TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/4 W164 2135228-1

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Veröffentlicht am 04.02.2019
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Entscheidungsdatum

04.02.2019

Norm

ASVG §410
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W164 2135228-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb XXXX , STA Österreich, vertreten durch NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung, Zwettl, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, vom 13.07.2016, Zl. NLA2/3268010568/Ablage 4436250367 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben: Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Zur Vorgeschichte:

Mit Antrag vom 05.03.2014 hat die nunmehrige Beschwerdeführerin (=BF), die zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig und durch die Sachwalterin ihrer Mutter vertreten war, durch ihre Vertreterin bei der Pensionsversicherung die Zuerkennung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus nach ihrem am XXXX 2006 verstorbenen Vater, XXXX begehrt.

Die Pensionsversicherungsanstalt (=PVA) hat diesen Antrag mit Bescheid vom 22.10.2014 mit der Begründung abgelehnt, dass Kindeseigenschaft iSd §§ 252 und 260 ASVG seit der Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mehr gegeben sei. Erwerbsunfähigkeit sei nicht gegeben. Dieser Bescheid wurde der mittlerweile volljährigen BF an ihre damalige Wohnadresse in Vorarlberg ohne Zustellnachweis zugestellt. Der Bescheid wurde nicht bekämpft.

Zum nun anhängigen Verfahren:

Mit 04.05.2016 beantragte die BF durch ihre im Jahr 2016 bestellte sachwalterschaftliche Vertretung erneut die Zuerkennung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus nach ihrem verstorbenen Vater.

Mit Bescheid vom 13.07.2016, Zl. NLA2/3268010568/4436250367, wies die PVA diesen Antrag zurück, dies mit der Begründung, der neue Antrag habe die sachliche Behandlung der bereits mit rechtskräftigem Bescheid vom 22.10.2014 entschiedenen Sache zum Gegenstand. Es sei weder eine Änderung der für die Beurteilung als maßgeblich erachteten Umstände (insbesondere hinsichtlich der Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 ASVG idgF) noch in der maßgebenden Rechtslage eingetreten. Einer neuerlichen Sachentscheidung stehe die Rechtskraft des Bescheides vom 22.10.2014 entgegen. Die von der BF vorgelegten Befunde seien nicht geeignet, eine andere Sachentscheidung herbeizuführen.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch ihre sachwalterschaftliche Vertretung fristgerecht und zulässig Beschwerde und brachte vor, laut Gutachten des Sozialministerium Service bestehe bei der BF ein Behinderungsgrad von 50%. Die BF sei außerstande, sich den Unterhalt selbst zu verschaffen. Dieser Zustand bestehe zumindest seit September 2008. Ab da sei für die BF erhöhte Familienbeihilfe gewährt worden. Die BF sei nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet worden. Versuche, sie in die Arbeitswelt zu integrieren, seien gescheitert. Im Februar 2014 sei die Weitergewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus beantragt worden. Im April 2014 sei beim BG Zwettl eine Sachwalterschaft für die BF angeregt worden, da absehbar gewesen sei, dass sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihre Angelegenheiten nicht selbst regeln werde können. Am 14.5.2014 habe die PVA die Vereinsvertreterin in ihrer Eigenschaft als Sachwalterin der Mutter der BF telefonisch darüber informiert, dass die BF den Aufforderungen der PVA, sich ärztlich untersuchen zu lassen, keine Folge leiste. In der Tagsatzung zur Sachwalterbestellung für die BF vom 19.05.2014 vor dem BG Zwettl habe die Sachverständige, Frau Dr. Ines Glubner in ihrem Befund erhoben, dass die BF aufgrund einer Intelligenzminderung nicht in der Lage sei, ihre Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie die Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern selbst zu bewerkstelligen. Die BF sei daher bereits damals nicht in der Lage gewesen, sich im Verfahren über die Weitergewährung ihrer Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus, selbst zu vertreten, Einladungen Folge zu leisten oder gegen den ablehnenden Bescheid Rechtsmittel zu erheben. Zwar sei das Sachwalterschaftsverfahren eingestellt worden, dies mit der Erwartung, dass die -zu diesem Zeitpunkt in Vorarlberg wohnhafte- BF die Unterstützung durch die Sachwalterschaft freiwillig in Anspruch nehmen würde. Tatsächlich habe die BF jedoch keine Unterstützung in Anspruch genommen. Ab 05.02.2015 habe die BF weder über ein Einkommen noch über eine Krankenversicherung verfügt. Am 27.4.2016 sei die BF zu ihrer Mutter nach Zwettl übersiedelt. Am 03.05.2016 sei neuerlich eine Sachwalterschaft für die BF angeregt worden und es sei mit der BF ein Antrag auf Waisenpension ausgefüllt worden. Sie selbst wäre nicht in der Lage gewesen, den Antrag auszufüllen. Sie wäre bereits an den Begriffen "Familienname" und "Vorname" gescheitert. In der Tagsatzung vom 12.05.2016 habe sich abermals bestätigt, was schon 2014 festgestellt worden sei. Die BF sei durchgehend nicht in der Lage gewesen, sich vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungen selbst zu vertreten, ihre Einkünfte, ihr Vermögen und ihre Verbindlichkeiten zu verwalten und sich bei Rechtsgeschäften zu vertreten, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen. Die BF habe sich daher zu keinem Zeitpunkt im Pensionsverfahren selbst vertreten können. Es sei ihr nicht vorzuwerfen, dass sie Einladungen keine Folge geleistet habe. Sie habe die rechtlichen Folgen nicht erfassen können. Den Inhalt zugestellter Bescheide habe sie nicht erfassen können. Keinesfalls sei sie in der Lage gewesen, Rechtsmittel einzubringen.

