TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/1 W202 2213698-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.02.2019
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Entscheidungsdatum

01.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W202 2213698 1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX,

StA.: Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.01.2019, Zl. 401904601-181206060/BMI-EAST_OST, zu

Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. sowie § 18 BFA-VG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es im Spruchpunkt VI. anstelle von § 18 Abs. 1 Ziffer 4 BFA-VG § 18 Abs. 1 Ziffer 5 BFA-VG zu lauten hat.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger aus dem Bundesstaat Punjab, stellte am 15.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 16.12.2018 brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen vor:

"Ich habe in Indien ein Auto von einem Herrn aus Jammu-Kashmir in meiner Stadt gekauft. Später habe ich das Auto verkauft, da ich Autohändler bin. Auf der Straße wurde der Käufer dem ich das Auto verkauft habe von der Polizei kontrolliert. Die Polizei meinte, dass die Dokumente des Fahrzeugs gefälscht wären. Daraufhin kam der Käufer zu mir. Dann habe ich den Verkäufer von dem ich das Auto abgekauft habe, angerufen. Allerdings hat er nicht abgehoben, da die Nummer nicht richtig war. Ich ging dann zu seiner Adresse. Dort habe ich erfahren, dass ein Strafverfahren bzgl des Fahrzeugs läuft. Die Adresse des Verkäufers war ebenfalls falsch, er hat mir falsche Daten gegeben. Von der dortigen Polizei habe ich erfahren, dass mit dem Auto eine Straftat begangen wurde. Die Polizei von Jammu-Kashmir und von Punjab wollte mir das Strafverfahren anhängen. Das Strafverfahren wurde im Nachhinein tatsächlich mir angehängt. Sie wollten dass ich mehrere Dokumente unterschreibe in denen ich Bestätige, dass ich diese Straftat begangen habe und weitere kriminelle Tätigkeiten in Bezug auf Autos getätigt habe. Ich habe jedoch abgelehnt. Ich war einige Tage eingesperrt. Sie haben mich Tag und Nacht gefoltert und wollten dass ich unbedingt die Dokumente unterschreibe. Ich kannte einen Polizeibeamten. Dieser hat mir geholfen, dass ich gegen Kaution für einige Tage freikomme. Nach der Bezahlung wurde ich freigelassen. Dann startete ich meine Flucht. Ich habe von dem Polizeibeamten erfahren, dass wenn ich ein zweites Mal von der Polizei erwischt werde, so lange gefoltert werde, vielleicht sogar bis zum Tod, bis ich die Dokumente unterschreibe und lebenslang verurteilt werde."

Am 17.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen, wobei er zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen folgendes Vorbringen erstattete:

"LA: Aus welchem Grund haben Sie nunmehr Ihren Herkunftsstaat verlassen bzw. einen Asylantrag gestellt?

VP: Ich war Motorradmechaniker und habe nebenbei Autos verkauft. Ich habe auch einmal ein Auto von einer anderen Provinz von Jammu Provinz gekauft und an jemanden weiterverkauft. Nach einigen Tagen wurden die Papiere des Käufers angeschaut und es wurde festgestellt, dass die Papiere falsch waren. Der Käufer ist mit der Polizei zu mir gekommen. Die Polizei ist dann gemeinsam mit mir und dem Käufer zu dieser Adresse gefahren, doch dort war nichts. Niemand war an dieser Adresse, das war eine falsche Adresse. Die Polizei hat mich dann beschuldigt und angeklagt, da das Auto als ein kriminelles Auto gemeldet war. Ich wurde dann verdächtigt, dass ich etwas damit zu tun hatte. Ich war dann mindestens zwei Wochen in Haft. Die Polizei hat einen Bericht geschrieben und sie wollten, dass ich unterschreibe. Dort stand, dass ich ein Auto mit falschen Papieren verkauft habe. Ich wollte nicht unterschreiben, denn die Papiere waren echt. Ich habe jemanden gekannt, der hatte Beziehungen zur Polizei und dem habe ich Geld gegeben und dann wurde ich frei gelassen. Nachgefragt gibt AW an, dass er dem Mann 50.000 Rupien gegeben hat. Dann war ich ein paar Wochen draußen und danach wurde ich wieder von der Polizei festgenommen und mir wurden wieder Dokumente hingelegt, dass ich unterschreiben soll. Ich habe mich wieder geweigert zu unterschreiben. Dann habe ich wieder diesem Mann Geld gezahlt und wurde frei gelassen. Dieser Mann, der mir geholfen hat, hat mir dann gesagt, dass ich von dort weggehen soll, denn die Polizei wird mich nicht loslassen. Ich wurde von der Polizei unter Druck gesetzt. Dann habe ich einen Schlepper kontaktiert, der hat meine Flucht organisiert."

