Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der I G in M, geboren am 19. Jänner 1972, vertreten durch Dr. Benno Wageneder und Dr. Claudia Schoßleitner, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Mai 1998, Zl. 201.014/0-IV/11/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige albanischer Nationalität aus dem Kosovo, ist am 27. Oktober 1997 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 29. Oktober 1997 den Asylantrag gestellt, bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 30. Oktober 1997 hat sie zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Sie sei "Mitglied und Aktivistin" der LDK. Sie habe im Jahr 1991 an Demonstrationen teilgenommen. Daraus seien ihr keine negativen Folgen erwachsen. In Jänner 1996 sei jedoch in der Zeitung ein von ihrem Mann, der sich seit sechs Jahren in Österreich aufhalte, geschriebener Artikel erschienen. Wegen dieses Zeitungsartikels seien am 25. März 1997 zwei Polizisten zur Beschwerdeführerin gekommen und hätten sie gefragt, weshalb ihr Mann "gegen die Serben" schreibe. Von diesen beiden Polizisten sei sie insoweit bedroht worden, als sie aufgefordert worden sei, dafür zu sorgen, dass sich ihr Mann der Polizei stelle, widrigenfalls sie zur Verantwortung gezogen werde. Sie wisse auch von Bedrohungen anderer Frauen, deren Gatten für die Polizei nicht greifbar seien. Ihr Gatte besuche einmal pro Jahr den Kosovo. Anlässlich eines derartigen Besuches hätten sie am 28. Februar 1996 geheiratet. Über Vorhalt, dass dies kurz nach der Veröffentlichung des erwähnten Artikels gewesen sei führte die Beschwerdeführerin aus, dass es diesbezüglich keine Probleme gegeben hätte. Am 1. Oktober 1997 habe sie neuerlich an einer Demonstration teilgenommen. Während dieser Demonstration sei ihr nichts passiert. Danach sei sie nach Hause gegangen.
Ihre sämtlichen Angehörigen lebten schon seit Jahren nicht im Kosovo. Sie habe dort keine Angehörigen. Gedanken an die Ausreise habe sie zwei Wochen vor ihrer Flucht (am 26. Oktober 1997) gefasst. Sie werde im Kosovo nicht gesucht. Es habe "nur diese eine Geschichte mit den beiden Polizisten" gegeben.
Der Zeitungsartikel, auf den sich die Beschwerdeführerin berufen hat, wurde bei dieser Vernehmung übersetzt und dabei festgestellt, dass er lediglich Aussagen über den Schulunterricht von albanischen Kindern in Österreich, jedoch keine Angriffe gegen die serbische Politik enthalte. Damit konfrontiert erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihr Mann auch noch andere Artikel geschrieben habe.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 1997 hat das Bundesasylamt diesen Asylantrag abgewiesen. In der dagegen gerichteten Berufung legte die Beschwerdeführerin weitere von ihrem Mann in Österreich verfasste Zeitungsartikel in albanischer Sprache vor und führte aus, dass ihr Gatte - wäre er von der Erstbehörde vernommen geworden - Folgendes ausgesagt hätte:
Er sei früher Obmann einer Jugendunion im Kosovo mit etwa 7.000 Mitgliedern gewesen. Andere Mitglieder der Führungsebene dieser Organisation seien verhaftet, gefoltert und nach seinem Aufenthalt befragt worden. Im Zuge der Nachforschungen nach ihm sei seiner Frau (der Beschwerdeführerin) vorgeworfen worden, ebenfalls politisch aktiv zu sein. Im Zuge einer Hausdurchsuchung seien ihr Reisepass und schriftliche Unterlagen beschlagnahmt worden. Die Beschwerdeführerin sei dabei von den Polizisten zu Boden geschlagen und an den Haaren sowie an der Schulter gepackt worden. Anschließend hätten ihr albanische Ärzte erste Hilfe geleistet. Nach der Kulmination der Proteste am 1. Oktober 1997 habe seine Gattin die Nerven verloren und dem psychischen Druck nicht mehr standgehalten. Sie habe Angst gehabt, bei einer Demonstration wieder erkannt und neuerlich einvernommen zu werden. Sie habe befürchtet, dass es ihr so ergehe wie einer Bekannten, die im Gefängnis zwei Tage gefoltert worden sei.
