Entscheidungsdatum
28.11.2018Norm
AsylG 2005 §15Spruch
W241 2174621-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zahl 1089435109-151460015, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.01.2018 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.11.2019 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 28.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
Eine EURODAC-Abfrage ergab eine erkennungsdienstliche Behandlung des BF in Griechenlnd.
1.2. In seiner Erstbefragung am 30.09.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:
Er stamme aus der Provinz Ghazni (Afghanistan), sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und ledig. In der Heimatprovinz seien noch seine Eltern, zwei Brüder und eine Schwester aufhältig.
Vor ca. zwei Monaten hätte er beschlossen auszureisen. Er wäre von seinem Heimatort aus über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich gelangt.
Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er seit einem vierzehnten Lebensjahr im Iran gelebt hätte, um zu arbeiten und seine Familie finanziell zu unterstützen. Im Jahr 2015 wäre er dann von den iranischen Behörden aufgegriffen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Dort wäre jedoch die Sicherheitslage sehr kritisch gewesen, die Taliban und die IS-Kämpfer seien in seiner Region sehr aktiv. Diese Gruppierungen würden laufend Schiiten und Hazara umbringen. Hätte er sich noch länger in seinem Heimatland aufgehalten, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass sie ihn rekrutieren hätten wollen. Aus Angst um sein Leben wäre er daher ausgereist.
1.3. Bei seiner Einvernahme am 15.09.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Niederschrift, Schreibfehler teilweise korrigiert):
"LA [Leiter der Amtshandlung]: Leiden oder litten Sie an irgendwelchen gesundheitlichen Problemen, gibt es bestehende Krankheiten oder benötigen Sie aktuell bestimmte medizinische Betreuung oder Medikamente?
VP [Verfahrenspartei]: Ich werde gegen Magen- und gegen Rückenschmerzen medikamentös behandelt.
LA: Nehmen Sie Drogen oder Drogenersatzstoffe?
VP: Ich rauche Zigaretten.
LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?
VP: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt und es wurde mir alles rückübersetzt, es gibt aber trotzdem Fehler. Betreffend mein Alter, das Alter meiner Schwester und den Namen meines Heimatdorfes.
[...]
LA: Haben Sie eine Schule besucht? Wenn ja, wie lautet der Name der Schule?
VP: Öffentliche Schule habe ich keine besucht, nur fünf Jahre lang eine Religionsschule.
LA: Sie können weder lesen noch schreiben?
VP: Lesen kann ich etwas, Schreiben eher wenig.
LA: Sind Sie ledig oder verheiratet?
VP: Ledig.
LA: Haben Sie eigene Kinder?
VP: Nein.
LA: Wie heißen Ihre Eltern? Wie alt sind Ihre Eltern?
VP: Vater: XXXX , verstorben im Mai 2016. Er war krank.
Mutter: XXXX , ca. 57 Jahre alt.
LA: Wie viele Geschwister haben Sie? Wie lauten deren Namen und wie alt sind diese?
VP: Bruder: XXXX , ca. 29 Jahre alt
Bruder: XXXX , ca. 16 Jahre alt
Schwester: XXXX , ca. 26 Jahre alt.
LA: Wo und wovon leben Ihre Mutter und Geschwister momentan? Haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern und Geschwistern?
VP: Ich habe Kontakt zu meiner Mutter und zu meiner Schwester. Meine Mutter lebt jetzt bei meiner Schwester und deren Familie. Mein Bruder XXXX lebt nicht mehr bei meiner Mutter, er ist verheiratet, lebt aber nach wie vor in unserem Heimatort. XXXX ist vor ca. vier Monaten in den Iran gereist. XXXX unterstützt meine Mutter, er schickt ihr Geld aus dem Iran.
LA: Haben Sie noch weitere Angehörige in Afghanistan?
VP: Tanten und Onkel mütterlicherseits - diese leben in der Provinz Ghazni. Onkel väterlicherseits sind bereits verstorben.
LA: Wo wurden Sie geboren?
VP: Ghazni, Distrikt XXXX und im Dorf XXXX .
LA: Hatten oder haben Ihre Eltern in Afghanistan ein Haus, Grundstücke oder eine Landwirtschaft?
VP: Mein Vater hatte ein Haus und Grundstücke. Darin wohnt jetzt mein Bruder HASHEM, und er bewirtschaftet auch die Grundstücke.
LA: Wie war Ihre letzte Wohnadresse in Afghanistan vor Ihrer Flucht?
VP: Ghazni, Distrikt XXXX und im Dorf XXXX .
LA: Haben Sie Angehörige in Österreich?
VP: Nein.
LA: Sind Sie voll arbeitsfähig und arbeitswillig?
VP: Ja.
LA: Haben Sie in Afghanistan gearbeitet? Womit haben Sie Ihren Lebensunterhalt verdient?
VP: Ja, in der Landwirtschaft und ich habe die Tiere auf die Weide gebracht.
