TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/16 W124 2108937-1

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Veröffentlicht am 16.01.2019
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Entscheidungsdatum

16.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W124 2108937-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet

abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste als unbegleiteter Minderjähriger unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am

XXXX den dem Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er zu seiner Person an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er sei in der Provinz XXXX geboren, jedoch im Alter von einem Jahr mit seiner Familie in den Iran gezogen. Zu seinen Fluchtgründen brachte er zusammengefasst vor, sein Vater sei vor 10 Monaten nach Afghanistan gereist, um wegen der Grundstücke etwas zu regeln. Dabei sei er von Verwandten umgebracht worden. Da sie illegal im Iran gelebt hätten, habe seine Mutter aus Furcht vor der Abschiebung des BF nach Afghanistan dessen Reise nach Deutschland organisiert. Im Fall der Rückkehr befürchte er, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, wo er niemanden habe und sich vor den Verwandten fürchte, welche seinen Vater getötet hätten.

3. Am XXXX erfolgte seine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) in Anwesenheit seines gesetzlichen Vertreters sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Dari.

Zu seinem Gesundheitszustand gab der BF an, es gehe ihm gut. Betreffend seine Familie führte er aus, sein Vater sei vor einem Jahr und vier Monaten in Afghanistan verstorben. Seine Mutter, seine zwei Schwestern und sein Bruder würden nach wie vor im Iran leben. Zu seinen Angehörigen habe er regelmäßigen Kontakt. In seinem Herkunftsstaat würden Angehörige seiner Mutter leben, er wisse jedoch nichts Genaues. Besitztümer im Iran oder in Afghanistan habe seine Familie nicht.

Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst vor dem Tod, vor der Religion und vor seinem Cousin.

Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er habe befürchtet, dass seine Cousins in den Iran kommen könnten, um ihn zu töten. Er sei sicher, sie hätten seinen Vater umgebracht, als dieser vor einem Jahr und fünf Monaten nach XXXX zurückgekehrt sei. Grund für seine Rückkehr sei gewesen, dass er dort Grundstücke an seine Cousins "vermietet" habe und die "Mieteinnahmen" abholen habe wollen.

Seine Mutter habe nach einiger Zeit weitschichtige Verwandte angerufen, um sich nach dem Vater zu erkundigen. Diese hätten jedoch nichts gewusst. In weiterer Folge habe die Mutter von der Ermordung seines Vaters durch seine Cousins erfahren. Aus Angst um den BF habe sie ihn daraufhin nach Europa geschickt.

Im Alter von einem Jahr sei der BF mit seinen Eltern in den Iran gezogen. Sein Vater sei regelmäßig nach Afghanistan gereist, um die "Mieteinnahmen" zu holen. Der BF habe im Iran keinen (Aufenthalts)status gehabt. Seine Cousins würden XXXX und XXXX heißen und in XXXX leben.

Die Frage, ob der BF im Herkunftsstaat Probleme mit der Polizei oder wegen seiner Religion gehabt habe, verneinte er, zumal er nie dort gewesen sei. Auch aufgrund seiner Religion habe er keine Schwierigkeiten gehabt. Er habe nur Probleme mit seiner restlichen Familie.

Auf Nachfrage, warum er Angst vor der Religion habe, führte er aus, Leute mit islamistischen Glauben seien Terroristen. Daher wolle er den muslimischen Glauben nicht mehr haben, sondern Christ werden. Er habe diesen Wunsch seit fünf Monaten und gehe auch in XXXX seit drei Monaten zur Kirche. Über das Christentum könne er nichts Genaues sagen. Er wisse nur, dass Jesus der Sohn Gottes und das Christentum kein Glaube sei. Über den christlichen Glauben wisse er, dass niemand versuche, den anderen umzubringen und zu rächen. Seine Cousins hingegen seien bereit, ihn für ein Grundstück umzubringen. Er habe noch keinen Tauftermin und müsse auch auf die Taufvorbereitung noch warten. In XXXX habe ihn ein Freund zur "XXXX" gebracht. In XXXX besuche er nun die "XXXX". Offiziell zum Glauben bekennen würde er sich nicht. Seiner Mutter und seinen Freunden habe er davon ebenso wenig erzählt.

4. Mit Schreiben vom XXXX bezog der BF im Wege seiner ausgewiesenen Vertreterin Stellung zur Sicherheitslage in der Provinz XXXX und brachte vor, dass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Minderjährigkeit und des langjährigen Aufenthalts im Iran unzumutbar sei.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Identität des BF habe mangels der Vorlage entsprechender Dokumente nicht festgestellt werden können. Die Angaben und Schilderungen betreffend den Tod seines Vaters seien äußerst vage gewesen. Zudem würde der BF, trotz der behaupteten Absicht einer Konversion nur äußerst wenig über den christlichen Glauben wissen. Eine individuelle Verfolgungsgefahr des BF aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe habe sohin nicht festgestellt werden können, und sei ihm daher der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen.

6. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

7. Mit Beschwerde vom XXXX wurde Spruchpunkt I. des verfahrensgegenständlichen Bescheides wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts angefochten und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Begründend wurde zunächst ausgeführt, dass die Identität des BF festgestellt werden hätte müssen, zumal seine Angaben betreffend Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Religionsbekenntniss ebenso als glaubhaft erachtet worden seien und die Nichtannahme der vom BF vorgebrachten Identität nicht ausschließlich auf die fehlende Vorlage von Personenstandsdokumenten gestützt werden dürfe.

Ferner habe die Behörde bei ihrer Argumentation, wonach der BF im Rahmen der Einvernahme am XXXX eine Verfolgung in Afghanistan aufgrund seiner Religion ausgeschlossen habe, verkannt, dass sich die diesbezüglichen Angaben des BF lediglich auf den schiitischen Glauben bezogen hätten. Er habe angegeben, nicht mehr dem muslimischen Glauben angehören zu wollen, da er diesem den Terrorismus zuschreibe und sich davon ausdrücklich distanzieren wolle. Die Angaben zu seiner Vorstellung von Religion, insbesondere im Hinblick auf den Wunsch einer Konversion zum Christentum, seien detailliert und seinem Alter entsprechend vorgebracht worden. Insgesamt sei aufgrund seiner schlüssigen Ausführungen von der Glaubwürdigkeit seiner Ablehnung bzw. seiner kritischen Haltung gegenüber seiner Religionszugehörigkeit auszugehen und habe bereits dies in Afghanistan Verfolgungshandlungen zur Konsequenz, wenn auch eine Konversion zum Christentum noch nicht erfolgt sei. Im Folgenden wurde auszugsweise der Artikel "Evolution of Fundamental Rights in Afghanistan" von AREU zitiert und ergänzend ausgeführt, dass auch die reine Abwendung vom Islam eine Verfolgung im Herkunftsstaat auslösen könne.

