TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/26 W173 2118369-1

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Veröffentlicht am 26.11.2018
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Entscheidungsdatum

26.11.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W173 2118369-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch den Migrantinnenverein St.Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2015, Zl. 1029252807 - 14900915, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8.11.2016 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde des XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005

hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer XXXX (in der Folge BF) stellte am 21.8.2014 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz in Österreich.

2. Bei der am 23.8.2014 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ der Landespolizeidirektion Niederösterreich gab der BF an, er sei am

XXXX geboren und schiitischer Hazara. Er habe in XXXX, XXXX, gelebt und dort sieben Jahre die Schule besucht. Vor vier Jahren habe er Afghanistan über den Iran verlassen. Er sei dann illegal in Griechenland eingereist, habe dort vier Jahre verbracht und dort als Hilfsarbeiter gearbeitet. Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara von den Paschtunen verfolgt werden würde. Seine ganze Familie (bestehend aus den Eltern, drei Brüder und eine Schwester) sei bei einem Bombenanschlag getötet worden. Aus Angst um sein Leben habe er flüchten müssen.

3. Im Rahmen der Befragung am 10.3.2015 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Burgenland, führte der BF zu seinem Fluchtgrund aus, dass er als Hazara ein normales Leben in XXXX, XXXX, im Elternhaus gehabt habe. Er sei als Hilfsarbeiter und Landwirt tätig gewesen. In seiner Freizeit habe er als Hirte gearbeitet. Dann seien die Kuchi (Nomaden) gekommen, hätten viele Hazara getötet und die Grundstücke an sich genommen. Seine ganze Familie sei von den Nomaden getötet worden. Seine Familie sei von den Nomaden verbrannt worden, als er mit den Kühen auf der Weide gewesen sei. Als er zurückgekommen sei, hätten die Häuser gebrannt und er habe seinen Vater erschossen vorgefunden. Er habe nach den Leichen gesucht. Er habe mit den Übriggebliebenen aus dem Dorf die Überreste begraben. Der Mord an seiner Familie durch die Nomaden habe sich circa vor viereinhalb Jahren zugetragen. Er habe nach diesem Anschlag nicht mehr länger in Afghanistan bleiben wollen und das Land verlassen. Er habe die Kühe seiner Familie im Nachbardorf verkauft und sei mit diesem Geld ausgereist. Was mit den Grundstücken passiert sei, wisse er nicht. Sie würden sich auch schlecht verkaufen lassen, da sie im von den Nomaden kontrollierten Gebiet liegen würden. Er sei nicht nach Kabul gezogen, da er einen Hass auf Afghanistan gehabt habe. Persönlich sei er nie von den Kuchi verfolgt oder bedroht worden. In Afghanistan könne er nicht mehr leben, da seine gesamte Familie in diesem Land umgebracht worden sei.

4. Das BFA richtete eine Anfrage an die Staatendokumentation, welche einen umfassenden Fragenkatalog zum Vorbringen des BF und der Sicherheitslage in dessen Heimatort enthielt. Am 8.5.2015 erfolgte die Anfragebeantwortung durch die Staatendokumentation. In dieser wurde unter anderem festgehalten, dass sich 2010 ein Angriff der Kuchi-Nomaden auf das Dorf XXXX ereignet habe, bei dem zehn Mensch getötet und Häuser niedergebrannt worden seien. Die Familie XXXX gehöre zu den ursprünglichen Bewohnern des Dorfes XXXX und würde immer noch dort leben. Auf den Listen der bei den Überfällen 2009 und 2010 getöteten Menschen habe auch kein Eintrag mit dem Namen

XXXX gefunden werden können. Der Angriff auf das Dorf habe schon vor etwa fünf Jahren stattgefunden. Auch hätten einige befragte Dorfbewohner angegeben, dass der BF zuletzt vor drei Jahren im Dorf gesehen worden sei und das Dorf verlassen habe, um sich woanders eine Existenz aufzubauen, und im Iran Arbeit zu suchen, nachdem das Haus seiner Familie bei einem Angriff der Kuchis beschädigt worden sei.