LA: Wann und wieso haben Sie Afghanistan Richtung Iran verlassen?
VP: Als ich 14 Jahre alt war, habe ich erstmals Afghanistan verlassen und bin in den Iran gereist. Ich hatte Angst vor den Taliban, deshalb bin ich in den Iran gereist. Ich bin illegal in den Iran gereist.
LA: Was haben Sie im Iran gemacht?
VP: Zuerst arbeitete ich als Koch, später dann als Steinmetz.
LA: Wo haben Sie im Iran gelebt? Haben Sie unter Afghanen gelebt und nach afghanischen Bräuchen und Riten?
VP: Ich lebte in Isfahan. Das Dorf hieß XXXX . Ich lebte unter Afghanen und nach afghanischen Bräuchen und Riten.
LA: Wie lange haben Sie im Iran gelebt? Wann wurden Sie nach Afghanistan abgeschoben? In welche Provinz Afghanistans wurden Sie abgeschoben?
VP: Ich lebte dort ca. 5,5 Jahre. Ich wurde von der Polizei festgenommen und ich wurde nach Herat abgeschoben.
LA: Wie lange und wo verweilten Sie nach Ihrer Abschiebung aus dem Iran bis zu Ihrer Flucht in Afghanistan? Was haben Sie in dieser Zeit gemacht bzw. wovon lebten Sie?
VP: Von Herat kehrte ich zurück in mein Heimatdorf. Dort verblieb ich dann ca. drei Monate bei meiner Mutter. Gearbeitet habe ich in dieser Zeit aber nicht, ich hatte ja Ersparnisse von meinen Tätigkeiten im Iran.
LA: Wie wollen Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?
VP: Ich möchte zuerst ordentlich die Sprache erlernen, dann eine Ausbildung machen, entweder als Koch oder als Tischler, und dann natürlich hier arbeiten.
Nun überprüfe ich kurz Ihre Deutschkenntnisse:
OHNE Dolmetscher:
LA: Wie geht es Ihnen?
VP: Gut, danke.
LA: Wie ist das Wetter heute?
VP: Heute ist schönes Wetter.
[...]
LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit.
VP: Ich gehe gerne spazieren, lerne Deutsch und treffe mich mit meinen Freunden.
Weiter mit Dolmetscher:
Anmerkung: AW spricht sehr gut Deutsch.
LA: Haben Sie sich jemals in oder außerhalb von Afghanistan politisch betätigt, gehören Sie irgendeiner politischen Organisation oder Partei an?
VP: Nein.
LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
VP: Hazara.
LA: Gab es jemals eine konkrete Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Nein.
LA: Nennen Sie mir bitte ihre Religionszugehörigkeit?
VP: Ich bin schiitischer Moslem.
LA: Gab es jemals eine Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit?
VP: Nein.
LA: Sind Sie jemals aufgrund Ihrer Nationalität verfolgt oder bedroht worden?
VP: Nein.
LA: Sind Sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt oder bedroht worden?
VP: Nein.
LA: Wurden Sie jemals persönlich konkret bedroht?
VP: Nein.
LA: Sie sind gläubiger Moslem? Beten Sie?
VP: Ja.
LA: Waren Sie jemals das Opfer von grenzüberschreitender Prostitution oder Menschenhandel?
VP: Nein.
LA: Haben oder hatten Sie jemals irgendwelche Schwierigkeiten/Probleme mit afghanischen Behörden, Polizei oder Gerichten?
VP: Nein.
LA: Sie haben Ihre Fluchtroute bereits bei der Ersteinvernahme sehr ausführlich geschildert. Wollen Sie ergänzende Angaben zu Ihrem Fluchtweg machen oder etwas berichtigen?
VP: Nein.
Nach den allgemeinen Fragen zu Ihren persönlichen Umständen werde ich Sie nun jetzt zu
Ihrem Fluchtgrund befragen:
LA: Kommen wir nun zu Ihrem Fluchtgrund. Bitte nennen Sie mir die Gründe, warum Sie Afghanistan nach Ihrer Abschiebung aus dem Iran neuerlich verlassen haben. Bitte erzählen Sie:
VP: Beginn der freien Erzählung:
Ich habe Afghanistan nach meiner Abschiebung aus dem Iran deshalb verlassen, weil ich in den drei Monaten, die ich bei meiner Mutter verbrachte, festgestellt habe, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nicht gut ist. Man könnte in Anschläge verwickelt werden, man könnte von den Taliban angehalten werden. Es war ein Leben in Angst. Man konnte nicht einmal ohne Angst auf einen Basar gehen. Es hätte dabei jederzeit ein Anschlag passieren können. Deshalb habe ich Afghanistan verlassen, bin wiederum in den Iran zurückgekehrt. Dort konnte ich aber auch nicht bleiben, da ich im Iran ED-behandelt und schon einmal nach Afghanistan abgeschoben wurde. Deshalb bin ich nach Europa weitergereist. Die Taliban agieren in Afghanistan hauptsächlich während der Nacht, tagsüber gibt es schon Polizisten. Es wurden viele Zivilisten von den Taliban umgebracht. Das ist der Grund, wieso ich Afghanistan verlassen habe.