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG i. V. m. § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über seinen Antrag auf internationalem Schutz wurde gem. § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu den von ihm behaupteten Verfolgungsgründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei. Unabhängig davon stehe dem Beschwerdeführer aber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch eine relevante Gefährdung gem. § 8 AsylG sei im Fall einer Rückkehr nach Indien nicht gegeben. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien. Der Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG sei erfüllt. Die Frist für die freiwillige Ausreise bestehe laut § 55 Abs. 1a FPG nicht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar werde. Mit dem Zeitpunkt der Durchführbarkeit dieser Entscheidung sei der Beschwerdeführer daher zur unverzüglichen, freiwilligen Ausreise verpflichtet.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der er soweit wesentlich folgendes Vorbringen erstattete:

Es sei im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer einer hohen Kaste angehöre, nachvollziehbar, dass er tatsächlich Autoverkäufer gewesen sei. Ebenso nachvollziehbar sei aber auch, dass der Beschwerdeführer durch den An- und Weiterverkauf eines bestimmten Autos unverschuldet in politische Probleme geraten sei. Glaubwürdig sei dies deshalb, weil Indien für die Korruption der Behörden bekannt sei. Erst auf Grundlage von geeigneten Ermittlungsergebnissen hätte in der Folge eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt werden können. Im gegenständlichen Fall sei all dies nicht geschehen. Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich vorbildlich verhalten und sei unbescholten. Der Start in sein neues Leben in Österreich sei ihm geglückt, er sei selbsterhaltungsfähig und wohne in einer ortsüblichen Unterkunft. Durch den vorbildlichen Beginn in Österreich könne davon ausgegangen werden, dass er sich auch zukünftig gut und erfolgreich integrieren werde. Eine mündliche Beschwerdeverhandlung sei durchzuführen. Beantragt wurde weiters, dass dem Beschwerdeführer Asyl oder in eventu subsidiärer Schutz gewährt werde, und festzustellen, dass die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und stammt aus dem Punjab. Er gehört zur Volksgruppe der Vaishya und bekennt sich zum Hinduismus. Er besuchte zwölf Jahre die Schule und war anschließend ca. 15 oder 16 Jahre als Motorradmechaniker tätig. Der Beschwerdeführer reiste Ende November 2018 mit dem Flugzeug legal aus seinem Herkunftsstaat aus. In Indien halten sich seine Ehegattin, seine Tochter, seine Eltern und sein Bruder auf. Eine Schwester ist im Bundesgebiet wohnhaft, er hat zu dieser jedoch seit drei bis vier Jahren keinen Kontakt mehr, da sie eine Auseinandersetzung hatten. Der Beschwerdeführer ist gesund und erwerbsfähig.

Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers sind offensichtlich nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Dem Beschwerdeführer steht in Indien eine inländische Fluchtalternative offen.

Anhaltspunkte, wonach eine fortgeschrittene Integration vorliege, bestehen nicht.

Zur Lage in Indien:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 11.4.2017: Acht Tote und über 200 Verletzten bei Demonstrationen bei Wahl in Srinagar, Kaschmir (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 3.1)

Im Zuge einer Nachwahl zur Besetzung eines freien Sitzes im indischen Unterhaus, kam es am Sonntag, dem 9.4.2017, in Srinagar, Kaschmir, zu Zusammenstößen zwischen separatistischen, die Wahl boykottierenden Demonstranten und den indischen Sicherheitskräften. Während des Konflikts wurden acht Demonstranten getötet und über 200 Personen, Demonstranten und Sicherheitsbeamte, verletzt (Reuters 10.4.2017).

Am Montag den 10.4.2017 verhängte die indische Polizei eine Ausgangssperre für die Bevölkerung mehrerer Gebiete Kaschmirs, errichtete Straßensperren und schränkte den Verkehr ein (Reuters 10.4.2017).

Die Wahlbeteiligung lag bei nur 7% (Times of India 11.4.2017). Eine zweite Nachwahl, ursprünglich geplant für den 12.4.2017 in Anantnag, wurde in Anbetracht der aktuellen Lage auf den 25.5.2017 verschoben (Reuters 10.4.2017).

Indien beschuldigt Pakistan die Separatisten zu unterstützen, was in Islamabad bestritten wird (Reuters 10.4.2017).

Bei einem weiteren Vorfall am Montag sind vier mutmaßliche Kämpfer erschossen worden, als sie versuchten die umstrittene Grenze von Pakistan kommend, in der Nähe des Keran-Sektors zu infiltrieren (Reuters 10.4.2017).

Da sich seit der Tötung des einflussreichen Separatistenkämpfers Burhan Wani im Juli 2016, die Spannungen in der Region erhöht haben (BBC 10.4.2017), und es seither in Kaschmir wiederholt zu gewalttätigen Protesten kam, in deren Verlauf bisher 84 Zivilisten getötet und über 12.000 Zivilisten und Sicherheitskräfte verletzt wurden (Reuters 10.4.2017), sind vorsorglich etwa 20.000 zusätzliche indische Truppen in die Region entsandt worden (BBC 10.4.2017).

Quellen:

-

BBC (10.4.2017): Kashmir violence: Eight killed in clashes during by-election, http://bbc.in/2oo04gV, Zugriff 11.4.2017

-

Reuters (10.4.2017): India clamps down on Kashmir transport after poll violence kills 8,

http://in.reuters.com/article/india-kashmir-idINKBN17B06F, Zugriff 11.4.2017

-

Times of India (11.4.2017): Lack of pre-emptive policing led to low voter turnout in Kashmir

http://timesofindia.indiatimes.com/india/lack-of-pre-emptive-policing-led-to-low-voter-turnout-in-kashmir/articleshow/58118340.cms, Zugriff 11.4.2017

2. Politische Lage

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016

-

BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

-

CIA - Central Intelligence Agency (15.11.2016): The World Factbook

-

India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017

-

Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 4.1.2017

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (11.2016): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.12.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

3. Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011

Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

3.1. Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Millionen. im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.8.2016).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.4.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 2.7.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in 1980er und 1990er Jahren (USDOS 2.7.2016).

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Duzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.8.2016).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.4.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.4.2016).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extra-legale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

Quellen:

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - India, http://www.ecoi.net/local_link/319831/466697_de.html, Zugriff 5.1.2017

-

BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?,

http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 5.1.2017

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MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 5.1.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

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USDOS - US Department of State (2.7.2016): Country Report on Terrorism 2015 - Chapter 2 - India, http://www.ecoi.net/local_link/324726/464424_de.html, Zugriff 5.1.2017

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USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - India, http://www.ecoi.net/local_link/328426/469205_de.html, Zugriff 21.12.2016

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4. Haftbedingungen

Dem Bericht des National Crime Records Bureau (NCRB) aus dem Jahr 2014 zufolge, gab es 1387 Gefängnisse landesweit mit einer genehmigten Kapazität von 356.561 Personen - bei einer Häftlingszahl von 418.536 (USDOS 13.4.2016). Der Anteil der Gefängnisinsassen an der Gesamtbevölkerung liegt mit ca. 0,35% niedrig. Trotzdem sind die Gefängnisse zum Teil massiv überbelegt (AA 16.8.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Dem Bericht der NCRB zufolge waren die Gefängnisse in Chhattisgarh mit 261% und in Delhi mit 216,8% ihrer Kapazität ausgelastet. Es gab 17.681 weibliche Häftlinge - etwa 4,2% der Häftlingszahl - und weniger als 1% Jugendliche (USDOS 13.4.2016). Eine Sonderbehandlung für Ausländer ist nicht vorgesehen (AA 16.8.2016). Untersuchungshäftlinge werden häufig zusammen mit bereits verurteilten Häftlingen inhaftiert, Männer und Frauen werden getrennt untergebracht (USDOS 13.4.2016).

Der überwiegende Teil der Häftlinge sind Untersuchungshäftlinge (2014: 67,7%), die wegen der sehr starken Überlastung der Gerichte zum Teil jahrelang auf den Beginn ihres Prozesses warten müssen (AA 16.8.2016; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die Haftbedingungen können stark variieren. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (Standard einer indischen Grundversorgung), für die Hygiene sind die Häftlinge selbst verantwortlich, ärztliche Basisversorgung ist ebenfalls regelmäßig gewährleistet (AA 16.8.2016). Die Sanitäreinrichtungen, das Essen, die medizinische Versorgung und Umgebungsbedingungen sind jedoch oft unzureichend. Trinkwasser ist nur manchmal erhältlich (USDOS 13.4.2016). Häftlinge können sich tagsüber im Gefängnishof bewegen und Sport treiben. Jeder Häftling kann die Haftbedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Verpflegung und medizinischer Behandlung durch Geldzahlungen verbessern. Es ist ebenfalls üblich, dass Häftlinge von Verwandten zusätzlich versorgt werden (AA 16.8.2016). Gefängnisse und Haftanstalten sind auch weiterhin personell unterbesetzt und eine ausreichende Infrastruktur fehlt. Häftlinge werden physisch schlecht behandelt (USDOS 13.4.2016).