Zur Methode der Erhebung führte die Staatendokumentation aus, dass der beauftragte Rechercheur zuerst den Provinzrat von Maidan Wardak, unter dem Vorwand eine Evaluierung der ökonomischen Schäden durch die Angriffe der Kuchi durchzuführen, kontaktiert habe. Über aktive und ehemalige Mitglieder des Provinzrates hätten die Kontakte auf lokaler Ebene hergestellt werden können und so seien die Befragungen der Bewohner von XXXX ermöglicht worden. In diesem Zusammenhang wurden in der Anfragebeantwortung auch die Daten von sechs Kontaktpersonen angeführt.

5. Der BF wurde mit Schreiben vom 12.5.2015 zu einer weiteren Einvernahme am 28.5.2015, um 8:00 Uhr, per Rsb-Zustellung zur belangten Behörde geladen. Am 28.5.2015 bestätigte der BF auf Nachfrage der belangten Behörde, ob er in der Lage sei, die heutige Einvernahme durchzuführen, dazu in der Lage zu sein. Nach dem Vorhalt der Ergebnisse der Anfragebeantwortung führte der BF Folgendes aus: "Meine Familie wurde bei diesem Überfall der Kuchis getötet und das Haus wurde zerstört, ich war 4 Jahre in Griechenland und war nicht mehr zu Hause, seit dem Vorfall als meine Familie von den Kuchis getötet wurde, war ich nicht mehr zu Hause; das stimmt nicht, was das Ergebnis herausgefunden hat, meine Familie ist tot, wenn meine Familie noch leben würde, dann hätte ich mich nicht vier Jahre in Griechenland aufgehalten und wäre dann nach Österreich gekommen, ich wäre dann sofort wieder nach Hause gefahren." Er halte seine bisherigen, der Wahrheit entsprechende Angaben im Asylverfahren aufrecht. Nach wörtlicher Rückübersetzung wurde der BF auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren verwiesen. Der BF bestätigte die Niederschrift mit seiner Unterschrift. Zur Anfragebeantwortung wurde ihm eine 14-tägige Stellungnahmefrist eingeräumt.

6. Nach Vollmachtserteilung an den Migrantinnenverein St.Marx wurde in der Stellungnahme des BF vom 5.6.2015 darauf hingewiesen, dass die Anschläge und Angriffe der Kuchi-Nomaden mit vielen Toten und Verletzten bestätigt werden könnten. Der BF habe sich aber zu dieser Zeit in Griechenland befunden, als seine Familie bei einem dieser Überfälle getötet und seine Existenz zerstört worden sei. Der Abschlussbericht stimme also mit seinem Aufenthalt in Griechenland nicht überein. Die Behauptung in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, wonach sich der BF vor drei Jahren noch in seinem Heimatdorf aufgehalten habe, sei unzutreffend. Dies sei aus vom BF vorgelegten Nachwiesen auf Grund des Datums des Aufenthaltes des BF zu erkennen. Der Abschlussbericht entspreche daher nicht der Wahrheit. Die Rechercheergebnisse zu seinem Familienhintergrund seien verfehlt. Seine Aussagen in der Einvernahme würden zutreffen. Aus dem Anschlussbericht würde sich die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan in seiner Herkunftsregion ergeben.

In einer weiteren mit selben Datum eingebrachten Stellungnahme mit selben Inhalt waren Dokumente der griechischen Behörden angeschlossen mit Übersetzung eines gerichtlich beeideten Dolmetschers. In der Niederschrift über die am 24.7.2014 durchgeführten Verhandlung der griechischen Behörde zum Einspruch des BF zu seiner Inhaftierung wurde Folgendes ausgeführt:

".................................................... Durch die zu

beurteilenden Widersprüche wird die Aufhebung seiner Inhaftierung

begehrt, welche ursprünglich unter der Nr. 2473/12-1, vom 23.10.2012

datierten Bescheid des Kommandanten der Polizeidirektion Achaia

verfügt und welche wiederholt durch verschiedene Rechtsakte bis zur

Erreichung einer achzehnmonatlichen Dauer verlängert wurde.

...............