Ende der freien Erzählung.
LA: Wurden Sie persönlich jemals von den Taliban oder vom IS persönlich bedroht? Wenn ja, wie oft und wie?
VP: Nein.
LA: Sind vom IS oder von den Taliban jemals Versuche unternommen worden, Sie für diese Gruppierungen zu rekrutieren?
VP: Nein, aber das wäre jederzeit möglich gewesen.
LA: Wieso sind Sie nicht zum Beispiel nach Kabul oder nach Mazar-e Sharif gegangen? Diese Städte sind unter Regierungskontrolle. Der Bevölkerungsanteil der Hazara in Kabul beträgt ca. 25 %, jener in Mazar-e-Sharif 10%. In Kabul gibt es sogar eigene Stadtviertel, die von den Hazara bewohnt werden.
VP: In Kabul ist es auch nicht sicher.
LA: Diese Anschläge passieren hauptsächlich in Regierungsvierteln gegen Regierungstruppen, Polizei und gegen ausländische Organisationen.
VP: Dort werden auch Zivilisten attackiert.
LA: Schildern Sie mir bitte Ihren Fluchtweg von Afghanistan bis nach Österreich!
VP: Von Ghazni illegal nach Nimruz, von dort weiter nach Pakistan. Von Pakistan weiter in den Iran, weiter über Istanbul, Kos, Athen, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn bis nach Österreich.
LA: Wer hat Ihre Flucht organisiert und bezahlt? Wie teuer war Ihre Ausreise?
VP: Ca. 3000,-- $ kostete mich die Flucht, organisiert habe ich die Flucht selbst.
LA: Welches Land war das Ziel Ihrer Reise?
VP: Österreich. Es wurde im Iran gut über Österreich gesprochen und ich habe mich daher der allgemeinen Fluchtbewegung angeschlossen.
LA: Welche Befürchtungen haben Sie in Bezug auf eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan?
VP: Ich fürchte mich vor den Taliban und vor der unsicheren Situation in Afghanistan.
LA: Sie haben heute mehrmals betont, niemals konkret bedroht worden zu sein. Wieso sollten die Taliban ausgerechnet an Ihrer Person so interessiert sein? Sind Sie so eine exponierte oder bekannte Person in Ihrer Heimat?
VP: Ich habe Angst vor den Anschlägen, die von den Taliban verübt werden.
LA: Haben Sie jemals überlegt, nach Afghanistan zurückzukehren?
VP: Nein.
LA: Es gibt für Afghanistan ein Programm der freiwilligen Rückkehr. Es wird ihnen der Flug bezahlt und Sie bekommen einen Betrag für den Wiedereinstieg ins soziale Leben. Sie würden derzeit 1.000 Euro für Ihre freiwillige Rückkehr bekommen. Was spräche dagegen?
VP: Ich möchte nicht zurückkehren.
[...]
LA: Wie schaut es mit Ihrem Integrationswillen aus? Was tragen Sie zu Ihrer Integration bei?
VP: Entsprechende Unterlagen diesbezüglich habe ich vorgelegt.
LA: Wie halten Sie es mit den österreichischen Gesetzen und Wertvorstellungen?
VP: Ich werde mich an die Gesetze halten.
LA: Sind Sie Mitglied in Vereinen oder Organisationen in Österreich?
VP: Nein.
LA: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit Behörden, Polizei, Gericht, oder anderen Institutionen gehabt?
VP: Nein."
1.4. Vom BF wurden vor dem BFA folgende Schriftstücke vorgelegt:
* sieben Referenzschreiben
* drei Bestätigungen des Magistrats XXXX (gemeinnützige Beschäftigung)
* fünf Bestätigungen über Teilnahme an Deutschkurs und Prüfungen
* zwei Bestätigungen der ÖJAB Seniorenwohnanlage XXXX (ehrenamtliche Tätigkeit)
* ein Rezept
* zwei Arztbriefe - Diagnose HP positive Gastritis
* SGKK
* Termin für Gastroskopie
* vier Fotos
Vom BFA wurden eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Behandelbarkeit von chronischer Gastritis in Afghanistan ins Verfahren eingebracht, der zufolge die Erkrankung dort behandelbar ist und die dafür benötigten Medikamente verfügbar sind. Die Kosten dafür sind selber zu tragen, Unterstützungsmöglichkeiten durch NGOs existieren nicht.
1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 29.09.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Seine Schilderungen würden nicht ausreichen, um eine Verfolgungshandlung in einer solchen
Intensität glaubhaft zu machen, dass ihm die Ausreise aus dem Herkunftsstaat als einzig probates Mittel übriggeblieben sei. Der BF habe zu keinem Zeitpunkt persönlich eine Bedrohung erleben müssen und sei keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen. Er habe verneint, von den Taliban oder vom IS jemals bedroht worden zu sein. Auf die Frage der Behörde, ob es jemals Versuche seitens der Taliban oder des IS gegeben hätte, ihn zu rekrutieren, hätte der BF dies vereint und lediglich gemeint, dass so ein Vorgehen jederzeit möglich gewesen wäre.