Nach der Judikatur des VwGH vom 24.09.2014, 2014/19/0020, sei überdies bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit besonders auf das Alter bzw. den Entwicklungsstand des Asylwerbers einzugehen und seien diese Umstände bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Die Beweiswürdigung und die Sachverhaltsfeststellungen entsprächen nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht, zumal eine Auseinandersetzung mit dem Einzelfall unerlässlich sei.

Bei richtiger Auslegung der Gesetze und der dazu ergangenen Judikatur hätte die Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass die dem BF drohende Verfolgung in Form seines Nachfluchtgrundes - der Ablehnung des Islam - Verfolgungshandlungen im Sinne der GFK darstellten, sich der BF außerhalb seines Heimatlandes befinde und ihm daher Asyl zuerkannt werden müsse.

8. Die Beschwerdevorlage langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

9. Am XXXX wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Vertreters und einer Vertrauensperson des BF sowie unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und eines landeskundigen Sachverständigen durchgeführt.

Diese Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

"[...]

R: Haben Sie gegen die Bestellung des SV Einwände?

BF: Nein.

R: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Farsi und Dari. Ich spreche beide Sprachen sehr gut, weil ich in Afghanistan zur Welt gekommen bin und im Iran lange Zeit gelebt habe.

R an den Dolmetscher: In welcher Sprache übersetzen Sie für den Beschwerdeführer?

D: Dari.

R befragt den Beschwerdeführer, ob er die Dolmetscherin gut verstehe, dies wird bejaht.

R befragt den Beschwerdeführer, ob dieser geistig und körperlich in der Lage ist der heutigen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen. Nun wird der Beschwerdeführer befragt, ob er gesund ist oder ob bei ihm (Krankheiten) und /oder Leiden vorliegen. Diese Fragen werden vom Beschwerdeführer dahingehend beantwortet, dass keine Hindernisgründe oder chronische Krankheiten und Leiden vorliegen. Der Beschwerdeführer ist in der Lage der Verhandlung in vollem Umfang zu folgen.

BF: Nein, es geht mir ganz gut.

Dem Beschwerdeführer wird dargelegt, dass er am Verfahren entsprechend mitzuwirken hat bzw. auf die Fragen wahrheitsgemäß zu antworten hat. Andernfalls dies sich entsprechend im Erkenntnis im Bundesverwaltungsgerichtes auswirken würde.

BF: Es genügt, dass ich von der Caritas vertreten werde, ich benötige keine zusätzliche Rechtsberatung.

R: Haben Sie noch neue Beweismittel, die Sie beim BFA oder bzw. bei der Polizei noch nicht vorgelegt haben?

BF: Nein.

[...]

R: Bleiben Sie bei den Angaben, die Sie bei der Polizei oder beim BFA gemacht haben?

BF: Ja.

R: Welcher Volksgruppe bzw. Religion gehören Sie an?

BF: Ich bin Afghane, ich war früher Moslem, bin es aber jetzt nicht mehr.

R: Was heißt das?

BF: Ich akzeptiere meine frühere Religion nicht mehr.

R: Welcher Religion gehören Sie jetzt an?

BF: Ich gehöre keiner Religion an, ich glaube nur an Gott.

R: Sie haben eine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA eingebracht, warum haben Sie eine Beschwerde gegen das BFA erhoben?

BF: Die Beschwerde habe nicht ich eingebracht, sondern meine Vertretung.

R: Warum haben Sie Ihre Vertretung beauftragt, eine Beschwerde einzubringen?

BF: Ich habe die Vertretung auch nicht damit beauftragt, die Beschwerde wurde seitens der Vertretung eingebracht, ich war damit einverstanden. Ich war minderjährig, die Vertretung hat mir gesagt, dass sie deshalb selbst alles übernehmen wird.

R: Warum haben Sie dann eine Beschwerde eingebracht, gibt es Gründe?

BF: Als ich nach Österreich gekommen bin und noch dem muslimischen Glauben angehört habe, bin ich ca. 5 Monate lang in XXXX in die Kirche gegangen. Meine Vertretung hat mir gesagt, dass, wenn ich in die Kirche gehe, ich das Recht auf Asyl haben würde, deshalb wurde die Beschwerde eingebracht.

R: Was war der genaue Grund?

BF: Die Beschwerde habe nicht ich erhoben.

R: Haben Sie mit Ihrer Vertretung besprochen, weshalb Sie eine Beschwerde einbringen?

BF: Ja.

R: Was haben Sie da besprochen?

BF: Sie hat mich gefragt, ob ich Christ werden möchte, diese Frage bejahte ich. Sie sagte, wenn das so ist, dann würde sie eine Beschwerde einbringen, damit ich Asyl bekomme.

R: Was haben Sie da genau Ihrer Vertretung erzählt, außer dass Sie die Absicht haben Christ zu werden?

BF: Ich habe ihr z. B. gesagt, dass vor ca. 2 Jahren mein Vater zurückgegangen ist und von meinem Cousin getötet worden ist und dass ich den Islam hasse und nicht mehr diesen Glauben angehören möchte.

R: Haben Sie darüber hinaus noch etwas mit Ihrer Vertreterin besprochen, hinsichtlich der Absicht Christ zu werden?

BF: Nein, sonst nichts.

R: Sie haben gesagt, Sie sind in XXXX in die Kirche gegangen?

BF (auf Deutsch): Ja.

R: In welcher Kirche sind Sie da gegangen?

BF: Das war keine Kirche, sondern eine Gemeinde, die ich besucht habe, den Namen habe ich vergessen.

