TE Vwgh Beschluss 2019/2/27 Ra 2017/10/0121

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Veröffentlicht am 27.02.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E15202000;
E3R E15203000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

32011R1169 Verbraucherinformation Lebensmittel Art8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
LMSVG 2006 §36;
LMSVG 2006 §86;
LMSVG 2006 §92;
VStG §17;
VStG §32 Abs1;
VStG §56 Abs2;
VStG §57 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der R GmbH in O, vertreten durch Dr. Bernd Roßkothen, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Alpenstraße 54, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 31. Mai 2017, Zl. LVwG 41.11-671/2017-8, betreffend Abweisung eines Antrags auf Parteistellung in einem Verwaltungsstrafverfahren nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Voitsberg), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Abweisung ihres Antrages auf Parteistellung in einem wegen Fehlens des als erforderlich erachteten Zutatenverzeichnisses gegen einen von ihr verschiedenen Beschuldigten geführten Verwaltungsstrafverfahrens nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) ab. Zudem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Darin wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es fehle an Rechtsprechung zur Frage der aus Art. 8 der VO (EU) Nr. 1169/2011 abzuleitenden Parteistellung des danach verantwortlichen Lebensmittelunternehmers (auch) in einem gegen einen von diesem verschiedenen Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren. Die Parteistellung der Revisionswerberin sei aber auch aufgrund ihres Vorbehaltseigentums und der ihr zukommenden Immaterialgüterrechte an den von Verfall bedrohten Sachen zu bejahen, weil sie deshalb von einem "Ausspruch des Verfalls gem. § 92 LMSVG" betroffen sei (Hinweis auf VwGH 17.9.2010, 2006/04/0187). Weiters sei das Verwaltungsgericht von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren keine öffentliche Verhandlung durchgeführt habe (Hinweis auf VwGH 14.11.2017, Ra 2017/09/0042).

3 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurück-, in eventu Abweisung der Revision sowie die Zuerkennung von Schriftsatzaufwand beantragt.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 Die Zulassungsbegründung ist nicht geeignet, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen:

7 Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens sind kraft ausdrücklicher Bestimmungen des VStG 1991 der Beschuldigte (vgl. § 32 Abs. 1 VStG), der Privatankläger (vgl. § 56 Abs. 2 VStG) und der Privatbeteiligte (vgl. § 57 Abs. 1 VStG). Des Weiteren ergibt sich aus § 17 VStG eine Parteistellung des vom Beschuldigten verschiedenen Eigentümers eines vom Verfall bedrohten Gegenstandes (vgl. VwGH 27.5.2009, 2009/04/0104; 27.4.2017, Ro 2015/07/0002; vgl. auch Wessely in Raschauer/Wessely (Hrsg), VStG2 § 17 VStG Rz 16).

8 Die Revisionswerberin ist unbestritten nicht Beschuldigte des Verwaltungsstrafverfahrens. Es liegt auch kein Privatanklagedelikt iSd § 56 Abs. 1 VStG vor. Eine Parteistellung als Privatbeteiligte iSd § 57 Abs. 1 VStG scheitert daran, dass das LMSVG keine Bestimmung enthält, die die Behörde dazu verpflichtet, auch über die aus einer Verwaltungsübertretung wegen Verstoßes gegen Lebensmittelkennzeichnungsvorschriften abgeleiteten privatrechtlichen Ansprüche zu entscheiden.

9 Soweit die Revisionswerberin ihre Parteistellung aus dem (Vorbehalts-)Eigentum samt Immaterialgüterrechten an den anhand einer Kontrolle im Betrieb eines von ihr verschiedenen Lebensmittelunternehmers beanstandeten und verfallsbedrohten Waren ableiten will, ist dies schon deshalb nicht zielführend, weil die lebensmittelrechtlich beanstandeten Waren nicht verfallsbedroht sind. Das LMSVG enthält nämlich keine Rechtsgrundlage für die Verfallserklärung von Gegenständen. Zwar wird in mehreren Bestimmungen auf den Verfall von Waren bzw. Geldbeträgen Bezug genommen (vgl. §§ 36 und 86 LMSVG) und in § 92 leg. cit. die Verwertung von "für verfallen erklärten Waren" geregelt, somit die Möglichkeit der Verfallserklärung vorausgesetzt, doch ist dem LMSVG aktuell entgegen diesen Hinweisen keine ausdrückliche Grundlage für eine Verfallserklärung zu entnehmen. In Ermangelung einer materiell-rechtlichen Grundlage für eine Verfallserklärung können die beanstandeten Gegenstände, an denen die Revisionswerberin Rechte zu haben behauptet, nicht vom Verfall bedroht und damit auch nicht Anknüpfungspunkt für eine daraus abzuleitende Parteistellung sein.

10 Das Verwaltungsgericht ist insoweit nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren abgewichen.

11 Zum Nichtvorliegen von Judikatur zur Frage einer aus

Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (im Folgenden: Lebensmittelinformationsverordnung) ableitbaren Parteistellung eines Lebensmittelunternehmers (auch) in einem gegen einen von diesem verschiedenen Beschuldigten geführten Verwaltungsstrafverfahren ist auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach das bloße Fehlen einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer Rechtsfrage nicht automatisch zur Zulässigkeit einer Revision führt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt dann nicht vor, wenn es trotz fehlender Rechtsprechung auf Grund der eindeutigen Rechtslage keiner Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedarf (vgl. zB VwGH 18.12.2018, Ra 2016/04/0138, mwN).