In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.
Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Dem BF sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz aufgrund der dortigen Sicherheitslage aktuell nicht zumutbar, allerdings komme eine Innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul infrage. Es sei dem BF zumutbar, dort selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufzukommen.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 16.10.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften ein.
In der Beschwerdebegründung wurde auf die Integrationsversuche des BF, der "von zierlicher Statur, sichtlich schüchtern und introvertiert" sei, verwiesen und der Fluchtgrund bezüglich der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan wiederholt. Die Familie des BF stamme aus ärmlichen Verhältnissen und sei nicht in der Lage, den BF entsprechend finanziell zu unterstützen. Auch sei Kabul keine geeignete Binnenfluchtalternative. Ferner könnte der BF aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes leichtes Ziel (auch sexuell motivierter) Gewalttaten werden. Weiters wurde die Beweiswürdigung des BFA kritisiert und wurden Auszüge aus diversen Berichten angeführt.
1.7. Die Beschwerde samt Verwaltungsakten langte am 25.10.2017 beim BVwG ein.
1.8. Am 29.01.2018 langte beim BVwG eine Stellungnahme des gewillkürten Vertreters des BF ein, in der erneut auf die besondere Schutzbedürftigkeit des BF verwiesen wurde. So hätte der BF bereits im Alter von 14 Jahren im Iran Kinderarbeit verrichten müssen, um seine in Armut lebende Familie zu unterstützen. Er sei körperlich schmächtig und physisch nicht stark, dennoch hätte er als Kind in einem Steinbruch im Iran schwerste körperliche Arbeiten verrichten müssen. Im Falle seiner Rückkehr könne der BF nicht mit einer Unterstützung seitens seiner Familie rechnen, auch verfüge er über keine besonderen Kenntnisse, Fertigkeiten oder beruflichen Fähigkeiten. Den BF erwarte in den afghanischen Großstädten eine ausweglose, existenzgefährdende, sozio-ökonomische Notsituation.
1.9. Das BVwG führte am 31.01.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein seines gewillkürten Vertreters persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.
Dabei legte der BF folgende Schriftstücke vor:
* Bestätigung über Kursbesuch Deutsch für Asylwerber - A 2/2 vom 23.01.2018
* Teilnahmebestätigung "Werte- und Orientierungskurs" des ÖIF
* Bestätigung des Magistrats der Stadt XXXX vom 14.12.2017 betreffend "Gemeinnützige Beschäftigung für Asylwerber"
Daraufhin gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
"RI [Richter]: Geben Sie bitte Namen, Alter und Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen, Eltern und Geschwister, bekannt!
BF: Sie leben in der Provinz Ghazni, im Bezirk XXXX , im Dorf XXXX . Mein Vater verstarb im Mai 2016. Zu dem Zeitpunkt befand ich mich schon in Österreich. Meine Mutter ist 57 Jahre alt. Mein ältester Bruder ist 27 Jahre alt, meine Schwester ist 26 Jahre alt, mein jüngster Bruder ist 16 Jahre alt.
RI: Wo halten sich Ihre Angehörigen zurzeit auf?
BF: Meine Mutter lebt mit meiner Schwester in unserem Heimatdorf XXXX . Mein Bruder und seine Familie leben auch in diesem Dorf. Mein jüngster Bruder ist derzeit im Iran.
RI: Haben Sie noch Tanten oder Onkel, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, in Afghanistan?
BF: Ich hatte einen Onkel väterlicherseits, der bereits verstorben ist. Seine Kinder leben auch im Dorf XXXX . Ich habe zwei Onkel und eine Tante mütterlicherseits. Meine Onkel mütterlicherseits leben ebenfalls in meinem Heimatdorf. Meine Tante mütterlicherseits lebt in einem Nebendorf namens XXXX .
RI: Wie hat sich die finanziele Situation Ihrer Familie dargestellt?
BF: Als ich im Iran gelebt hatte, finanzierte ich meine Familie. Als ich sie nicht mehr unterstützen konnte, ging es meiner Familie sehr schlecht.
RI: Wer versorgt zur Zeit Ihre Mutter?
BF: Vor meiner Ausreise aus Afghanistan habe ich meiner Mutter 60.000 Afghani gegeben. Ich weiß es aber nicht. Mein Bruder ist in den Iran gereist. Mit meinem Bruder hatte ich anfangs Kontakt. Jetzt besteht kein Kontakt zu ihm.
RI: Betreffend Ihren Bruder, der noch im Heimatdorf ist: Wie stellt sich seine finanzielle Lage dar? Welcher Beschäftigung geht er nach?