Das Gericht, unter Berücksichtigung:

A) Der Angaben des Gerichtsaktes, aus denen hervorgeht, dass der

durch unter der Nr. 2473/12-1y vom 26.10.2012 datierten Bescheid des

Kommandaten der Polizeidirkektion Achaia, der Antragssteller zu

einem Rückkehrverfahren fällt, gem. den Bestimmungen des Gesetzes

Nr. 3907/2011, da dieser am 23.10.2012 in Patras von der

Polizeibehörde (?) von Patras festgenommen wurde, wobei er keine

Legitimationspapiere über den Aufenthalt besaß, und zwar wegen

Verstoß ............., da der Betroffene in der Personen non

grata-Liste für Ausländer für das Einreiseverbot bis zum 29.7.2015

eingetragen ist. Aufgrund desselben wie oben genannten Bescheides

wurde auch seine weitere Inhaftierung verfügt, die ursprünglich

aufgrund des unten ........ vom 23.10.2012 datierten Bescheides des

selben Kommandanten verfügt worden war. ............

gibt das Gericht den Einsprüchen statt, ordnet die Aufhebung der

Inhaftierung des Betroffenen sowie die Aufhebung der Maßnahme der

Zwangsaufenthalte im Inhaftierungslager Korinthos, an............

Korinthos, am 25.7.2014 "

7. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 24.11.2015, Zl. 1029252807-14900915, wies die belangte Behörde unter Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 idgF ab. Unter Spruchpunkt II. wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt. Unter Spruchpunkt III. wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.11.2016 erteilt.

Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs wurde festgestellt, dass der BF afghanischer Staatsbürger sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Muslim sei. Er habe in XXXX, XXXX gelebt und sieben Jahre die Schule besucht. Nicht festgestellt habe werden können, dass der BF in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und dass der BF in Afghanistan einer begründeten Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. diese gegenwärtig wäre. Der BF sei im Hinblick auf sein Vorbringen zum Überfall der Kuchi-Nomaden nicht glaubwürdig gewesen. Seine Angaben würden keine Deckung in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 8.5.2015 finden. Auch die Datierung der Dokumente der griechischen Behörden würden nicht mit den zeitlichen Angaben des BF in Einklang stehen. Ein weiterer Punkt der Unglaubwürdigkeit des BF sei, dass er in seiner Stellungnahme zum Ergebnis der Anfragebeantwortung angegeben habe, dass er sich in Griechenland befunden habe, als seine Familie beim Überfall durch die Kuchi-Nomaden getötet worden sei. Vor dem BFA habe der BF jedoch geschildert, dass er seine Familie beerdigt habe und erst danach Afghanistan verlassen habe. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem BF aufgrund des allgemeinen Sicherheitsrisikos einer Rückkehr und den regelmäßigen Angriffen von Kuchi-Nomaden in der Heimatregion des BF zuerkannt.

8. Gegen den Bescheid vom 24.11.2015 erhob der BF, vertreten durch den Migrantinnenverein St. Marx, am 3.12.2015 ausschließlich gegen Spruchteil I. wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung Beschwerde. Begründend wird ausgeführt, dass der BF wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und seines schiitischen Glaubens aus begründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung den gegenständlichen Antrag gestellt habe. Der BF habe aus seiner Heimat nach einem Angriff der Kuchi-Nomaden fliehen müssen, da die afghanischen Behörden nicht schutzwillig bzw. schutzfähig seien.

Aus der Anfragebeantwortung gehe hervor, dass der vom BF beschriebene Angriff der Kuchi-Nomaden auf das Heimatdorf des BF tatsächlich stattgefunden habe, dass derartige Vorfälle regelmäßig vorkommen würden, dass die afghanischen Behörden keinen Schutz leisten und dass die Kuchis mit den Taliban weitgehend zusammenarbeiten würden. Im Gutachten sei hinsichtlich der Behauptung, dass die Familie des BF am Leben sei, ein Irrtum unterlaufen. Überhaupt mache dies auch in der hypothetischen Annahme, es würde stimmen, keinen Unterschied. Denn die Gefährdung des BF aufgrund seiner Herkunft sei aus dem Gutachten klar zu entnehmen. Aus diesem Grund sei der Argumentation der belangten Behörde, wonach die Fluchtgründe des BF unglaubwürdig seien, unzutreffend.