Mit Bescheid vom 27. Mai 1998 hat der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung abgewiesen.
Die belangte Behörde ging dabei von folgenden Feststellungen aus:
"Die Asylwerberin ist Mitglied und Aktivistin der LDK. Sie hat im Jahr 1991 und am 1. Oktober 1997 an Demonstrationen teilgenommen. Nachteile sind der Asylwerberin aufgrund der Teilnahme an diesen Demonstrationen nicht erwachsen. Am 25. März 1997 sind zwei Polizisten zur Asylwerberin gekommen und haben sie betreffend Zeitungsartikel, die ihr Mann verfasst hat, befragt. Die beiden Polizisten haben zur Asylwerberin gesagt, dass dann, wenn sie nicht dafür Sorge trägt, dass sich der Gatte der Polizei stellt, sie dafür zur Verantwortung gezogen wird. Gesucht wir die Asylwerberin in ihrem Heimatland nicht. Mit Ausreisegedanken hat sich die Asylwerberin seit Mitte Oktober 1997 getragen."
Das über diese Feststellungen hinausgehende in der Berufung wiedergegebene Vorbringen des Gatten der Beschwerdeführerin sei nicht glaubwürdig, weil es mit der Aussage der Beschwerdeführerin nicht in Einklang zu bringen sei. Die Beschwerdeführerin habe bei ihrer Einvernahme mit keinem Wort erwähnt, von Polizisten tätlich angegriffen worden zu sein. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die Beschwerdeführerin diese gravierenden Vorfälle verschwiegen haben sollte. Weiters habe die Beschwerdeführerin ausdrücklich ausgesagt, dass ihr bei der Demonstration am 1. Oktober 1997 nichts geschehen sei und sie danach wieder nach Hause gegangen sei. An die Ausreise habe sie erst ab Mitte Oktober 1997 gedacht. Dies stehe im Widerspruch zu dem in der Berufung wiedergegebenen Vorbringen, wonach die Beschwerdeführerin nach der Demonstration am 1. Oktober 1997 aufgrund der Kulminierung der Ereignisse dem psychischen Druck nicht mehr standgehalten habe. Darüberhinaus lebe der Gatte der Beschwerdeführerin, von dem die Ausführungen in der Berufung stammten, schon seit Jahren nicht mehr im Kosovo. Seine Aussagen seien daher mangels eigener Wahrnehmung nicht stichhältig.
Bei dem festgestellten Vorfall vom 25. März 1997 seien die Polizisten nicht derart massiv vorgegangen, dass daraus eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin abgeleitet werden könne. Überdies fehle es im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin noch bis 26. Oktober 1997 unbehelligt im Kosovo aufgehalten habe, am zeitlichen Konnex zur Ausreise.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die dargestellte - nicht konkret bekämpfte - Beweiswürdigung der belangten Behörde begegnet im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1995, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.
