TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/8 W256 2146516-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2019
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Entscheidungsdatum

08.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W256 2146516-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline Kimm als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. Dezember 2016, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 30. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben) folgendes an: "Ich habe Afghanistan verlassen, weil ich Angst vor den Taliban hatte. Diese haben meinen Vater getötet. Da ich kein Geld und kein Haus besessen habe, bin ich geflüchtet. Ich wollte mich weiterbilden, deshalb bin ich Richtung Europa aufgebrochen."

Der Beschwerdeführer wurde am 20. September 2016 in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen sein bisher erstattetes Fluchtvorbringen. Ergänzend brachte er vor, dass er in dem Restaurant seines Vaters gearbeitet habe. Da sein Vater ein Jahr lang einem Sicherheitsposten Essen geliefert habe, sei dieser von den Taliban getötet und der Beschwerdeführer gefoltert und festgehalten worden. Aufgrund einer polizeilichen Inspektion sei dem Beschwerdeführer die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen. Nach ein bis zweimonatigem Krankenhausaufenthalt in Afghanistan habe er drei bis vier Monate später Afghanistan verlassen. Unter einem legte der Beschwerdeführer einen Drohbrief der Taliban vor, welcher im Auftrag der belangten Behörde auch übersetzt wurde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm jedoch zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung zugesprochen (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen zu Spruchpunkt I. aus, dass das behauptete Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 24. Jänner 2017. Die belangte Behörde habe sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend auseinandergesetzt. Insbesondere habe sie die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweise, und zwar u.a. den vom Beschwerdeführer vorgelegten Drohbrief nicht übersetzen lassen. Auch habe die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht dadurch verletzt, dass sie trotz entsprechenden Vorbringens des Beschwerdeführers kein fachärztliches Gutachten eingeholt habe. Der Beschwerdeführer habe zahlreiche Narben am Körper, welche belegen würden, dass ihm die von ihm geschilderten Verletzungen tatsächlich auf die beschriebene Weise zugefügt worden seien. Insofern ergehe der Antrag auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens bezüglich der Narben am Körper des Beschwerdeführers zum Beweis dafür, dass diese Narben des Beschwerdeführers von Fußtritten und Schlägen mit Kabeln und Gewehrkolben stammen würden und somit auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Weise zustande gekommen seien. Auch habe die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht dadurch verletzt, dass sie kein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten eingeholt habe, obwohl dies durch das vom Beschwerdeführer während der Einvernahme an den Tag gelegte Verhalten dringend indiziert gewesen wäre. Der Beschwerdeführer sei psychisch in äußerst schlechter Verfassung und sei er daher nicht in der Lage gewesen, die Vorfälle in seinem Herkunftsland chronologisch und nachvollziehbar zu schildern. Auch sei es ihm aufgrund seiner psychischen Verfassung nicht möglich gewesen, seinen traumatisierenden Erlebnissen genaue Zeitpunkte zuzuordnen. Aufgrund seines psychischen Zustandes sei es dem Beschwerdeführer während der Einvernahme nicht möglich gewesen, seinen psychischen Zustand zu thematisieren. Wäre die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen, so hätte der Beschwerdeführer angeben können, bei XXXX in fachärztlich-psychiatrischer Behandlung zu sein. Im Zeitpunkt der Einvernahme habe er unter ärztlicher Kontrolle die verschriebenen Medikamente abgesetzt, welche er aufgrund seines schlechten Zustandes wieder habe einnehmen müssen. Wäre die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen, hätte sie erkennen müssen, dass der Beschwerdeführer weiterer Behandlung bedürfe und an einer mittelgradigen depressiven Episode bei Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung leide. Insofern werde beantragt, ein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass der psychische Zustand des Beschwerdeführers derart schlecht sei, dass er nicht in der Lage sei, sein Fluchtvorbringen chronologisch zu schildern und zeitlich zuzuordnen. Unter einem wurde ein fachärztlicher Befund auch vorgelegt. Der Beschwerdeführer habe abgesehen davon, dass ihm eine zeitliche Zuordnung aufgrund seines psychischen Zustandes nicht möglich gewesen sei, ein detailliertes, lebensnahes und widerspruchsfreies Vorbringen erstattet. Er sei ein afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der Minderheit der schiitischen Hazara. Aufgrund seiner ihm von den Taliban unterstellten feindlichen Gesinnung fürchte er in Afghanistan Verfolgung durch die Taliban. Auch habe er begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der schiitischen Hazara und drohe dem Beschwerdeführer darüber hinaus aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der psychisch kranken Personen Verfolgung in Afghanistan.

