TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/18 L526 2153159-1

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Veröffentlicht am 18.12.2018
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Entscheidungsdatum

18.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L526 2153164-1/17E

L526 2153167-1/14E

L526 2153159-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde XXXXStA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.08.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde von

XXXX StA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2017, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.08.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX StA. Irak, vertreten durch den Vater XXXXals gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.08.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Der erstangeführte Beschwerdeführer (nachfolgend auch "BF" oder "BF 1" genannt) ein irakischer Staatsbürger, stellte am 22.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierzu wurde er am nächsten Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Im Wesentlichen führte der BF dabei aus, dass in Bagdad jetzt ein Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten herrsche. Als Militäroffizier, auch weil er mit Vornamen Omar heiße und in letzter Zeit 40 Personen mit dem Namen Omar ermordet worden seien, habe er Angst, dass auch er ermordet werde.

1.2. Am 30.11.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der nunmehr belangten Behörde (im Weiteren kurz: "BFA" oder "bB" genannt) niederschriftlich einvernommen.

Dabei brachte BF1 im Wesentlichen vor, dass er nach der Matura 4 Jahre die Militär-Akademie besucht, diese im Jahr 2009 abgeschlossen habe und als Oberleutnant ausgemustert worden sei. Danach sei er im Ministerium für Landesverteidigung in Bagdad bis zum 31.08.2014 angestellt gewesen. Bis 2013 sei er in der Provinz XXXX in verschiedenen Orten in Kasernen tätig gewesen, die letzten 2 Jahre in der Stadt XXXX, Stadtviertel XXXX im Zentrum. Gewohnt habe er immer in Bagdad. Bis 2010 habe er bei seinen Eltern gelebt, ab 2010 mit seiner Frau in einer Eigentumswohnung im selben Stadtviertel wie seine Eltern.

Am XXXX sei er von Bagdad nach Erbil in den Nordirak geflogen. Nach 2 Tagen sei er nach Istanbul weitergeflogen. Er sei ca. 2 Monate in Istanbul gewesen, dann sei er schlepperunterstützt mit einem Auto nach Belgrad und von dort über ihm unbekannte Länder nach Österreich gefahren. Am 21.10.2014 sei er in Österreich angekommen.

Am letzten Tag seines Aufenthaltes im Irak sei er nach der Arbeit nach Bagdad gefahren und habe sich dann von seiner Familie verabschiedet, anschließend sei er nach Erbil geflogen.

Die Frage, ob gegen ihn aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc. bestünden, bejahte er; er habe seine Dienststelle ohne Erlaubnis verlassen. Sobald man den Dienst ohne Erlaubnis verlasse, werde man gesucht und man werde auch in Abwesenheit verurteilt. Der Präsident habe am 09.06.2014 einen Erlass verfügt, der eine unerlaubte Entfernung von der Truppe mit der Todesstrafe bestrafe. Früher sei man 7 bis 10 Jahre eingesperrt worden.

Die Frage ob der BF in seinem Herkunftsstaat aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme habe, bejahte er - wegen der Religion und zwar mit der schiitischen Miliz ASAEB AHL ALHAQ. In der letzten Zeit habe die schiitische Miliz ASAEB AHL ALHAQ eine große Macht in Bagdad erreicht und diese würden jeden umbringen, der OMAR heiße. Sie hätten ihn bedroht, dass er entweder seine Dienststelle verlassen müsse, oder sie würden ihn umbringen. Er habe auch einen Beweis dafür vorgelegt. Diese Milizen hätten in letzter Zeit, besonders nach den Vorfällen vom 09.06.2014 auch Macht über die irakische Armee bekommen. Sie hätten an einem Tag 40 Menschen getötet, die Omar heißen.

