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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32003L0086 Familienzusammenführung-RL;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. Oktober 2018, VGW- 151/020/8835/2018-11, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: A J, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erteilte das Verwaltungsgericht Wien (VwG) der Mitbeteiligten, einer serbischen Staatsangehörigen, den beantragten Aufenthaltstitel für Studenten gemäß § 64 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit der Gültigkeitsdauer von 12 Monaten. Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.
Dies begründete das VwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - damit, dass die von der Mitbeteiligten nachgewiesenen Unterhaltsmittel nur geringfügig das nach den Richtsätzen des § 293 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geforderte Einkommen unterschritten (EUR 870,42 statt der erforderlichen EUR 909,42). Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zufolge könne eine nur geringfügige Unterschreitung der erforderlichen Unterhaltsmittel im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung von Bedeutung sein (Hinweis auf VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0186; 19.11.2014, 2013/22/0009; 21.12.2010, 2009/21/0002).
"(I)m Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung" berücksichtigte das VwG, dass die Mitbeteiligte von ihren Eltern unterstützt werde und vor ihrem Auslandssemester in Slowenien im Wintersemester 2017/2018 bereits "längerfristig" (zwischen September 2016 und September 2017) in Österreich aufhältig gewesen sei, ohne dass dies zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft geführt habe; aufgrund der lediglich geringfügigen Unterschreitung sei davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt der Mitbeteiligten finanziell gesichert sei; ihr sei der Nachweis ausreichender Mittel zur Finanzierung ihres Aufenthaltes in Österreich geglückt und es liege die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG vor.
Zu den weiteren Erteilungsvoraussetzungen führte das VwG aus, diese schienen als erfüllt; die Mitbeteiligte sei zur Inlandsantragstellung aufgrund eines Visums D berechtigt gewesen, sie sei unbescholten, gegen sie liege keine aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, sie verfüge über eine Krankenversicherung, öffentliche Interessen stünden dem Aufenthalt der Mitbeteiligten nicht entgegen.
2 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision. 3 Die Mitbeteiligte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung
die Abweisung, in eventu die Zurückweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 Der Revisionswerber bringt in der Zulässigkeitsbegründung vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der hg. Rechtsprechung ab. Die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG liege fallbezogen nicht vor, der Antrag wäre daher - vorbehaltlich einer Prüfung gemäß § 11 Abs. 3 NAG - abzuweisen gewesen. Das VwG habe aber keine Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Mitbeteiligten gemäß Art. 8 EMRK getroffen und keine Einzelfallbeurteilung gemäß § 11 Abs. 3 NAG durchgeführt. Die im angefochtenen Erkenntnis zitierte hg. Judikatur beziehe sich auf Fälle einer beantragten Familienzusammenführung; daraus könne nicht geschlossen werden, dass allgemein bei einer nur geringfügigen Unterschreitung der erforderlichen Unterhaltsmittel ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei, wenn die Umstände des konkreten Falles dies erforderten.
5 Die Revision ist angesichts der Ausführungen zur Beurteilung der Frage, ob die nötigen Unterhaltsmittel für Studenten zur Verfügung stehen, zulässig, sie ist aber aus folgenden Gründen nicht berechtigt:
6 § 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lautet auszugsweise:
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) ...
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden,
wenn
1. ...
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen
Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5. ...
(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. ..."
7 Gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. e der Richtlinie 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit muss der Antragsteller den vom betreffenden Mitgliedsstaat verlangten Nachweis erbringen, dass er während seines geplanten Aufenthalts über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt, ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats, und über die Kosten für die Rückreise verfügt. Die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, stützt sich auf eine Einzelfallprüfung und berücksichtigt die Mittel, die u. a. aus einem Stipendium, einem gültigen Arbeitsvertrag oder einem verbindlichen Arbeitsplatzangebot oder einer finanziellen Verpflichtung einer für den Schüleraustausch, die Aufnahme von Praktikanten oder den Freiwilligendienst zuständigen Organisation, einer Gastfamilie oder einer Au-pair-Vermittlungsstelle stammen. Gemäß Abs. 3 können die Mitgliedstaaten einen Referenzbetrag für die "nötigen Mittel" nach Absatz 1 Buchstabe e angeben. Die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, stützt sich auf eine Einzelfallprüfung.
8 Das VwG berücksichtigte im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung, dass die Revisionswerberin laufend von ihren Eltern unterstützt werde und ihr Aufenthalt in Österreich zwischen September 2016 und September 2017, bevor sie im Wintersemester 2017/2018 ein Auslandssemester in Slowenien absolviert habe, zu keiner finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft geführt habe.
9 Angesichts der in Art. 7 Abs. 1 lit. e iVm Abs. 3 der Richtlinie 2016/801 festgelegten Verpflichtung zur Prüfung der nötigen Mittel jeweils im Einzelfall (siehe das zur Auslegung der vergleichbaren Bestimmung der Richtlinie 2003/86 ergangene Urteil des EuGH vom 4. März 2010, Chakroun, C-578/08, Rn. 48) ist für den fallbezogen beantragten Aufenthaltstitel für Studenten das Erteilungserfordernis des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die in § 293 ASVG festgelegten Richtsätze, auf die in § 11 Abs. 5 NAG verwiesen wird, als Referenzbetrag im Sinn des Art. 7 Abs. 3 der genannten Richtlinie zu verstehen sind. Kann der Antragsteller nachweisen, dass er trotz einer (geringfügigen) Unterschreitung dieses Referenzbetrages ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt und für die Rückreise verfügt, ist das Erfordernis des Nachweises der "nötigen Mittel" als erfüllt anzusehen.
10 Der Revisionswerber bestreitet nicht die Feststellungen des VwG, dass die Mitbeteiligte - ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems - über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für ihren Unterhalt und für ihre Rückreise verfügt.
11 Das VwG beurteilte somit im Ergebnis zu Recht die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG als erfüllt.
12 Die Revision war daher als unbegründet abzuweisen. 13 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. Februar 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62008CJ0578 Chakroun VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220283.L00Im RIS seit
26.03.2019Zuletzt aktualisiert am
26.04.2019