Entscheidungsdatum
19.02.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W261 2211058-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und den Richter Mag. Markus BELFIN sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 05.11.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 11.01.2018 beim Sozialministeriumservice (in der Folge "belangte Behörde" genannt) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.
Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 16.08.2018 erstatteten Gutachten vom 04.09.2018 stellte der medizinische Sachverständige die Funktionseinschränkungen "Schwere Erschöpfungsdepression mit Panikstörung", "Operative Entfernung beider Eierstöcke und Gebärmutter bei Endometriose", "Endometriose", "COPD Grad II", "Rezidivierende Harnblasenentzündungen mit Dysurie" und "Krampfadernleiden beidseits" mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. fest. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass lägen aus medizinischer Sicht nicht vor.
Mit Schreiben vom 11.09.2018 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis des ärztlichen Beweisverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.
Mit Schreiben vom 25.09.2018 ersuchte die Beschwerdeführerin um Fristerstreckung, da sie in der Woche von 15. bis 19.10.2018 einen Termin bei ihrem behandelnden Neurologen habe und die diesbezüglichen Befunde in dieser Woche fertig wären.
Unter Zugrundelegung des ärztlichen Sachverständigengutachtens stellte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin am 05.11.2018 einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. aus. Diesem ausgestellten Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.11.2018 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. In der Begründung des Bescheides gab die belangte Behörde im Wesentlichen die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigengutachtens, welche als schlüssig erachtet würden, wieder. Da eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin innerhalb der gesetzten Frist zum Parteiengehör nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) sprach die belangte Behörde nicht ab. Die belangte Behörde übermittelte mit dem Bescheid das ärztliche Sachverständigengutachten an die Beschwerdeführerin.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Darin brachte sie im Wesentlichen vor, sie habe im angefochtenen Bescheid gelesen, dass die belangte Behörde keine Unterlagen von ihr bekommen habe. Es habe sich dabei offenbar um ein Missverständnis gehandelt, da die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben erwähnt habe, Mitte Oktober einen neuen Termin beim Neurologen zu haben, jedoch nicht erwähnt habe, anschließend ihre neuen Befunde einzureichen. Sie sei davon ausgegangen, vom Sozialministeriumservice zu einem neuen Termin eingeladen zu werden, bei dem sie ihre neuen Befunde vorlegen könne bzw. überhaupt wegen ihrer Stellungnahme kontaktiert zu werden. Sie lege den aktuellen neurologischen Befund vom 29.10.2018 nun vor, damit die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erneut geprüft werden könne.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 12.12.2018 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin veranlasste das BVwG in der Folge die neuerliche Begutachtung der Beschwerdeführerin durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 15.01.2019 erstatteten Gutachten vom selben Tag führte der Sachverständige zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Das BVwG übermittelte das Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 28.01.2019 an die Beschwerdeführerin und an die belangte Behörde und räumte diesen eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Keine der beiden Parteien gab innerhalb der gewährten Frist eine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.
Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: adipös
Größe: 164,00 cm Gewicht: 80,00 kg Klinischer Status - Fachstatus:
Gesamtmobilität - Gangbild:
Gangbild und Gesamtmobilität unauffällig, keine Einschränkungen erkennbar.
Psychiatrischer Status:
Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert, keine Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, keine kognitiven Defizite, Affekt ausgeglichen, Stimmungslage dysthym, nur im negativen Skalenbereich affizierbar, zeitweise Angstzustände, Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.
Die Beschwerdeführerin hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
-
Schwere Erschöpfungsdepressio
-
Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke
-
Endometriose
-
COPD II
-
Rez. Harnblasenentzündung mit Dysurie
-
Krampfadern bds.
Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Es liegt aus psychiatrischer Sicht eine Zumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel vor, da die Hauptdiagnose eine Depressio darstellt, welche die Voraussetzung für eine Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht erfüllt. Kurze Wegstrecken können aus eigener Kraft zurückgelegt werden. Das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist möglich. Der sicherere Transport ist gewährleistet, da das Anhalten uneingeschränkt möglich ist. Eine erhebliche Einschränkung der Funktion des Immunsystems ist nicht dokumentiert.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz der Beschwerdeführerin im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:
Das vom BVwG eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 15.01.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag, ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen und nachvollziehbar ausgeführt, dass es der Beschwerdeführerin - trotz der vorliegenden Funktionseinschränkungen - möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Damit wird auch das seitens der belangten Behörde eingeholte und dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten vom 04.09.2018 bestätigt, welches zum selben Ergebnis kommt.
Das psychische Leiden der Beschwerdeführerin erreicht kein solches Ausmaß, welches als erhebliche Einschränkung psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Sinne der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würde. Die diagnostizierte schwere Erschöpfungsdepressio steht dem Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, dem Ein- und Aussteigen sowie dem sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht entgegen. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin ihre Therapiereserven nicht ausgeschöpft - sie steht zwar in fachärztlicher Behandlung und nahm 2017-2018 eine Gesprächstherapie in Anspruch, war jedoch noch nie in stationärer psychiatrischer Behandlung.
Die übrigen, physischen Leiden der Beschwerdeführer sind ebenfalls nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu bewirken, was die Beschwerdeführerin im Übrigen auch selbst nicht vorbrachte.
Der im Rahmen der Beschwerde vorgelegte Befund ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung der Leidenszustände zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.
Die Beschwerdeführerin ist mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen in der Beschwerde dem auf einer persönlichen Untersuchung basierenden Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 15.01.2019 im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093). Im Rahmen des Parteiengehörs gab die Beschwerdeführerin keine Stellungnahme zu diesem Sachverständigengutachten ab.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhenden Sachverständigengutachtens vom 15.01.2019, und wird dieses Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung ebenso zu Grunde gelegt, wie das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 07.09.2018, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 16.08.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 05.11.2018 der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 59/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
§ 1 ...
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. ...
2. ...
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6) ...
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
...
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
...
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
-
Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
-
hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten, - schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
-
nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im eingeholten Sachverständigengutachten vom 15.01.2019, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag, nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin - trotz der bei ihr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der bei der Beschwerdeführerin objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag die Beschwerdeführerin noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Bei der Beschwerdeführerin liegen ausgehend von diesem Sachverständigengutachten aktuell keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen vor. Weiters sind keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, der körperlichen Belastbarkeit gegeben und ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen objektiviert. Auch unter Berücksichtigung der bei der Beschwerdeführerin bestehenden dauerhaften Einschränkungen und deren Zusammenwirken vermag die Beschwerdeführerin noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere aus dem vom BVwG eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste der Beschwerdeführerin in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W261.2211058.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.03.2019