Am 8. Juni 2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht vom Beschwerdeführer ein Taufschein des Beschwerdeführers sowie ein Jahreszeugnis des Beschwerdeführers für das Schuljahr 2017/2018 an der Berufsschule XXXX vorgelegt.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde den Parteien u.a. das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29. Juni 2018, zuletzt aktualisiert am 22. August 2018 (LIB), sowie die ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 1. Juni 2017 (ACCORD) durch das Bundesverwaltungsgericht zum Parteiengehör übermittelt. Ebenso wurde dem Beschwerdeführer u.a. die im Akt einliegende Übersetzung des von ihm vorgelegten Drohbriefes zum Parteiengehör übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 19. Oktober 2018 eine öffentlich mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers durchgeführt. Darin wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisher erstattetes Fluchtvorbringen. Ergänzend brachte er vor, dass ihm aufgrund seiner Konversion zum Christentum in Afghanistan Verfolgung drohe.

In seiner im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer u.a. zu seinem Gesundheitszustand vor, dass er sich derzeit in keiner psychologischen oder psychiatrischen Therapie befinde. Aufgrund des Besuchs der Berufsschule und seiner Lehre als Installations- und Gebäudetechniker fehle es dem Beschwerdeführer an zeitlichen Ressourcen, einer Therapie nachzugehen. Insbesondere habe der Beschwerdeführer das Gefühl, er könne die ihm früher verschriebenen Medikamente nicht mehr einnehmen, da er mit diesen nicht in der Lage sei, seine Ausbildung zu absolvieren. Zur übermittelten Übersetzung des Drohbriefes führte der Beschwerdeführer aus, dass die vom Beschwerdeführer ebenfalls in Auftrag gegebene und wortwörtlich wiedergegebene Übersetzung eines allgemein beeideten gerichtlich zertifizierten Dolmetschers anderes hervorbringe als die von der belangten Behörde erfolgte Übersetzung. Wie aus dem ebenfalls vorgelegten Schreiben des Diakons und Pastoralassistenten Mag. XXXX der Stadtpfarre XXXX hervorgehe, besuche der Beschwerdeführer regelmäßig die Gottesdienste und sei stark in der katholischen Gemeinde integriert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

Der Beschwerdeführer besitzt die afghanische Staatsangehörigkeit und gehört der Volksgruppe der Hazara an (Erstbefragung AS 1; Verhandlungsschrift Seite 6).

Er wurde am 14. Jänner 2018 römisch-katholisch getauft (vorgelegter Taufschein der (Erz)Diözese XXXX ).

Ein auf einer Glaubensüberzeugung beruhender innerer Entschluss, sich vom Islam abzuwenden und sich demgegenüber dem Christentum zuzuwenden bzw. danach zu leben, konnte jedoch nicht festgestellt werden (siehe dazu die Beweiswürdigung).

Er ist in der Provinz Ghazni im Distrikt Jaghuri im Dorf XXXX geboren und hat er dort hauptsächlich bis zu seiner Ausreise im Frühjahr 2015 gemeinsam mit seiner Mutter in einem Haus gelebt (Erstbefragung AS 1 ff; Befragung vor der belangten Behörde AS 211; Verhandlungsschrift Seite 5ff).

Seine Mutter ist nach seiner Ausreise im Heimatdorf verblieben und erst vor kurzem nach Pakistan ausgereist (Verhandlungsschrift Seite 7).

Zur Lage in Afghanistan

zur Situation der Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-15% geschätzt (LIB, Seite 290).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB; Seite 290).

Im Ulema Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote schiitischer Muslime va. 30 %. Auch tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern sunnitischer und schiitischer Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Seite 290).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (LIB, Seite 290).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB, Seite 291).

zu den ethnischen Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken (LIB, Seite 297).

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB, Seite 298).

zur Situation der Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden (LIB, Seite 300).

Doe Hazara-Gemeinschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammeskulturen bezeichnet, dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammeskulturen. Das traditionelle Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB, Seite 300).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage verbessert. Sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischen und politischen Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war, diese Möglichkeit zu nutzen, so haben sie dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemeinen wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist (LIB, Seite 300).

Gesellschaftliche Spannungen bzw. Diskriminierungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (LIB, Seite 301).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10 % in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB, Seite 301).

zur Apostasie bzw. zur Konversion

Für gebürtige Muslime ist es möglich ein Leben in der afghanischen Gesellschaft zu führen ohne dass sie den Islam praktizieren. Gefährlich wird es nur dann, wenn sie "Apostaten" oder "Konvertiten" sind und dies öffentlich wird (ACCORD zu Punkt 1)).

Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte bedeutet der Übertritt vom Islam in eine andere Religion Apostasie. In diesem Fall haben die Betroffenen drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Erfolgt ein solcher Widerruf nicht, so haben sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Laut Hannafi Rechtslehre seien Männer bei Apostasie mit Enthauptung zu bestrafen, sofern der Betroffene keine Reue zeigt (ACCORD zu Punkt 1)).

zur Blasphemie

Das afghanische Gesetzesrecht enthält keine Bestimmungen zu Blasphemie und demzufolge behandeln die afghanischen Gerichte Blasphemie nach islamischem Recht. Wie bei Apostasie haben die Beschuldigten 3 Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen, andernfalls die Todesstrafe drohen kann (ACCORD zu Punkt 3)).

