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74 Kirchen, ReligionsgemeinschaftenNorm
B-VG Art7 / GesetzLeitsatz
Abweisung von Beschwerden türkischer Staatsbediensteter, die in Österreich als Seelsorger (Imame) tätig waren, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen sowie von Einreiseverboten; Verbot der Finanzierung der gewöhnlichen Tätigkeit der islamischen Religionsgesellschaften durch ausländische Staaten und deren Einrichtungen verstößt nicht gegen Art9 EMRK; Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften im öffentlichen Interesse; Konkretisierung dieses Grundsatzes der Selbsterhaltungsfähigkeit nur für die islamischen Religionsgesellschaften sachlich gerechtfertigtRechtssatz
Gemäß §6 Abs2 IslamG 2015 hat die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw ihre Mitglieder im Inland zu erfolgen. Die Regelung konkretisiert den Grundsatz der Selbsterhaltungsfähigkeit, wie er in §4 Abs1 IslamG 2015 und §5 iVm §1 Abs2 AnerkennungsG zum Ausdruck kommt, in spezifischer Form für die islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden. Die Art und Weise der Aufbringung der Mittel für die Finanzierung der Tätigkeiten gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften ist vom Schutzbereich der korporativen Religionsfreiheit erfasst. Sie wird auf verfassungsrechtlicher Ebene durch Art15 StGG und Art9 EMRK geschützt.
Kein unzulässiger Eingriff in innere Angelegenheiten islamischer Religionsgesellschaften iSd Art15 StGG:
Die Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften vom Staat, aber insbesondere auch von anderen Staaten und deren Einrichtungen, bildet ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel. Diese Autonomie ist auch von der durch Art15 StGG grundrechtlich geschützten korporativen Religionsfreiheit erfasst und sichert die selbstständige und unabhängige Besorgung der inneren Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgesellschaften, letztlich aber auch die individuelle Religionsausübungsfreiheit der einzelnen Mitglieder einer Kirche oder Religionsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund bildet es ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel, die Finanzierung der gewöhnlichen Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Mitglieder zur Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit einer Religionsgesellschaft grundsätzlich durch finanzielle Mittel aus dem Inland zu sichern.
Die Regelung des §6 Abs2 IslamG 2015 dient dem legitimen Ziel der Selbsterhaltungsfähigkeit und damit der selbstständigen und unabhängigen Besorgung der inneren Angelegenheiten der islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden, mag die Regelung auch andere als religionsrechtliche Fragen erfassen. Die Bestimmung regelt selbst nicht eine solche innere Angelegenheit, sondern gewährleistet gerade die freie Besorgung der inneren Angelegenheiten, mithin die grundrechtlich geschützte Autonomie der islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden und letztlich die freie Religionsausübung ihrer Mitglieder. Obgleich die Aufbringung und Verwendung finanzieller Mittel durch gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften grundsätzlich zum Bereich der inneren Angelegenheiten iSd Art15 StGG zählt, sichert das hier vorliegende Verbot der Mittelaufbringung durch eine laufende Finanzierung aus dem Ausland - dh das Erfordernis der Sicherstellung hinreichender Mittel im Inland - die Autonomie der islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden gegenüber Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen - im konkreten Fall: des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Republik Türkei - und bildet daher keine unzulässige Regelung der inneren Angelegenheiten der islamischen Religionsgesellschaften iSd Art15 StGG.
Kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art9 EMRK:
Die Regelung des §6 Abs2 IslamG 2015 dient der Wahrung der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden. Vor diesem Hintergrund verhindert sie Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen auf die Autonomie, die religiösen Inhalte und letztlich die freie Religionsausübung der Mitglieder im Bereich der selbstständigen Verwaltung der inneren Angelegenheiten von in Österreich gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften bzw deren Kultusgemeinden. Dieses Regelungsziel hat ein Gewicht, das die Regelung - verfassungskonform bezogen auf Zuwendungen von Seiten anderer Staaten und deren Einrichtungen, nicht jedoch auf Zuwendungen durch ausländische Private, wenn ihnen eine solche autonomiebeschränkende Wirkung nicht zukommt - im Hinblick auf Art9 Abs2 EMRK rechtfertigt.
Kein Verstoß gegen Art7 B-VG:
Die an die islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden zusätzlich gestellten Anforderungen sind im Hinblick auf das Regelungsziel der Verhinderung von Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen auf die Autonomie, die religiösen Inhalte und letztlich die freie Religionsausübung der Mitglieder im Bereich der selbstständigen Verwaltung der inneren Angelegenheiten von in Österreich gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften bzw deren Kultusgemeinden sachlich gerechtfertigt. Die in Rede stehende Regelung hat insoweit Antwortcharakter und konkretisiert den Grundsatz der Selbsterhaltungsfähigkeit in spezifischer Form für die islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden. Das vorliegende Verbot der Mittelaufbringung durch eine laufende Finanzierung aus dem Ausland - dh das Erfordernis der Sicherstellung hinreichender Mittel im Inland - sichert die Autonomie der islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden gegenüber Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen und erweist sich in diesem Sinne als eine sachliche Regelung, die keinen Verstoß gegen Art7 B-VG bildet. Dies gilt im Übrigen auch im Hinblick auf das sogenannte Paritätsprinzip des Art15 StGG als besondere Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes.
Kein Verstoß gegen Art14 EMRK:
Den Vertragsstaaten der EMRK kommt bei der Regelung der Finanzierung von Kirchen und anerkannten Religionsgesellschaften in Ermangelung gemeinsamer Regelungen ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Eine Rechtsvorschrift, die die laufende Finanzierung der gewöhnlichen Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder durch die islamischen Religionsgesellschaften bzw Kultusgemeinden mit dem Ziel der Wahrung ihrer Autonomie gegenüber Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen aus dem Inland bestimmt, liegt nicht außerhalb dieses Ermessens.
Kein Verstoß gegen Art18 B-VG - §6 Abs2 IslamG 2015 ist hinreichend bestimmt und unbedenklich.
Kein willkürliches Vorgehen durch das BVwG:
Ergibt sich die Begründung der Entscheidung zwar nicht aus der Niederschrift der mündlichen Verkündung, wohl aber aus der schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG, widerspricht dies nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die angefochtene Entscheidung des BVwG ist vielmehr ohne weiteres einer nachprüfenden Kontrolle durch den VfGH zugänglich und daher nicht mit Willkür belastet. Nachvollziehbare Begründung des BVwG, dass §6 Abs2 IslamG 2015 iVm dem NAG bzw dem FPG anzuwenden ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Glaubens- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Religionsgesellschaften, Determinierungsgebot, Rechtsstaatsprinzip, RechtspolitikEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E3830.2018Zuletzt aktualisiert am
27.05.2021