Im Juni 2014 habe er einen Drohbrief erhalten. Insgesamt habe er mehrere SMS und mehrere Zettel erhalten; einmal sei auch eine Patrone dabei gewesen. In den Drohbriefen bzw. Zetteln sei gestanden, dass sie ihn verfolgen, sie würden ihn bald haben und töten und er solle sein Wohngebiet verlassen. Er habe einmal eine SMS bekommen und 2 Tage danach den Zettel. Circa 10 Tage danach, so glaube er, sei wieder eine SMS da gewesen. Als Absender vom Drohbrief und der SMS seien keine einzelnen Personen angegeben gewesen, sondern nur die Miliz. Fünf Tage vor seiner Ausreise habe er die letzte SMS bekommen, diese letzten 5 Tage sei nichts passiert und er sei auf seiner Dienststelle in XXXX gewesen. Es sei nur ein Drohbrief gewesen und den habe er zuhause bekommen, der sei bei der Türe unten durchgeschoben worden. Persönlich sei er nicht bedroht worden. Als der IS den Irak und die sunnitischen Gebiete übernommen habe, da habe die irakische Armee nichts unternommen, deswegen hätten die schiitischen Religionsführer mehr die Milizen verstärkt. Diese hätten im Namen des Gesetzes die Macht ausüben dürfen. Begonnen habe dies ab dem 09.06.2014.

Seiner Frau im Irak sei zwar nichts passiert, aber diese Miliz habe zuhause nach ihm gesucht; dies habe seine Frau so geärgert und sie sei in so einem schlechten Zustand gewesen, dass sie sich selbst an der Hand verletzt habe; sie habe sich die Pulsader aufgeschnitten. Sie sei im Krankenhaus betreut worden und habe dann bis zu ihrer Ausreise bei seinen Eltern gewohnt.

Einer erwerbstätigen Arbeit gehe er in Österreich nicht nach, sondern machte bzw. mache freiwillige Tätigkeiten bei der Gemeinde und beim Roten Kreuz während und nach der Flüchtlingswelle. Er lebe von der Grundversorgung.

BF1 legte Bestätigungen über Deutschkurse bis Niveau B1 vor. Er nehme an Marathonläufen teil, welche von einem Sportverein organisiert werden. Er habe viele österreichische Freunde in XXXX. Drei Tage in der Woche gehe er in einen Deutschkurs und 2 Tage mache er bei der Gemeinde freiwillige Tätigkeiten. Bei der Gemeinde übernehme er leichte Tätigkeiten wie Gartenarbeiten oder Hilfstätigkeiten wie Straßenreinigungen, Beleuchtungen montieren usw.

Vom BFA wurden folgende Dokumente des BF berücksichtigt:

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ID-Karte-Karte XXXX (echt)

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Dienstausweis - Militär (Armee) und Übersetzung des Inhaltes

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Drohbrief und Übersetzung des Inhaltes

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Anzeige wegen einer Bedrohung an die allgemeine Polizeidirektion in Bagdad und Übersetzung des Inhaltes

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Mitteilung des Gerichtes Bagdad an das Polizeiamt XXXX

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Heiratsprotokoll und Übersetzung des Inhaltes

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Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes über ehrenamtliche Tätigkeiten

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Bescheinigung über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs beim Roten Kreuz

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Arbeitsbestätigung für Tätigkeiten beim städtischen Bauhof XXXX

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Bescheinigung über die Teilnahme an der Grundbildung - Fokus Deutsch

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Bescheinigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs A1

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Bescheinigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs A2

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ÖSD Zertifikat A1

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ÖSD Zertifikat A2

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ÖSD Zertifikat B1

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Deutschkurs "Flüko A2", ausgestellt von der WIFI OÖ GmbH

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Deutschkurs "Flüko B1", ausgestellt von der WIFI OÖ GmbH

2.1. Die an zweiter Stelle angeführte Beschwerdeführerin (nachfolgend auch "BF" oder "BF 2" genannt - sie ist die Ehefrau von BF1), eine irakische Staatsbürgerin, stellte am 12.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierzu wurde sie am nächsten Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Im Wesentlichen führte die BF dabei aus, dass sie von schiitischen Milizen bedroht worden sei. Ihr Mann [BF 1] sei Sunnit und sei beim irakischen Militär gewesen. Ihr Mann sei von den schiitischen Milizen bedroht worden und nach Österreich geflüchtet. Seit dieser nicht mehr im Irak sei, sei auch sie selbst von den schiitischen Milizen bedroht worden und habe nach Österreich flüchten müssen. Sie habe sich aufgrund ihrer persönlichen Situation (immer Verstecken) bereits ein paar Mal selbst umbringen wollen.