2. Beweiswürdigung:

Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln.

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seinem Aufenthalt in Afghanistan ergeben sich aus seinen diesbezüglich weitestgehend gleichbleibenden und glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zu seiner Familie ergeben sich aus den eigenen im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln.

zu den Nichtfeststellungen in Bezug auf seine behauptete psychische Erkrankung

Der Beschwerdeführer führte im Rahmen der in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung erfolgten Befragung vor der belangten Behörde am 20. September 2016 aus, ihm seien vor einiger Zeit von einem Arzt Beruhigungsmittel verschrieben worden, welche er allerdings seit ein bis zwei Monaten nicht mehr einnehme. Die Frage, ob er sich u.a. psychisch in der Lage fühle, der Verhandlung zu folgen, bejahte er.

In der Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer nun eine psychische Erkrankung, welche er bei der Befragung vor der belangten Behörde nicht habe artikulieren können. Außerdem führe diese psychische Erkrankung dazu, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte nicht chronologisch schildern und zeitlich zuordnen könne. Als Beweis dazu wurde vom Beschwerdeführer ein fachärztlicher Befund des XXXX vom 13. Jänner 2017 vorgelegt, wonach dem Beschwerdeführer aufgrund eines Beratungsgespräches am 17. März 2016 eine herabgesetzte Konzentration, Merkfähigkeit und auch Antriebslosigkeit und damit eine mittelgradige depressive Episode bei Verdacht auf PTSD diagnostiziert und ihm insofern eine medikamentöse Behandlung sowie eine Psychotherapie empfohlen werde.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit seiner im Verfahren vorgelegten Stellungnahme zu seinem Gesundheitszustand befragt aus, ihm falle nach wie vor die zeitliche Zuordnung schwer. Aufgrund seiner Lehrausbildung habe er allerdings keine Zeit, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weshalb er auch keine ärztlichen Bestätigungen dazu vorlegen könne. In seiner Stellungnahme vom 18. Oktober 2018 führt er überdies aus, dass er "das Gefühl" habe, die "früher" verschriebenen Medikamente nicht mehr einnehmen zu können, weil er damit nicht in der Lage wäre, seiner Ausbildung nachzugehen.

Vor dem Hintergrund, dass die vom Beschwerdeführer behauptete psychische Erkrankung aus behaupteten Zeitgründen (ärztlich und medikamentös) derzeit nicht einmal behandelt wird und er selbst eine medikamentöse Behandlung für sein (berufliches) Fortkommen sogar als hinderlich ansieht, bestehen von Seiten des erkennenden Gerichts keine Gründe, von einer derzeitigen psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers auszugehen, zumal das letzte diesbezügliche Beratungsgespräch ohnedies bereits mehr als zwei Jahre (!) zurückliegen soll. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren zahlreiche Integrationsbemühungen, wie zB. Besuch einer Berufsschule und Lehrausbildung angeführt hat, welche mit einer (aufgrund des Beratungsgesprächs vom 17. März 2016) attestierten Antriebslosigkeit des Beschwerdeführers ohnedies nicht in Einklang zu bringen wären. Insgesamt konnten daher dazu vom erkennenden Gericht keine Feststellungen getroffen werden und war auch angesichts dieser Entwicklungen die Einholung eines fachärztlichen-psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachtens nicht erforderlich.

zu den Feststellungen in Bezug auf seine Glaubensüberzeugung:

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen seiner Erstbefragung vorgebracht, dass er der Religion des schiitischen Islam angehöre (Erstbefragung am 31. Mai 2015: AS 1). Auch in seiner an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten Beschwerde vom 24. Jänner 2017 hat der Beschwerdeführer explizit auf seinen schiitischen Glauben hingewiesen. Erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht bringt der Beschwerdeführer damit in Widerspruch stehend vor, er habe sich seit seiner Einreise in Österreich vom Islam abgewendet und demgegenüber dem Christentum zugewendet (Verhandlungsschrift Seite 7 ff: "R: Warum und wann haben Sie sich vom Islam abgewendet? BF: Seit meiner Einreise in Österreich. In Traiskirchen habe ich Kontakt zu einer Kirche bekommen. Ich habe mich dann dort ein wenig mit der Lehre befasst und das als richtig empfunden."). Bei seiner Ankunft in Österreich sei ihm der nette Umgang der Menschen miteinander aufgefallen und habe er festgestellt, dass die Lehre des Christentums dazu eine bedeutende Rolle spiele (Verhandlungsschrift Seite 8). Umgekehrt sei ihm damit auch bewusst geworden, dass der Islam nur aus Gewalt bestehe (Verhandlungsschrift Seite 9).