R: Was heißt "das war eine Gemeinde"?

Anmerkung der Dolmetscherin, BF erwähnt "Gemeinde" auf Deutsch und nicht auf Dari.

R: Was meinen Sie da damit, wenn Sie sagen, es war keine "Kirche" sondern eine "Gemeinde"?

BF: Das war ein Platz, wo man sehr viel über Jesus Christus gehört hat. Z. B. was er alles getan hat und dass er sich für uns geopfert hat. Es wurde auch darüber erzählt, was er für die Menschheit getan hat.

R: Wie hat diese "Gemeinde" geheißen, die Sie da besucht haben?

BF: An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, es ist aber neben XXXX, gegenüber vom "Billa".

R: Wissen Sie, wie der Name der Gläubigen geheißen hat bzw. welcher Religion diese angehört haben?

BF: An die Namen der Österreicher, kann ich mich nicht mehr erinnern, es waren aber 2 Iraner dort, die gedolmetscht haben, die Dame hieß XXXX und der Herr XXXX. Wir sind am Samstag und Sonntag zum Kaffeetrinken dorthin gegangen. Im Rahmen dieses Treffens, wurde über Jesus gesprochen. Wir haben einen Film über Jesus Christus gesehen.

R: Welcher Religion bzw. Konfession haben diese Dame XXXX bzw. der Herr XXXX angehört?

BF: Sie waren Christen.

R: Wissen Sie, welcher Art von Christen es sich dabei gehandelt hat, der Name dieser Christen?

BF: Nein.

R: Wissen Sie, ob es sich dabei um eine katholische Kirche gehandelt hat?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Wie oft sind Sie da hingegangen?

BF: Ich bin dreimal pro Woche dorthin gegangen.

R: In welchem Zeitraum?

BF: 2 Monate lang.

[...]

R: Was hat Sie dazu bewogen, dorthin zu gehen?

BF: Ich bin montags dorthin gegangen, weil montags dort Kleidung und Schuhe verteilt wurden. Der Grund weshalb ich sonst dorthin gegangen bin war, dass ein paar Jungs an einem Samstag gesagt haben, dass wir dorthin gehen sollen, weil dort eine Veranstaltung stattfinden werde. An diesem Tag, es war ein Samstag, bekamen wir Kaffee, Süßigkeiten und "Soletti". An den Namen kann ich mich jetzt erinnern.

R: Mit wem sind Sie dorthin gegangen?

BF: Mit meinen Freunden aus XXXX.

R: Wie heißen die mit Familienname und Vornamen?

BF: XXXX, XXXX, XXXX.

R: War das das erste Mal, als Sie mit Ihren Freunden dorthin gegangen sind?

BF: Ja, an einem Samstag.

R: Warum sind die anderen Freunde dorthin gegangen?

BF: Sie sind dorthin gegangen, um zu Essen, ich wusste eigentlich nicht, dass diese Gemeinde existiert.

R: Was heißt Sie "wussten nicht, dass diese Gemeinde existiert"?

BF: Ich wusste nicht, dass das eine Kirche bzw. eine Gemeinde ist. Ich bin dorthin gegangen, weil meine Freunde gesagt haben, dass dort eine Veranstaltung ist.

R: Was haben Sie sich vorgestellt, was für eine Veranstaltung dort sein soll?

BF: Ich hatte bereits gehört, dass es in Europa Veranstaltungen gibt, wo man zu Essen und zu trinken bekommt. Ich bin davon ausgegangen, dass es sich dabei um so eine Veranstaltung handelt. Ich glaube das war zu "Halloween".

R: Haben Sie geglaubt, es handelt sich dort um eine "Halloween"-Veranstaltung?

BF: Nachdem ich die Leute dort gesehen habe, dass sie sich verkleidet haben, nahm ich an, dass es sich um "Halloween" handelt.

R: Wie lange waren Sie an diesem Tag bei dieser Veranstaltung?

BF: Wir sind um 18 Uhr dorthin gegangen und sind bis ca. 21.30 Uhr dort geblieben.

R: Was haben Sie dann an diesem Abend gemacht?

BF: Es waren ein paar Tische aufgestellt, an denen wir uns gesetzt haben. Wir haben Schach gespielt, es gab Süßigkeiten, Kaffee und Tee.

R: Haben Sie - außer diesen Dingen - noch etwas gemacht oder ist sonst noch etwas geschehen?

BF: Ja, gegen 20 Uhr wurde ein Vortrag gehalten über Jesus Christus begleitet von einer Diashow.

R: Wie oft sind Sie dann - nachdem Sie das erste Mal dort gewesen sind - dort hingegangen?

BF: Ich bin dann jeden Montag, Samstag und Sonntag dorthin gegangen.

R: Warum sind Sie dann die folgenden Montag, Samstage und Sonntage dorthin gegangen?

BF: Montags bin ich dorthin gegangen, weil ich Kleidung bekommen habe. Am Samstag war ein Kaffee- und Kuchentreffen und sonntags wurde über Jesus Christus gesprochen bzw. wurden Filme gezeigt, darunter ein Film über das Leben Jesus und über ein iranisches Mädchen, das zum Christentum konvertiert ist.

R: In welchen Zeitraum haben Sie das gemacht?

BF: Ich war 2 Monate lange in XXXX. Ich bin in der ersten Woche, das erste Mal dorthin gegangen, danach bin ich 2 Monate lang regelmäßig dorthin gegangen.

R: Sie haben gesagt, Sie würden keiner Religion angehören, aber an Ihren Gott glauben, was meinen Sie denn damit?

BF: Ich meine damit, dass keine Religion existiert. Ich bin ein Mensch, der nicht ohne eine Religion leben möchte. Ich möchte mein eigenes Leben führen.

R: Und was heißt es dann, wenn Sie sagen, Sie glauben an Ihrem Gott?

BF: Für mich existiert Gott (auf Dari: Khoda).

R: Was heißt "Khoda" für Sie?

BF: Ich bin davon überzeugt, dass es Gott gibt und dass Gott uns erschaffen hat. In der "XXXX" habe ich auch gehört, dass Jesus auch der Sohn Gottes ist und sich auch für die Menschen geopfert hat. Ich bin aber nicht der Meinung, dass Jesus einer Religion angehört.

