, wurde gemäß § 12a Abs. 2 AsylG der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG aufgehoben und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.08.2016, Zahl W103 2128768-1/4E, die Rechtmäßigkeit der Aufhebung bestätigt.

Nachdem der Beschwerdeführer eine für den 15.11.2016 geplante Abschiebung durch massiven körperlichen Widerstand vereitelte, konnte eine für den 12.12.2016 vorgesehene Abschiebung in die Russische Föderation trotz erneuten Widerstands des Beschwerdeführers durchgeführt werden.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2018, Zahl 160744535, wurde der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache rechtskräftig zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer reiste in der Folge neuerlich illegal nach Österreich ein und stellte am 30.08.2018 den dritten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz. Bezüglich des Vorbringens des Beschwerdeführers zu den Gründen für die Stellung seines dritten Antrags auf internationalen Schutz ist festzustellen, dass sein Fluchtvorbringen eine inhaltliche Fortsetzung der bereits im ersten Asylverfahren geltend gemachten angeblichen Fluchtgründe darstellt, die in dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.02.2015, Zahl W216 2002029-1/18E, bereits als unglaubwürdig beurteilt wurden. Die Rechtskraft dieses Erkenntnisses steht einer neuerlichen Beurteilung desselben Vorbringens entgegen.

Im gegenständlichen Fall ergab sich auch weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen. In Bezug auf die individuelle Lage des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann keine sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem zuletzt über seinen Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und steht auch nicht in ärztlicher Behandlung. Er ist im arbeitsfähigen Alter und verfügt in der Russischen Föderation nach wie vor über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Nach seiner Abschiebung lebte der Beschwerdeführer bei seiner Großmutter und einem Freund und es ist davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr wieder bei Verwandten bzw. Freunden Unterkunft finden kann.

3. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich in keiner familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Zwar lebt der Beschwerdeführer mit seiner im Bundesgebiet subsidiär schutzberechtigten Mutter in einem gemeinsamen Haushalt, doch können zwischen ihnen keine wechselseitigen finanziellen oder sonstigen Abhängigkeiten erkannt werden. Weiters hält sich die Schwester des Beschwerdeführers mit einem Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf, doch lebt sie mit deren Mann und deren Sohn in einem eigenen Haushalt in einem anderen Bundesland und können zwischen den erwachsenen Geschwistern ebenso wenig finanzielle oder sonstige Abhängigkeiten erkannt werden. Nicht festgestellt werden kann eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich. Der Beschwerdeführer hat keinen Deutschkurs besucht und keine Deutschprüfungen abgelegt, ebenso wenig hat er im Bundesgebiet eine Ausbildung absolviert oder Weiterbildungen in Anspruch genommen. Der Beschwerdeführer war nie erwerbstätig und hat auch keine ehrenamtlichen Tätigkeiten geleistet. Der Beschwerdeführer bezieht aufgrund des Privatverzugs zu seiner Mutter seit 29.11.2018 keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung.

4. In Übereinstimmung mit den Feststellungen im gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 16.3. Zeugen Jehovas).

Änderungen seit Mai 2018:

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 05.07.2018 bzw. am 310.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.06.2011 am 20.09.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20.04.2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.04.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.08.2017 bis zum 29.09.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet: "Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

(ÖB Moskau (23.10.2018): Information per Email)

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

(ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email)

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz/Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

(ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email)

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.07.2018, vgl. GIZ 07.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 07.2018a, vgl. EASO 03.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 07.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.03.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.03.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.03.2018, FH 01.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.03.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.03.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 07.2018a, vgl. AA 05.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 07.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 07.2018a).

(AA - Auswärtiges Amt (05.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 01.08.2018

CIA - Central Intelligence Agency (12.07.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 01.08.2018

EASO - European Asylum Support Office (03.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

FH - Freedom House (01.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 01.08.2018

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (07.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 01.08.2018

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (07.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 01.08.2018

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.03.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.08.2018

Presse.at (19.03.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 01.08.2018

Standard.at (19.03.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 01.08.2018

Tagesschau.de (19.03.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 01.08.2018)

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 01.01.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.01.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.05.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.05.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 03.2018).

(AA - Auswärtiges Amt (21.05.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

GKS - Staatliches Statistikamt (25.01.2018): Bevölkerungsverteilung zum 01.01.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 01.08.2018

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 01.08.2018

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (03.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 01.08.2018)

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.08.2018a, vgl. BMeiA 28.08.2018, GIZ 06.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.08.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 04.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.06.2017).

(AA - Auswärtiges Amt (28.08.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.08.2018

BmeiA (28.08.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.08.2018

Deutschlandfunk (28.06.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.08.2018

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.08.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.08.2018

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (06.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.08.2018

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.08.2018)

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.05.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 04.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.01.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.01.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.06.2018).

(AA - Auswärtiges Amt (21.05.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

Caucasian Knot (29.01.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.08.2018

Caucasian Knot (21.06.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.08.2018

DW - Deutsche Welle (25.01.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.08.2018

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.08.2018

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.08.2018)

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 04.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 04.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.06.2018).

(Caucasian Knot (29.01.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.08.2018

Caucasian Knot (21.06.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.08.2018

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.08.2018

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.08.2018)

Rechtsschutz/Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 03.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer w

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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