TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/30 95/21/0932

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Veröffentlicht am 30.04.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §13 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §54 Abs2;
MRK Art13;
MRK Art3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des DM, (geboren am 1. Jänner 1977), in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 2. Februar 1995, Zl. Fr 1162/1-1994, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Mai 1994 war der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines liberianischen Staatsbürgers, gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen worden.

Bei einer niederschriftlichen Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Graz am 15. Juni 1994 gab der Beschwerdeführer an, seine Heimat aufgrund der politischen Situation und der Ermordung seiner Eltern in Monrovia verlassen zu haben und verwies dazu auf die Angaben, die er im Verlauf des Asylverfahrens gemacht hatte. Von der Behörde davon in Kenntnis gesetzt, dass er sich unrechtmäßig in Österreich aufhalte und somit Österreich zu verlassen habe, widrigenfalls gegen ihn eine Ausweisung bzw. die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie auch die Schubhaft und die Abschiebung in seine Heimat vorgenommen würden, äußerte sich der Beschwerdeführer nach der Niederschrift der Bundespolizeidirektion Graz vom 15. Juni 1994 wie folgt:

"In meine Heimat kann und will ich nicht zurückkehren, da ich dort mit meiner Ermordung zu rechnen habe. Diesbezüglich verweise ich abermals auf meine Angaben im Asylverfahren."

Die Bundespolizeidirektion Graz erließ daraufhin einen Bescheid vom 22. Juni 1994, mit welchem sie gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, feststellte, dass keinerlei stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu sein bzw. dass dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht sei. In der Begründung dieses Bescheides befasste sich die Bundespolizeidirektion Graz mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Asylverfahren, wonach seine Eltern in Liberia von Angehörigen einer politischen Gruppe ermordet worden seien, die auch versucht habe, ihn zu töten, und verneinte eine Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG deswegen, weil eine solche nicht durch staatliche Organe drohe und auch die Angaben des Beschwerdeführers "mehr als unglaubwürdig" seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er sachverhaltsbezogene Angaben hinsichtlich der Stichhaltigkeit der ihm drohenden Gefahr machte und auch wie folgt ausführte:

"Ich fordere daher eine genauere Prüfung über die politische Situation in Liberia, unabhängig vom Asylverfahren. Denn dieses ist auf die Situation in Liberia in keinerweise eingegangen."

Daraufhin erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (belangte Behörde) den mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid vom 2. Februar 1995, mit dem sie der Berufung "keine Folge" gab und aussprach, dass der Bescheid der Behörde erster Instanz "mangels Vorliegen eines Antrages gem. § 54

(1) FrG ersatzlos aufgehoben" werde.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der Bundespolizeidirektion Graz vom 22. Juni 1994 keinen konkreten Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß § 54 FrG gestellt gehabt habe; eine konkludente Antragstellung sei unzulässig.

Die Behörde erster Instanz habe es unterlassen, den Beschwerdeführer niederschriftlich auf die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 54 FrG hinzuführen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte und von diesem mit Beschluss vom 13. Juni 1995 dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit welcher der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft und dessen Aufhebung beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 54 Abs. 1, 2 und 4 FrG lautet:

"§ 54. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 bedroht ist.

(2) Der Antrag kann nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

...

(4) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in diesen Staat nicht abgeschoben werden. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen."

Mit § 54 FrG wurde bezweckt, "einem von der Abschiebung bedrohten Fremden eine 'wirksame Beschwerde' im Sinne des Art. 13 EMRK" einzuräumen, "sich gegen eine vermeintliche unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zur Wehr zu setzen" (vgl. die Erl. der RV zum Fremdengesetz 692 BlgNR 18. GP, 55).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind für die Beurteilung eines Anbringens (§ 13 AVG) dessen wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Es kommt nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen an, sondern auf den Inhalt des Anbringens, das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes. Ist erkennbar, dass ein Antrag entgegen seinem Wortlaut auf etwas anderes abzielt, kommt es auf die erkennbare Absicht des Einschreiters an (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 95/21/1079). Hat ein Anbringen einen unklaren oder einen nicht genügend bestimmten Inhalt, so hat die Behörde den Gegenstand des Anbringens von Amts wegen - etwa durch Vernehmung der Beteiligten - zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 96/20/0530). An Anträge gemäß § 54 Abs. 1 FrG dürfen in formeller Hinsicht im Lichte der Art. 3 und 13 EMRK keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Vernehmung am 15. Juni 1994, er wolle nicht in seine Heimat zurückkehren, da er dort mit seiner Ermordung zu rechnen habe, und er verweise diesbezüglich auf seine Angaben im Asylverfahren, durchaus als einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinn des § 54 Abs. 1 FrG zu werten gehabt hätte, zumal der Beschwerdeführer anlässlich dieser niederschriftlichen Einvernahme entgegen § 54 Abs. 2 FrG über die Möglichkeit der Stellung eines solchen Antrages nicht in Kenntnis gesetzt worden war. Der Beschwerdeführer hat auch in seiner Berufung auf zweifelsfreie Weise zum Ausdruck gebracht, dass er die Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Liberia beantragt habe, und auf diese Weise sein anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 15. Juni 1994 gestelltes Begehren bekräftigt. Dies hat die belangte Behörde verkannt und den Beschwerdeführer damit in seinem Recht auf meritorische Erledigung seines Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Liberia verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. April 1999

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1995210932.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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