2.2. Am 03.01.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren kurz: "BFA") niederschriftlich einvernommen. BF 1 sei ihr Mann, BF 3 sei das gemeinsame, in Österreich nachgeborene Kind. Mit ihrem Mann habe sie in einer Mietwohnung gelebt; nachdem ihr Mann den Irak verlassen hatte, habe sie 3 Monate allein in der Wohnung gelebt. Erst nach 3 Monaten habe sie erfahren, dass ihr Mann den Irak verlassen hatte.

Ihr Mann als Sunnit sei von schiitischen Gruppierungen verfolgt und auch belästigt worden. Wegen dieser Verfolgung hätten sie sich nicht mehr sehen können. Durch seine Eltern hätten sie sich ab und zu treffen können.

Sie hätten im Jahr 2008 geheiratet und vorerst bei den Schwiegereltern gewohnt, ab 2010 hätten sie eine eigene Wohnung gemietet. Im Jahr 2010 hätten dann die Probleme begonnen, ihr Mann sei sowohl von den Schiiten als auch von der Regierung verfolgt worden. Zwischen 2010 und 2013 habe er nur teilweise bei ihr gewohnt und teilweise wo anders. Die schiitischen Gruppierungen seien in ihrer Wohnung gewesen und hätten ihn gesucht. Ab 2013 sei ihr Mann nur noch zweitweise in der Wohnung gewesen, er habe das damit begründet, dass er von den Schiiten und auch vom Land bzw. der Regierung verfolgt werde. Wann ihr Mann den Irak verlassen habe, wisse sie nicht mehr genau, es sei im Jahr 2013 gewesen, das Monat wisse sie nicht mehr. Auf Vorhalt, dass ihr Mann am 31.08.2014 das Land verlassen habe, berichtigte die BF 2, sie habe 2014 gemeint und nicht 2013.

Weil sie Schiitin sei und ihr Mann Sunnite, hätte sie Probleme gehabt. Die Schiiten seien mehrmals in ihrer Wohnung gewesen und hätten ihren Mann gesucht. Sie hätten ihre Möbel zerstört und habe sie wegen dieser Probleme zweimal versucht, sich umzubringen. Danach habe sie selber entschieden, das Land zu verlassen. Als die schiitischen Gruppierungen bei ihr zuhause waren und alles zerstört hätten, habe sie immer Angst gehabt, dass diese sie vergewaltigen. Direkt sei sie selbst aber nicht bedroht worden.

3. Für das in Österreich nachgeborene Kind (BF 3) wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

4. Die Anträge der BF1 bis BF3 auf internationalen Schutz wurden jeweils mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.03.2017, XXXX (BF 1) bzw. vom 09.03.2017, Zl.: XXXX (BF 2) und XXXX(BF 3), gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (BF 1) bzw. § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG (BF2 und BF3) wurde den BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung (BF1 bis 08.03.2018; BF2 und BF3 bis 09.03.2018) erteilt.

Die bB begründete die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass den Angaben des BF1 mangels Glaubwürdigkeit nicht zu folgen gewesen sei, BF2 und BF3 hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Des Weiteren traf die bB umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

5. Mit Verfahrensanordnungen der bB vom 10.03.2017 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG den Beschwerdeführern jeweils amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Der Bescheid wurde den Beschwerdeführern am 13.03.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 10.04.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Begründend wurde ausgeführt, dass BF1 vorgebracht habe, er sei seit den massiven Übergriffen der schiitischen Milizen im Juni 2014 als Sunnit äußerst gefährdet. Er trage den Vornamen "Omar" und sei schon durch diesen Namen eindeutig als Sunnit erkennbar und schon aus diesem Grund in Lebensgefahr. Als Anfang 2013 die Macht der Schiiten auch über das Militär immer größer geworden sei, hätten seine Probleme aus religiösen Gründen begonnen. Ab Juni 2014 sei er konkret mit Drohbriefen bzw. Droh-SMS mit dem Tode bedroht worden. Die Antwort auf die Frage, ob er persönlich bedroht worden sei, sei verkürzt wiedergegeben worden, weil sich die Drohungen dahingehend fortgesetzt hätten, dass die Milizen den BF in seiner Wohnung gesucht und dort die Möbel zerstört hätten.