BF: Mein Bruder und seine Familie leben von den Einnahmen der Felder. Ich habe von meiner Mutter vor ca. 20 Tagen erfahren, dass dort etwas passiert sei.
RI: Was ist passiert?
BF: Meine Mutter hat mir nichts davon erzählt. Sie hat mir nur gesagt, dass sie derzeit getrennt mit meiner Schwester wohne.
RI: Wie stellt sich die wirtschaftliche Situation Ihrer Onkel mütterlicherseits, die in Ghazni leben, dar?
BF: Meine Onkel haben ebenfalls Felder und Tiere in unserem Dorf. Davon leben sie.
RI: Haben die Onkel Ihre Familie finanziell unterstützt? Sie haben ja geagt, es geht Ihrer Familie nicht gut.
BF: Nein. Wenn mein Bruder aus dem Iran Geld schickt, ist ihr das eine Hilfe. Meine Mutter bekommt von niemand, auch nicht von den Onkeln, Unterstützung. Vielleicht hilft mein Schwager meiner Mutter.
RI: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Mutter und Ihrem Bruder?
BF: Meinen Sie meinen ältesten Bruder?
RI: Ja.
BF: Nein, ich habe keinen Kontakt zu ihm.
Nachgefragt, wie ich von meiner Mutter erfahren habe, dass etwas passiert ist, gebe ich an, dass meine Mutter meine Telefonnummer hat. In unserem Ort gibt es keinen Empfang. Die Telefon-Antennen wurden vor kurzem zerstört, deshalb habe ich bereits seit ca. 20 Tagen keinen Kontakt zu meiner Mutter.
RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Ich habe in meinem Heimatland keine Schule besucht. Ich war 5 Jahre in einer Religionsschule. Ich habe keinen Beruf erlernt.
RI: Wo haben Sie sich wann, wie lange in Afghanistan oder im Iran aufgehalten?
BF: Ich habe 14 Jahre im Heimatdorf gelebt, 5,5 Jahre lebte ich im Iran. Seit 2 Jahren und 3 bis 4 Monaten lebe ich in Österreich.
RI: Als Sie sich im Iran aufgehalten haben: Sind Sie vom Iran direkt nach Österreich gereist?
BF: Nein, ich wurde vom Iran nach Afghanistan abgeschoben. 3 Monate wohnte ich in der Provinz Ghazni im Heimatdorf. Nach 3 Monaten bin ich aus Afghanistan ausgereist und nach Österreich gekommen.
RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?
BF: Im Iran habe ich gearbeitet, so habe ich meinen Lebensunterhalt verdient. Zu seinen Lebenszeiten hat mein Vater in der Landwirtschaft gearbeitet und so für die Familie gesorgt.
RI: Sieht das Gericht das richtig: Sie haben nur mehr Angehörige in der Provinz Ghazni und sonst nirgendwo mehr?
BF: Ja. Sollte es sonst noch in einem anderen Teil Afghanistans Verwandte geben, weiß ich von ihnen nichts. Ich habe zu niemand Kontakt.
RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?
BF: Nein.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Nein.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?
BF: Ja. Heute bin ich um 08.00 Uhr aufgestanden. Gemeinsam mit Hrn. XXXX bin ich um 10.00 Uhr nach Wien gefahren. In meiner Freizeit treffe ich mich gerne mit meinen Freunden und wir kochen gemeinsam.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.
Die Verhandlung wird wieder durch Übesetzung in Dari geführt.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Ja, ich habe bereits Deutschkurse besucht. Auch derzeit besuche ich einen Deutschkurs. Ich möchte auch in Zukunft Deutschkurse besuchen.
RI: Gehen Sie zurzeit einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Ich werde auch in Zukunft gerne arbeiten gehen.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Ich gehe ins Fitness-Center. Ich besuche zwei Kurse. Es ist eine Art Deutschkurs. Die Damen unterstützen uns beim Lernen der deutschen Sprache. Es sind keine offiziellen Deutschkurse. Die Damen arbeiten ehrenamtlich.
RI: Haben Sie Kontakt zu österreichischen Familien?
BF: Ja, als ich in XXXX gelebt hatte, hatte ich zu vielen österreichischen Bürgern im Dorf Kontakt. Ich habe noch immer Kontakt zu diesen Leuten.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein. Aber es gab einen Streit, als ich im Heim in XXXX gelebt habe. Es gab einen Marokkaner, der gestritten hat. Wir wurden von der Polizei als Zeugen und vor dem Gericht als Geschädigte befragt.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.
BF: Als ich Afghanistan das erste Mal verlassen habe und in den Iran ging, war ich sehr klein. Ich hatte Angst vor den Taliban. Damals hatte ich Angst, obwohl ich sehr klein war. Ich begann in ein erwachsenwerdendes Alter zukommen. Ich hatte Angst davor, eines Tages von den Taiban aufgegriffen und bedroht zu werden. Als ich vom Iran nach Afghanistan abgeschoben wurde, hatte ich noch immer Angst um mein Leben.
