TE OGH 2019/2/26 8ObS2/18d

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Veröffentlicht am 26.02.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayer-Khoshideh und Wolfgang Jelinek in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, 8020 Graz, Europaplatz 12, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 327 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. April 2018, GZ 6 Rs 7/18y-10, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. September 2017, GZ 30 Cgs 188/17x-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 210,42 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 34,79 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 1. 6. 1993 bis 26. 2. 2016 bei einer Gesellschaft, über deren Vermögen am 29. 2. 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt der Klägerin. Aufgrund des am 1. 6. 2016 beginnenden neuen Urlaubsjahres hätte die Klägerin bis 30. 6. 2016 einen weiteren Urlaubsanspruch von 2,08 Arbeitstagen erworben, dem eine Urlaubsersatzleistung in Höhe des Klagsbetrags entspricht.

Ab 7. 3. 2016 war die Klägerin selbstständig erwerbstätig und bezog daraus im Jahr 2016 ein Einkommen von 16.965 EUR brutto.

Die Beklagte lehnte (soweit im Revisionsverfahren noch relevant) die Gewährung von Insolvenz-Entgelt für den in der Zeit vom 1. 6. bis 30. 6. 2016 fiktiv entstandenen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung wegen der in dieser Zeit ausgeübten selbstständigen Tätigkeit ab.

In der Klage wird vorgebracht, die Klägerin habe in ihrer selbstständigen Tätigkeit keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub erwerben können. Bei einer Anrechnung anderweitigen Verdienstes seien aber nur zeitlich kongruente Naturalurlaubsansprüche aus zwei Beschäftigungsverhältnissen rückblickend einander gegenüberzustellen.

Die Beklagte wandte ein, es mache keinen Unterschied, ob der anzurechnende anderweitige Erwerb aus einer selbstständigen Tätigkeit oder aus einem Arbeitsverhältnis stamme. Selbstständige hätten ebenso die Möglichkeit, zu Erholungszwecken Freizeit in Anspruch zu nehmen, das im Bezugszeitraum tatsächlich erzielte Einkommen sei daher anzurechnen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Ein Arbeitnehmer müsse sich nach § 1 Abs 3 IESG zur Vermeidung einer doppelten Abgeltung den gegen einen neuen Arbeitgeber gebührenden Naturalurlaub auf die für den selben Zeitraum gebührende Urlaubsersatzleistung anrechnen lassen. Einen Naturalurlaubsanspruch habe die Klägerin jedoch als Selbstständige nicht erwerben können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene, von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist im Sinne des Ausspruchs des Berufungsgerichts zur Klarstellung einer über den Einzelfall hinaus bedeutenden Rechtsfrage zulässig.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Die Beklagte argumentiert, der Oberste Gerichtshof judiziere in ständiger Rechtsprechung, dass auf einen als Teil der Kündigungsentschädigung geltenden (fiktiven) Urlaubsersatzleistungsanspruch ab dem vierten Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 29 Abs 2 AngG, § 1 Abs 3 Z 3 IESG) der im selben Zeitraum gegen einen neuen Arbeitgeber entstandene Naturalurlaubsanspruch anzurechnen sei, weil es andernfalls zu einem „Doppelverdienst“ käme (vgl RIS-Justiz RS0028674). Ob das auf die Kündigungsentschädigung anzurechnende Einkommen aus einer unselbstständigen oder einer selbstständigen Tätigkeit stamme, spiele keine Rolle. Es komme nach der zitierten Rechtsprechung bei der Gegenrechnung von Naturalurlaubsansprüchen aber auch nicht darauf an, wie hoch das Einkommen aus der neuen Tätigkeit ist. Es sei daher bei einer neuen selbstständigen Tätigkeit „das (aliquote) Entgelt anzurechnen“ und „eventualiter von einem fiktiven Bestand eines anrechenbaren Urlaubs in Natura auszugehen“.

2. Die Beklagte legt nicht näher dar, was sie unter der geforderten „aliquoten Anrechnung“ des durch die selbstständige Tätigkeit erworbenen Entgelts auf die Urlaubsersatzleistung versteht.

Soweit damit gemeint sein sollte, dass das Jahreseinkommen des Selbstständigen bei der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG so aufzuteilen wäre, dass darin ein fiktives Urlaubsentgelt für 5 Wochen enthalten ist, könnte die Beklagte damit für ihren Standpunkt schon insofern nichts gewinnen, als bei einer solchen Aliquotierung das anrechenbare durchschnittliche selbstständige Einkommen (von monatlich 1/12 der Jahressumme auf gerundet 1/13) sinkt. Dabei würde sich wiederum der unstrittig gesicherte Differenzanspruch auf die laufende Kündigungsentschädigung aliquot erhöhen.