Dazu ist zunächst anzumerken, dass es von Seiten des Gerichts nicht nachvollzogen werden kann, dass der seit seiner Einreise laut seinem Vorbringen dem Islam abgewandte und demgegenüber dem Christentum zugewandte Beschwerdeführer sich beinahe zwei Jahre nach seiner Ankunft in Österreich nach wie vor zum schiitischen Glauben und damit zum Islam dezidiert als zugehörig bezeichnet hat, wohingegen er seine Zuwendung zum Christentum mit keinem Wort erwähnte.

Im Übrigen fällt aber ohnedies auf, dass der Beschwerdeführer allein die allgemein in Österreich vorhandene Hilfsbereitschaft als Grund für seinen Glaubenswechsel nennt (Verhandlungsschrift Seite 8: "R:

Was war der Auslöser zur Konversion? BF: Als ich in XXXX angekommen bin, habe ich festgestellt, dass sowohl junge als auch ältere Österreicher eine angenehme Umgangsweise mit den Mitmenschen haben. Dann habe ich erfahren, dass die Lehre des Christentums eine bedeutende Rolle spielt. ..."; Seite 9: "R: Bitte sagen Sie mir konkret, was der Auslöser Ihrer Konversion war? BF: Ich habe nach meiner Ankunft hier in diesem Land etwas beobachtet, was mich irritiert hat, die Akzeptanz. Ich habe dann angefangen, das Christentum mit den Werten des Islam zu vergleichen. Von klein auf bis zum erwachsenen Alter habe ich nur gelernt, dass Islam Gewalt erlaubt. R: Gehen Moslems nicht nett miteinander um? BF: Ich habe das nicht so kennengelernt und je mehr ich darüber nachgedacht habe, bin ich darauf gekommen, dass wo Islam gelehrt wird, Gewalt herrscht. Es gibt aber auch Christen, die nicht nett miteinander umgehen. Was sagen Sie dazu? BF: Solche habe ich nie kennengelernt. Ich habe nur Miteinander und Hilfsbereitschaft kennengelernt.").

Damit übersieht der Beschwerdeführer aber, dass Nächstenliebe zwar als ein wesentlicher Bestandteil von (jeder) Religion angesehen wird, diese aber für sich allein nicht mit Religion und schon gar nicht mit einer bestimmten Religion gleichgesetzt werden kann. Insofern kann hilfsbereites und rücksichtsvolles Verhalten nicht ohne weiteres auch als (mit dem Islam in Widerspruch stehende) innere religiöse Glaubenseinstellung verstanden werden. Die vom Beschwerdeführer als religiöse Einstellung missverstandene Hilfsbereitschaft vermag daher für sich allein keine Zuwendung zum Christentum begründen. Dass dem Beschwerdeführer allein aufgrund eines sozialen Verhaltens seinen Mitmenschen gegenüber in Afghanistan Apostasie bzw. Konversion vorgeworfen werden würde, ist jedenfalls (auch aufgrund der Feststellungen) nicht anzunehmen.

Sonstige Gründe oder ein Schlüsselerlebnis, weshalb sich der (im Übrigen in Afghanistan nie für Religion interessierende) Beschwerdeführer von der Religion des Islam abgewandt und sich demgegenüber dem Christentum zugewandt hat, nannte der Beschwerdeführer - trotz ausdrücklicher Nachfrage - nicht (Verhandlungsschrift Seite 8ff sowie Seite 10: "R: Wie tritt Ihre Abkehr vom Islam nach außen in Erscheinung? BF: Ich habe keinerlei Interesse am Islam. Ich habe nichts gegen Menschen, die diesem Glauben angehören. R wiederholt die Frage. BF: Ich bin wie neu geboren. Die Vergangenheit habe ich hinter mir gelassen. Ich führe ein neues Leben. Mir wurde geholfen. Deswegen helfe ich auch anderen. Im Islam habe ich das nicht kennengelernt. R: Woher sieht man, dass Sie wie "neu geboren sind"? BF: Mit meinem 6. oder 7. Lebensjahr habe ich in Afghanistan bewusst wahrgenommen, wie gewalttätig die Menschen im Umgang miteinander sind. Es war eine innere Veränderung, die dazu geführt hat, dass ich befreit wurde. Ich habe mit dem Islam abgeschlossen. Wenn man mich auch mit dem Tod bedrohen würde, würde ich von meinem Glauben, dem Christentum, nicht abweichen. Ich fühle mich jetzt in meinem Leben nicht mehr leer und alleine. In Afghanistan schon. R: Woran merkt man, dass Sie Christ sind? BF: Es ist eine innere Ruhe, die ich glaube nach außen auszustrahlen. Wenn ich sonntags aufwache, dann möchte ich als erstes in der Kirche sein. Es ist ein Miteinander, auch ein Füreinander: einfach da zu sein. Es ist auch so, dass ich das Gefühl habe, dass mein Herz größer geworden ist, damit meine ich, dass mehr Platz für die Liebe ist und ich den inneren Drang habe, mich noch mehr damit zu befassen." sowie Seite 11: "R: War Ihnen Religion als Moslem wichtig? BF: Nicht besonders. Es wurde alles vorgelebt und wie gesagt ist der Islam eine gewalttätige Religion.").

Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer - wie die Befragung durch die erkennende Richterin eindrücklich gezeigt hat - mit der Religion des Christentums bislang auch inhaltlich überhaupt nicht befasst hat (Verhandlungsschrift Seite 11: "R: Besitzen Sie eine Bibel? BF: Ja. R: In welcher Sprache? BF: Ich habe eine auf Farsi und eine auf Deutsch. R. Wie ist die Bibel aufgebaut? BF: Was meinen Sie mit dem Aufbau? R: Haben Sie die Bibel schon gelesen? BF: Nicht zur Gänze. Ich nehme an den Gottesdiensten teil, darüberhinaus habe ich unter der Woche sehr viel zu tun mit der Schule. Ich hoffe, dass das in Zukunft besser wird. R: Was steht in der Bibel? BF: Die Bibel ist sehr umfassend geschrieben. Ich gebe ehrlich zu, dass ich nicht alles weiß. Der Pfarrer spricht über Themen. Gott ist unser Erlöser. Wenn der Pfarrer mit uns spricht, da wird mir klar, dass unsere

Sünden vergeben werden. R: Welche Bibelstelle gefällt Ihnen am besten? BF: Ich würde am liebsten jede Stelle kennen. Es ist eine Richtung, für die ich mich entschieden habe. R wiederholt die Frage.

BF: Jene Stelle, an der die Himmelfahrt von Jesus beschrieben wird. Wie gesagt möchte ich mir in Zukunft die Zeit nehmen, um mich mehr mit der Bibel auseinanderzusetzen. R: Können Sie die religiöse Bedeutung der Taufe beschreiben? BF: Den Vorgang der Taufe? BF:

Nein, die religiöse Bedeutung. BF: Mir wurde nicht erklärt, was genau die religiöse Bedeutung der Taufe ist. XXXX meinte nach einem Jahr Kirchenbesuch kann er mich taufen. Ich selbst glaube, dass die Taufe bedeutet, dass man das was man hatte hinter sich lässt und ein neues Leben beginnt. Die Taufe bedeutet, dass man einer neuen

Religion angehört und das, was man war, ablegt. R: Welcher ist der höchste christliche Feiertag? BF: Das neue Jahr, Ostern, Weihnachten, Martinstag, Allerheiligen und weitere andere Tage über die ich keine Informationen habe. R: Was wird zu Ostern gefeiert?

BF: Ich habe das zwar gelesen, aber ich kann mich nicht erinnern. Das ist, glaube ich, 40 Tage nach dem neuen Jahr. Ich glaube, es ist Christi Himmelfahrt, genau kann ich mich nicht erinnern."). Dass ihm eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Religion des Christentums - wie vom Beschwerdeführer behauptet - aus Zeitgründen wegen seiner Ausbildung bislang nicht möglich gewesen sei, überzeugt nicht, sondern bringt der Beschwerdeführer damit umgekehrt wiederum deutlich zum Ausdruck, welchen (geringen) Stellenwert Religion in seinem Leben nach wie vor einnimmt.

Auch das fehlende Bedürfnis des Beschwerdeführers, seiner Mutter seinen Glaubenswechsel und damit zweifellos eine wesentliche (innere) Veränderung in seinem Leben aus eigenem Antrieb bislang mitzuteilen, kann mit der im Verfahren behaupteten Ernsthaftigkeit seines Glaubensübertritts nicht in Einklang gebracht werden. Stichhaltige Gründe, weshalb der Beschwerdeführer seiner Mutter diesen entscheidenden Schritt in seinem Leben vorenthalten wollte, nannte der Beschwerdeführer - trotz ausdrücklicher Nachfrage - nicht. Jedenfalls kann die Behauptung des Beschwerdeführers, er wolle seine Mutter bei seinen wöchentlichen Telefonaten aus gesundheitlichen Gründen schonen mit seinem weiteren Vorbringen, er wolle es ihr persönlich mitteilen, nicht in Einklang gebracht und damit auch nicht nachvollzogen werden (Verhandlungsschrift Seite 7 sowie Seite 13).