R: Was meinen Sie damit genau?

BF: Ich meine damit, dass auch wenn Jesus unseretwegen auf die Welt gekommen ist und für uns geopfert wurde, es nicht bedeutet, dass wir so handeln, wie er es sich vorgestellt und vorgeschrieben hat. Ich bin ein einfacher Mensch und möchte nach meinen eigenen Regeln leben.

R: Was heißt Sie wollen "nach Ihren eigenen Regeln leben"?

BF: In jeder Religion gibt es Verbote, ich möchte mich nicht an die Verbote halten, ich möchte meine Freiheit haben und frei leben.

R: Haben Sie jemals daran gedacht Ihre Religion zu wechseln?

BF: Ja.

R: Und zu welchem Entschluss sind Sie dabei gekommen?

BF: Ich war jung und konnte vieles nicht verstehen. Ich kann auch heute nicht alles verstehen. Ich bin aber davon überzeugt, dass alle Menschen, die ein Problem haben, wegen der Religion damit konfrontiert sind.

R: Was meinen Sie damit?

BF: Ich kann auch ohne eine Religion ein aufrichtiger, ehrlicher und guter Mensch sein. Der Koran schreibt vor, dass man nur Gutes tun soll, dasselbe sagt der christliche Glaube. Auch die Propheten haben das gepredigt. Ich muss aber nicht zu einer Religion gehören, um ein guter Mensch zu sein.

R: Haben Sie die Intension/Absicht zu einer anderen Religion - als der ursprünglichen - zu wechseln?

BF: In der Zukunft?

R: Fragewiederholung.

BF: Nein, ich möchte keiner Religion angehören.

R: Haben Sie sich mit einer anderen Religion einmal näher auseinandergesetzt?

BF: Nein, ich bin nur am Anfang zur "XXXX" gegangen und habe dort ein wenig Informationen über das Christentum erhalten. Danach habe ich kurzfristig überlegt, ob ich den christlichen Glauben annehmen soll, ich bin aber zu dem Entschluss gelangt, dass das Christentum auch keine Religion ist.

R: Was meinen Sie damit, dass "das Christentum keine Religion sei", gilt das für Sie oder für jemand anderen?

BF: Für mich ist das keine Religion.

R: Sie haben zuerst gesagt, Sie sind seit ungefähr 2 Monate regelmäßig zu dieser Religionsgemeinschaft am Sonntag gegangen. Warum sind Sie dann - nach diesem Zeitraum - nicht mehr dorthin gegangen?

BF: Weil ich nach XXXX verlegt wurde. Ich konnte es mir nicht leisten, regelmäßig nach XXXX zu fahren. Ich habe nämlich monatlich 150 Euro erhalten und alle 4 Monate 50 Euro für Kleidung.

R: Haben Sie sich - nach diesem dortigen zweimonatigen Besuch - weiter mit der dort vertretenen Lehre auseinandergesetzt?

BF: Ich habe danach in XXXX eine iranische Kirche gefunden, in die ich 3 Monate gegangen bin.

R: Und warum gehen Sie jetzt dort nicht mehr in?

BF: Warum soll ich dort hingehen?

R: Warum hat Sie das Christentum als solches nicht angesprochen?

BF: Als ich in die iranische Kirche gegangen bin, habe ich festgestellt, dass die Iraner viele Lügen über den Islam erzählt haben. Dann wurde mir klar, dass weder der Islam, noch das Christentum eine Religion ist. Außerdem - wie ich zuvor bereits erwähnt habe - kann ich auch ohne eine Religion ein guter Mensch sein.

R: Was war dann der eigentliche Anlass, dass Sie die iranische Kirche nicht mehr besucht haben?

BF: Die Iraner waren Nationalisten. Sie haben z. B. gesagt, dass der Islam "Scheiße" (auf Deutsch) ist. Außerdem haben sie die Afghanen beschimpft und gesagt, dass die Afghanen viele schlechte Sachen im Iran machen würden.

R an BFV: Haben Sie zu der Religion eine Frage an den BF?

BFV an BF: Wollen Sie kein Moslem sein?

BF: Diese Frage habe ich schon beantwortet. Die Religion ist die Ursache für viele Probleme. Ein Moslem, z. B. ist bereit, für ein Grundstück bzw. für etwas Geld eine andere Person problemlos zu töten, wie z. B. mein Vater getötet wurde. Als schiitischer Moslem muss man sich 40 oder 50 Tage selbst lang quälen und schlagen, dies für den Iman Hussain, weil er getötet worden ist. Ich kenne diesen Iman nicht und so lange ich ihn nicht mit den eigenen Augen sehe, glaube ich nicht an ihn.

R an BF: Haben Sie in Ihrer Heimat bzw. im Iran Ihre Religion praktiziert?

BF: Ja, weil ich in einem islamischen Land zur Welt gekommen bin. Das, was meine Mutter mir beigebracht hat, habe ich eingehalten. Ich wusste nämlich nicht, dass auch etwas anderes existiert.

R: Haben Sie sich dabei 40 oder 50 Tage lang, selbst gequält oder geschlagen?

BF: Ja, weil ich als Schiite erzogen wurde und meine Mutter das so wollte. Nachdem ich aber hierhergekommen bin, habe ich verstanden, dass mein Körper mir gehört und dass ich ohne die Zugehörigkeit zu einer Religion, ein guter Mensch sein kann.

BFV an BF: Wollen Sie nach den Regeln des Islams noch leben?

BF: Im Islam gibt es auch gute Sachen, wie z. B., dass man nicht lügen soll und niemanden Schaden soll. Diese Regeln gibt es auch im Christentum und auch in anderen Religionen. Diese Regeln werde ich als guter Mensch weiterhin befolgen.

Die BFV weist auf ein Erkenntnis des BVwG vom 18.12.2015, Zahl: W128 2006064-1, in dem den BF die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, auf Grund des Abfalls vom Islam und er sich als selbst als Atheist bezeichnet hat.

[...]

R: Warum haben Sie Ihr Heimatland eigentlich verlassen?

BF: Den Iran oder Afghanistan?

