TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/1 W191 2131642-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.02.2019
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Entscheidungsdatum

01.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2131642-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX, geboren am XXXX (alias XXXX), Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2016, Zahl 1054151904-150293574, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste schlepperunterstützt und irregulär in Österreich ein und stellte am 20.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 06.02.2015 in Samos (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 21.03.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST (Erstaufnahmestelle) gab der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in Qum (Iran) geboren und aufgewachsen, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und ledig. Er habe vier Jahre die Grundschule besucht und spreche Dari und Farsi. Zuhause im Iran lebten noch seine Eltern und drei Schwestern. In Afghanistan sei er noch nie gewesen. Die Flüchtlingskarten im Iran hätten ihnen die Behörden abgenommen.

Der BF machte Angaben zu seiner Aus- und Weiterreise.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, seine Eltern hätten vor seiner Geburt Afghanistan aufgrund einer Feindschaft des Großvaters des BF verlassen. Ein Freund dieses Großvaters sei getötet worden und man habe ihm die Schuld für dessen Tod gegeben. Vor ca. einem Jahr hätten die Probleme der Familie des BF im Iran begonnen. Er selbst sei mehrmals von unbekannten Personen angegriffen, ihm die Nase gebrochen, ein Zahn ausgeschlagen und die Hand verletzt worden. Sein Vater habe gesagt, die Angreifer seien Feinde seines Großvaters. Deshalb habe er den Iran verlassen.

1.3. Der damalige gesetzliche Vertreter des BF, das Land Steiermark als Kinder- und Jugendhilfeträger, Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung, erteilte mit Schreiben vom 21.05.2015 namentlich genannten Personen der Caritas der Diözese Graz-Seckau Vertretungsvollmacht im Verfahren.

1.4. Bei seiner Einvernahme am 11.05.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines Vertreters, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und führte sie auf Nachfragen näher aus. Zu seinem Geburtsdatum gab der BF laut Niederschrift an, dass dieses in der Niederschrift zur Erstbefragung falsch wiedergegeben worden sei, es laute richtig XXXX, und das entspreche dem XXXX. Die Grundschule habe er fünf Jahre lange besucht. Sein Vater sei Hühnerzüchter.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an (Auszug aus der Niederschrift im Original, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] Wenn ich nun aufgefordert werde, meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:

A [Antwort]: Mein Opa war in Afghanistan mit einem Mann gut befreundet. Eines Tages war dieser Freund bei meinem Opa eingeladen. Am nächsten Tag wurde dieser Freund ermordet. Es war unklar, wer ihn getötet hat, deshalb [hat] die Behörde meinen Opa festgenommen und ihn einvernommen. Mein Opa hat ihnen die Wahrheit gesagt, dass er einen Tag davor bei meinem Opa war. Nachdem die Behörde keine Beweismittel gegen meinen Opa hatte, wurde er nach ein paar Tagen wieder freigelassen. Seitdem gab es immer wieder Probleme mit den Enkelkindern und Angehörigen dieses ermordeten Freundes. Deshalb hat damals mein Vater Afghanistan verlassen müssen und ist in den Iran ausgewandert. Im Iran sind ein paar Mal fremde Personen zu uns gekommen und haben uns Probleme gemacht. Zuerst haben wir das nicht ernst genommen, aber in der letzten Zeit ist es immer häufiger passiert. Mein Vater hat vermutet, dass es sich bei diesen Personen um Familienangehörige des ermordeten Freundes handelt. Mein Vater beschloss dann, dass ich den Iran verlassen soll.

F [Frage]: Wann fanden die ersten Angriffe auf Ihre Familie statt?

A: Es war ungefähr 1391 (=2012) oder 1392 (=2013) zu Neujahr - Neujahr ist im Iran im März.

F: Haben Sie eine persönliche Verfolgung oder sonstige individuelle Bedrohung heute zu behaupten?