Der vom Beschwerdeführer vorgetragene innere Entschluss, sich vom Islam abzuwenden und sich demgegenüber dem Christentum zuzuwenden und danach zu leben, konnte daher vom Beschwerdeführer dem erkennenden Gericht nicht glaubhaft vermittelt werden.

Daran ändert auch nichts, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitig getauft wurde und insofern auch am kirchlichen Leben teilgenommen hat, weil dies nicht auf eine (hier allein entscheidende) tatsächliche Glaubensüberzeugung, sondern auf andere (hier nicht zu erörternde) Beweggründe zurückzuführen ist (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 2018, Ra 2018/19/0236 m.w.H., wonach in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zu einer dem Christentum zugehörigen Religionsgemeinschaft nicht entscheidend ist, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist). Die (im Übrigen nicht einmal beantragte) Befragung von Zeugen zu diesem Thema konnte unterbleiben, weil diese zwar über die (ohnedies nicht in Zweifel gezogenen) kirchlichen Aktivitäten des Beschwerdeführers, nicht aber über seinen tatsächlich (und hier allein entscheidenden) inneren Entschluss Auskunft geben hätten können.

zu den Nichtfeststellungen in Bezug auf individuelle gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohungen in Afghanistan:

Der Beschwerdeführer behauptet im gesamten Verfahren eine Verfolgung durch die Taliban, weil diese ihm aufgrund seiner (Mit)Arbeit im Restaurant bzw. Hotel seines Vaters und damit für ausländische Kräfte eine feindliche Gesinnung unterstellen würden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung behauptet der Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verfolgung aufgrund seiner Konversion zum Christentum sowie aufgrund seiner psychischen Erkrankung.

Sowohl eine Konversion zum Christentum, als auch eine psychische Erkrankung des Beschwerdeführers konnte - wie oben näher dargelegt - vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht werden, weshalb eine darauf gestützte Verfolgung schon allein aus diesem Grund nicht angenommen werden kann.

Dass jemand in Afghanistan Kenntnis über seine kirchlichen Aktivitäten in Österreich habe, ist im Verfahren nicht hervorgekommen und wurde dies vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Davon abgesehen geht aus den getroffenen Länderfeststellungen ohnedies hervor, dass der Beschwerdeführer selbst im Fall des Bekanntwerdens seiner kirchlichen Aktivitäten die Möglichkeit hätte, innerhalb von drei Tagen seinen "Glaubensübertritt" zu widerrufen, weshalb ihm - auch im Hinblick auf seine nicht festgestellte Glaubensüberzeugung - selbst in diesem Falle keine Gefahr der Verfolgung in Afghanistan drohen würde.

Aber auch ansonsten konnte der Beschwerdeführer die von ihm behauptete Verfolgung durch die Taliban nicht plausibel und damit auch nicht glaubhaft machen.

Der Beschwerdeführer brachte dazu vor, sein Vater habe ein Restaurant bzw. Hotel besessen und insofern auch mit Hilfe des Beschwerdeführers ausländische Streitkräfte mit Essen beliefert. Da die Taliban gegen diese Tätigkeit gewesen seien, hätten sie den Vater des Beschwerdeführers zunächst bedroht und schließlich zusammen mit dem Beschwerdeführer auch festgenommen. Daraufhin sei der Vater trotz dessen Einsicht von den Taliban sofort getötet worden, der Beschwerdeführer hingegen für längere Zeit festgehalten, gefoltert und schlussendlich von Polizisten befreit worden. Nach einem in weiterer Folge längerem Aufenthalt des Beschwerdeführers im Krankenhaus und schlussendlich zu Hause bei seiner Mutter sei der Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist (Verhandlungsschrift Seite 14ff).

Schon allein aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer selbst nach seiner Befreiung durch die Polizisten für längere Zeit und zwar völlig unbehelligt in Afghanistan leben konnte, kann die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung nicht nachvollzogen werden (Verhandlungsschrift Seite 17: "R: Sie haben vor der belangten Behörde ausgeführt, dass Sie ungefähr 2 Monate nach der Festnahme mit Hilfe der Polizei fliehen konnten und nach ungefähr 2 Monaten Krankenhausaufenthalt nach Hause zu Ihrer Mutter zurückgekehrt wären. Ist das richtig? BF: Ich habe auch bereits damals gesagt, dass ich vermute, dass ich so lange eingesperrt war und im Krankenhaus war. Ich habe mich zu Hause versteckt gehalten, bis ich nach Europa gekommen bin. R: Sie wissen aber, dass Sie mehrere Tage festgehalten wurden und dass Sie mehrere Tage im Krankenhaus waren? BF: Genau weiß ich es nicht, weil es mir psychisch nicht gut geht. R: Was wissen Sie nicht genau? BF: Wie viele Tage ich genau wo war. R: Wie viele genau wollte ich auch nicht wissen, sondern ob es mehrere Tage oder nur ein Tag war. BF:

Bestimmt mehr als 20 Tage. R: Wurde Ihre Mutter in der Zeit Ihrer Festnahme und Ihres Krankenhausaufenthaltes von den Taliban bedroht?

