TE Vwgh Erkenntnis 2019/2/28 Ra 2018/14/0366

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Veröffentlicht am 28.02.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §19 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y in Z, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2018, W111 2152565-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Äthiopien, stellte am 24. Mai 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. März 2017 sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei, und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht, ohne die in der Beschwerde beantragte Verhandlung durchzuführen, mit dem beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Erkenntnis als unbegründet ab. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten sowie nach Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 Zur Zulässigkeit der Revision wird (u.a.) geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht die Durchführung einer Verhandlung unterlassen. Nach der Rechtsprechung zu § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) sei eine Verhandlung "zwingend" durchzuführen, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nicht bloß unwesentlich ergänze. Das liege hier vor. Die ergänzenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts seien schon deswegen notwendig gewesen, weil die Behörde ihre Beweiswürdigung nur auf zwei kurze floskelhafte Sätze beschränkt habe. Somit habe das Bundesverwaltungsgericht "überhaupt erst die erste Beweiswürdigung" zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers vorgenommen.

6 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 7 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung

unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur - hier maßgeblichen - Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich:

8 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 15.11.2018, Ra 2018/19/0247, mwN).

9 Die Revision macht zu Recht geltend, dass diese Kriterien im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren.

10 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stufte das Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen der Flucht aus seinem Heimatland als unglaubwürdig ein. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung führte es (lediglich) aus, dass die Angaben des Revisionswerbers "weder plausibel noch schlüssig nachvollziehbar" seien und er bei der Erstbefragung "nichts von seiner jetzigen Erzählung" erwähnt habe. Daraus folgerte die Behörde, es liege bloß ein konstruiertes Vorbringen vor, das allein dazu dienen solle, dem Revisionswerber die Gewährung von Asyl zu verschaffen.

11 Diese Beweiswürdigung stellte sich als nicht dem Gesetz entsprechend dar.

12 Die Behörde unterließ es gänzlich darzustellen, aus welchen Gründen sie die Angaben des Revisionswerbers als nicht plausibel und für sie nicht nachvollziehbar erachtete. Soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen von Klammerausdrücken Auszüge aus mit dem Revisionswerber angefertigten Niederschriften wiedergab, blieb dies in Ermangelung der Offenlegung von darauf Bezug nehmenden Erwägungen ohne jeglichen Begründungswert (vgl. dazu, dass die bloße Inklusion von Aktenteilen der Begründungspflicht nicht genügt und insbesondere keine nachvollziehbare Beweiswürdigung darstellt VwGH 20.11.2008, 2006/21/0203; 29.4.2008, 2006/21/0332; an dieser Rechtsprechung festhaltend VwGH 16.12.2014, Ra 2014/19/0101, sowie ausführlich zur Begründung von Entscheidungen VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, wo auch festgehalten wurde, dass die bloße Zitierung von Beweisergebnissen, wie etwa von Aussagen, weder erforderlich noch hinreichend ist).

13 Was die nicht näher begründeten Ausführungen der Behörde betreffen, die "jetzige Erzählung" des Revisionswerbers sei in der Erstbefragung nicht erwähnt worden, ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich - abgesehen von einem hier nicht vorliegenden Folgeantrag - nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es am Boden des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. etwa VwGH 24.2.2015, Ra 2014/19/0171; 23.6.2015, Ra 2014/01/0182; 6.11.2018, Ra 2018/18/0213). Dem ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aber in keiner Weise nachgekommen.

14 All dies offenkundig erkennend sah sich das Bundesverwaltungsgericht nach dem Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses veranlasst, umfassende eigene die Beweiswürdigung betreffende Erwägungen anzustellen, womit dieselbe nicht bloß unwesentlich ergänzt wurde (vgl. zu der diesfalls grundsätzlich bestehenden Pflicht, eine Verhandlung durchführen zu müssen, etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0284; 6.9.2018, Ra 2918/18/0010 bis 0013, jeweils mwN).

15 Sohin lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der beantragten Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und - wie hier gegeben - des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0136, mwN).

16 Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis - zur Gänze, weil die auf der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtlich aufbauenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen hätte eingegangen werden müssen.

17 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.

18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Februar 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018140366.L00

Im RIS seit

26.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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