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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §69 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache der D M, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das am 16. Juli 2018 mündlich verkündete und mit 3. August 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/082/16858/2017- 25, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen, wurde über Antrag vom 22. September 2014 aufgrund ihrer Ehe mit dem in Österreich über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" verfügenden serbischen Staatsangehörigen Z I ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit bis zum 7. Jänner 2016 erteilt, der in der Folge zweimal - zuletzt bis zum 9. Jänner 2018 - verlängert wurde.
2 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde) vom 21. November 2017 wurden die drei genannten rechtskräftig abgeschlossenen Aufenthaltstitelverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder aufgenommen. Der Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde wegen Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG abgewiesen, die weiteren (Verlängerungsbzw. Zweckänderungs-)Anträge wurden mangels Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels gemäß § 24 NAG abgewiesen. Die belangte Behörde ging aufgrund des Erhebungsberichts der Landespolizeidirektion (LPD) Wien vom 26. Juli 2017 davon aus, dass es sich bei der am 11. September 2014 geschlossenen und am 14. Juli 2016 geschiedenen Ehe der Revisionswerberin mit Z I um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe, zumal Z I der langjährige Lebensgefährte ihrer Mutter sei, und sich die Revisionswerberin die Aufenthaltstitel durch diese Aufenthaltsehe erschlichen habe.
3 Mit dem angefochtenen am 16. Juli 2018 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - verkündeten und mit 3. August 2018 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 NAG aufgrund fehlender Familienangehörigeneigenschaft abgewiesen wurden. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt. Die Revisionswerberin - so das Verwaltungsgericht in seinen Feststellungen - habe zu ihrem 18. Geburtstag eine Verlobung mit Z I "inszeniert", sei dann nicht zu ihm nach Österreich gezogen, sondern in Serbien verblieben. Am 30. Juni 2013 habe sie ein Kind von ihrem nunmehrigen Ehemann M M bekommen, wobei dies kein Seitensprung, sondern die tatsächliche Beziehung zu ihrem festen Freund gewesen sei. Die Verlobung mit Z I sei deshalb aufgelöst worden. Dennoch hätten die Revisionswerberin und Z I am 11. September 2014 geheiratet und noch im selben Monat habe die Revisionswerberin unter Berufung auf diese Ehe einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung gestellt, ohne dabei jedoch ihre Tochter zu erwähnen. Der vormalige Ehemann Z I sei der damalige Freund ihrer Mutter gewesen, an dessen Meldeadresse die Mutter für zwei Jahre (in der Zeit nach der Verlobung und bis etwa sechs Monate vor der Eheschließung) mit Nebenwohnsitz gemeldet gewesen sei, weshalb Z I bereit gewesen sei, die Ehe mit der Revisionswerberin einzugehen. Die Revisionswerberin und Z I hätten weder vor noch nach ihrer Eheschließung eine familiäre Beziehung geführt bzw. angestrebt. Am 14. Juli 2016 sei die Scheidung erfolgt, wobei die Revisionswerberin dies der belangten Behörde erst bei der Stellung ihres zweiten Verlängerungs- und Zweckänderungsantrags am 23. Dezember 2016 mitgeteilt habe. Am 21. Jänner 2017 habe die Revisionswerberin ihren nunmehrigen Ehemann M M, einen serbischen Staatsangehörigen, der über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfüge, geheiratet. M M habe sich regelmäßig in W - teilweise in der Wohnung der Mutter der Revisionswerberin - aufgehalten und sei auch während der Ehe der Revisionswerberin mit Z I sowie nach der Scheidung für mehrmonatige Zeiträume dort gemeldet gewesen. Im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigte das Verwaltungsgericht die Ermittlungen der LPD Wien zu einem Vorfall vom 24. August 2016 (betreffend eine Körperverletzung der Mutter der Revisionswerberin durch Z I). Die - bei den in Anwesenheit einer Vertrauensperson durchgeführten Einvernahmen am 7. September 2016 getätigten und inhaltlich übereinstimmenden - Angaben der Mutter der Revisionswerberin und des Z I würden deutlich eine Beziehung zwischen diesen beiden im Zeitraum nach der Verlobung und während der Ehe der Revisionswerberin mit Z I nahelegen. Etwaige Missverständnisse, Verständigungsschwierigkeiten bzw. eine unrichtige Protokollierung bei der Befragung seien aus den Vernehmungsprotokollen nicht ersichtlich. Die vom Verwaltungsgericht als erwiesen angesehene (damalige) Beziehung zwischen der Mutter und Z I sei in der mündlichen Verhandlung durch deren widersprüchliche, unplausible und vage Aussagen nicht nachvollziehbar widerlegt worden. Gestützt darauf und aufgrund der Würdigung der Aussagen der übrigen vernommenen Personen ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Eheschließung lediglich den Zweck gehabt habe, der Revisionswerberin ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu verschaffen und den Nachzug ihres nunmehrigen Ehemannes und der gemeinsamen Tochter zu ermöglichen. Durch das Berufen auf die Aufenthaltsehe habe sich die Revisionswerberin die Aufenthaltstitel erschlichen. Damit seien die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG in allen Verfahren erfüllt.