BF: Das weiß ich nicht. R: Was wissen Sie nicht? BF: Ob meine Mutter bedroht wurde oder nicht, da sie nichts erzählt hatte. R: Warum sollte Ihre Mutter Ihnen so etwas nicht erzählen? BF: Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte sie mich verschonen. Mein Leben war nicht einfach. R: Sie haben vor der belangten Behörde ausgeführt, dass Sie ungefähr 5 bis sechs Monate nachdem Sie aus dem Krankenhaus heimgekehrt seien, das Land verlassen hätten. Ist das richtig? BF:

Nach der Entlassung aus der Klinik, war ich zu Hause. Allerdings weiß ich nicht, wie viele Tage es waren, ob es mehrere Monate waren, oder wenige Tage. R: Können Sie mir sagen, ob es mehrere Tage waren, oder nur ein Tag? BF: Nein, es waren mehrere Tage. R: Wurden Sie in dieser Zeit bedroht? BF: Ich habe mich zu Hause versteckt aufgehalten und bin draußen nicht herumgelaufen.").

Dass der Beschwerdeführer in dieser Zeit - wie von ihm behauptet - versteckt gelebt habe, kann schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Beschwerdeführers, er habe sich in dieser Zeit unverändert im eigenen Haus mit der Mutter aufgehalten, nicht nachempfunden werden. Auch die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, die Taliban seien über seine Wohnadresse im Heimatdorf nicht informiert gewesen, kann schon vor dem Hintergrund, dass seine Mutter in dieser Zeit zwecks Hausverkauf in der Öffentlichkeit aufgetreten ist und damit deren und sein Aufenthaltsort für die Taliban zweifellos leicht bestimmbar gewesen wäre, nicht nachvollzogen werden (Verhandlungsschrift Seite 17: "R: In welchem Haus haben Sie sich aufgehalten? BF: In dem Haus, wo ich mich mit meiner Mutter aufgehalten habe. R: War das das Haus, in dem Sie immer gelebt haben? BF: Ja. R: Vorher haben Sie angegeben, Ihre Mutter hätte das Haus, als Sie in der Klinik waren, verkauft? BF: Als ich in der Klinik war, hat sie zuerst das Hotel verkauft. Ich war noch im Haus versteckt, als sie es verkauft hat. R: Wie kann man sich im eigenen Haus verstecken? Können Sie mir das erklären? BF: Ich war 24 Stunden zu Hause. R: Haben die Taliban nicht gewusst, wo Sie wohnen? BF: Sie meinen, in dem Haus, in dem wir gewohnt haben? R: Ja. BF: Wenn Sie das gewusst hätten, hätten sie mich sofort getötet. Ich war zu Hause versteckt. R: Sie haben immer schon in diesem Haus gelebt, wieso sollten Sie die Taliban dort nicht finden? BF: In unserem Dorf gibt es viele Häuser und sie wussten nicht, wo wir tatsächlich wohnen").

Hinzu kommt, dass seine selbst nach seiner Ausreise in Afghanistan verbleibende Mutter als Familienangehörige nie einer Bedrohung ausgesetzt gewesen sein soll und das sogar obwohl der Beschwerdeführer von den Taliban geflohen und - zumindest nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers - gesucht worden sein soll (siehe dazu oben: Verhandlungsschrift Seite 17 sowie Seite 19). Dass die Mutter als nächste Angehörige des Beschwerdeführers, aber auch ihres Ehemannes in diesem Zusammenhang von den Taliban nie herangezogen worden sein soll, kann nicht nachvollzogen werden. Gleiches gilt auch für die dazu vom Beschwerdeführer aufgestellte bloße Behauptung, die Mutter habe ihn über eine sie treffende Bedrohung vielleicht aus Rücksicht nicht aufgeklärt, weil diese Bedrohung letztendlich dem Beschwerdeführer gegolten und die Mutter damit den nach seiner Befreiung für längere Zeit in Afghanistan verbleibenden Beschwerdeführer zweifellos einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt hätte (Verhandlungsschrift Seite 17 ff).

Die vom Beschwerdeführer präsentierte Fluchtgeschichte kann daher insgesamt nicht als glaubhaft angesehen werden.