R: Ihr Heimatland.

BF: Afghanistan?

R: Was ist Ihr Heimatland?

BF: Das weiß ich nicht, meine Eltern sind damals aus Afghanistan gegangen.

R: Warum haben Ihre Eltern Afghanistan verlassen?

BF: Sie haben wahrscheinlich Probleme mit den Taliban gehabt. Damals war Krieg, ich weiß es nicht genau, ich war 1 Jahr alt.

R: Wo haben Sie denn mit Ihren Eltern gelebt, bevor Sie Afghanistan verlassen haben? Wenn Sie mir die Adresse bitte angeben.

BF: Soweit ich es bei meinen Eltern gehört habe, lebten wir in XXXX. Später haben wir im Iran in XXXX gelebt.

R: Wo haben Sie da genau gelebt mit Ihren Eltern in XXXX?

BF: Das weiß ich nicht, wenn meine Eltern bzw. meine Mutter nach Österreich kommt, können Sie die Frage an meine Mutter richten.

R: Haben Sie mit Ihren Eltern nie darüber gesprochen, woher Sie kommen, wo Sie geboren sind?

BF: Ich habe nie meine Eltern zu Afghanistan gefragt. Ich weiß gar nicht, wo sich Afghanistan befindet, ich weiß nicht, ob das Land rechts oder links vom Iran liegt, obwohl es liegt rechts.

R: Von was liegt Afghanistan rechts?

BF: Vom Iran aus gesehen. Nein, wenn man die Karte sieht, dann liegt Afghanistan rechts vom Iran.

R: Wann haben Sie mit Ihren Eltern Afghanistan verlassen?

BF: Ich war ein Kind und weiß es nicht genau. Es war aber vor mindestens 15 Jahren.

R: Warum haben Sie Afghanistan mit Ihren Eltern verlassen?

BF: Ich war ein Kind, ich weiß nicht, warum meine Eltern von dort gegangen sind. Sie haben sicher ein Problem mit den Taliban gehabt oder ein anderes Problem. Wenn meine Mutter einmal hier ist, können Sie sie direkt fragen.

R: Haben Sie mit Ihren Eltern nie darüber gesprochen, warum diese mit Ihnen Ihr Heimatland, Afghanistan, verlassen haben?

BF: Nein.

R: Welche Familienmitglieder haben zu Ihrer Familie, als Sie Afghanistan verlassen haben, gehört?

BF: Meine Eltern und ich alleine, ich weiß nicht, ob andere Familien dabei waren. Wir waren aber zu dritt.

R: Wie geht es Ihrer Familie?

BF: Gut.

R: Stehen Sie mit Ihrer Familie in Kontakt?

BF: Ja.

R: Wie oft?

BF (teilweise auf Deutsch): Jede Woche einmal telefonieren wir.

(auf Dari): Ich habe eine SIM-Karte von "XXXX". Ich lade die Karte einmal im Monat mit 15 Euro auf und dann habe ich 3 GB Internet und 500 Minuten Telefonie ins Ausland.

R: Wo hält sich Ihre Familie derzeit auf?

BF: Im Iran, in XXXX.

R: Aus welchen Familienmitgliedern besteht jetzt Ihre Familie im Iran?

BF: Meine Großmutter mütterlicherseits, meine Mutter, meine beiden Schwestern und mein Bruder gehören zu meiner Familie.

R: Ist es im Islam erlaubt, jemand anderen wegen Grundstücken - wie Sie zuerst gesagt haben - zu töten?

BF: Soweit ich den Islam verstanden habe, handelt es sich dabei um eine "terroristische Religion". Im Islam wird das so gemacht.

R: Fragewiederholung.

BF: Eigentlich hat das mit dem Islam nichts zu tun, das ist in den Gesetzen eines jeden Landes geregelt. Auch Christen könnten einander töten, das hat aber nichts mit dem Christentum zu tun. Im Islam ist es aber verboten, deswegen zu töten. Wenn man nach den Regeln des Islam jemanden umbringen wollte, dann müsste man diese Person steinigen oder erhängen.

R: In welcher Situation?

BF: Wenn ich z. B. jemand getötet habe und der Mörder bin, werde ich erhängt. Ich weiß aber nicht, wie das in Österreich geregelt ist.

R: Haben Sie in Afghanistan noch Verwandte?

BF: Ich glaube, dass meine Mutter dort noch Verwandte hat.

R: Was heißt Sie "glauben, dass Ihre Mutter dort noch Verwandte hat"?

BF: Eine Tante mütterlicherseits meiner Mutter lebt dort, möglicher Weise leben auch ihre Kinder dort, aber das weiß ich nicht genau. Ich kenne diese Leute nicht.

R: Haben jetzt - außer Ihrer Tante mütterlicherseits - noch andere Verwandte in Afghanistan gelebt?

F: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nicht so viele Informationen über die Familien von meiner Mutter und von meinem Vater habe. Ich weiß nicht genau, wer sie sind und wo sie sich aufhalten. Im Iran habe ich mein eigenes Leben geführt, ich bin in die Schule gegangen und habe danach gearbeitet.

R: Wie lange sind Sie in die Schule gegangen?

BF: Das war keine staatliche Schule. Ein afghanischer Lehrer hat uns unterrichtet, dafür mussten wir 100.000 Toman bezahlen.

R: Wie lange haben Sie diese Schule besucht?

BF: 3 - 4 Jahre. Nachdem es keine staatliche Schule war, hatten wir keine Ferien. Wir hatten auch keine Bücher, es wurde Zetteln ausgeteilt, manchmal wurde Englisch gesprochen bzw. Mathematik gelehrt.

R: Ist es in der Praxis Pflicht für jeden schiitischen Moslem, 40 Tage lange im Monat Moharam sich selbst zu quälen oder zu schlagen?

BF: Ja.

R: Warum haben Sie den Iran verlassen?

BF: Ich habe den Iran, aus Angst vor meinen Cousins, verlassen. Sie haben nämlich befürchtet, dass ich eines Tages nach Afghanistan zurückkehren würde und mich rächen würde. Ich hatte das aber niemals vor. Daher wurde mir geraten, ins Ausland zu gehen. Ich kannte Europa nicht. Ich wollte nach Deutschland gehen, ich wurde aber in einem Wald freigesetzt. Ich bin dann alleine bis XXXX gegangen.

