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L92003 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Niederösterreich;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der A O in W, vertreten durch MMag. Forrest Spallinger, LL.M., Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 39, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 18. Jänner 2018, Zl. LVwG-AV-1545/001-2017, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. Oktober 2017 wurde dem Antrag der Revisionswerberin vom 10. Februar 2017 auf Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und Wohnbedarfs stattgegeben und ihr sowie den von ihr vertretenen beiden minderjährigen Kindern ab dem 10. Februar 2017 bis längstens 30. April 2017 näher genannte (monatliche) Geldleistungen nach dem Nö Mindestsicherungsgesetz (Nö MSG) gewährt.
2 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde. 3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 5. Dezember 2017 hob die
belangte Behörde ihren Bescheid vom 6. Oktober 2017 "von Amts wegen" auf und wies den Antrag der Revisionswerberin sowie ihrer beiden minderjährigen Kinder auf Gewährung von Leistungen nach dem Nö MSG "mangels Zuständigkeit" zurück.
4 Begründend führte die belangte Behörde aus, die Revisionswerberin und ihre Kinder hätten ihren Hauptwohnsitz am 21. Juli 2017 nach Wien verlegt und verfügten seither über keinen Wohnsitz in Niederösterreich. Es sei somit keine Zuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 32 Abs. 1 Nö MSG gegeben. Mangels anderer zuständiger Stelle in Niederösterreich habe das Anbringen auch nicht gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die zuständige Stelle weitergeleitet bzw. die Revisionswerberin dorthin verwiesen werden können.
5 Den dagegen eingebrachten Vorlageantrag wies das Landesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet ab (1.) und erklärte die Revision für nicht zulässig erklärt (2.).
6 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe den gegenständlichen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für sich und ihre beiden minderjährigen Kinder am 10. Februar 2017 bei der belangten Behörde gestellt. Sie seien bis zum 21. (richtig: 20.) Juli 2017 mit Hauptwohnsitz an einer näher genannten Adresse in Neunkirchen gemeldet gewesen, seit 21. Juli 2017 seien sie in Wien hauptwohnsitzgemeldet.
7 Der für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgebliche Zeitpunkt sei jener, in dem die Amtshandlung vorgenommen werde. Im gegenständlichen Fall seien während des Verfahrens vor der belangten Behörde durch den Umzug der Revisionswerberin und ihrer Kinder Änderungen in den für die Zuständigkeit maßgebenden tatsächlichen Umständen eingetreten. Die belangte Behörde habe somit gemäß § 6 Abs. 1 AVG ihre Unzuständigkeit von Amts wegen wahrnehmen und den Antrag zurückweisen müssen. Bei Änderung der maßgebenden Umstände, wie im vorliegenden Fall durch die Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Wien, sei das Verfahren vor der nunmehr zuständigen Behörde fortzuführen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die in den Zulässigkeitsgründen vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wahrnehmung der behördlichen Zuständigkeit abgewichen.
9 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die Nö Landesregierung eine Revisionsbeantwortung.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
11 Im Hinblick darauf, dass dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses zufolge der "Vorlageantrag" der Revisionswerberin abgewiesen wurde, ist vorweg auf Folgendes hinzuweisen: Das Rechtsmittel, über welches das Verwaltungsgericht im Falle eines gegen eine Beschwerdevorentscheidung gerichteten zulässigen Vorlageantrages zu entscheiden hat, bleibt dennoch die Beschwerde. Der Vorlageantrag richtet sich nach dem VwGVG nämlich nur darauf, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt wird. Gegenstand der Prüfung auf eine Verletzung eines Vorlageantragstellers ist jedoch nicht der ursprüngliche Bescheid, sondern die Beschwerdevorentscheidung. Im Revisionsfall ist das angefochtene Erkenntnis zweifelsfrei dahin zu verstehen, dass damit die Beschwerde abgewiesen und der Spruch der Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 5. Dezember 2017 bestätigt wurde (vgl. zu all dem VwGH 25.10.2017, Ro 2017/12/0014, mwN).
12 Die Revision ist zulässig und begründet.
13 Gemäß § 6 Abs. 1 AVG hat die Behörde ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.
14 Gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 Nö Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 9205-0 idF LGBl. Nr. 63/2017 (Nö MSG), haben Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (hilfsbedürftige) Personen, die ihren Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt in Niederösterreich haben.