Von den Feststellungen im angefochtenen Bescheid ausgehend hat die belangte Behörde jedoch zu Recht keine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin angenommen. Die Beschwerdeführerin wurde lediglich am 25. März 1997 wegen der von ihrem Mann veröffentlichten Zeitungsartikel befragt. Dabei wurde sie damit bedroht, zur Verantwortung gezogen zu werden, wenn sie nicht dafür sorge, dass sich ihr Mann der Polizei stelle. Diese Drohung wurde in der Folge nicht wahr gemacht. Die Beschwerdeführerin konnte vielmehr bis zu ihrer Flucht am 26. Oktober 1997 ohne irgendwelche Verfolgungshandlungen in ihrer Heimat leben, obwohl sich ihr Gatte nicht der Polizei gestellt hat. Sie wird auch jetzt nach eigenen Angaben im Kosovo nicht gesucht. Die Ansicht der belangten Behörde, dass es dem Vorfall vom 25. März 1997 sowohl an der für die Asylgewährung erforderlichen Intensität als auch am zeitlichen Konnex zur Ausreise fehlt, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden. Die - wie immer geartete - politische Tätigkeit des Mannes der Beschwerdeführerin, der sich unbestritten seit sechs Jahren in Österreich aufhält, hat daher jedenfalls zu keiner asylrelevanten Verfolgung der Beschwerdeführerin geführt. Entgegen der Beschwerdemeinung stellt daher das Unterlassen von Erhebungen zu den politischen Aktivitäten des Mannes der Beschwerdeführerin keinen relevanten Verfahrensmangel dar.
Im Übrigen gesteht die Beschwerdeführerin zu, dass ihr Mann - anders als in der Berufung vorgebracht - zur "Behandlung der Beschwerdeführerin durch die Polizei" nichts aussagen könne.
Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die "Eskalation der Situation im Kosovo" beruft, ist auszuführen, dass insbesondere aus Medienberichten allgemein bekannt ist, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere von serbischen Einheiten auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen.
Die Beschwerde unterlässt es jedoch, die Relevanz des Umstandes, dass die belangte Behörde diesbezüglich kein Ermittlungsverfahren - unter Einräumung der Parteiengehörs und allenfalls Durchführung einer mündlichen Verhandlung - geführt hat, aufzuzeigen. Es ist nämlich gleichfalls notorisch, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstrecken, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck") sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decane und Djacovica erstrecken. Die Beschwerdeführerin stammt jedoch aus Pristina. Es kann nicht als notorisch angesehen werden, dass bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides verstärkte Aktionen der genannten Art auch in dieser Stadt erfolgten. Dass die Beschwerdeführerin aus anderen Gründen - etwa weil ihr ein Naheverhältnis zu den "albanischen Separatisten" vorgeworfen wird - von diesen Vorfällen besonders betroffen sei, hat sie nicht behauptet. Aus der bloßen Zugehörigkeit zu albanischen Bevölkerungsgruppe - ohne räumliches Naheverhältnis zu Gegenden mit verstärkten Aktivitäten von serbischen Einheiten (vgl. zu diesem Merkmal insbesondere das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370) und ohne sonstige Anhaltspunkte für eine individuelle Verfolgung - kann jedoch eine mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchtende asylrelevante Verfolgung nicht abgeleitet werden.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich aber aufgrund der gravierenden Änderung der Situation seit Mitte März 1999, die bei der Entscheidung über den am 27. Mai 1998 erlassenen angefochtenen Bescheid nicht mehr berücksichtigt werden darf, wegen der grundsätzlichen Bedeutung für derzeit bei den Verwaltungsbehörden anhängigen Asylverfahren von Asylwerbern aus dem Kosovo zu nachfolgender Aussage veranlasst:
Wie in den Medien berichtet wurde, hätten ab Mitte März 1999 serbische Einheiten mit "ethnischen Säuberungsaktionen" begonnen, die mit schwersten Übergriffen gegen Leib, Leben und wirtschaftliche Existenzmöglichkeit aller ethnischen Albaner im Kosovo verbunden seien. Diese Aktionen hätten augenscheinlich das Ziel, die Albaner aus dem Kosovo zu vertreiben. Sollte dies zutreffen, hätten Angehörige der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo schon allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit grundsätzlich eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten. Unter diesen Voraussetzungen stünde aufgrund des geänderten Sachverhaltes im vorliegenden Fall der neuerlichen Stellung eines Asylantrages nicht das Hindernis der entschiedenen Sache entgegen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. Mai 1999
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1 Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010300.X00Im RIS seit
11.07.2001