R: Warum hätten Sie sich an Ihren Cousins rächen sollen?

BF: Dass ich für meine Rechte kämpfen, nämlich für das Grundstück, das meinem Vater gehört hat.

R: Können Sie das genauer beschreiben?

BF: Mein Vater ist jährlich nach Afghanistan gegangen und hat Geld von meinen Cousins für die Grundstücke meines Vaters erhalten. Von diesem Geld haben wir im Iran gelebt. Vor ca. 2 Jahren, als mein Vater nach Afghanistan gegangen ist, haben sie ihn getötet. Jetzt müsste ich eigentlich nach Afghanistan gehen und die Grundstücke von ihnen zurücknehmen.

R: Wohin ist Ihr Vater da jährlich vom Iran aus nach Afghanistan gegangen?

BF: Nach XXXX.

R: Wohin genau?

BF: Das weiß ich nicht, wenn es dort eine Stadt gibt, dann in die Stadt.

R: Haben Sie mit Ihrem Vater nie darüber gesprochen, wohin er nach Afghanistan geht oder fährt, wenn er das einmal im Jahr macht?

BF: Nein, ich war ein Kind und habe damals nicht verstanden, was es bedeutet, von zu Hause wegzugehen.

R: Wann haben Sie denn den Iran verlassen, in welchem Alter?

BF: Mit ca. 14 Jahren.

R: Ist Ihr Vater jährlich nach Afghanistan zurückgekehrt, nachdem Sie im Iran gelebt haben?

BF: Ja. Er ist wegen der Grundstücke jedes Jahr gefahren.

R: Was für Grundstücke hat Ihr Vater dort gehabt?

BF: Das weiß ich nicht, möglicher Weise wurde dort Opium angebaut.

R: Hat es eine bestimmte Jahrzeiten gegeben, wo Ihr Vater jährlich nach Afghanistan gefahren ist?

BF: Er ist meistens im Sommer dort hingegangen.

R: Wie lange ist er dort geblieben?

BF: 1 1/2 - 2 Monate.

R: Was hat er dort in diesen 1 1/2 - 2 Monaten gemacht?

BF: Das weiß ich nicht, ich war selbst nicht in Afghanistan, um zu wissen, was mein Vater getan hat.

R: Sie haben gesagt, Sie haben mit 14 Jahren den Iran verlassen. Ist in diesem Jahr Ihr Vater auch nach Afghanistan zurückgekehrt?

BF: Als ich in Österreich angekommen bin, war mein Vater ca. 10 Monate vorher nach Afghanistan gereist. Etwa 1 - 2 Monate nach seiner Abreise, hatte meine Mutter erfahren, was mit meinem Vater geschehen war. Sie sagte mir, dass meine Cousins mich verfolgen würden und ich deshalb ins Ausland gehen solle.

R: Was ist mit Ihrem Vater geschehen?

BF: Verwandte von meiner Mutter haben meiner Mutter mitgeteilt, dass die Neffen meines Vaters, meinen Vater getötet (auf Dari: Ba Haq Rasandan) haben.

Anmerkung der D: "Ba Haq Rasandan" bedeutet, dass dies im Islam so zu verstehen ist, das Gott das Recht hat, das Leben eines Menschen zu beenden, wenn dieser die Entscheidung trifft.

R: Sie haben zuerst gesagt, dass es im Monat Moharam für einen schiitischen Moslem Pflicht wäre, sich 40 Tagen zu schlagen bzw. zu quälen, gilt das auch für minderjährige Personen?

BF: Ja.

R: Wie hat Ihr Vater geheißen?

BF: XXXX.

R: Woher haben Sie denn die Information, dass Ihr Vater von seinen Neffen getötet worden sein soll?

BF: Verwandte von meiner Mutter haben meine Mutter angerufen und ihr mitgeteilt, dass mein Vater von seinen Neffen getötet wurde.

R: Warum hätten denn die Neffen Ihres Vaters ihn töten sollen?

BF: Das weiß ich nicht, möglicher Weise wollten sie die Grundstücke meines Vater an sich nehmen, vielleicht konnten sie das Geld meinem Vater nicht bezahlen bzw. es könnte dafür tausende andere Gründe geben. Ich kenne meine Cousins nicht, ich weiß auch den wahren Grund für die Tötung meines Vaters nicht.

R: Wie alt ist Ihr Bruder, der im Iran lebt?

BF: Er wird jetzt 15 Jahre alt sein oder mehr als 15.

R: Ist Ihr Brüder älter oder jünger als Sie?

BF: Jünger.

R: Um wie viel Jahre ist er jünger?

BF: 1 Jahr und 2 oder 3 Monate.

R: Was war der eigentliche Anlass, dass Sie dann die Flucht aus dem Iran ergriffen haben?

BF: Iran ist nicht mein Heimatland. Ich war dort auch ein Ausländer und ein Flüchtling. Ich wurde zweimal von iranischen Soldaten festgenommen und dazu gezwungen, ihre Toiletten zu reinigen, weil ich ein Afghane war und keine Aufenthaltskarte hatte. Wie oft soll meine Mutter Geld bezahlen, damit ich freikomme?

R: War das von Ihnen Geschilderte der Anlass, dass Sie den Iran verlassen haben?

BF: Nein, der eigentliche Grund war die Angst vor meinen Cousins, weshalb meine Mutter mich ins Ausland schickte.

R: Wie würden Sie sich denn in Afghanistan - hinsichtlich der Ausübung Ihrer Religion - verhalten?

BF: Ich war bisher nie in Afghanistan.

R: Fragewiederholung.

BF: Ich habe derzeit keine Religion, ich weiß nicht, wie ich sie ausüben soll.

R: Stellen Sie sich vor, Sie würden nach Afghanistan zurückkehren. Wie würden Sie hinsichtlich der Ausübung Ihrer Religion bzw. Ihres Glaubens verhalten?

BF: Ich habe keine Religion.

R: Fragewiederholung.

BF: Bezieht sich Ihre Frage darauf, dass ich früher ein Moslem war?

R: Fragewiederholung.

BF: Wenn ich nach Afghanistan zurückkehre und die Menschen dort erfahren, dass ich an keine Religion mehr glaube, würde ich dort gesteinigt und getötet werden. Bevor mir so etwas in Afghanistan passiert, ist das besser, wenn ich hier ins Gefängnis gehe bzw. aus dem Fenster hinuntergeworfen werde, so dass ich sterbe.

R: Wissen Ihre Familienangehörigen von Ihrer heute geschilderten religiösen Einstellung?

BF (auf Deutsch): Nein.

R: Was hat Ihnen Ihrer Mutter in Ihrer Religion gelehrt, beigebracht, was waren die Hauptmerkmale dessen?

BF: Sie hat mir gesagt, dass wir ein "Buch" haben, den Koran, der von Gott für Mohammad offenbart wurde und dass wir uns an die Regeln, wie sie im "Buch" stehen, halten müssen.

R: Und hinsichtlich der praktischen Ausübung dieser Religion?

BF: Man soll z. B. Beten, wenn jemand stirbt und beerdigt wird, soll man auf dem Grab, dem Koran lesen. Es gibt viele Sachen, ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll.

R an BFV: Haben Sie Fragen?

BFV an BF: Nach afghanischen Gepflogenheiten wäre der BF verpflichtet, diese Grundstücke zurückzufordern bzw. den Tod seines Vaters zu rächen. Um dies zu verhindern, würden die Cousins, die Feinde seines Vaters, den BF nach dem Leben trachten und droht den BF daher, auf Grund seiner Angehörigkeit zu seinem Vater, die Ermordung durch die Feinde seines Vaters. Die Verfolgung, die dem BF, im Falle einer Rückkehr drohen würde, knüpft damit an den GFK-Grund der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppe der Familie des Vaters an (siehe hiezu die Entscheidungen des BVwG zu W199 1427403-2, vom 11.04.2014; zu W131 1425924 vom 25.08.2015), in welchem Fall Asyl wegen Grundstückstreitigkeiten auf Grund der Zugehörigkeit des BFs zur Familie zur sozialen Gruppe der Familie, gewährt wurde.

SV an BF: Woher haben Sie die Information, dass Ihr Vater tot ist. Sind Sie sicher, dass Ihr Vater tot ist?

BF: Ich bin sicher, dass mein Vater tot ist. Denn wäre er nicht gestorben, hätte er in den letzten 2 Jahren zumindest einmal angerufen, um sich nach der Familie zu erkundigen.

[...]

Dem SV werden folgende Fragen zur näheren Ausführung in Auftrag gegeben:

A) Was passiert mit Personen, die zwar an Gott glauben, aber nicht

alle islamischen Riten ausüben?

B) Im Hinblick des Vorbringens der BFV, dass nach afghanischen

Gepflogenheiten der BF verpflichtet wäre, diese Grundstücke zurückzufordern bzw. den Tod seines Vaters zu rächen, ergeht folgende Frage an den SV: "Wird jemand in der afghanischen Gesellschaft aufgefordert, sich für den Tod eines engsten Familienmitgliedes zu rächen bzw. muss diese Grundstücke, welche gewaltsam in den Besitz von Personen gekommen sind, zurückfordern?", und eine entsprechende Expertise dazu abzugeben.

C) Des Weiteren ergeht im Hinblick der Ausführung der BFV, "um eine Rache zu verhindern, würden die Feinde seines Vaters, den BF nach dem Leben trachten. Den BF drohe, auf Grund seiner Angehörigkeit zu seinem Vater, die Ermordung durch die Feinde seines Vaters", folgende Frage mit der Erstellung einer Expertise an den SV: "Werden die Familienangehörigen einer getöteten Person von den Tätern präventiv verfolgt, wenn diese befürchten, von den Familienmitgliedern des Opfers verfolgt zu werden?".

[...]

R an BF: Wollen Sie noch etwas sagen?

BF: Nein .

R an BF: Wer hat Ihren Vater umgebracht?

BF: Meine Cousins, die Söhne meines Onkel väterlicherseits.

R: Wie heißen die?

BF: Mein älterer Onkel heißt XXXX und der Jüngere XXXX. Es sind meine Cousins.

R: Was würden Sie denn in Afghanistan antworten, wenn Sie jemand fragen würde, was Sie glauben?

BF: Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Wie ich bereits zuvor gesagt habe, würde ich es bevorzugen hier zu sterben, als nach Afghanistan zu gehen und dort entweder von meinen Cousins oder vom Staat getötet zu werden.

R: Fragewiederholung.

BF: Meinen Sie das im Zusammenhang mit der Religion?

R: Fragewiederholung.

BF: Ich frage Sie, was passieren würde, wenn man in ein islamisches Land gehen würde, ohne einen Glauben zu haben?

R an BFV: Haben Sie noch Fragen an den BF?

BFV: Nein.

[...]"

10. Am XXXX führte der Sachverständige zudem in der mündlichen Verhandlung an ihn gerichteten Fragen folgendes aus:

Zu Frage A) wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, dass in Afghanistan Personen, die sich als gottesgläubig ausgeben und ihren Gott "Khuda" nennen, als Muslime betrachtet werden. Die Diskussion des BF über Religion sei eine intellektuelle, die von Muslimen in Europa thematisiert werde. Solange er diese Diskussion nicht in Afghanistan führe, müsse er mit keinen Konsequenzen rechnen. Jemand, der sich vor (gläubigen) Afghanen hingegen als ungläubig bezeichne und sage, dass er nicht an Khuda glaube, gelte nicht als Muslim und müsse mit Problemen in Afghanistan rechnen. Auch könne jemand verfolgt werden, der sich in Anwesenheit von Muslimen in Afghanistan negativ über den Propheten Mohammad äußere. Solange jedoch seine Familie und andere Personen im Iran bzw. in Afghanistan von derartigen Äußerungen nichts erfahren würden, bestehe keine Gefahr einer Verfolgung. In Afghanistan gingen mehr als die Hälfte der Afghanen, besonders junge Menschen, nicht in die Moschee und würden zuhause nicht bzw. nicht regelmäßig beten. Die meisten jungen Menschen würden auch keine Bärte tragen. Lediglich in den von den Taliban bedrohten Gegenden seien junge Menschen aus Angst vor den Taliban gezwungen, in die Moschee zu gehen und sich auch Bärte wachsen zu lassen. In Daykundi herrsche jedoch die Regierung, weshalb es reiche, an Khuda zu glauben. Wenn jemand vorgebe an Gott zu glauben, und diesen als Khuda bezeichne, würden die Muslime in Afghanistan nicht annehmen, dass diese Person nicht glaube.