RI: Was war der Grund dafür, dass Sie Ihre Heimat verlassen haben und in den Iran gereist sind? Wollten Sie nicht Geld verdienen, um Ihre Familie zu unterstützen?
BF: Ja, es war so. Einerseits bin ich aus Angst vor den Taliban ausgereist. Meine Familie war sehr arm und ich wollte sie unterstützen.
RI: Kam es jemals Ihnen gegenüber zu einer konkreten Bedrohung durch die Taliban oder sonst eine Person oder Gruppe?
BF: Nein.
RI: Sieht das Gericht das richtig: Sie hatten einfach die allgemeine Angst vor der Lage in Ihrem Heimatdorf?
BF: Ja, die allgemeine unsichere Lage des Gebietes und des Landes. Jeder ist aus Afghanistan geflüchtet, der die Mittel dazu hatte.
RI: Gab es in Ihrem Heimatdorf Anschläge?
BF: Ja. Es gab Anschläge in unserem Dorf. Damals war ich noch sehr klein. Es gab auch militärische Auseinandersetzungen im Distrikt
XXXX .
RI: Haben Sie etwas davon bemerkt, dass Leute in Ihrem Dorf zwangsrekrutiert wurden oder für die Taliban arbeiten mussten während Ihres dreimonatigen Aufenthalts im Heimatdorf, nachdem Sie aus dem Iran abgeschoben wurden?
BF: Nein, in unserem Dorf habe ich von Rekrutierungen durch die Taliban nichts mitbekommen. Vielleicht hatte ich nur Glück. Die drei Monate waren eine kurze Zeit. Rekrutierungen bei jungen Männern durch die Taliban gab es im Distrikt XXXX sehr wohl.
RI: Zusammendgefasst: Sie sind vom Iran zurückgekehrt, waren 3 Monate im Heimatdorf, sind aufgrund der unsicheren Lage, ohne konkreten Vorfall, nach Österreih gereist. Ist das richtig?
BF: Ja. XXXX ist ein unsicheres Gebiet. Darüber können Sie in Afghanistan recherchieren.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat Afghanistan, z.B. nach Kabul, zurückkehren müssten? Was würden Sie dort tun?
BF: Es könnten mir in Kabul viele schlimme Ssachen passieren. Sie wissen, dass es in Kabul jeden Tag Anschläge gibt. Die schiitischen Moscheen werden jeden Tag angegriffen. Hätte ich damals in Kabul in Sicherheit leben können, wäre ich nicht nach Österreich gekommen.
RI: Sie haben schon mit 14 Jahren im Iran gearbeitet, um Ihre Familie in der Heimat zu versorgen. Ist das richtig?
BF: Ja.
RI: Rein hypothetisch: Sie kommen in Kabul an: Was würden Sie dort als Erstes tun? Natürlich ganz abgesehen von den Anschlägen.
BF: Ich könnte niemals in Kabul leben. Die Sicherheitslage in Kabul ist derzeit am Schlimmsten. Kein Mensch ist in Kabul sicher vor Anschlägen.
RI: Laut einer im Akt einliegenden Bestätigung leiden Sie an Gastritis. Wie geht es Ihnen zur Zeit damit?
BF: Es geht mir damit besser. Ich wurde medikamentös behandelt.
RI gibt RV die Möglichkeit, zu den bisherigen Angaben der Parteien eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.
RV: Wie sieht der Ertrag aus der Landwirtschaft der Familie aus? Sind die Felder ertragreich oder eher nicht?
BF: Wir haben nicht viele Felder. Die Ernte dieser Felder reicht nur für die Familie meines Bruders.
RV: Welche Tiere hält Ihre Familie auf den Feldern?
BF: Als mein Vater noch lebte, hatte wir Schafe und Ziegen. Welche Tiere die Familie jetzt besitzt, weiß ich nicht.
RV: Gibt es in Ihrem Heimtdorf reiche Bauern, die Kühe halten, falls dies möglich ist?
BF: Ich gibt keine reichen Bauern in unserem Dorf und in der Umgebung auch nicht. Es gab einzelne Familie, die Kühe besaßen.
RV: Kann man sich in Ihrer Region frei bewegen oder können Sie sich nur in Ihrem Heimatdorf aufhalten? Können Sie das nächste größere Dorf oder einen Markt aufsuchen?
BF: Unser Heimatdorf ist etwas isoliert. Es gibt aber andere Dörfer in der Umgebung. Unser Dorf befindet sich am Ende eines Tals.
RV: Leben in diesem Gebiet überwiegend Hazara oder leben dort auch andere Bevölkerungsgruppen? Wie ist die ehtnische Zusammensetzung in Ihrem Dorf und der Umgebung?
BF: In unserem Dorf wohnen nur Hazara. In anderen Dörfern sind die ethnischen Gruppen gemischt. Die meisten von ihnen sind Paschtunen.
RV: Keine weiteren Fragen.