Nach ständiger Judikatur komme auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Das treffe auf den BF zu, da die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der afghanischen Behörden bei Vorfällen, wie in dem Gutachten beschriebenen, nicht gegeben sei. Hazara aus seiner Heimatregion würden unter permanenter - und begründeter - Angst davor leben, von den Kuchi/Taliban umgebracht zu werden.

Außerdem habe der BF das fluchtauslösende Ereignis mit einer eigenständigen, ausführlichen und konkreten Schilderung von Details vorgebracht. Geringfügige Diskrepanzen seien bei zeitlichen Angaben, die schon Jahre zurückliegen, zu erwarten. Die Argumentation der belangten Behörde sei daher nicht nachvollziehbar. Die belangte Behörde habe es verabsäumt, sich mit der konkreten Situation des BF und der aktuellen Situation in Afghanistan auseinanderzusetzen. Dem BF sei daher Asyl zu gewähren oder allenfalls der angefochtene Bescheid aufzuheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die 1. Instanz zurückzuverweisen. Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung werde beantragt.

9. Mit Bescheid vom 4.11.2016 wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.11.2018 erteilt.

10. Am 14.12.2015 wurde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungs-gericht zur Entscheidung vorgelegt. Am 26.8.2016 wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den 8.11.2016 anberaumt. Mit an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten und am 7.11.2016 eingelangten Telefax teilte die rechtliche Vertretung des BF Folgendes mit:

"..........................

Mit dem Schreiben vom 5.6.2015 ist mir ein Fehler unterlaufen, zu Frage 2 habe ich im ersten Satz das Wort ‚nicht' vergessen. Der Satz lautet: ‚Ich habe mich zu dieser Zeit nicht in Griechenland befunden, als meine Familie bei einem von diesen Überfällen durch Kotchis getötet worden sind und unsere Existenz zerstört worden ist.'

Es wird ersucht die Korrektur zu Kenntnis zu nehmen, da mir seltenerweise solche Fehler beim Schreiben von Stellungnahmen unterlaufen. Herr XXXX hat mich heute im Rahmen der Rechtsberatung darauf aufmerksam gemacht.

Mit freundlichen Grüßen

XXXX

..................." Her

11. Am 8.11.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des BF, dessen rechtlicher Vertretung vom MigrantInnenverein St. Marx, Frau XXXX, dem Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly und der für die Sprache Dari bestellten Dolmetscherin Frau Hila Asef durch. Eingangs behauptete der BF bei seiner zweiten Einvernahme durch die belangte Behörde in Eisenstadt, in einer Stresssituation gewesen zu sein, bei der er sich nicht habe konzentrieren können. Er habe dazu keine Ladung bekommen und sei plötzlich aus dem Bett geholt und nach Eisenstadt gebracht worden. Er sei nicht vorbereitet gewesen, habe sich nicht ausgekannt und habe sich nicht erklären können, warum er ein weiteres Mal einvernommen werde.