Mit Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht wendete die PVA ein, für die Frage der Erwerbsunfähigkeit iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG seien ausschließlich medizinische Gesichtspunkte ausschlaggebend, nicht aber die Tatsache, dass die BF über kein Einkommen verfügt habe. Die PVA legte ein Sachverständigengutachten Lenz Mathias, Facharzt für Urologie, Arzt für Allgemeinmedizin vom 11.04.2013, mit einem Zustimmungsvermerk der leitenden Ärztin Reininger Renate bei, demzufolge die BF voraussichtlich nicht dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Mit diesem Gutachten sei auch festgestellt worden, dass die BF nach dem Regelschullehrplan unterrichtet wurde, die Hauptschule/kooperative Mittelschule erfolgreich abgeschlossen habe und den sonderpädagogischen Förderbedarf nach eigenen Angaben nur deshalb benötigt habe, weil sie in der Schule faul gewesen sei. Ein im April 2014 angeregtes Sachwalterschaftsverfahren sei eingestellt worden. Erst mit Beschluss vom 12.05.2016 sei ein Sachwalter bestellt worden. Die BF könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einfache Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Eigenverantwortung durchführen. Im gesetzlich festgelegten Zeitpunkt sei Erwerbsunfähigkeit nicht gegeben gewesen. Der Antrag vom 4.5.2016 sei r wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.

Nach Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage fehlender Aktenteile und Bekanntgabe, welchem Akt das nun vorgelegte Gutachten von 11.04.2013/12.04.2013 entnommen wurde, gab die PVA mit Schreiben vom 19.10.2017 bekannt, dass der eingangs genannte Bescheid vom 22.10.2014 auf der Basis zweier nun vorgelegter Gutachten 1) Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin vom 24.09.2014 und 2) Dr. XXXX , Facharzt für Psychiatrie vom 13.07.2014 ergangen sei. Vorgelegt wurde weiters ein klinisch-neuro-logisches Gutachten der klinischen Neurologin, Klinischen Psychologin und Gesundheitspsychologin sowie gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr XXXX vom 29.08.2014. Die genannten Gutachten bezogen sich inhaltlich auf den Intelligenzquotienten der BF und kamen zu dem Schluss, dass die BF bei individueller Förderung und Unterstützung eine Lehre absolvieren könnte. Über die Fähigkeit der BF, ihre Angelegenheiten vor Gerichten und Behörden zu vertreten enthalten die genannten Gutachten keine Aussage.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm in der Folge Einsicht in den durch die nunmehrige Sachwalterin der BF zur Verfügung gestellten Pflegschaftsgerichtlichen Akt des BG Zwettl, XXXX plus Nachfolgezahlen ( XXXX ) betreffend die BF.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Vater der am XXXX geborenen BF verstarb am XXXX .2006. Mit Bescheid der PVA vom 05.12.2006 wurde der BF eine Waisenpension nach ihrem verstorbenen Vater iHv monatlich € 105,84 zuerkannt.

Mit 05.03.2014 beantragte die zum damaligen Zeitpunkt für die Mutter der BF, Frau XXXX , zuständige Sachwalterin, Frau XXXX vom NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung (nun NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz) für die damals noch minderjährige BF die Weitergewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus.

Mit Schreiben vom 23.04.2014 regte die die Mutter der BF beim Bezirksgericht Zwettl eine Sachwalterbestellung für die BF ab deren Volljährigkeit an.

Der Fortgang des pflegschaftsgerichtlichen Verfahrens gestaltete sich wie folgt:

Mit 19.05.2014 nahm die zuständige Pflegschaftsrichterin des BG Zwettl im Beisein der Sachverständigen Fachärztin für Psychiatrie Dr. Ines Glubner mit der BF ein Gesprächsprotokoll auf. Der Sachverständigenbefund ergab, dass die BF nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils selbst zu besorgen. Es wurde die Bestellung eines Sachwalters für die Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie für die Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern empfohlen.

Mit Beschluss des BG Zwettl vom 13.06.2014, XXXX wurde das Verfahren über die Prüfung der Notwendigkeit eines Sachwalters für die BF fortgesetzt. Frau Mag. XXXX wurde gem. § 119 AStrG zur Verfahrenssachwalterin bestellt. Dieser Beschluss wurde der BF selbst und ihrer Verfahrenssachwalterin zugestellt.

Die BF erhob gegen diesen Beschluss Rekurs, mit dem sie vorbrachte, sie hätte sich bei ihrem Rechtsanwalt informiert. Dieser hätte ihr mitgeteilt, dass aufgrund der Gesetzeslage kein Grund für einen Sachwalter bestehe. Die BF lehne dies daher ab.

Durch Beschluss des Landesgerichts Krems vom 27.08.2014, XXXX , wurde dieser Rekurs als verspätet zurückgewiesen. Die Rechtskraft trat mit 01.10.2014 ein.

Mit 02.10.2014 wurde der Pflegschaftsakt zuständigkeitshalber an das BG Bludenz gesendet.

Die bisherige Verfahrenssachwalterin beantragte mit einem an das BG Bludenz gerichteten Schriftsatz vom 20.10.2014 die Übertragung ihrer Verfahrenssachwalterschaft auf eine andere Person.

Beim BG Bludenz wurde in der Folge die gemeinnützige GmbH XXXX , Fachbereich " XXXX Sachwalterschaft", Feldkirch, als Verfahrenssachwalterin bestellt. Diese sprach sich mit Stellungnahme vom 23.03.2015 an das BG Bludenz dafür aus, dass die Angelegenheiten der BF durch den Fachbereich " XXXX " der genannten GmbH, somit im Rahmen einer "anderen Hilfe iSd § 268 Abs 2 ABGB" unterstützt werde und eine Sachwalterschaft für die BF nicht notwendig sei, solange sich diese in Vorarlberg aufhalte. Sollte die BF wieder dauerhalft nach Niederösterreich ziehen, würde sie dort eine Sachwalterschaft benötigen, da es dort keine vergleichbaren Angebote gebe. In der Stellungnahme wird erwähnt, dass mit Erreichen der Volljährigkeit Anträge für die Weitergewährung der erhöhten Familienbeihilfe und der Halbwaisenpension notwendig gewesen wären, die BF diese Anträge aber nicht gestellt habe und daher seit Juni 2014 keines von beiden erhalte. Gleichzeitig wurde erwähnt, dass für die BF ein Mindestsicherungsantrag ausgefüllt worden sei, die BF aber noch keinen Bescheid erhalten habe.

Mit Beschluss des BG Bludenz, XXXX , vom 30.03.2015 wurde das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für die BF geprüft wurde, eingestellt.

Mit Schreiben des NÖ Landesvereins für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung, Geschäftsstelle Zwettl, vom 03.05.2016 wurde beim BG Zwettl erneut eine Sachwalterschaft angeregt. In der Folge wurde dieser Verein zum Sachwalter für die BF bestellt und die Vereinssachwalterin XXXX als zuständige Kontaktperson bekannt gegeben.

Der Fortgang des oben genannten Verfahrens über die Weitergewährung der Waisenpension gestaltete sich wie folgt:

Die BF wurde im Auftrag der PVA am 11.06.2014 Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, am 08.07.2014 von Dr. XXXX , Facharzt für Psychiatrie und am 31.07.2014 von Dr. XXXX , klinische Neuropsychologin, klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin sowie gerichtlich beeidete Sachverständige untersucht.

Mit Bescheid vom 22.10.2014 wies die PVA den Antrag der BF auf Weitergewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus ab. Dieser Bescheid wurde der BF an ihre damalige in Vorarlberg gelegene Wohnadresse ohne Zustellnachweis zugestellt. Gegen den Bescheid wurde kein Rechtsmittel erhoben.

Mit 04.05.2016 stellte Frau XXXX vom NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung (nun NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz) für die BF den nun gegenständlichen neuerlichen Antrag, die Waisenpension für Kinder ab dem vollendeten 18. Lebensjahr, den die PVA mit dem angefochtenen Bescheid wegen entschiedener Sache zurückwies.

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt des Verwaltungsverfahrens und aus dem Akt des BG Zwettl XXXX plus Nachfolgezahlen ( XXXX ) und ist unbestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch Senat. Die vorliegende Angelegenheit ist nicht von § 414 Abs. 2 ASVG umfasst. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, entgegenstehen.

Zu A)

Verwaltungssache oder Leistungssache/Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:

Der verfahrensgegenständliche Antrag vom 4.5.2016 begehrt eine Entscheidung der belangten Behörde über eine Leistungssache der Sozialversicherung (Zuerkennung der Waisenpension). Die belangte Behörde hat diesen Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher die Frage der Rechtsmäßigkeit der von der belangten Behörde verfügten Zurückweisung.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs stellt die Zurückweisung eines Antrages (etwa auf Gleitpension oder Versehrtenrente) wegen entschiedener Sache eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG dar (vgl. VwGH 30.06.2009, 2006/08/0267; 06.06.2012, 2009/08/0226).

Im hier vorliegenden Fall liegt somit eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG vor. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist gegeben.

Frage der entschiedenen Sache:

Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Grundvoraussetzung für das Vorliegen entschiedener Sache ist daher das Vorliegen eines rechtskräftigen Bescheides.

Im vorliegenden Fall wurde der Bescheid der PVA vom 22.10.2014 der zu diesem Zeitpunkt volljährigen BF an ihre damalige Wohnadresse ohne Zustellnachweis zugestellt. Die BF erhob kein Rechtsmittel.

Dass die eben genannte Zustellung erfolgte, wird in der nun vorliegenden Beschwerde nicht in Frage gestellt. Jedoch wird eingewendet, dass die BF niemals, also auch nicht zur Zeit der Zustellung des genannten Bescheides vom 22.10.2014 in der Lage war, ihre rechtlichen Interessen vor Gerichten oder Behörden selbst wahrzunehmen.

Aufgrund dieses Vorbringens ist zu prüfen, ob der genannte Bescheid vom 22.10.2014 gegenüber der unvertretenen BF überhaupt wirksam erlassen und ihr wirksam zugestellt werden konnte.

Zum Zeitpunkt der Zustellung des eingangs genannten Bescheides der PVA vom 22.10.2014 war ein Verfahren über die Prüfung der Notwendigkeit eines Sachwalters für die BF anhängig. Der BF war eine Verfahrenssachwalterin gem. § 119 AußstrG beigegeben.

§ 119 AußstrG lautet wie folgt: Ist das Verfahren auf Grund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen, so hat das Gericht für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat die betroffene Person keinen gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter oder widerstreiten einander dessen Interessen und diejenigen der betroffenen Person, so hat ihr das Gericht einen Sachwalter für das Verfahren (Verfahrenssachwalter) zu bestellen; dadurch wird die betroffene Person in ihren Rechtshandlungen an sich nicht beschränkt. Der Verfahrenssachwalter ist zu entheben, sobald die betroffene Person einen geeigneten Vertreter gewählt hat. Stimmen Anträge, die die betroffene Person, ihr gesetzlicher Vertreter und der Verfahrenssachwalter gestellt haben, nicht überein, so sind bei der Entscheidung alle Anträge inhaltlich zu berücksichtigen.

Die BF war somit am 27.10.2014 (dem der gesetzlichen Vermutung des gem § 26 ZustellG entsprechenden Zustelldatum) in ihren Rechtshandlungen an sich nicht beschränkt. Eine vorläufige Sachwalterin gem. § 120 AußStrG war für die BF - offenbar vor dem Hintergrund, dass beim Pflegschaftsgericht nicht bekannt war, dass die BF in der fraglichen Zeit bereits Partei eines laufenden behördlichen Verfahrens war - nicht bestellt worden.