15 Gemäß § 31 Abs. 1 leg. cit. ist, soweit in diesem Gesetz nicht anderes bestimmt wird, die Bezirksverwaltungsbehörde sachlich zuständig.
16 Gemäß § 32 Abs. 1 erster Satz leg. cit. richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde nach dem Hauptwohnsitz der Hilfe suchenden Person, in Ermangelung eines solchen nach deren Aufenthalt.
17 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialhilfe- bzw. Mindestsicherungsrecht ein zeitraumbezogener Abspruch, was bedeutet, dass von der Behörde die Sach- und Rechtslage ab dem Zeitpunkt der Antragstellung zeitraumbezogen heranzuziehen ist (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 17.9.1991, 91/08/0004; 27.4.1993, 93/08/0019; 30.9.1994, 93/08/0036; 14.3.2008, 2006/10/0201; 4.7.2018, Ro 2018/10/0017, jeweils mwN). Ein Abspruch über die Gewährung von Sozialhilfe bzw. Mindestsicherungsleistungen gilt - sofern im Bescheid nicht ein abweichender Endzeitpunkt festgelegt ist - für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren (vgl. den zitierten Beschluss VwGH 91/08/0004).
18 Im gegenständlichen Fall hatten die Revisionswerberin und ihre minderjährigen Kinder unstrittig im Zeitpunkt der Antragstellung, dem 10. Februar 2017, und in weiterer Folge bis zum 20. Juli 2017 ihren Hauptwohnsitz in Niederösterreich, konkret im Sprengel der belangten Behörde. Sie unterfielen in diesem Zeitraum daher dem Nö MSG.
19 Die belangte Behörde war demnach gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 iVm §§ 31 Abs. 1 und 32 Abs. 1 Nö MSG zuständig, über einen längstens bis zum 20. Juli 2017 nach Maßgabe des Nö MSG bestehenden Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen der Revisionswerberin und ihrer Kinder zu entscheiden.
20 Indem die belangte Behörde mit Bescheid vom 6. Oktober 2017 in merito über den Mindestsicherungsanspruch für den Zeitraum vom 10. Februar 2017 bis 30. April 2017 abgesprochen hat, hat sie ihre (sachliche und örtliche) Zuständigkeit daher zu Recht wahrgenommen.
21 Auf den Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (nach erfolgter Hauptwohnsitzverlegung) kam es - infolge der Zeitraumbezogenheit des zu beurteilenden Mindestsicherungsanspruchs - dabei nicht an, was sowohl die belangte Behörde bei Erlassung der Beschwerdevorentscheidung als auch das Verwaltungsgericht verkannt haben.
22 Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, das Verfahren wäre (nach Verlegung des Hauptwohnsitzes der Revisionswerberin und ihrer Kinder am 21. Juli 2017) "vor der nunmehr zuständigen Behörde weiterzuführen", bleibt im Dunkeln, welche Behörde damit gemeint ist, zumal die Zuständigkeit einer Wiener Behörde zur Entscheidung über einen Anspruch nach dem Nö MSG nicht in Betracht kommt (vgl. VwGH 27.11.2012, 2009/10/0083, betreffend Unzuständigkeit einer bgld. Behörde zur Vollziehung des Stmk. SHG).
23 Entgegen der Auffassung der Nö Landesregierung in der Revisionsbeantwortung lässt sich auch aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 1997, 95/08/0237, für den Standpunkt des Verwaltungsgerichts nichts gewinnen, wurden doch die Anträge der dortigen Beschwerdeführerin auf Leistungen nach dem Wr. Sozialhilfegesetz deshalb zurückgewiesen, weil sie auf die Gewährung von Leistungen für einen Zeitraum gerichtet waren, in dem die Beschwerdeführerin die Voraussetzung des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts in Wien (§ 38 Wr. SHG) schon nicht mehr erfüllte.
24 Das angefochtene Erkenntnis ist sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 27. Februar 2019
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltMaßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der RechtskraftBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018100052.L00Im RIS seit
27.03.2019Zuletzt aktualisiert am
10.04.2019