Der Bruder des BF, XXXX, sei im Juni 2014 umgebracht worden und gehe der BF davon aus, dass man seinen Bruder mit ihm verwechselt habe. Zudem sei ein Cousin des BF am 13.11.2015 in seinem Haus erschossen worden.

Die Ehefrau des BF habe nach dem Übergriff in ihrer Wohnung einen Suizidversuch unternommen und sei anschließend zu den Schwiegereltern gezogen. Es habe ein weiteres Eindringen der Verfolger in die Wohnung gegeben und auch einen zweiten Suizidversuch. Der BF habe nach den Bedrohungen seine Dienststelle nicht mehr verlassen, bis er schließlich die Flucht aus dem Land habe ergreifen können. Dem BF drohe als Sunnit Verfolgung aus religiösen Gründen bzw. Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Todesstrafe aufgrund unerlaubten Verlassens des Militärdienstes und damit Verfolgung aus (unterstellter) politischer Gesinnung. Zum Vorhalt, dass der BF die Anzeige wegen der Bedrohung erst circa sechs Wochen nach dem Erhalt des Drohbriefes gemacht habe, wurde darauf hingewiesen, dass der BF in dieser Zeit im Dienst war und nicht frei gehabt habe. In der Dienststelle sei er zudem am sichersten gewesen. Soweit die Behörde ausführe, dass der BF bis zum Tage seiner Bedrohung ohne Probleme in Bagdad habe leben können, werde ausgeführt, dass der BF wiederholt angegeben habe, dass er seit der Zunahme des Terrors durch IS bzw. schiitische Milizen ab Juni 2014 zunehmend Schwierigkeiten gehabt habe. Angesichts der Gefährdungslage habe die Behörde es unterlassen, entsprechende Ermittlungen durchzuführen. Die Beschwerde verweist unter Hinweis auf einen Bericht vom 13.10.2014 von Amnesty International und einen Bericht des "Standard" vom 09.06.2016 auf die prekäre Lage hinsichtlich der Übergriffe durch schiitische Milizen. Bei hinreichender Ermittlungstätigkeit, richtiger Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung hätte dem BF aus Gründen Verfolgung wegen seiner Religion bzw. unterstellter politischer Anschauung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden müssen. In der Beilage befindet sich eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.10.2016 zu Verfolgung aufgrund eines "sunnitischen/schiitischen Namens"

7. Am 18.07.2018 wurden aktuelle länderkundliche Informationen zur Lage im Irak vom

4.6.2018 auf der Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 30.6.2017 zusammen mit der Einladung zu dieser Verhandlung übermittelt und die BF wurden eingeladen, eine schriftliche Stellungnahme zu den übergebenen länderkundlichen Informationen bis zur mündlichen Verhandlung oder eine mündliche Stellungnahme in der Verhandlung abzugeben.

8. Am 6.8.2018 wurde eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Unter Anführung verschiedener Berichte zu den jeweiligen Themen werden darin Ausführungen zur Sicherheitslage im Land, vor allem in Bezug auf die schiitischen Milizen und die Lage der Sunniten getätigt sowie erstmals auf die westliche Orientierung der BF2 hingewiesen.

9. Am XXXX2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Anlässlich der Verhandlung wurde den Beschwerdeführern die Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden den BF nachfolgende Länderfeststellungen genannt und - mit Ausnahme der bereits übermittelten länderkundlichen Informationen - übergeben, deren Inhalt erörtert und als Beilage zur Verhandlungsschrift genommen:

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Aktuelle länderkundliche Informationen zur Lage im Irak vom 4.6.2018 auf der Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 30.6.2017, übermittelt zusammen mit der Einladung zu dieser Verhandlung

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Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in XXXX, ACCORD Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Dokumentation vom 8. März 2018

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Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Irak: Verfolgung aufgrund eines sunnitischen Namens vom 7. Mai 2018

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Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Irak: Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee vom 24.10.2016.

Den BF wurde auch die Gelegenheit gegeben, sich binnen einer Frist von vierzehn Tagen zu den ins Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zu äußern.

10. Mit Schreiben vom 17.08.2018 nahmen die BF zu den zuvor genannten Erkenntnisquellen Stellung. In dieser Stellungnahme wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es aufgrund des sunnitischen Namens Omar zu Verfolgung durch schiitische Milizen komme und wurde auf die bisherigen Ausführungen zu diesem Thema verwiesen. Zum Thema Desertion wurde ausgeführt, dass bei Desertion von der irakischen Armee die Todesstrafe verhängt werden könne. So habe der irakische Premierminister Nouri al-Maliki Deserteuren die Todesstrafe angedroht. Zur Sicherheitslage in XXXX sei auf das glaubhafte Vorbringen der BF in der Verhandlung zu verweisen, dass sie nicht in XXXX oder einem anderen Landesteil im Irak leben könnten, weil der BF1 und die BF2 unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehörten und sie somit sowohl in sunnitischen als auch in schiitischen Vierteln Verfolgung ausgesetzt wären.

9. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 17.08.2018 wurden den BF Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 24.05.2016 und vom 28.03.2017 über konfessionell gemischte Ehen und konfessionell gemischte Ehepaare zur Kenntnis gebracht und wurden diese eingeladen, eine Stellungnahme dazu abzugeben. Eine Stellungnahme der BF dazu unterblieb bis dato.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Feststellungen zur Person

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehöriger des Irak und Angehörige der arabischen Volksgruppe. BF1 gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an, BF2 der schiitischen.

BF1 wurde in Bagdad geboren und wuchs dort auf. Er besuchte von 1993 bis 2005 die Schule und schloss diese mit Matura ab. Anschließend besuchte er die Militärakademie und war in der Folge beim Militär angestellt.

Im Jahr 2008 ehelichte er BF2; beide waren vorerst bei seinen Eltern wohnhaft, ab dem Jahr 2010 dann in einer eigenen Wohnung in Bagdad.

BF1 reiste im Sommer 2014 in die Türkei nach Istanbul und verblieb dort ca. 2 Monate. Anschließend reiste er auf dem Landweg schlepperunterstützt bis nach Österreich und stellte am 22.10.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF2 stammt ebenso aus Bagdad und besuchte dort die Schule, die sie im Jahr 2010 ihren Angaben zufolge mit Matura abschloss, um anschließend Politikwissenschaften zu studieren und dieses Studium im Jahr 2014 abzuschließen.

BF2 folgte im Jahr 2015 ihrem Ehemann nach Österreich und stellte am 12.10.2015 ebenso einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF1 und BF2 sind die Eltern der in Österreich am 20.09.2016 geborenen BF3.

Den BF wurde mit Bescheiden vom 08.03.2017 (BF 1) bzw. vom 09.03.2017 (BF2 und BF3) subsidiärer Schutz zuerkannt und verfügen sie in Österreich über eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

Im Irak sind nach wie vor die Eltern sowie 3 Brüder und 3 Schwestern des BF1 aufhältig. Ebenso sind die Eltern, 2 Brüder und 4 Schwestern der BF2 nach wie vor im Irak wohnhaft. Die Mutter von BF2 hatte sich zum Zeitpunkt der Asylantragstellung der BF2 ebenfalls in Österreich befunden, lebt aber nunmehr wieder im Irak. In Österreich haben die Beschwerdeführer keine weiteren Verwandten.