Auf Vorhalt, anders als in Österreich (geb. XXXX), in Griechenland als sein Geburtsdatum mit dem 1.1.1991 angegeben zu haben, gab der BF an, dass es sich um einen Umrechenfehler des Dolmetschers handle und er bei den griechischen Behörden sein Geburtsdatum reklamiert habe, aber nicht durchgedrungen sei. Er sei in der Provinz Maidan Wardak, im Distrikt XXXX, in einem großen Dorf, XXXX, das auch als Distrikt bezeichnet werde, geboren. Der Distrikt heiße XXXX und XXXX auch XXXX. Damirdad sei auch sein Heimatdorf, in dem er als Bauer bis zu seinen Schwierigkeiten mit den Kuchis gearbeitet habe. Nachgefragt nach seiner Wohnadresse in Afghanistan präzisierte der BF abermals, dass der Distriktname XXXX laute und XXXX das Distriktzentrum sei. Sein Heimatdorf XXXX grenze an Daimiradad. Sein Herkunftsort gehöre zu XXXX XXXX. In Maidan Wardak gebe es keinen eigenständigen Distrikt namens XXXX. Sein Heimatdorf XXXX, das an XXXX angrenze, sei ein Teil von XXXX XXXX. Der BF führte weiter aus, dass seine Eltern vor sechs Jahren - 2010 - gestorben seien. Seine Großeltern seien auch nicht mehr am Leben. Seine Geschwister [drei Brüder (XXXX) und eine Schwester (XXXX)] seien ebenfalls getötet worden. Er habe in seinem Heimatdorf XXXX sieben Jahre die Schule besucht. 2010 sei er im Sommer geflohen, nachdem er seine Kühe verkauft habe. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, nach dem Verlust seiner Familie alleine im Heimatdorf zu leben. Er sei als Hazara besonders gefährdet. Als Beispiel nannte dafür gab der BF an, dass bei Fahrzeuganhaltungen die Taliban Hazara mitnehmen würden. Wäre er im Heimatdorf geblieben, hätte es sein können, dass er von Kuchis getötet werde. Kuchis beschrieb der BF als Männer mit Bart, Turban und großen Schals. Er und sein Vater seien von Kuchis bei der Arbeit auf dem Familiengrundstück von plötzlich auftauchenden Kuchis aufgefordert worden, das Feld zu verlassen, zumal sie darauf keinen Anspruch hätten. Nach Erklärungen seines Vaters sei dieses Land bereits seit mehreren Generationen in der Hand seiner Familie. Die Kuchis seien nach einer Diskussion wieder gegangen. Als es nach einigen Tagen in seiner Abwesenheit zu einem Kampf seines Vaters mit den Kuchis gekommen sei, sei sein Vater getötet worden. Dabei hätten die Kuchis schwere Waffen eingesetzt und sei bei einer Explosion das Familienhaus verbrannt, wobei die sich dort befindenden Geschwister erstickt seien. Wir hätten schwere Verletzungen erlitten. Seine Mutter sei von einem Splitter getroffen und getötet worden. Als er vor sechs Jahren das Heimatdorf verlassen habe, habe es noch viele Hazara in seiner Gegend gegeben. Abermals nachgefragt zur Anzahl der verbliebenen Hazara führte der BF wiederum aus, dass es zu seinem Fluchtzeitpunkt dort nicht mehr viele Hazara gegeben habe. Zurückgeblieben seien nur mehr ältere Männer bzw. Männer mittleren Alters. Die meisten jungen Männer und Frauen seien geflüchtet. Wäre sie dortgeblieben, wären sie getötet worden. Die meisten der älteren Leute hätten sich versteckt, damit sie nicht gefunden würden. Die Reisenden seien aus den Fahrzeugen geholt worden und getötet oder entführt worden. Im Heimatdorf seien nur einige wenige geblieben. Die meisten Leute seien in die Nachbardörfer geflohen. Als Namen der Nachbardörfer zählte der BF nachfolgende Namen auf: XXXX, XXXX und XXXX. Diese Dörfer seien alle zu Hese-Awal-e XXXX zu zählen. In der Gegend hätten hauptsächlich Hazara gelebt.

Auf Nachfrage, ob er noch eine weitere persönliche Begegnung mit den Kuchis gehabt habe, führte der BF aus, sich nach den Kämpfen zum weiteren Verbleib und weiteren Leben im Dorf entschlossen zu haben. Als eines nachts die Kuchis dann mit circa 25 Motorrädern sowie 20 Geländewagen gekommen seien, hätten bei diesem Angriff auf das Dorf des BF die Kuchis sehr viele Häuser niedergebrannt und noch in derselben Nacht das Dorf wieder verlassen. Als der BF am nächsten Tag die Zerstörung im Dorf gesehen habe, habe er sich zur Flucht entschieden. Ihm sei nichts passiert, da er sich in einem Bach versteckt habe.