Daran ändert auch der vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegte Drohbrief nichts, weil darin dem Beschwerdeführer - selbst in seiner eigenen beauftragten Übersetzung - in Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen, eine Mitarbeit in der Sicherheitswache vorgeworfen wird (Übersetzung des Drohbriefes im Auftrag der belangten Behörde durch Herrn XXXX : "Wir rufen alle Mudjaheddin und Moslem Brüder auf, die eine Person mit Namen XXXX , Sohn von XXXX , welcher in einem Stützpunkt stationiert war und gegen Taliban gekämpft hat, sieht oder erkennt, uns bitte zu informieren oder ihn zu töten, weil er den Tod verdient hat. Wir töten ihn, da niemand sich traut, gegen die Taliban/Mudjaheddin zu stehen."; Übersetzung des Drohbriefes im Auftrag des Beschwerdeführers durch Herrn Ing. XXXX : "Alle Mujaheddin und Bewohner der Distrikte XXXX und XXXX werden benachrichtigt, dass eine Person namens XXXX , Sohn des XXXX , in der Sicherheitswache gegen die Taliban und Mujaheddin tätig ist und gegen diese vorgeht. Wenn ihn jemand kennt oder über ihn etwas weiß, soll dieser die Mujaheddin informieren oder ihn selbst töten, d.h. mit dem Tod bestrafen (sic!), damit die Anderen eine Lehre daraus zeihen").

Dass die Taliban - wie vom Beschwerdeführer dazu befragt behauptet - über die eigentliche Tätigkeit des Vaters und des Beschwerdeführers, nämlich die Essensbelieferungen an die Sicherheitswache, nicht informiert gewesen seien, kann mit seinem eigenen Vorbringen, die Taliban hätten sich gerade gegen diese Essensversorgungen gestellt, nicht in Einklang gebracht werden (u.a. Verhandlungsschrift Seite 14: "R: Sie haben vor der belangten Behörde angegeben, Sie und Ihr Vater hätten einen Sicherheitsposten mit Essen beliefert, weshalb Sie und Ihr Vater von den Taliban mittels Drohbriefen bedroht und ungefähr einen Monat später festgenommen und festgehalten worden seien. Ist das richtig? BF: Zuerst kam ein Drohbrief, in dem meinem Vater vorgeworfen wurde, er hätte diese Leute mit dem Essen versorgt. ...").

Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Abklärung der Ursachen und des Zustandekommens der Verletzungspuren des Beschwerdeführers würde zu keinem anderen Ergebnis führen, weil damit nicht geklärt werden kann, wer (und letztendlich ob die geschilderte Fluchtgeschichte) für die Verletzungen überhaupt verantwortlich ist.

zu den Feststellungen zur Lage in Afghanistan

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer dazu auch gar nichts Gegenteiliges zumindest substantiiert vorgebracht hat.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, kommt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines konkreten Vorbringens zu den behaupteten Fluchtgründen keine Glaubwürdigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es entgegen dem Beschwerdevorbringen in der mündlichen Verhandlung insgesamt nicht gelungen, die von ihm behauptete Verfolgung glaubhaft zu machen. Die Einholung von vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang beantragten Sachverständigengutachten war - wie in der Beweiswürdigung näher dargelegt wurde - nicht erforderlich.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung allerdings nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (siehe dazu zuletzt das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 2017, Ra 2016/20/0089 u.v.m.).

Wie den Feststellungen zwar zu entnehmen ist, unterliegen Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - in Afghanistan zwar zweifelsohne nach wie vor gesellschaftlichen Diskriminierungen und Schikanen, deren Lage hat sich allerdings insgesamt verbessert. Dabei ist im Hinblick auf die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan insbesondere auch festzuhalten, dass vereinzelte Angriffe, Entführungen oder Tötungen von Zivilpersonen sowie Terroranschläge in Afghanistan grundsätzlich jederzeit und überall möglich sind. Die Gründe für diese Gewalthandlungen sind dabei aber ebenso vielfältig, wie die beteiligten Konfliktgruppen.

Von einer systematischen Vertreibung oder massiv diskriminierenden Benachteiligung sämtlicher Schiiten bzw. Hazara und damit von einer asylrechtlichen (Gruppen)Verfolgung im oben beschriebenen Sinn kann daher - auch im Hinblick auf ihre Repräsentation in Politik sowie auch Armee und Sicherheitsbehörden - nicht ausgegangen werden.

Daran ändern auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Berichte über Anschläge und Angriffe auf Hazara und Schiiten nichts, weil diese Vorkommnisse nicht die - für eine (Gruppen)Verfolgung erforderliche - Verfolgungsdichte aufzeigen können.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwies in seiner Judikatur auf die schlechte Situation für Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan, verneinte jedoch eine automatisch vorliegende Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr allein auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe (EGMR 05. Juli 2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit von Hazara und Schiiten in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.

Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Sohin kann insgesamt nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG 2005 droht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder mangelt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die oben angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; diese ist auch nicht uneinheitlich.

Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

Schlagworte

Glaubwürdigkeit, Gruppenverfolgung, individuelle Gefährdung,
mangelnde Asylrelevanz, Religion, Scheinkonversion,
Volksgruppenzugehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2146516.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.03.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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