Eine insgesamt geringere gesicherte Forderung ergäbe sich danach nur, wenn das anrechenbare selbstständige Durchschnittseinkommen höher wäre als das frühere unselbstständige. Dies war bei der Klägerin nicht der Fall.

3. Im Übrigen beruhen die Ausführungen der beklagten Partei auch auf einem Missverständnis der wesentlichen Begründung der von ihr herangezogenen Rechtsprechung.

Wenn bei der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG bzw § 29 Abs 2 AngG die aliquoten Naturalurlaubsansprüche und nicht deren „Geldwert“ (Urlaubsersatzleistung aus dem alten und Urlaubsentgelt aus dem neuen Arbeitsverhältnis) gegenübergestellt werden, liegt die Begründung im Wesen des Urlaubsanspruchs als grundsätzlich in natura zu konsumierender, weil zur Erholung bestimmter bezahlter Freizeit, der sich nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Geldanspruch umwandelt.

Gewährt auch das neue Arbeitsverhältnis einen konsumierbaren Anspruch auf bezahlten Urlaub im selben Ausmaß, dann ergibt die Kompensation mit dem auf die Anrechnungsperiode entfallenden fiktiven Urlaub aus dem alten Arbeitsverhältnis in Summe Null. Da hier kein Naturalurlaub entgeht, ist dafür schon dem Grunde nach kein Ersatz zu leisten (vgl schon 9 ObS 3/91), auch wenn die fiktive Urlaubsersatzleistung in der Kündigungsentschädigung höher gewesen wäre als das Urlaubsentgelt im neuen Arbeitsverhältnis (RIS-Justiz RS0077159).

4. Das Gesagte bedeutet allerdings entgegen der Auffassung der Revision keineswegs, dass auch freie Tage, für die schon dem Grunde nach überhaupt kein Entgeltanspruch besteht, mit Urlaubstagen kompensierbar sind.

Zu den Voraussetzungen für eine wirksame Aufrechnung – hier der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG – gehört die Gleichartigkeit der Forderungen (§ 1438 ABGB; vgl 8 ObS 250/98t [gesicherte Abfertigung]).

Urlaub gemäß § 2 UrlG ist Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht für eine (durch Gesetz, kollektivrechtliche Norm oder Einzelarbeitsvertrag) bestimmte Zeit bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts (ua Reissner in ZellKomm³ § 2 UrlG Rz 1; Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 6/672).

Das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist nach Artikel 31 der Charta Teil der Grundrechte der Europäischen Union, wird in Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG konkretisiert und entfaltet nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirksamkeit (EuGH C-282/10, Dominguez, Rn 33–35 ECLI:EU:C:2012:3; C-684/16 Alag Plank Rn 62 ff ECLI:EU:C:2018:874).

Auch die Richtlinie 2003/88/EG behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und jenen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs (vgl EuGH C-539/12, Lock, Rn 17 ECLI:EU:C:2014:359 mwN; C-214/16, King, Rn 35 ECLI:EU:C:2017:914). Der Urlaubsanspruch wird daher nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber zwar den Konsum von Freizeit ermöglicht, dafür aber nichts bezahlt (vgl EuGH C-214/16, King, Rn 36).

Mit diesen Grundsätzen des nationalen und des Unionsrechts ist die Auffassung der Revisionswerberin nicht vereinbar, die Möglichkeit eines selbstständig Erwerbstätigen, Freizeit zu konsumieren, einem Urlaubsanspruch im Sinne des § 2 UrlG gleichzusetzen.

Es ist Wesensmerkmal eines Anspruchs, dass es auch einen Verpflichteten gibt, gegen den er sich richtet. Der Selbstständige hat aber weder gegen sich selbst einen Freistellungsanspruch, noch einen im Sinne des § 1 Abs 3 Z 3 IESG „erworbenen“ Entgeltanspruch. Konsumierte Freizeit, die den Erwerbstätigen nicht in eine Lage versetzt, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH C-214/16, King, Rn 35) ist kein Urlaub.

Eine Anrechnung solcher Freizeit nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG auf eine Urlaubsentschädigung scheidet mangels der erforderlichen Gleichartigkeit aus.

5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2a ASGG.

Textnummer

E124390

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBS00002.18D.0226.000

Im RIS seit

26.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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