Die Zustellung des Bescheides der PVA an die Wohnadresse der BF wäre daher nur unter der Prämisse nicht zu beanstanden, dass ausschließlich dieser formalrechtliche Aspekt entscheidungswesentlich wäre. Das ist hier aber nicht der Fall:

Bezüglich des (hier relevanten) verwaltungsbehördlichen Verfahrens ist zunächst die folgende einschlägige höchstgerichtliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten:

Für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung kommt es darauf an, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (VwGH 19.9.2000, 2000/05/0012 mHa VwGH 24.11.1987, 87/11/0141). Die Bestellung eines Sachwalters wirkt nur insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist (VwGH 23.04.1996, 95/11/0365, und VwGH 20.02.2002, 2001/08/0192). Sie ist nicht im dem Sinne konstitutiv, dass für Zeiträume vor der Bestellung des Sachwalters e contrario von der Prozessfähigkeit des Beteiligten auszugehen wäre. Für die Zeit vor der Sachwalterbestellung ist zu prüfen, ob die betroffene Partei schon damals nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereigneten prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (VwGH 16.4.1984, 83/10/0254, 0255). Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (VwGH 19.9.2000, 2000/05/0012).

Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (dieses hatte die PVA im vorliegenden Fall zu beachten) sieht bezüglich der Handlungs- und Prozessfähigkeit folgende Regelungen vor:

Gemäß § 9 AVG ist dann, wenn die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, diese von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

Gemäß § 11 AVG kann die Behörde dann, wenn von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, [...], eine Amtshandlung vorgenommen werden, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines Sachwalters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen.

Die Bezeichnung "Kann" im Sinne dieser Bestimmung ist nicht im Sinne eines freien Ermessens zu verstehen: Die Behörde ist, wenn sie gegen einen nicht prozessfähigen Beteiligten eine Amtshandlung vorzunehmen hat, zur Veranlassung der Bestellung eines Obsorgeberechtigten verpflichtet. Hat die Behörde Bedenken, ob ein Beteiligter in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, so hat sie die Vorfrage der Prozessfähigkeit von amtswegen zu prüfen (z.B. durch Einholung von Sachverständigengutachten). Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung hat die Behörde nach § 11 AVG vorzugehen oder das Verfahren mit der betreffenden Person durchzuführen.

Amtshandlungen der Behörde, insbesondere Zustellungen, die entgegen § 11 AVG dem Handlungsunfähigen gegenüber gesetzt werden, sind unwirksam. (Hengstschläger/Leeb, AVG, Manz 2014, RZ 3, 4 zu §11 mit Verweis auf VwGH 98/06/0141 vom 25.3.1999, 95/11/0151 vom 30.01.1996).

Wie sich aus oben angeführten Dokumenten ergibt, wurde bereits ab der im Beisein einer fachärztlichen Sachverständigen durchgeführten gerichtlichen Anhörung vom 19.05.2014 die Fähigkeit der BF, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils selbst zu besorgen verneint und die Bestellung eines Sachwalters für die Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie für die Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern empfohlen. Lediglich für den Bereich der medizinischen Angelegenheiten wurde keine Sachwalterbestellung für erforderlich gehalten. Es wurde ein Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters eingeleitet. Dieses Verfahren wurde im Jahr 2015 vom BG Bludenz zwar eingestellt. Grund dafür war aber nicht, dass die BF dort für voll handlungsfähig gehalten wurde, sondern, dass für die BF eine in Vorarlberg eigens geschaffene Einrichtung iSd § 268 Abs 2 ABGB (in der damaligen Fassung) für geeignet gehalten wurde und die Angelegenheiten der BF für sie im Rahmen dieser Einrichtung (wie die nunmehrige Vertreterin der BF vorbringt, unzureichend) besorgt wurden. Nach der Rückkehr der BF zu ihrer Mutter im Jahr 2016 wurde in Niederösterreich eine Sachwalterin für sie bestellt.

Unter Zugrundelegung dieser Beweismittel ist als erwiesen anzunehmen, dass die BF in der gesamten hier zu betrachtenden Zeit nicht handlungsfähig war.

Vor dem Hintergrund der nun dargelegten Rechtslage war die Zustellung des Bescheides vom 22.10.2014 an die nicht handlungsfähige BF unwirksam. Da die BF die einzige Partei des genannten Verfahrens war, ist der Bescheid vom 22.04.2014 als nicht erlassen zu betrachten (vgl. VwGH 96/19/2385 vom 14.02.1997). Das durch den am 05.03.2014 gestellten Antrag auf Zuerkennung der Waisenpension anhängig gewordene Verwaltungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es ist liegt nicht entschiedene Sache vor.

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben angeführte umfangreiche Rechtsprechung des VwGH zu den in der Beschwerde angesprochenen Punkten)

Schlagworte

Handlungsfähigkeit, rechtswirksame Zustellung,
Sachwalterschaftsverfahren, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W164.2135228.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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