12 Art. 8 Lebensmittelinformationsverordnung lautet:

"Artikel 8

Verantwortlichkeiten

(1) Verantwortlich für die Information über ein Lebensmittel ist der Lebensmittelunternehmer, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird, oder, wenn dieser Unternehmer nicht in der Union niedergelassen ist, der Importeur, der das Lebensmittel in die Union einführt.

(2) Der für die Information über das Lebensmittel verantwortliche Lebensmittelunternehmer gewährleistet gemäß dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht und den Anforderungen der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften das Vorhandensein und die Richtigkeit der Informationen über das Lebensmittel.

(3) Lebensmittelunternehmer, deren Tätigkeiten die Informationen über Lebensmittel nicht beeinflussen, dürfen keine Lebensmittel abgeben, von denen sie aufgrund der ihnen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit vorliegenden Informationen wissen oder annehmen müssen, dass sie dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht und den Anforderungen der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entsprechen.

(4) Lebensmittelunternehmer dürfen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen keine Änderung der Informationen zu einem Lebensmittel vornehmen, wenn diese Änderung den Endverbraucher irreführen oder in anderer Weise den Verbraucherschutz und die Möglichkeit des Endverbrauchers, eine fundierte Wahl zu treffen, verringern würde. Die Lebensmittelunternehmer sind für jede Änderung, die sie an den Informationen zu einem Lebensmittel vornehmen, verantwortlich.

(5) Unbeschadet der Absätze 2 bis 4 stellen die Lebensmittelunternehmer in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen die Einhaltung der für ihre Tätigkeiten relevanten Anforderungen des Lebensmittelinformationsrechts und der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften sicher und prüfen die Einhaltung dieser Vorschriften nach.

(6) Die Lebensmittelunternehmer stellen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen sicher, dass Informationen über nicht vorverpackte Lebensmittel, die für die Abgabe an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, an den Lebensmittelunternehmer übermittelt werden, der die Lebensmittel erhält, damit erforderlichenfalls verpflichtende Informationen über das Lebensmittel an den Endverbraucher weitergegeben werden können.

(7) In folgenden Fällen stellen die Lebensmittelunternehmer in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen sicher, dass die nach den Artikeln 9 und 10 verlangten verpflichtenden Angaben auf der Vorverpackung oder auf einem mit ihr verbundenen Etikett oder aber auf den Handelspapieren, die sich auf das Lebensmittel beziehen, erscheinen, sofern gewährleistet werden kann, dass diese Papiere entweder dem Lebensmittel, auf das sie sich beziehen, beiliegen oder aber vor oder gleichzeitig mit der Lieferung versendet wurden:

a) wenn vorverpackte Lebensmittel für den Endverbraucher

bestimmt sind, aber auf einer dem Verkauf an den Endverbraucher vorangehenden Stufe vermarktet werden, sofern auf dieser Stufe nicht der Verkauf an einen Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung erfolgt;

b) wenn vorverpackte Lebensmittel für die Abgabe an

Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, um dort zubereitet, verarbeitet, aufgeteilt oder geschnitten zu werden.

Ungeachtet des Unterabsatzes 1 stellen Lebensmittelunternehmer sicher, dass die in Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben a, f, g und h genannten Angaben auch auf der Außenverpackung erscheinen, in der die vorverpackten Lebensmittel vermarktet werden.

(8) Lebensmittelunternehmer, die anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefern, die nicht für die Abgabe an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, stellen sicher, dass diese anderen Lebensmittelunternehmer ausreichende Informationen erhalten, um ihre Verpflichtungen nach Absatz 2 erfüllen zu können."

13 "Lebensmittelunternehmer" sind gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a Lebensmittelinformationsverordnung iVm Art. 3 Z 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (EG-Basisverordnung) die natürlichen oder juristischen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Anforderungen des Lebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen erfüllt werden.

14 Die Revisionswerberin geht davon aus, dass sie iSd Art. 8 Abs. 1 Lebensmittelinformationsverordnung für die Information über die wegen fehlender Zutatenverzeichnisse beanstandeten Waren verantwortlich ist, und leitet daraus ab, dass ihr im Verwaltungsstrafverfahren gegen den von ihr verschiedenen Beschuldigten Parteistellung einzuräumen wäre. Der Revisionswerberin ist zuzugestehen, dass sich aus der genannten Bestimmung die Verantwortlichkeit des Lebensmittelunternehmers, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird, für die Information über dieses Lebensmittel ergibt. Dass daraus ein Recht des danach Verantwortlichen abgeleitet werden könnte, in jedem solche Lebensmittel betreffenden Strafverfahren gegen andere Beschuldigte als Partei beigezogen zu werden, ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 Lebensmittelinformationsverordnung jedoch nicht, zumal es sich dabei um eine ausschließlich Verpflichtungen schaffende Bestimmung handelt.

15 Sollte die Revisionswerberin meinen, das Verwaltungsstrafverfahren, in dem sie Parteistellung begehrt, werde nicht gegen den tatsächlich Verantwortlichen geführt, so könnte sie - selbst wenn dies zuträfe - dadurch nicht in ihren Rechten verletzt sein.

16 Soweit die Zulässigkeit der Revision mit der Nichtdurchführung einer öffentlichen Verhandlung im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren begründet wird, geht aus den nicht näher konkretisierten Ausführungen nicht hervor, inwiefern in diesem Zusammenhang ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Verhandlungspflicht vorliegen soll.

17 Die Revision war daher zurückzuweisen.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG iVm der Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Februar 2019

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017100121.L00

Im RIS seit

27.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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