TE OGH 2019/3/5 1Ob7/19i

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2019
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Dr. E. Solé, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren ***** 2009, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Univ.-Prof. Dr. C*****, vertreten durch Mag. Marina Breitenecker und andere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. November 2018, GZ 42 R 341/18k-215, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 14. August 2018, GZ 25 Ps 139/13h-207, mit Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

Beiden Elternteilen wird aufgetragen, fünf Termine bei einer Erziehungsberatung zu absolvieren und diese Besuche dem Erstgericht spätestens vier Monate nach Zustellung dieses Beschlusses nachzuweisen.

Text

Begründung:

Für das im Oktober 2009 geborene Kind besteht derzeit die gemeinsame Obsorge beider Elternteile. Es wohnt bei der Mutter. Mit dem (rechtskräftigen) Beschluss vom 13. 3. 2014 erfolgte eine Regelung des Kontaktrechts des Vaters. Danach hat er das Recht, sein Kind jeden zweiten Samstag und Sonntag von 11:00 bis 17:00 Uhr zu sehen. Der letzte tatsächliche Kontakt fand allerdings am 2. 8. 2014 statt. Zu weiteren Kontakten kam es trotz der Verhängung einer Beugestrafe über die Mutter nicht mehr. Das Erstgericht trug – nach Zustellung des Beschlusses zu 1 Ob 170/15d, mit dem der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter gegen die Bestätigung der Beugestrafe durch das Rekursgericht zurückgewiesen worden war – den Eltern auf, zu ihren zuvor gestellten Anträgen (Einschränkung des Kontaktrechts [Mutter], Verhängung weiterer Beugestrafen über die Mutter sowie etliche Fristsetzungsanträge [Vater]) Stellung zu nehmen; sollte binnen 14 Tagen keine Äußerung einlangen, gehe es davon aus, dass die offenen Anträge zurückgezogen würden. Erst nach Ablauf der dazu gewährten Fristerstreckungen (der Vater stellte zwei, die Mutter elf Fristerstreckungsanträge) äußerte sich die Mutter dahin, dass sie aus dem Verhalten des Vaters schließe, dass er von einer Weiterführung des Verfahrens absehe. Sie beantragte seine offenen Anträge abzuweisen, selbst in Abwesenheit des Vaters einvernommen zu werden und – nachdem der Vater seinerseits die Festlegung von zehn begleiteten Kontakten jeweils Samstag und Sonntag für einen Zeitraum von drei oder vier Stunden begehrte – die Kontakte des Vaters „vorläufig zumindest für die Dauer von einem Jahr“ auszusetzen sowie ihn zu regelmäßigen Erziehungsberatungen zu verpflichten. Nachdem in der Tagsatzung vom 4. 10. 2016 erörtert worden war, dass vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Vater und Kind gesetzt werden sollten und die Mutter ihrerseits der Informationsverpflichtung gegenüber dem Vater nachkommen solle, beschloss das Erstgericht am 2. 11. 2016 mit dem Verfahren für die Dauer von fünf Monaten inne zu halten. Nach Ablauf dieser Frist beantragte der Vater die Beiziehung einer kinderpsychologischen Sachverständigen zur Bewertung der Situation des Kindes, insbesondere zur Erziehungsfähigkeit von Vater und Mutter. Dagegen sprach sich die Mutter aus, kündigte aber an, sie werde ihren Antrag auf Aussetzung des Kontaktrechts zurückziehen, sofern sich der Vater bereit erkläre oder vom Gericht dazu verpflichtet werde, Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig stellte sie den Antrag, dem Vater die Obsorge zu entziehen und ihr die alleinige Obsorge zu übertragen, weil zwischen den Eltern nicht die geringste Kommunikations-
bzw Kooperationsbasis bestünde und der Vater, der im Ausland lebe, seine Obsorge aufgrund der großen räumlichen Distanz gar nicht ausüben könne.

