TE Vwgh Beschluss 2019/2/25 Ra 2018/18/0401

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Veröffentlicht am 25.02.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E19104000;
E6J;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
62017CJ0047 X VORAB;
AsylG 2005 §4a;
BFA-VG 2014 §21 Abs3;
EURallg;
VwGVG 2014 §28 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2018, Zl. W240 2197141-1/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: N F in W, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Februar 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2 Aufgrund eines EURODAC-Treffers richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben vom 15. März 2018 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmegesuch an die zuständige ungarische Behörde.

3 Mit Schreiben vom 26. März 2018 lehnte diese das Wiederaufnahmegesuch ab und informierte das BFA darüber, dass der Mitbeteiligte am 15. November 2017 in Ungarn einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Ihm sei am 4. Dezember 2017 subsidiärer Schutz gewährt worden. Da dem Mitbeteiligten internationaler Schutz zuerkannt worden sei, kämen die Vorschriften der Dublin III-Verordnung in seinem Fall nicht mehr zur Anwendung.

4 Mit Bescheid vom 30. April 2018 wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 4a Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und stellte fest, dass er sich nach Ungarn zurückzubegeben habe. Gleichzeitig erteilte das BFA keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, ordnete die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten an und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.

5 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss statt und behob den bekämpften Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG aus, es müsse zur Klärung der Anwendbarkeit der Dublin III-Verordnung vorab festgestellt werden, ob in Ungarn trotz Zuerkennung subsidiären Schutzes an den Mitbeteiligten ein Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft "als Teilmenge des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz iSd Art. 2 lit. d Dublin III-Verordnung" noch offen sei. Dies könne dem Schreiben der ungarischen Behörden vom 26. März 2018 nicht entnommen werden. Im fortgesetzten Verfahren werde das BFA somit zunächst den Stand des Asylverfahrens in Ungarn zu ermitteln und festzustellen haben.

7 Sollte sich ergeben, dass das Asylverfahren betreffend den Mitbeteiligten nicht mehr offen sei, bedürfe es ungeachtet dessen einer Kindeswohlprüfung sowie auch aktueller Feststellungen zur Situation minderjähriger alleinstehender Personen in Ungarn, um eine Gefährdung des Mitbeteiligten (gemeint: seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte) im Falle seiner Außerlandesbringung nach Ungarn ausschließen zu können. Schließlich seien aktuelle Länderberichte zu Ungarn, insbesondere auch zu minderjährigen Schutzberechtigten in Ungarn, einzuholen und dem Mitbeteiligten zur Kenntnis zu bringen. Im Rahmen der Kindeswohlprüfung werde der Obsorgeberechtigte bzw. ein örtlicher Kinder- und Jugendhilfeträger einzubinden sein und es werde auch die aktuelle Beziehungsintensität zum in Österreich lebenden Cousin zu ermitteln sein.

8 Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Sie macht zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend, es fehle ausdrückliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob die Rechtsansicht des BVwG zutreffe, wonach trotz der bereits erfolgten Zuerkennung von subsidiärem Schutz bei einem noch offenen (Rechtsmittel-)Verfahren zum Status des Asylberechtigten in Ungarn die Dublin III-Verordnung anwendbar sei. Gegenteiliges ergebe sich nach Auffassung der Amtsrevision aus dem Urteil des EuGH vom 5. April 2017, C-36/17, Ahmed, sowie implizit aus der näher angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach subsidiär Schutzberechtigte - ohne Differenzierung - nicht in den Anwendungsbereich der Dublin III-Verordnung fielen. Aber selbst wenn eine Anwendung der Dublin III-Verordnung fallbezogen nicht ausgeschlossen wäre, weiche das BVwG mit seiner aufhebenden Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil auch im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht zulässig sei, wenn - wie hier - bloß geringfügige ergänzende Ermittlungen zu tätigen seien. In der Staatendokumentation, auf die das BVwG Zugriff habe, finde sich eine Anfragebeantwortung vom 17. Jänner 2018, die klar die Lage von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten in Ungarn darstelle. Auch habe weder der Mitbeteiligte noch sein Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Verwaltungsverfahren ein entsprechendes Vorbringen erstattet. Dieses finde sich erstmals in der Beschwerde und verstoße gegen das Neuerungsverbot des § 20 BFA-VG.

9 Der Mitbeteiligte hat zu dieser Amtsrevision eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er - zusammengefasst - die Rechtsansicht des BVwG unterstützt.

Die Revision ist nicht zulässig:

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Im vorliegenden Fall strebt die Amtsrevision zunächst die Klärung der Rechtsfrage an, ob die Dublin III-Verordnung auch dann zur Anwendung gelangt, wenn dem Asylwerber in dem ersuchten Mitgliedstaat bereits der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, jedoch die Möglichkeit besteht, dass das Verfahren hinsichtlich des begehrten Status eines Asylberechtigten in diesem Mitgliedstaat noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Von dieser Rechtsfrage hängt die Lösung des gegenständlichen Revisionsfalles aber nicht ab, weil nach der insoweit unstrittigen Aktenlage die zuständige ungarische Behörde eine Wiederaufnahme des Mitbeteiligten mit Schreiben vom 26. März 2018 abgelehnt und das BFA dagegen nicht remonstriert hat. Damit ist das gegenständliche Dublin III-Verfahren jedenfalls endgültig beendet (vgl. dazu etwa EuGH 13.11.2018, C-47/17 u.a., X und X, und daran anschließend etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2017/18/0110). Der Auftrag des BVwG, weitere diesbezügliche Ermittlungen anzustellen, geht schon deshalb ins Leere und wäre für sich betrachtet kein Grund gewesen, den Bescheid des BFA vom 30. April 2018 zu beheben.

14 Wenn der angefochtene Beschluss des BVwG trotzdem Bestand haben kann, so nur deshalb, weil sich das Verwaltungsgericht bei seiner Aufhebung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung nach § 4a AsylG 2005 (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2018, BGBl. I Nr. 56/2018) alternativ auch darauf stützte, dass der Sachverhalt in Bezug auf die Situation, die der minderjährige alleinstehende Mitbeteiligte bei Rückkehr nach Ungarn vorfände, und betreffend die Frage des Kindeswohls so mangelhaft sei, dass die Voraussetzungen für die Stattgebung der Beschwerde nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG vorlägen.

15 Die Amtsrevision macht dagegen in der Zulassungsbegründung nur geltend, dass das BVwG die gewünschten Ermittlungen hätte selbst durchführen müssen.

16 In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG - abweichend von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG - eine spezielle Norm darstellt, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist (vgl. etwa VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0208). Immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das BFA Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom BVwG in der für die Erledigung des - im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden - Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigt werden können, ist der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattzugeben. Ist hingegen davon auszugehen, dass das BVwG die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes) selbst vorzunehmen (vgl. dazu grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072).

17 Die Amtsrevision zeigt nicht auf, dass das BVwG diese Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im vorliegenden Fall missachtet hätte. Sie beschränkt sich auf den Hinweis, dass in der Staatendokumentation eine Anfragebeantwortung vom 17. Jänner 2018 zur Lage von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten enthalten sei, auf die auch das BVwG Zugriff gehabt hätte. Dass damit (sämtlichen) ergänzenden Ermittlungsaufträgen des BVwG hätte entsprochen werden können, weshalb es einer Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides im Sinne des obigen Rechtsausführungen nicht bedurft hätte, legt die Amtsrevision allerdings nicht dar. Auch ihre Bezugnahme auf das Neuerungsverbot nach § 20 BFA-VG schlägt schon deshalb fehl, weil nicht dargestellt wird, welche der vom BVwG in der angefochtenen Entscheidung aufgegriffenen tragenden Gründe diesem unterliegen sollten.

18 Die Revision war daher mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.

Wien, am 25. Februar 2019

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0047 X VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180401.L00

Im RIS seit

26.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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