[...]
RV: Die Mitwirkungspficht des BF bezieht sich nur auf Umstände zu denen er persönliche Wahrnehmungen gemacht hat. Nicht aber auf die allgemeine Lage in einem allfälligen Ausweichgebiet.
Die Sicherheitslage in Afghanistan allgemein, und speziell in Kabul, hat sich in den letzten Monaten erneut dramtisch verschlechtert. Die tatsächlichen Sicherheitsbedrohungen lassen sich daher aus Berichten der Staatendokumentation, welche sehr oberflächlich gehalten sind und nicht ausreichend aktuell sind, nicht ablesen. Allein in der letzten Woche haben in Kabul drei schwere Anschläge stattgefunden. Die Neue Züricher Zeitung berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe, dass Afghanistan in der Gewalt versinkt. Gemäß Judikatur der Höchstgerichte besteht bei der Erforschung der allgemeinen Lage durch Berichte eine Aktualisierungspflicht.
Bezug genommen wird auf den Bericht der Schweizeischen Flüchtlingshilfe vom 14.09.2017, welcher vor allem auch zusammenfassende Ausführungen zur sozialökonomischen Lage in Kabul enthält. Dies unter Auswertung eines diesbezüglichen Berichtes von EASO vom August 2017. Als Ergebnis des Ermittlungsverfahrns ist festzuhalten, dass der BF über keinerlei soziales Netzwerk in Kabul verfügen würde, ihm auch aufgrund der prekären wirtschaftlichen Lage der Angehörigen seiner Kernfamilie von diesen keine Hilfe zukommen würde. Verschärft wird die Lage, da der BF noch nie in Kabul aufhältig war und daher auch nicht wüsste, an welche Anlaufstelle sich der BF wenden sollte. Die Lage am Wohnungsmarkt in Kabul ist katastrophal. Mehr als 60 % der Bevölkerung Kabuls lebt unter Substandard-Wohnbedingungen oder ist von Obdachlosigkeit bedroht. All dies lässt sich im Bericht der SFH nachlesen, der vorgelegt wird. Weiters hat der BF, weil er Schiit und Hazara ist, mit zusätzlichen Diskriminierungen zu rechnen. Auch ist es aus Untersuchungen bekannt, dass Rückkehrer aus dem Westen stigmatisiert werden und auch deshalb mit Diskriminierung zu rechnen ist. 2017 gab es in Afghanistan ca. 1,6 Millionen Binnenvertriebene und ca. 1 Million Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran. Diese Menschen strömen überwiegend in die Großstädte, weil ihnen aufgrund der Sicherheitslage aber auch aus kulturellen und anderen Gründen (Streit um Land etc.) eine Rückkehr in ihre Herkunftsgebiet nicht möglich ist und zudem Landflucht in Afghanistan ein allgemeiens Phänomen darstellt. All dies lässt den Preis für Unterkünfte, selbst wenn diese eine Substandard-Qualität haben, in die Höhe schnellen. Die Lage am Arbeitsmarkt ist hoffnungslos, was sich aufgrund der skizzierten Entwicklung leicht nachvollziehen lässt. Der BF hat keine Ausbildung und keine Schulbildung. In Afghanistan läuft der Zugang zu Arbeitsplätzen oder Jobs über private Verbindungen, über die der BF nicht verfügt. Ihm bliebe nur die Möglichkeit, als Tagelöhner Tag für Tag Arbeit zu suchen. Er stünde dabei in Konkurrenz zu einer übergroßen Anzahl von armen Menschen aus Kabul, von Binnenvertriebenen und anderen Rückkehrern, denen gleichfalls keine andere Alternative zur Verfügung steht. Bekannt ist, dass die Preise für Unterkünfte in Kabul so hoch sind, dass sich selbst durchschnittlich verdienende Familien aus Kabul diese kaum leisten können. Als Tagelöhner ist es unmöglich, dass der BF kurzsfristig und mittelfristig soviel Einkommen erwirbt, dass er daraus seine aller elementarsten Existenzbedürfnisse abdecken könnte. Er würde somit bei völliger Außerachtlassung aller Sicherheitsfragen in eine existenziell aussichtslose Situation geraten. Somit steht das als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens fest, dass die höchstpersönliche, sozialökonomische Lage des BF im Falle einer erzwungenen Ansiedlung in einer der Großstädte in Afghanistan, besonders in Kabul, nicht besser sein kann, als die der dort bereits lebenden Binnenvertriebenen. Deren Lebensumstände beschreibt die SFH auf Seite 33 des Berichts als äußerst hart. Viele von ihnen müssen in behelfsmäßig bereitsgestellten Unterkünften leben, ihr Alltag ist vom täglichen Kampf ums Überleben, auch im Bezug auf die Beschaffung von Lebensmittel, geprägt. Dies bei allen anderen erschwerenden Lebensumständen wie sie der Bericht auf Seite 33 beschriebt. Der BF wäre daher im Falle einer Ansiedlung in Kabul oder in anderen Großstädten einer unmenschlichen Situation ausgesetzt.