Auf abermalige Nachfrage hinsichtlich weiterer Vorfälle mit den Kuchis, gab der BF an, dass es vor seiner Flucht noch einen weiteren Vorfall gegeben habe. Er habe von seinem Heimatdorf nach XXXX gehen wollen, um dort einzukaufen. Er sei dabei einer Gruppe Kuchis begegnet. Die Kuchis hätten begonnen, die Hazara zu beschimpfen und sie zu erniedrigen. Er habe erkannt, dass diese Leute gegen die schiitischen Hazara seien, und er im Fall seines weiteren Verbleibs in Gefahr sei. Dann sei er geflüchtet.

Auf den Vorhalt, warum er diese Vorfälle in den vorangegangenen Befragungen nicht geschildert habe, führte der BF aus, dass er dies getan habe, es könne sein, dass der Dolmetscher diese Angaben nicht übersetzt habe. Er habe das Gefühl gehabt, dass seine Aussagen zusammengefasst wiedergegeben worden seien.

Dem in der mündlichen Verhandlung anwesenden Sachverständigen, Dr. Sarajuddin Rasuly, wurden von der erkennenden Richterin die folgenden Fragen zur Beantwortung und Erstellung eines mündlichen Gutachtens gestellt: "1.Stammt der BF aus Afghanistan?

2. Stimmen seine Angaben zu seiner Herkunft aus Afghanistan?

3. Wie sind die Fluchtgründe des BF aus länderspezifischer Sicht zu beurteilen?

4. Besteht für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan?"

Der Sachverständige Dr. Sarajuddin Rasuly führte dazu wie folgt aus:

"Zu Frage 1 und 2: Die Angaben des BF betreffend seine Heimatregion sind nicht authentisch. Im Gegensatz zu den Angaben des BF, dass in Wardak keinen Distrikt XXXX gebe, heißt einer der Distrikte der Provinz Wardak XXXX. In XXXX wohnen auch hauptsächlich Hazaras und ist mit XXXX XXXX benachbart. Weder nach meinen bisherigen Kenntnissen über XXXXs in Wardak noch nach der Landkarte von Wardak bzw. XXXX XXXX gibt es ein Dorf Namens XXXX, das noch das Zentrum des Distriktes XXXX XXXX sein sollte, in XXXX XXXX. Es gibt auch kein Dorf namens XXXX in XXXX XXXX, aber nach einer telefonischen Information aus Afghanistan gibt es in XXXX XXXX ein kleines Dorf namens XXXX bzw. XXXX. Auf der Landkarte von Wardak gibt es ein Tal namens XXXX bzw. XXXX in XXXXXXXX, ein benachbarter Distrikt von XXXX XXXX. (www.ecoi.net/local_link/283895/414368-de.html).

Aber auf der Landkarte von Wardak und XXXX XXXX gibt es kein Dorf namens XXXX.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass ich nicht davon ausgehe, dass der BF aus der Provinz Wardak stammt bzw. dass er nicht in Wardak aufgewachsen ist.

Ad Frage 3:

Die Bevölkerung, die am Rande von Weidegebieten in Zentral, Nord und teilweise auch in Südost-Afghanistan leben, haben schon immer mit der nomadisierenden Bevölkerung bzw. Kuchis Probleme gehabt, wenn die Kuchis in den Sommermonaten diese Weidegebiete aufsuchten, um ihre Tiere dort weiden zu lassen. Durch Anstieg der Einwohnerzahl und die Knappheit der Ressourcen wurden viele Weidegebiete inzwischen von der einheimischen Bevölkerung als Eigentum ihrer Bevölkerung beansprucht und sie lassen inzwischen nicht ohne weiteres die Kuchis dorthin zu kommen. Diese führt immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen. Es gab tatsächlich in XXXX mehrmals solche Auseinandersetzungen und es gab auch Tote und Plünderungen auf beiden Seiten. Bei diesen Angriffen geht es nicht um Angriff auf eine bestimmte Ethnie, sondern um die Ressourcen d.h. um saisonal benutzte Weidegebiete.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausführen, dass die Hazaras in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban keiner ethnischen und religiösen Verfolgungen als Gruppe ausgesetzt werden können, weil sie an der staatlichen Macht überproportional vertreten sind und sie die von außen kommenden Angriffe auf ihre Ethnie abwehren können.