Die Frage B) beantwortete der Sachverständige im Wesentlichen dahingehend, dass es nicht der afghanischen Gepflogenheit entspreche, eine Person, deren Vater getötet wurde, aufzufordern, die Grundstücke von den Mördern zurückzufordern und dabei das Leben zu riskieren. Wenn andere Personen jemanden dazu ermutigen würden, sich für den Tod des Vaters zu rächen, würden sie sowohl eine Straftat nach den afghanischen Strafgesetzen als auch nach der Scharia und der afghanischen Tradition begehen. Selbstjustiz sei strafbar, auch wenn diese in Afghanistan oft vorkomme.

Hinsichtlich der Frage C) wurde zusammengefasst ausgeführt, dass eine präventive Maßnahme, besonders die Tötung einer Person, schwere Konsequenzen für den Täter habe. Er müsse damit rechnen, von der nächsten Erbfolge (des Getöteten) verfolgt zu werden. Außerdem werde eine solche Tat sofort von der Behörde belangt und der Täter werde verhaftet. Jemand, der nicht zu den Mächtigen Afghanistans gehört, werde auf alle Fälle von der Behörde belangt werden. Die Cousins des BF würden nicht zu den mächtigen Personen Afghanistans gehören, zumal sie ansonsten - unter Annahme der Glaubwürdigkeit der Angaben des BF - nicht wegen kleiner Grundstücke ihren Onkel oder ihren Cousin töten würden.

11. Mit Schreiben vom XXXX wurden die Parteien vom Ergebnis der Beweisaufnahme (Sachverständigengutachten, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan) verständigt und ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zehn Tagen eingeräumt.

12. In der Stellungnahme vom XXXX führte der BF im Wege seiner ausgewiesenen Vertreter zum Sachverständigengutachten im Wesentlichen aus, das BVwG gehe selbst in seinen (auszugsweise zitierten) Entscheidungen davon aus, dass Konversion als Apostasie betrachtet und mit dem Tode bestraft werde. Ergänzend wurden auszugsweise diverse Länderberichte zitiert, welche die Situation von Konvertiten in Afghanistan thematisieren. Im Hinblick auf Blutfehden in Afghanistan wurde auf ein im Juni 2016 veröffentlichtes Expertengespräch des Institutes ACCORD verwiesen. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass sich das Phänomen der Blutrache insgesamt verstärkt habe. Es sei schwer, sich den Aufrufen zur Blutrache zu entziehen, zumal es um soziale Beziehungen gehe, die dann greifen würden. Zur allgemeinen Sicherheitslage wurden auszugsweise diverse Berichte angeführt, wonach u.a. im Süden, Südosten und Osten des Landes die Präsenz der ANSF hauptsächlich auf die Distriktzentren limitiert sei, was weite Teile der Bevölkerung ohne Schutz lasse. Daneben werde die Sicherheitslage durch steigende Kriminalität, die Rivalitäten lokaler Machthaber sowie tribale Spannungen beeinträchtigt (SFH: Afghanistan Update, die aktuelle Sicherheitslage vom 13.09.2015).

13. Mit Schreiben vom XXXX wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt zu Afghanistan mit letzter Kurzinformation vom 29.10.2018, die UNHCR-Richtlinien samt Anmerkungen, der EASO-Bericht Netzwerke Afghanistan mit Stand Jänner 2018, Auszüge aus der EASO Country Guidance mit Stand Juni 2018, Auszüge aus den Gutachten von Dr. Rasuly zur Situation der Hazara, Information zur IOM Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung sowie das Gutachten von Dr. Karl Mahringer zur Rückkehrsituation vom 30.08.2018 zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt. Diese Frist ließ der BF ungenützt verstreichen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der nunmehr volljährige BF ist afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Muslim und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er wurde in der Provinz XXXX geboren, verließ Afghanistan im Alter von einem Jahr und lebte in der Folge mit seiner Familie im Iran. Es kann nicht festgestellt werden, warum die Familie des BF Afghanistan verlassen hat. Die Mutter des BF, seine zwei Schwestern und sein Bruder leben nach wie vor im Iran. Der BF pflegt regelmäßigen Kontakt zu ihnen.

1.2. Am XXXX stellte er nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.3. Dem BF wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX, Zl. XXXX, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund der von ihm vorgebrachten Fluchtgründe - konkret aus Furcht vor Verfolgung durch seine in XXXX wohnhaften Cousins, welche seinen Vater ermordet hätten - den Iran verlassen hat. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan der realen Gefahr einer Verfolgung durch seine Cousins ausgesetzt wäre.

1.5. Der Beschwerdeführer ist gottesgläubig und bezeichnet den Gott, an welchen er glaubt, als "Khoda" bzw. "Khuda". Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber sämtlichen Religionen hat er sich nicht zur Gänze vom Islam abgewandt. Über seine Zweifel und seine Kritik gegenüber dem Islam informierte er weder seine Freunde noch seine Familie oder tat dies auf andere Weise öffentlich kund.

Im Zuge seines Aufenthalts im Bundesgebiet setzte sich der BF mit dem Christentum oberflächlich auseinander, indem er christliche Gemeinschaften besuchte und an Veranstaltungen teilnahm. Er entschied jedoch, dass er sich dieser Religion nicht zugehörig fühle und daher auch nicht konvertieren wolle. Über seine Auseinandersetzung mit dem Christentum informierte er, abgesehen von den Personen, die ihn zu den Treffen begleiteten, weder seine Freunde noch seine Familie.

Personen, die sich als gottesgläubig bezeichnen und erklären, an "Khuda" zu glauben, werden in Afghanistan als Muslime

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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