Langdauernde, willkürliche Inhaftierung bleibt ein bedeutendes Problem als Folge eines überlasteten und nicht entsprechend ausgestatteten Gerichtssystems sowie wegen mangelnder Rechtssicherheit. Die Regierung unternimmt weiterhin Bemühungen mithilfe von sogenannten "Fast Track-Gerichten", um Überbelegung der Gefängnisse sowie Verringerung langdauernder Inhaftierungen zu reduzieren (USDOS 13.4.2016).

Es gab auch weiterhin Berichte über Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei. Manche Vergewaltigungsopfer hatten Angst, aufgrund des drohenden sozialen Stigmas und möglichen Vergeltungshandlungen, sich zu melden und das Verbrechen anzuzeigen, speziell dann, wenn der Täter ein Polizist oder ein anderer Beamter war. Die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) hat das Mandat Vergewaltigungsfälle in denen Polizisten involviert sind zu untersuchen. Die NHRC ist gesetzlich befugt, Informationen über Mitglieder des Militärs und den paramilitärischen Streitkräften zu verlangen, jedoch hat sie kein Mandant, um Fälle zu untersuchen, die diese Einheiten betreffen. Es gab Fälle, in den sich Polizeibeamte weigerten, Vergewaltigungen zu registrieren (USDOS 13.4.2016). Todesfälle von Häftlingen stehen nach belastbaren Einschätzungen von NGOs mit der Anwendung von Folter in Zusammenhang. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 16.8.2016).

Nach Angaben der NHRC ist ein großer Teil der Todesfälle in Gefängnissen (2014: 1.702) auf Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/Aids zurückzuführen, deren Verlauf durch die Haftbedingungen und mangelhafte Versorgung verschlimmert bzw. beschleunigt wird. Es steht in den Gefängnissen eine medizinische Basisversorgung zur Verfügung, bei Bedarf wird ins (oftmals unzureichend ausgestattete) Krankenhaus eingeliefert (AA 16.8.2016).

Der Public Safety Act gilt nur in Jammu und Kashmir und erlaubt staatlichen Behörden das Festnehmen von Personen ohne Anklage oder gerichtlicher Überprüfung für bis zu zwei Jahren. Während dieser Zeit ist es den Familienmitgliedern nicht erlaubt, Zugang zu den Häftlingen zu haben. Häftlingen ist der Zugang zu einem Anwalt während Befragungen erlaubt. In der Praxis vollzieht die Polizei in Jammu und Kaschmir regelmäßig willkürliche Verhaftungen und verweigert Häftlingen, speziell den mittelosen, den Zugang zu Anwälten und medizinischer Betreuung (USDOS 13.4.2016).

Gefangene haben auch das Recht ihre religiösen Riten abzuhalten, was auch in der Praxis in den meisten Fällen berücksichtigt wird. Die Regierung erlaubt NGOs innerhalb bestimmter Richtlinien, Gefangenen Unterstützung anzubieten. Gefängnisbeamte führen umfangreiche Aufzeichnungen. Für Haftanstalten gibt es keinen Ombudsmann, aber die Gefangenen dürfen sich mit Beschwerden an die Justizbehörden wenden. Alternative Strafvollzugsmethoden werden nur selten angewandt (USDOS 25.6.2015).

Der "Arbeitsgruppe Menschenrechte in Indien" und den Vereinten Nationen zufolge, starben zwischen 2001 und 2010 14.231 Menschen in Polizeigewahrsam und werden jedes Jahr rund 1,8 Millionen Menschen Opfer von Polizeifolter - wobei es sich dabei nur um die bei der NHRC registrierte Fällen handelt und die Dunkelziffer wahrscheinlich höher ist (FH 28.1.2015). Der NHRC zufolge, sind während der letzten 8 Monate des Jahres 2015 111 Personen in Polizeigewahrsam gestorben (FH 27.1.2016).

Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80% aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein (AA 16.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/296800/433144_de.html, Zugriff 9.1.2017

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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/327703/468368_de.html, Zugriff 13.12.2016

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - India, http://www.ecoi.net/local_link/306292/443589_de.html, Zugriff 9.1.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 13.12.2016

5. Todesstrafe

Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Memorandum in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 27.1.2016). 59 Straftatbestände verschiedener Gesetze bzw. des indischen Strafgesetzbuch erlauben das Verhängen der Todesstrafe. In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht, seit Ende 2014 auch für gewaltsame Flugzeugentführung mit Todesfolge vorgesehen. Weder die indische Regierung noch die einzelnen Unionsstaaten führen eine Statistik über zum Tode Verurteilte (AA 16.8.2016).

Jedes Strafgericht kann die Todesstrafe verhängen. Der Oberste Gerichtshof hat eine restriktive Rechtsprechung zur Verhängung der Todesstrafe aufgestellt, wonach diese nur unter zwei engen Voraussetzungen verhängt werden kann: Die Tat muss außerordentlich schwerwiegend ("rarest of the rare cases") sein, und für den Täter bestehen keine Aussichten auf Resozialisierung (AA 16.8.2016). Eine Erhebung der renommierten National Law University zeigte im Mai 2016 jedoch auf, dass die Todesstrafe von lokalen Strafgerichten weiterhin kontinuierlich verhängt wird; die Gesamtzahl an Gefangenen im Todestrakt beträgt derzeit ca. 400. Zwischen 2000 und 2015 wurden

1.468 Todesurteile verhängt; davon wurden rund 30% in nächster Instanz freigesprochen, nur etwa 5% der Todesurteile wurden letztinstanzlich bestätigt (AA 16.8.2016).

Zum Tode Verurteilte haben das Recht, ein Gnadengesuch einzureichen. Das Begnadigungsrecht steht je nach Instanzenzug dem Staatspräsidenten bzw. dem Gouverneur des jeweiligen Bundesstaates zu. Der Oberste Gerichtshof hat am 21.1.2014 eine überlange, nicht zu rechtfertigende Dauer des Gnadenverfahrens als verfassungswidrig qualifiziert. Die Todesurteile von 15 Personen wurden daraufhin in lebenslange Haft umgewandelt. Außerdem urteilte das Gericht, dass eine solche Umwandlung auch bei Geisteskrankheit des Täters - unabhängig vom Zeitpunkt der Erkrankung - erfolgen müsse. Mit Entscheidung vom 18.2.2014 ist das Todesurteil gegen drei Attentäter von Premierminister Rajiv Gandhi vom Supreme Court wegen der überlangen Dauer des Gnadenverfahrens in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt worden (AA 16.8.2016).

Im August 2015 empfahl die Law Commission of India (beratendes Gremium der Regierung) die Abschaffung der Todesstrafe - mit Ausnahme von Straftaten, die mit Terrorismus und Aufstacheln zum Angriffskrieg im Zusammenhang stehen. Da weite Teile von Parlament und Bevölkerung in Indien die Todesstrafe weiterhin befürworten, ist mit einer baldigen Abschaffung nicht zu rechnen. Zuletzt im November 2014 stimmte Indien im Menschenrechtsausschuss der VN-Vollversammlung gegen eine Resolution, die die weltweite Aussetzung der Todesstrafe zum Ziel hat (AA 16.8.2016; vgl. auch:

HRW 27.1.2016).

Im April 2014 verhängte ein Gericht in Mumbai die Todesstrafe gegen drei Männer wegen Vergewaltigung. Grundlage des Urteils war ein neues Gesetz aus dem Jahr 2013, das für mehrfache Vergewaltigung die Todesstrafe vorsieht (AI 25.2.2015). Im Jahr 2015 wurde in Indien eine Person hingerichtet und in mehr als 75 Fällen die Todesstrafe verhängt (AI 6.4.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AI - Amnesty International (6.4.2016): Todesurteile und Hinrichtungen 2015,

https://www.amnesty.at/de/view/files/download/showDownload/?tool=12&feld=download&sprach_connect=401, Zugriff 16.12.2016

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15- State of the Worlds Human Rights, Amnesty Report 2015, Indien, http://www.ecoi.net/local_link/297437/444562_de.html, Zugriff 16.12.2016

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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - India, http://www.ecoi.net/local_link/318378/457381_de.html, Zugriff 16.12.2016

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6. Rückkehr

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich - abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden - keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 16.8.2016). Die indische Regierung hat kein Reintegrationsprogramm und bietet auch sonst keine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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