Nach der Auseinandersetzung zwischen Kuchis und einem Teil der Bevölkerung von XXXX gab mehr Opfer bei den Hazaras. Auch die Kuchis hatten Opfer zu verzeichnen. Daraufhin wurde von der Regierung eine Kommission eingesetzt, die weiterhin besteht. In dieser Kommission sitzen neben den Regierungsvertretern auch die Vertreter der Kuchis und der Hazaras. Die Angaben des BF, dass alle Jugendlichen von XXXX damals geflüchtet seien stimmen nicht mit der Wirklichkeit in XXXX damals. Viele Jugendlichen sind dort in privaten und offiziellen Militärformationen organisiert. Außerdem wird XXXX von den Hazaras verwaltet und wenn es ein Konflikt in einem der Gebiete dieses Distriktes gibt, werden sich die Betroffenen in das Distriktszentrum oder anderen Dörfer des Distriktes begeben. Die Hazara-Führung ist im afghanischen Staat überproportional vertreten und sie sind im Stande in wenige Stunden mit großem Militäraufgebot ihre Bevölkerung in Schutz nehmen, wenn die Angreifer die Hazaras als Ethnie zum Ziel ihres Angriffes mache. Die Taliban halten nicht nur Hazaras, sondern auch die Paschtunen, Usbeken und Tajiken auf den Hauptstraßen auf und bringen ihnen verdächtigen Leute aus der Reihe ihrer Geiseln um.

Ad Frage 4:

Nach meiner neueren Beobachtung während meiner Forschungsreise im Oktober 2016 könnten die Rückkehrer in Kabul, Bamiyan (Kerngebiet der Hazaras) in Mazar-e Sharif, Herat sich niederlassen, wenn sie Familienrückhalt oder genügende finanzielle Mittel haben. Sie sollten auch im Stande sein selbständig, ohne körperliche und geistige Hindernisse ihr Leben zu gestalten."

Dem BF wurde dieses Gutachten übersetzt und ihm in der Verhandlung die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Der BF gab Folgendes an: "Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, in Afghanistan in meinem eigenen Dorf auf meinem Grundstück zu leben, wie soll es mir dann möglich sein, in Herat, Kabul oder Mazar-e Sharif zu leben? Ich gebe auch an, dass die Taliban vor allem jene Fahrzeuge anhalten, in denen sich Hazara befinden. Die Hazara werden mitgenommen und von ihnen werden bis zu 1,5 Millionen Afghani als Lösegeld gefordert. Wenn man dieses Geld nicht bezahlen kann, ist man verloren."

Der rechtlichen Vertretung des BF wurde eine einwöchige Frist zur Stellungnahme zum Gutachten von Dr. Rasuly eingeräumt.

12. Mit Schreiben vom 15.11.2018 wurde vom BF auf verschiedene Berichte zur Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardag, Kabul im Jahr 2016 verwiesen. Es hätten die internationalen Truppen und die afghanische Regierung versagt. Afghanistan sei der Zuchtboden der terroristischen Gruppierungen geworden. Es würden dort Menschen gezielt bedroht, verfolgt und getötet.

13. Mit Schreiben vom 16.5.2018 wurde vom Bundesverwaltungsgericht dem BF nach Übermittlung der aktuellen Länderberichte zu Afghanistan eine zweiwöchige Stellungnahmemöglichkeit eingeräumt. Am 23.10.2018 übermittelte der BF seinen Lohnzettel.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und am XXXX geboren. Der BF ist im Dorf XXXX in der Provinz Wardak in Afghanistan geboren und dort im Kreise seiner Familie aufgewachsen. Er verfügt über eine siebenjährige Schulbildung. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischen Glaubens.

1.2. Der BF ist illegal nach Österreich eingereist und stellte am 21.8.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.3. Dem BF droht in Afghanistan keine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit. Er wird dort auch sonst nicht asylrelevant verfolgt.

1.4. Zur Lage im Herkunftsland des BF (Afghanistan):

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017). Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kuchi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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