Das Erstgericht nahm daraufhin die Anordnung einer Erziehungsberatung durch eine namentlich genannte Person in Aussicht. Die Mutter sprach sich (nach einer neuerlichen Fristerstreckung) – aus nicht näher dargelegten finanziellen Gründen – gegen diese aus und kündigte an, sie werde dem Vater nach entsprechender richterlicher Anordnung der Erziehungsberatung eine geeignete Institution vorschlagen.

Mit dem angefochtenen Beschluss trug das Erstgericht den Eltern auf, eine gemeinsame Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen. Für den Fall, dass bis zum 20. 9. 2018 die Entscheidung für eine geeignete Person oder Stelle nicht gemeinsam getroffen werden könne, ordnete es an, fünf Termine bei einer namentlich genannten Erziehungsberaterin zu absolvieren und diese Besuche bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nachzuweisen. Ob vor den gemeinsamen Terminen Einzeltermine bei der Erziehungsberatung absolviert würden, bleibe den Eltern vorbehalten. Es führte in seiner Begründung aus, die Familiengerichtshilfe habe aufgrund des hohen Konfliktpotentials der Eltern in ihrer fachlichen Stellungnahme den Wunsch der Mutter unterstützt, zumindest zu Beginn der Elternberatung ein getrenntes „Setting“ bei dem selben Berater vorzunehmen, längerfristig müsse jedoch ein gemeinsames „Setting“ hergestellt werden, um eine zielführende Elternberatung gewährleisten zu können. Im Sinne des Kindeswohls sei festzuhalten, dass wenn eine Einigung auf eine Elternberatung „aufgrund der Hochkonflikthaftigkeit“ nicht gelingen sollte, vom Gericht eine Elternberatung „vorgeschlagen“ worden sei, deren Besuch von den Eltern nachzuweisen sei. Nach ein oder zwei Terminen, die allenfalls in einem getrennten „Setting“ stattfänden, seien jedenfalls gemeinsame Termine zu „präferieren“, das genaue „Setting“ bleibe aber der Elternberaterin vorbehalten.

Dem gegen diese Entscheidung von der Mutter erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht nicht Folge und bestätigte den Beschluss mit der Maßgabe einer Verlegung der bereits abgelaufenen Termine. Dem von der Mutter vertretenen Standpunkt, nach der herrschenden Lehre dürfe das Gericht den Eltern die Inanspruchnahme einer namentlich genannten Beratungseinrichtung nicht vorschreiben, es müsse deren Auswahl grundsätzlich den Eltern alleine vorbehalten bleiben und dürfe eine vom Gericht aufgetragene Erziehungsberatung die Belange einer Partei nicht unzumutbar beeinträchtigen, setzte es entgegen, dass das Gericht ansonsten, wenn – wie auch im vorliegenden Fall – eine Einigung zwischen den Eltern nicht gelänge, keine Möglichkeit hätte, die Eltern zu einer Erziehungsberatung zu verpflichten und es damit ein Elternteil in der Hand hätte, durch das Unterlaufen einer Einigung darüber, wer die Erziehungsberatung durchführen solle, die gerichtlich angeordnete Erziehungsberatung auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern. Der Vater habe nun seit rund vier Jahren keinen Kontakt mehr mit seinem Kind gehabt, was in keiner Weise mit dem Kindeswohl zu rechtfertigen sei. Die Mutter habe den Rekurs offensichtlich erhoben, ohne vorher einen Versuch zu unternehmen, sich mit dem Vater wie im Beschluss vorgesehen auf eine Beratungsstelle zu einigen, sodass durch die Erhebung des Rekurses das Verfahren neuerlich hinausgezögert werde.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig. Sie strebt damit die Abänderung der Entscheidung dahin an, dass den Eltern der Besuch einer Erziehungsberatung bei einer geeigneten Person oder Stelle aufgetragen wird, deren Auswahl aber ihnen überlassen bleibt, und macht geltend, die Vorinstanzen widersprächen der herrschenden Lehre (Beck, Kindschaftsrecht² Rz 1131). Mit den bekämpften Beschlüssen werde in das Selbstbestimmungsrecht der Eltern unbegründet eingegriffen.