Der RV legt vor: Schweizerische Flüchtlingshilfe - AFGHANSITAN. Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 14.09.2017. Die Unterlagen werden zum Akt genommen."
1.10. Am 31.10.2018 langte ein mit "Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens mit Beweisanträgen" betiteltes Schreiben des Vertreters des BF am BVwG ein. Darin wurde vorgebracht, dass dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, da er über kein intaktes, finanziell leistungsfähiges Netzwerk verfüge. Begründend wurde auf ein Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 verwiesen.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 30.09.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 15.09.2017 sowie die Beschwerde vom 16.10.2017
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 31.01.2018
* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke und die Stellungnahme vom 31.10.2018
* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017)
o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 sowie Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016
o Feststellungen zu den ethnischen Minderheiten in Afghanistan (Hazara)
o einen Auszug aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die vom Iran nach Afghanistan zurückgekehrt sind
o einen Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aufgrund eines längeren Aufenthaltes im Iran auch Farsi und bereits schon Deutsch.
3.1.2. Lebensumstände des BF:
Die Eltern des BF stammen aus dem Dorf XXXX , Bezirk XXXX (Provinz Ghazni), wo der BF auch geboren wurde. Die Eltern besaßen eine kleine Landwirtschaft, die zuerst der Vater und nach dessen Tod im Mai 2016 der Bruder bewirtschafteten. Der BF besuchte fünf Jahre lang eine Religionsschule und kann nur etwas lesen und wenig schreiben.
Da das Familieneinkommen nicht ausreichte, musste der BF bereits im Alter von 14 Jahren Afghanistan verlassen und im Iran eine Arbeit als Koch und später in einem Steinbruch aufnehmen, um seiner Familie Geld zu übersenden und sie dadurch zu unterstützen. Diese Arbeit übte er ca. fünfeinhalb Jahre aus.
Der ältere Bruder ist verheiratet und lebt mit seiner Familie im Heimatdorf. Er ist einfacher Bauer, die geringen Erträge der familieneigenen Landwirtschaft benötigt er für die Versorgung seiner Frau und Kinder. Die Mutter wohnt mit der Schwester des BF in einem gemeinsamen Haushalt, der jüngere Bruder des BF, der sich im Iran aufhält, unterstützt diese durch seine Arbeitstätigkeit im Iran. Ferner sind zwei Onkel und eine Tante mütterlicherseits in Ghazni aufhältig, die jedoch die Kernfamilie des BF nicht unterstützen.
Die finanzielle Situation der Familie des BF stellt sich als schlecht dar.
3.1.3. Der BF verließ nach seinen Angaben Afghanistan im Jahre 2015 und stellte am 28.09.2015 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
3.1.4. Beim BF handelt es sich um einen physisch schmächtigen Mann. Er leidet an chronischer Gastritis und Rückenbeschwerden und nimmt dagegen Medikamente.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.2.1. Der BF hat Afghanistan primär aufgrund der schlechten Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz verlassen.
Asylrelevante Gründe des BF für das Verlassen seines Heimatstaates konnten nicht glaubhaft gemacht werden.
3.2.2. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte nicht einer politischen Partei an.
3.2.3. Eine konkrete Verfolgung des BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie als schiitischer Moslem konnte nicht festgestellt werden.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
3.3.2. Dem BF würde derzeit bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Afghanistan (die Herkunftsprovinz ist Ghazni), ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Eine Rückkehr und Ansiedelung außerhalb der Provinz Ghazni, insbesondere in einer Großstadt wie Kabul, ist dem BF aufgrund seiner individuellen Umstände (keine sozialen Anknüpfungspunkte in obgenannter Stadt und keine Kenntnis der dortigen Gegebenheiten, Örtlichkeiten und Lebensgewohnheiten, schlechte finanzielle Situation seiner in Ghazni aufhältigen Familie und folglich keine Unterstützung durch diese, keine Berufsausbildung, schwere körperliche Arbeit im Iran seit seiner Kindheit trotz schmächtigem Körperbaus, um die Familie zu versorgen, chronische Gastritis sowie Rückenbeschwerden und somit die Notwendigkeit, sich Medikamente zu verschaffen) nicht zumutbar, zumal er auch dort Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
3.4. Der BF hält sich seit September 2015 in Österreich auf, pflegt Kontakte zu österreichischen Familien und spricht bereits gutes Deutsch. Er hat nicht nur ein klares Bild von seiner Zukunft (Deutschkenntnisse weiter verbessern, Ausbildung absolvieren), sondern auch bereits im Rahmen seiner Möglichkeiten Schritte gesetzt, um sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren (Ablegung von Deutschkurs-Prüfungen, sportliche Aktivitäten, Ausübung gemeinnütziger und ehrenamtlicher Tätigkeiten) und in weiterer Folge für sich selbst zu sorgen. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
3.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):
[...]
2. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war