Die BF bezogen bis 30.6.2017 bzw. 2.4.2017 Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber; BF1 geht nunmehr einer unselbständigen Arbeit nach. Davor leistete BF1 freiwillige Tätigkeiten in seiner Wohnsitzgemeinde und arbeitet ehrenamtlich beim Roten Kreuz mit.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

BF1 nahm an mehreren Deutschkursen teil und verfügt über ein Zertifikat der Einstufung B1. BF 2 nahm an einem Deutschkurs (A 1) teil.

BF1 ist gesund, steht nicht in ärztlicher Therapie und benötigt auch keine Medikamente. BF2 benötigt einen Asthma-Spray. Hinsichtlich BF3 wurde kein Vorbringen erstattet, das darauf hinweist, sie hätte gesundheitliche Probleme und sind dem entgegenstehende Dokumente oder Behauptungen auch den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen, weshalb davon ausgegangen wird, dass sie gesund ist.

1.2. Länderfeststellungen

Hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung die länderkundlichen Informationen zur Lage in der Republik Irak vom 04.06.2018 auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2016 betreffend "Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee", die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07. Mai 2018 "Verfolgung aufgrund eines sunnitischen Namens", die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Sicherheitslage in Bagdad" vom 08. März 2018, ACCORD Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research vom 8. März 2018 sowie die Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation "Irak - konfessionell gemischte Ehepaare" und "konfessionell gemischte Ehen" vom 24.05.2016 und von 28.03.2017 zu Grunde.

1.2.1. Zur aktuellen Lage im Irak werden auszugsweise folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

Politische Lage

Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).

Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).

Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom Irak am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017). Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im Irak. sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen Irak in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in Kirkuk. Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017). Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

Der Armeeeinsatz in den umstrittenen Gebieten, insbesondere in Kirkuk und Umgebung, führte zum Zusammenbruch der irakisch-kurdischen Peschmerga unter dem gemeinsamen Druck von Irak und Iran kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurden am 25. September 2017 und könnte den Nordirak letztlich eher destabilisieren. Die Peshmerga zogen sich am 16. und 17. Oktober 2017 aus den umkämpften Gebieten im Nordirak im Wesentlichen zurück (siehe hiezu die untenstehende Karte). Details dazu siehe Punkte

1.1. und 2.4.

Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran

Der noch amtierende Ministerpräsident Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).

Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).

Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).

Quellen:

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http://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2014/07/15/Iraq-parliament-elects-Salim-al-Juburi-as-speaker-TV.html, Zugriff am 9.5.2016

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Al Monitor (26.1.2017): Can public outcry in southern Iraq end Maliki's political ambitions?,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/southern-iraq-muqtada-maliki-abadi-reform-shiite-protest.html, Zugriff 2.8.2017

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Al-Monitor (21.7.2017): If Iran has its way, Abadi won't see a second term in Iraq,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/07/iran-iraq-prime-minister-abadi-khamenei-pmu-shiite-militias.html, Zugriff 9.8.2017

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Al-Monitor (24.8.2017): Iraq's Hakim moves out of Iran's shadow, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/ammar-hakim-supreme-islamic-council-iraq-iran.html, Zugriff 28.8.2017

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BBC (12.7.2017): Iraq profile - timeline, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14546763, Zugriff 4.8.2017

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BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (9.11.2015):

Innerstaatliche Konflikte Irak, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54603/irak, Zugriff 9.8.2017

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Carnegie - Middle East Center (28.4.2017): The Popular Mobilization Forces and Iraq's Future, http://carnegie-mec.org/2017/04/28/popular-mobilization-forces-and-iraq-s-future-pub-68810, Zugriff 21.7.2017

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Spiegel (18.4.2015): Secret Files Reveal the Structure of Islamic State,

http://www.spiegel.de/international/world/islamic-state-files-show-structure-of-islamist-terror-group-a-1029274.html, Zugriff 9.8.2017

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Euronews (27.4.2017): Jesiden und Kurden schlagen Alarm: Angst vor weiteren Luftschlägen der Türkei in Sinjar, http://de.euronews.com/2017/04/27/jesiden-und-kurden-schlagen-alarm-angst-vor-weiteren-luftschlaegen-der-tuerkei, Zugriff 10.8.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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