Der Vater beruft sich in seiner Revisionsrekursbeantwortung dagegen auf die schon vom Rekursgericht zitierte (aber nicht näher begründete) Ansicht von Nademleinsky (in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013, 239 [250]), wonach bei Nichteinigung der Parteien die Auswahl (an dieser Stelle allerdings) eines Mediators (und damit die Maßnahme einer Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation oder über ein Schlichtungsverfahren nach § 107 Abs 3 Z 2 AußStrG) durch das Gericht erfolgen müsse. Überdies weist der Vater darauf hin, dass nach dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein müsse (Art 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl I 2011/4 – Rechte von Kindern) und meint, es gehe der Mutter nur darum, die Kontakte zwischen dem Kind und seinem Vater so lange wie möglich hinauszuzögern.

Dazu ist Folgendes zu erwägen:

Nach § 107 Abs 3 AußStrG hat das Gericht zur Sicherung des Kindeswohls die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Zu den Maßnahmen, die dabei angeordnet werden können, zählt unter anderem der „verpflichtende Besuch einer Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung“ (§ 107 Abs 3 Z 1 AußStrG).

Die Gesetzesmaterialien nehmen zu der den Schwerpunkt der Ausführungen der Revisionsrekurswerberin bildenden Frage, ob das Gericht die Person auswählen darf, nicht Stellung. Es wird dort (nur) erläutert, dass Eltern, die von sich aus nicht bereit wären, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, ihre gegen die Beratung gerichtete Einstellung (zum Beispiel Scham- und Schuldgefühle; Einfluss von Freunden, die abraten) überwänden, wenn sie
– wenn auch zunächst unfreiwillig – die Gelegenheit erhielten, sich anzuvertrauen und ihre Sorgen um die Kinder zu besprechen. Mütter und Väter bräuchten nämlich oftmals einen Raum, in dem ihre persönlichen Schwierigkeiten und Gefühle ernst genommen werden und in dem sie (wieder) pädagogisch verantwortungsvolle Haltungen ihren Kindern gegenüber erlangen (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 38). Damit ist jedenfalls deutlich gemacht, dass es eines vertrauensvollen Rahmens zwischen dem Erziehungsberater und dem (einzelnen) Elternteil bedarf – soll die Erziehungsberatung nicht bloße Pflichtübung im Sinne einer zwar formalen Anwesenheit bei fehlender „innerer“ Teilnahme sein – und es um Vorbehalte der Eltern gegenüber dem Instrument der Erziehungsberatung geht, nicht um die zwangsweise Überwindung von Problemen zwischen den Eltern.

Dass eine nach § 107 Abs 3 AußStrG angeordnete Maßnahme nach den dazu ermittelten Tatsachengrundlagen zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich und geeignet sein muss, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (s 1 Ob 147/17z). Dass dies hier der Fall ist, wird von beiden Elternteilen nicht angezweifelt.

Allerdings darf eine solche Maßnahme nach dem Gesetzeswortlaut auch „die Belange der übrigen Parteien“ nicht unzumutbar beeinträchtigen. Dem Beschluss erster Instanz lässt sich aber kein Tatsachensubstrat entnehmen, das die Abwägung dieser Belange (hier nicht nur jene der Mutter, sondern etwa auch jene des Vaters, der im Ausland lebt) in Bezug auf die Anordnung eines verpflichtenden gemeinsamen Besuches bei derselben vom Gericht allein ausgewählten Person zuließe. Aufgrund der überhaupt nur rudimentär festgestellten Tatsachengrundlage, die über eine „Hochkonflikthaftigkeit“ der Eltern nicht hinausgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum eine Abwägung der Belange der Eltern mit dem Interesse des Kindes die zwangsweise Absolvierung einer Erziehungsberatung beider Elternteile gemeinsam (bei einer vom Gericht gewählten Person) erfordert und wieso nicht auch eine getrennte Beratung (bei einer Person des Vertrauens der jeweiligen Eltern) dem Kindeswohl ausreichend förderlich wäre. Auch ist aus dem Beschluss nicht zu erschließen, inwieweit ein positiver Erfolg zu erwarten wäre, wenn den Eltern die Verpflichtung zum Besuch einer gemeinsamen Erziehungsberatung auferlegt wird (und überdies auch die konkrete Person, der gegenüber sie sich – vor dem anderen Elternteil – vertrauensvoll öffnen sollen, aufoktroyiert wird). Dabei hat in die Abwägung mit den Interessen der Eltern – auch wenn (etwa bei der Entscheidung über die Obsorge) im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem Kindeswohl erstere naturgemäß zurückzutreten haben (RIS-Justiz RS0048632 [T7]) – miteinzufließen, dass für den einen Elternteil selbst bei allfälliger Verhängung von Beugestrafen nicht gesichert wäre, ob der andere tatsächlich zur Erziehungsberatung erscheint, womit diesem Elternteil gehäuft Reisekosten und frustrierter Zeitaufwand entstehen können (der Vater müsste im vorliegenden Fall noch dazu aus dem Ausland anreisen).