A: Ich war einmal mit dem Motorrad unterwegs. Diese Personen haben mich auf der Straße angehalten und mich am rechten Oberarm verletzt. Ich wollte eine Anzeige gegen sie machen. Die Behörde hat mich dann zur Gerichtsmedizin geschickt und eine Festnahmeanordnung gegen diese Personen ausgestellt. Seitdem diese Personen davon erfahren haben, sind sie flüchtig. Sie haben uns seither öfter Probleme gemacht. Ein anderes Mal haben sie mir die Nase und ein paar Zähne gebrochen. Ich war dann drei Monate nicht zu Hause. Als ich zurückgekommen bin, haben mich Personen auf Motorräder mit einer Eisenstange am Oberarm verletzt. Ich habe dann eine neue Anzeige gemacht. Die Behörde hat mir dann meine ID Karte abgenommen. Die Männer bei der Behörde sagten dann: "Wer hier Probleme macht, dem wird die Karte abgenommen". Sie haben mich dann zum Fremdenamt geschickt, wo mir ein Papier ausgestellt wurde, dass ich das Land verlassen und nach Afghanistan gehen muss. Da hat mein Vater beschlossen, dass ich den Iran verlassen soll.

F: Wann fand dieser letzte Angriff statt?

A: Eine Woche vor meiner Ausreise.

F: Können Sie mir eine Anzeigebestätigung von der Polizei vorlegen?

A: Nein, ich habe so etwas nicht.

F: Von wie vielen Männern wurden Sie zuletzt bedroht?

A: Beim ersten Angriff waren es zwei Männer, und das letzte [Mal] waren es zwei bis drei Männer auf Motorräder.

F: Welche Zähne wurden Ihnen bei dem Angriff ausgeschlagen?

A: Die oberen zwei Schneidezähne in der Mitte des Oberkiefers.

F: Warum sind Ihre Schneidezähne nicht ausgeschlagen?

A: Die vorderen zwei Zähne sind gebrochen. Sie haben mir mit der Faust ins Gesicht und in den Mund geschlagen.

F: Haben Sie an den Zähnen irgendetwas machen lassen?

A: Nein.

F: Was machte Ihren weiteren Verbleib in Afghanistan nun unmöglich?

A: Ich habe niemanden in Afghanistan. Zweitens die Feinde meines Opas sind auch dort. Wenn es möglich gewesen wäre, wären schon meine Eltern dort geblieben.

Anmerkung: In Afghanistan gibt es kein Meldewesen. Es sehr unwahrscheinlich, dass man von privaten Personen aufgefunden wird.

A: In Afghanistan haben wir Hazara außerdem ständig Probleme. Z. B. wird man in dem Bus angehalten und befragt.

F: Haben Sie Angehörige in Kabul?

A: Nein.

F: Haben Sie schon einmal in Kabul gelebt?

A: Nein, ich war noch nie in Afghanistan.

F: Haben Sie Kontakt mit Angehörigen in Afghanistan?

A: Nein.

F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

A: Ja.

F: Leben Angehörige von Ihnen noch in Afghanistan?

A: Nein, alle meine Angehörigen wohnen im Qom im Iran.

F: Könnten Sie jetzt wieder in Afghanistan leben?

A: Afghanistan ist kein Ort zum Leben. Wenn man Macht hat, kann man dort leben. [...]"

Mit dem BF wurden laut Niederschrift "die Feststellungen zu Afghanistan (s. Beilage im Akt)" gemeinsam erörtert und ihm übersetzt. Dem BF wurde eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme dazu eingeräumt.

Er legte diverse Integrationsbelege (Kursbestätigungen) vor.

1.5. In der Stellungnahme des damaligen Vertreters des BF vom 13.05.2016 wurde im Wesentlichen sein Vorbringen im Verfahren zusammengefasst wiederholt, aus diversen Berichten und Judikaten zitiert und Rechtsausführungen - insbesondere zur Asylrelevanz von Blutfehden sowie zur Frage der Zumutbarkeit einer allfälligen Fluchtalternative - getätigt.

1.6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 28.06.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 20.03.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 28.06.2017 (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Zum Fluchtvorbringen führte das BFA beweiswürdigend aus (Auszug aus der Bescheidbegründung, Schreibfehler im Original):

"[...] Sie gaben sowohl bei Ihrer Erstbefragung als auch Ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt an, Sie hätten niemals in Afghanistan gelebt; da Ihre Eltern bereits vor Ihrer Geburt, aufgrund von Problemen Ihres Großvaters mit den Angehörigen eines ermordeten Freundes in Afghanistan, in den Iran geflüchtet seien. Die Feststellung, dass Sie keinen persönlichen Bezug zu Afghanistan haben, weil Sie dort niemals lebten, wird als glaubhaft erachtet, denn Sie haben sowohl bei Ihrer Erstbefragung als auch in Ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt deckungsgleiche Angaben zu Ihrer Herkunft gemacht. Auf Nachfrage, was Ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen würde, gaben Sie an: "Ich weiß es nicht." Später nochmals nachgefragt gaben Sie lediglich die allgemeine Situation der Taliban bzw. die Angst vor Verfolgung von den Familienangehörigen des ermordeten Freundes Ihres Großvaters als Gründe, die gegen eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan sprechen würden, an. Es ist nicht lebensnah, dass sollte es zu einer Rückkehr nach Afghanistan kommen, Sie Probleme mit diesen privaten Verfolgern bekommen würden. Erstens wie bereits bei der Einvernahme erwähnt, gibt es in Afghanistan kein Meldewesen, und außerdem ist es sehr unwahrscheinlich, dass Personen, die Sie ja noch nie gesehen haben konnten, denn Sie wuchsen ja im Iran auf, Sie in Afghanistan finden würden und Sie verfolgen würden.

Auch die persönliche Verfolgung im Iran von diesen angeblichen Verwandten des ermordeten Freundes Ihres Großvaters ist sehr unglaubhaft. Es ist nicht realitätsnah, dass diese angeblichen Verfolger aus Afghanistan, erst nach einem Zeitraum von 13 Jahren Ihre Familie im Iran bedroht hätten. Vielmehr ist davon auszugehen, hätten diese Angriffe wirklich stattgefunden, sie von Personen aus der iranischen Bevölkerung verübt worden wären und diese Taten wären dann als strafrechtlicher Tatbestand einzuordnen. Es ist allgemein bekannt, dass Flüchtlinge aus Afghanistan im Iran nicht gerne gesehen sind und es immer wieder zu Misshandlungen und Beschimpfungen kommt. Die Behörde geht jedoch davon aus, dass Sie den Iran verlassen haben, weil Ihnen eine Abschiebung nach Afghanistan drohte und Sie auf keinen Fall nach Afghanistan zurückkehren wollten.

Eine aktuell drohende individuelle Gefahr einer asylrechtlichen relevanten Verfolgung machten Sie somit nicht glaubhaft bzw. geltend. [...]"

Subsidiärer Schutz wurde ihm zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan sowie aufgrund seiner individuellen Lebensumstände (jugendliches Alter, keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan und somit auch keine innerstaatliche Schutzalternative etwa in Kabul) vorliege.

1.7. Gegen diesen Bescheid richtet sich das mit Schreiben seiner damaligen Vertreterin vom 15.07.2016 fristgerecht am 29.07.2016 eingebrachte Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem Spruchpunkt I. wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen des BF im Verfahren zusammengefasst wiederholt und die Beweiswürdigung der Erstbehörde kritisiert. Weiters folgten Rechtsausführungen zu Fragen der vulnerablen Position Minderjähriger und der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur einer sozialen Gruppe (hier jener der Familie wegen Blutfehde), unter Zitierung aus diversen Berichten und Judikaten.

1.8. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz, 6 Hv 60/16x vom 17.08.2016, wurde der BF nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit anderen jungen Leuten gemäß § 83 Strafgesetzbuch (StGB, Körperverletzung) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf deine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

In einer anderen Jugendstrafsache kam es laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft Graz vom 08.05.2018 zu einer "Rücksicht" von der Verfolgung nach gelungenem Tatausgleich.

1.9. Das BVwG führte am 27.12.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]:

RI: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Aufgrund meines lebenslangen Aufenthaltes im Iran spreche ich aber besser Farsi.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Farsi.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ich bin etwas gestresst, aber es geht.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Nein.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja. Bei der Einvernahme vor dem BFA habe ich mein Geburtsdatum mit XXXXangegeben, und daraus ist der XXXX geworden. (Anmerkung des RI: laut Kalenderrechnung ergäbe sich der XXXX). Das wurde beim BFA so umgerechnet. Ich hatte im Iran eine Identitätskarte, diese wurde mir jedoch von der Polizei abgenommen. Befragt, ob ich nicht irgendwelche anderen Belege für meine Identität hätte (etwa Schulzeugnisse oder Krankenhausbestätigungen), gebe ich an, dass meine Familie vor ca. zwei, drei Wochen beim Versuch, ebenfalls in den Westen zu gelangen, an der iranisch-türkischen Grenze festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben worden ist. Ich weiß nicht, wo sie sich befinden, und habe keinen Kontakt zu ihnen.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Schiitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin ledig.

RI: Sind Sie verlobt, oder beabsichtigen Sie, in nächster Zeit zu heiraten?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe fünf Jahre lang die Volksschule besucht. Danach habe ich meinen Vater bei seiner Tätigkeit, er arbeitete bei einer Hühnerbatterie bzw. bei einem Viehstall, unterstützt. Danach habe ich bei meinen Verwandten als Maler in Qom gearbeitet.

RI: Geben Sie bitte soweit wie möglich chronologisch an, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

BF: Ich war noch nie in Afghanistan.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Meine Verwandtschaft stammt aus Behsud und lebt jetzt in Qom.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein. In Deutschland lebt meine Schwester, ihr Ehemann lebte dort schon seit ca. 10 bis 15 Jahren und meine Schwester ist mit der großen Flüchtlingswelle ca. 2015 nachgekommen.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ich verstehe Vieles von dem, was Sie sagen.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen halbwegs verstanden und halbwegs auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs, oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Ich habe den Deutschkurs A1 besucht und die Prüfung A1 abgelegt. Als ich bemerkt habe, dass ich in Kursen nicht so gut Deutsch lerne, habe ich begonnen zu arbeiten, um so auch mein Deutsch zu verbessern. Ich hatte mich schon länger beim AMS um einen Arbeitsplatz bemüht, aber auch wegen meiner mangelnden Deutschkenntnisse längere Zeit keinen bekommen. Seit Oktober 2018 bin ich erwerbstätig (vier Stunden täglich).

Der BF legt vor:

-

Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs

-

Zeugnis Integrationsprüfung A1

-

Arbeitsbestätigung bei einem Verein (Holzwerkstatt und Küche).

Diese Belege werden in Kopie zum Akt genommen.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich spiele oft am Nachmittag mit Freunden Fußball. Es gibt in Graz einen afghanischen Kulturverein, an dessen Veranstaltungen ich öfters teilnehme, ebenso an Aktivitäten meines dienstgebenden Vereins.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Ich wurde einmal wegen Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Ein anderes Verfahren ist wegen Tatausgleich eingestellt worden. Vor ca. einem Monat kam es zwischen mir und einem Freund, nachdem ich einem vergewaltigten Mädchen in der Nachbarschaft geholfen habe, und einer Gruppe von sechs afghanischen Personen, die das Mädchen über Instagram bedroht haben und zu denen wir gegangen sind, um mit ihnen zu reden, zu Tätlichkeiten. Die Sache ist bei der Polizei anhängig.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Nein, seit ihrer Abschiebung nicht mehr. Davor hatte ich ca. dreimal in der Woche - jedesmal wenn ich sah, dass meine Schwester online ist - mit ihr sowie mit meinen Eltern Kontakt.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Was ich gesagt habe, stimmt. Meine Eltern haben mir gegenüber angedeutet, dass ihre Probleme aufgrund dieser Feindschaften größer geworden sind. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten nicht auf illegalem Wege ausreisen, weil dies gefährlich ist. Sie haben aber gesagt, dass die Probleme zu groß sind und sie müssten ausreisen.

RI: Wieso glauben Sie, dass die Entscheidung des BFA, dass Sie subsidiären Schutz, aber nicht Asyl bekommen haben, nicht richtig ist?

BF: Die Rechtsberatung bei der Caritas hat gesagt, wir werden eine Beschwerde einlegen, vielleicht bekommst du Asyl.

RI: Aber warum sollten Sie Asyl bekommen?

BF: Um ein österreichischer Staatsbürger zu werden, muss man Asyl bekommen.

RI erläutert dem BF die Rechtslage betreffend Asyl und wiederholt die Frage.

BF: Aufgrund der Anfeindungen gegenüber meinem Großvater. Wenn ich nach Afghanistan zurückkehren müsste, würde es sehr gefährlich für mich werden.

RI: Lebt der Großvater noch?

BF: Nein.

RI: Wer hat den Großvater und seine Familie angefeindet?

BF: Mein Großvater wurde von seinen entfernten Verwandten angefeindet.

RI: Sie haben angegeben, dass Ihre Zähne ausgeschlagen worden seien?

BF: Die beiden oberen Schneidezähne in der Mitte wurden nur vorne an der Spitze leicht abgebrochen, die Bruchstelle ist mehr innen als außen. Das ist eine Woche vor meiner Ausreise passiert. Ich bin in Österreich zum Zahnarzt gegangen und habe für einen anderen Zahn eine Plombe bekommen, diese Verletzung wurde jedoch nicht behandelt. Die Angreifer haben mich mit einem Messer in den rechten Oberarm gestochen (Anmerkung: BF zeigt eine Narbe), sowie auf den linken Ellbogen geschlagen, sodass ich den linken Arm nicht mehr zur Gänze abbiegen kann (Anmerkung: BF zeigt dies). Ich war deshalb im Iran beim Arzt, hier jedoch nicht mehr.

RI: Es hat schon Fälle gegeben, in denen aufgrund der Gefahr von Familienfehden Asyl zuerkannt worden ist. In diesen Fällen wurden die Vorfälle regelmäßig konkret geschildert - unter Angabe von Daten und Fakten - und mit einer Vielzahl von Bescheinigungsmittel belegt. Warum verfügen Sie über keinerlei Belege und können keine konkreten Daten angeben, obwohl doch Ihre Familie zuletzt noch drei Jahre lang im Iran gelebt hat?

BF: Meine Eltern sind nicht in der Lage, solche Beweise zu besorgen. Meine Eltern sind ca. 65 Jahre alt, und meine Schwester kann so etwas auch nicht besorgen.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

Dem BF werden Kopien der vorliegenden Berichte und Feststellungen ausgefolgt und für eine allfällige schriftliche Stellungnahme ab heute eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Ihm wird angeraten, sich mit seinem Rechtsberater in Verbindung zu setzen.

RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

Innerhalb der dem BF in der Verhandlung gewährten Nachfrist langte keine weitere ergänzende Stellungnahme ein.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 21.03.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 03.05.2016 sowie die Beschwerde vom 15.07.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 193 bis 233)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.12.2018

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

? Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie die Lage der Hazara (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 in der aktuellen Fassung)

? Gutächtliche Stellungnahme von Mag. Zerka Malyar vom 27.07.2009 zu "Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan", zitiert vom BVwG im Erkenntnis vom 21.01.2016, Zahl W174 1436214-1

? Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 06.08.2013 zu "In Blutfehden verwickelte Personen" sowie

? Schnellrecherche der SFH-Länderanalsyse vom 07.06.2017 zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde

Der BF hat keinerlei Beweismittel oder sonstige Belege für sein Fluchtvorbringen vorgelegt.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die unter Punkt 2. erwähnten Beweismittel.

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX (im erstbehördlichen Verfahren irrtümlich zuerst mit XXXX und dann mit XXXX geführt), ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aufgrund seines lebenslangen Aufenthaltes im Iran auch Farsi.

3.1.2. Der BF hat den Iran wegen der dortigen schwierigen Lebensbedingungen für afghanische Staatsangehörige und wegen der Gefahr der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan (aus dem seine Eltern stammen) verlassen.

3.2. Zu den Fluchtgründen:

3.2.1. Der BF ist nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er war nicht politisch aktiv und hatte auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in seinem Herkunftsstaat.

3.2.2. Der BF hat sein Vorbringen, dass er in Gefahr wäre, wegen der Feindschaft seines Großvaters zu einer anderen Familie verfolgt zu werden, nicht glaubhaft gemacht und konnten somit asylrelevante Gründe des BF für das Verlassen seines Heimatstaates nicht glaubhaft gemacht werden. Es konnte vom BF auch nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren zusätzlich eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 08.01.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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