Für die neuerliche Entscheidung über die Anträge der Revisionswerberin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren maßgeblich. Im Hinblick auf die Scheidung von Z I und die aufrechte Ehe mit M M, einem in Österreich nicht aufenthaltsberechtigten serbischen Staatsangehörigen, sei die Revisionswerberin zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr Familienangehörige eines Zusammenführenden im Sinn des § 46 Abs. 1 NAG. Die auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 NAG gerichteten Anträge seien daher mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung abzuweisen gewesen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision zum einen vor, die Beweiswürdigung sei unschlüssig und nicht auf ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gestützt worden, zumal die Beamten der LPD Wien keine konkreten Angaben zu den tatsächlichen Deutschkenntnissen der Mutter bzw. des vormaligen Ehemannes machen hätten können und die Vernehmung der Vertrauensperson, die am 7. September 2016 übersetzt habe, daher zwingend notwendig gewesen wäre. Nur durch deren Einvernahme könne festgestellt werden, ob die Mutter und Z I tatsächlich angegeben hätten, dass sie seit Jahren eine Beziehung führen würden, oder ob sie, wie übereinstimmend bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, nur von einem zehnjährigen Kennen gesprochen hätten.
7 Vorweg ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes unterliegt nur in beschränktem Maße, nämlich nur hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit, nicht aber hinsichtlich ihrer Richtigkeit, einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (siehe VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0174, Rn. 10, mwN).
8 Dass die vom Verwaltungsgericht unter Darlegung der wesentlichen Erwägungen vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Soweit sich die Revisionswerberin dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht die von den Einvernahmen am 7. September 2016 abweichenden Aussagen ihrer Mutter und ihres vormaligen Ehemannes in der mündlichen Verhandlung als nicht glaubwürdig beurteilt habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine solche einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160, Rn. 10; 23.5.2018, Ra 2018/22/0074, Pkt. 5.1ff).
9 Zu den von der Revisionswerberin im Zusammenhang mit der unterbliebenen Vernehmung der Vertrauensperson (wobei aus den Verfahrensakten ersichtlich ist, dass bei den jeweiligen Vernehmungen am 7. September 2016 zwei unterschiedliche Vertrauenspersonen anwesend waren) gerügten Begründungsbzw. Ermittlungsmängeln ist darauf zu verweisen, dass in der Zulassungsbegründung auch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist. Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung ausgesagt hätte bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. erneut VwGH Ra 2018/22/0174, mwN). Der nicht weiter substanziierte Verweis auf die unterbliebene Vernehmung der - nicht namentlich genannten - Vertrauensperson enthält keine ausreichende Relevanzdarstellung in diesem Sinn. Zudem ist aus den Verfahrensakten nicht ersichtlich und wird in der Revision auch nicht behauptet, dass die Vernehmung dieser Person von der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Revisionswerberin beantragt worden wäre (vgl. zu allem VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0280; sowie nochmals Ra 2018/22/0174; jeweils mwN).
10 Zum anderen wird in der Zulässigkeitsbegründung unter Verweis auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, der Wiederaufnahmegrund des Erschleichens nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG liege nicht vor, wenn die belangte Behörde aufgrund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens vor der Bewilligung des Antrags vom 23. Dezember 2016 die Unrichtigkeit der Angaben erkennen hätte können und dies nur deshalb nicht erkannt habe, weil sie es verabsäumt habe, von den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung Gebrauch zu machen.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zu Stande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2018/22/0032, mwN). Vorliegend hat sich die Revisionswerberin in den (zunächst bewilligten) Aufenthaltstitelverfahren auf ihre - vom Verwaltungsgericht in der Folge als Aufenthaltsehe angesehene - Ehe mit Z I berufen. Damit lagen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor.
12 Mit dem Vorbringen der Revisionswerberin, die belangte Behörde hätte vor Bewilligung des Antrags vom 23. Dezember 2016 die Unrichtigkeit der Angaben erkennen können, zeigt die Revisionswerberin nicht auf, inwiefern diesem Verfahren ein - ein "Erschleichen" ausschließender - relevanter Verfahrensmangel anhafte (vgl. hierzu erneut VwGH Ra 2018/22/0032). Zudem ist anzumerken, dass das Ersuchen seitens der belangten Behörde an die LPD Wien zur Überprüfung der Ehe der Revisionswerberin mit Z I nicht nach Bekanntgabe der Scheidung von Z I im Zuge der Bearbeitung ihres Antrags vom 23. Dezember 2016 erging, sondern erst nach der Eheschließung mit M M, dem nunmehrigen Ehemann und Vater ihrer Tochter, und dessen Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels am 6. April 2017. Auch die zeitliche Abfolge deutet somit nicht auf einen - ein "Erschleichen" ausschließenden -
relevanten Verfahrensmangel im Zuge der Bewilligung des Antrags vom 23. Dezember 2016 hin. Soweit die Revisionswerberin diesbezüglich eine grundsätzliche Rechtsfrage im Zusammenhang mit einer nachträglichen abweichenden Vorfragebeurteilung ins Treffen führt, genügt der Hinweis, dass die vorgenommene Wiederaufnahme nicht auf § 69 Abs. 1 Z 3 AVG gestützt worden ist.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 28. Februar 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220250.L00Im RIS seit
22.03.2019Zuletzt aktualisiert am
26.04.2019