Lässt sich nun aus der festgestellten Sachverhaltsgrundlage schon die Erforderlichkeit der Anordnung einer gemeinsamen Erziehungsberatung nicht ableiten, stellt sich in der Folge die Frage, ob bei Nichteinigung der Eltern das Gericht eine Person bestimmen darf, nicht mehr. Erziehungsberatung soll von den Eltern im vorliegenden Fall zum Wohle des Kindes möglichst rasch absolviert werden. Auch wenn für das Kind eine gemeinsame Beratung der Eltern von Vorteil sein kann, ist angesichts des bisherigen Verfahrens vordringlich, dass es zu keiner weiteren Verzögerung kommt. Die Mutter schlägt zwar in ihrem Revisionsrekurs selbst vor, es hätte das Erstgericht beispielsweise so vorgehen können, dass es einem Elternteil aufträgt, einen Dreiervorschlag zu unterbreiten, aus dem der andere Elternteil wählen könne. Auch dann kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der andere Elternteil gegen alle drei vorgeschlagenen Personen Bedenken hegt. An der Mutter wird es liegen, im weiteren Verfahren zu zeigen, dass ihr Vorgehen nicht bloß der Verzögerung dient, sondern sie das Wohl des gemeinsamen Kindes, zu dessen förderlicher Entwicklung im Regelfall Kontakte zu beiden Elternteilen zählen, im Auge hat, indem sie dem Vater raschestmöglich eine Liste von ihrer Ansicht nach geeigneten Erziehungsberatern, bei denen sie bereit wäre, eine (gemeinsame) Beratung zu absolvieren, übermittelt, aus der dann der Vater wählen könnte. Dazu bedarf es keiner ausdrücklichen Anordnung des Gerichts, weil am Kindeswohl orientierte Elternteile, die beide durch Rechtsanwälte vertreten sind, naturgemäß in der Lage sind, diese Kommunikation über ihre Anwälte abzuwickeln. Gelingt es den Eltern nicht, sich auf eine (allenfalls gemeinsame) Beratung bei demselben Berater zu einigen, werden sie die Erziehungsberatung nötigenfalls getrennt und bei Beratern ihres jeweiligen Vertrauens zu absolvieren haben. Der Beschluss ist demnach dahin abzuändern, dass den Eltern, (nur) der Besuch einer geeigneten Erziehungsberatung (wogegen sich beide an sich nicht wendeten) aufgetragen wird.

Die zutreffende Bemerkung des Rekursgerichts, dass es in keiner Weise mit dem Kindeswohl zu rechtfertigen ist, dass der Vater nun seit mehr als vier Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Kind gehabt hat, kann nur unterstrichen werden. Das Erstgericht hat sich die Entscheidung über die vom Vater beantragten begleiteten Kontakte bis 1. 11. 2018 vorbehalten. Diese Frist ist abgelaufen und es wird das Erstgericht möglichst rasch darüber zu entscheiden haben.

Textnummer

E124381

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00007.19I.0305.000

Im RIS seit

26.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten