TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/13 W263 2166563-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2019
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Entscheidungsdatum

13.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W263 2166563-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Christina KERSCHBAUMER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Georg BÜRSTMAYR, Hahngasse 25/5, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2017, Zl. 1085187100-151156184, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.11.2017, 21.08.2018 und 22.01.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 21.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Bei seiner Erstbefragung am 01.09.2015 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zusammengefasst an, er sei in XXXX, XXXX, Ghazni, Afghanistan, geboren. Er sei ledig, seine Muttersprache sei Dari, er spreche auch Farsi und beherrsche beides in Wort und Schrift. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er habe ungefähr drei bis vier Jahre die Grundschule in XXXX (Anm.: Iran) besucht. Als Familienangehörige im Herkunftsstaat oder anderem Drittstaat gab der BF seine Mutter, seinen Bruder und seine Schwester an, alle derzeit aufhältig in XXXX, Iran. Sein Vater sei bereits vor sechs bis XXXX Jahren verstorben. Er habe als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seit seinem

XXXX oder XXXX Lebensjahr lebe er in XXXX, Iran.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, seine Eltern haben Afghanistan aufgrund des Krieges und der unsicheren Lage verlassen. Weiters führte der BF zu den schlechten Lebensbedingungen im Iran aus. Die iranischen Behörden haben ihn bereits einmal nach Afghanistan abgeschoben. Aus Angst um sein Leben habe er flüchten müssen.

3. Mit Verfahrensanordnung vom 08.01.2016 stellte das BFA unter Zugrundlegung des eingeholten Sachverständigengutachtens vom 07.11.2015 als errechnetes "fiktives" Geburtsdatum des BF den XXXX fest.

4. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.06.2017 zusammengefasst weiter an:

Er habe weder afghanische noch iranische Identitätsdokumente und könne sich solche auch nicht besorgen.

Es sei Krieg gewesen, als seine Eltern in den Iran geflohen seien. Ob ihre Geschwister noch leben oder geflohen seien, könne er nicht sagen. Vielleicht seien sie nach Pakistan geflohen. Seine Mutter sei Waisenkind und sei von anderen Personen aufgezogen worden. Sie wüssten nicht, wo die Geschwister seines Vaters seien.

Seine Mutter arbeite in der Landwirtschaft. Er habe XXXX Jahre lang eine afghanische Schule besucht; seine Muttersprache sei Dari und könne der BF lesen und schreiben. Der BF habe hier in der Schule auch etwas Englisch gelernt.

Er habe nach der Schule und an Feiertagen Hilfstätigkeiten an der Arbeitsstelle seiner Mutter verrichtet bzw. der Mutter geholfen. Nach Ende der Schule habe er zwei Jahre lang unregelmäßig als Hilfsarbeiter als Maurer oder als Fliesenleger gearbeitet.

Er stehe über XXXX und XXXX in Kontakt mit seiner Schwester. Seiner Familie gehe es gut. In Österreich habe er keine nahen Angehörigen oder Verwandte.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an: Seine Eltern seien, als er sieben Jahre alt gewesen sei, wegen des Krieges und der Unruhen in den Iran geflohen. Seine Eltern hätten geglaubt, im Iran könnten sie ein besseres und leichteres Leben führen. Der BF führte eingehend zu den schlechten Lebensbedingungen im Iran aus.

Drei bis vier Monate bevor er nach Europa gekommen sei, sei er von der iranischen Polizei festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Nach seiner Rückkehr in den Iran habe er gemerkt, dass er dort nicht mehr bleiben könne. Der Weg von Afghanistan in den Iran sei sehr gefährlich; dort seien die Taliban, Räuber und andere Kriminelle.

Die Situation sei nicht ideal für ihn und deshalb habe er in ein sicheres und besseres Land gehen wollen, um zu leben. Dann sei er Richtung Europa gekommen. Das sei alles.

Bei der angeführten Abschiebung sei er in die Stadt XXXX geschickt worden.

Seine Mutter habe ihm vom Krieg in Afghanistan erzählt. Es sei eine schreckliche Situation gewesen. Die Taliban seien gekommen und hätten Menschen umgebracht. Es sei Krieg gewesen, die Taliban seien gekommen und es habe Unruhen gegeben.

Nach Afghanistan sei er nicht zurückgekehrt bzw. dort geblieben, weil er dort niemanden habe und weil er auf Grund seines Aufwachsens im Iran einen so markanten Akzent habe. Er habe wieder im Iran bei seiner Familie seien wollen.

In XXXX sei er vier Tage und Nächte in einem Hotel gewesen.

In Afghanistan sei man ohne Beziehungen durch Kriminelle und Taliban gefährdet. Falls man nicht von den Taliban getötet werde, finde man keine Arbeit und keinen Platz. Seit er in Europa sei, könne er den Unterschied erkennen: welche Rechte und Freiheiten die Menschen hier hätten.

Befragt, ob es in Afghanistan eine konkrete, gezielte Verfolgung seiner Person alleine aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara gegeben habe, gab der BF an: seiner Person direkt nicht, aber seiner Familie. Weil sie Hazara seien, hätten sie Probleme mit den Taliban gehabt und seien in den Iran geflohen. Die Taliban und der IS würden Busse anhalten und darin befindliche Hazara umbringen.

Als man ihn nach Afghanistan zurückgeschickt habe, seien sie auf dem Rückweg in den Iran an der Grenze zu Pakistan von Taliban angegriffen worden. Sie hätten Geld bezahlen müssen und hätten gehen können. Befragt, woher er wisse, dass es sich um Taliban gehandelt habe, gab der BF an: Die Angreifer hätten ein verbundenes Gesicht gehabt und in die Luft geschossen. Sie hätten sich auf den Boden legen müssen. Alle haben gesagt, es habe sich um Taliban gehandelt. Die Angreifer seien eine Gruppe gewesen; sie hätten sich ihr Leben zurückgekauft.

Weiters gab der BF befragt nach seiner Religionszugehörigkeit an, dass er schiitischer Moslem sei.

Seine Eltern hätten einen Konflikt mit den Taliban gehabt. Das sei auch sein Konflikt gewesen.

Er sei gesund.

In Afghanistan kenne er niemanden und er habe dort keine Arbeit. Als Hazara werde er von den Taliban und den IS-Kämpfern bedroht.

Am 03.07.2017 langte beim BFA eine Stellungnahme des im Rahmen des Parteiengehörs ein.

5. Mit Bescheid vom 07.07.2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

6. Mit Verfahrensanordnung vom 10.07.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

7. Der BF erhob gegen den oben genannten Bescheid im Wege seines nunmehrigen Rechtsvertreters fristgerecht Beschwerde, welche am 25.07.2017 beim BFA einlangte und in der Folge an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde.

8. Mit Schreiben vom 07.11.2017 äußerste sich der BF zu den mit der Ladung für die mündliche Beschwerdeverhandlung am 13.11.2017 übermittelten Länderberichten und brachte weitere Bescheinigungsmittel sowie Länderberichte in Vorlage.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.11.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher - auf Wunsch des BF für die Sprache Farsi - beigezogen wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Den Parteien wurde eine zweiwöchige Frist zwecks Erstattung einer Stellungnahme zu den Länderberichten eingeräumt.

10. Am 17.11.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein. Weiters legte der BF in der Folge verschiedene Unterlagen vor, darunter einen Bericht der Salzburger Nachrichten vom 26.11.2017; den Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments vom 11.12.2017; eine Bestätigung des XXXX vom 18.12.2017, dass der BF kein Mitglied sei; ein Semesterzeugnis einer HTL in XXXX, ein Kurzmitteilung der XXXX vom 12.02.2018, wonach der BF an einer depressiven Reaktion leide (diesbezüglich wurde auch ein Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Klärung der Existenz, Art und Schwere einer psychischen Beeinträchtigung und der dafür notwendigen Therapie beantragt), Integrationsunterlagen und das Gutachten von

XXXX vom 28.03.2018 (diesbezüglich wurde u.a. auch beantragt, XXXX gemäß § 52 Abs 2 AVG als [nichtamtliche] Sachverständige zu bestellen und diese zur Erörterung und allenfalls mündlichen Ergänzung oder Präzisierung ihres Gutachtens zu laden) und erstattete diesbezügliches Vorbringen.

11. Mit Eingabe vom 17.07.2018 wurde zusammengefasst vorgebracht, dass der BF eine asylrelevante Verfolgung befürchte, weil er sich zu einer areligiösen bzw. atheistischen Glaubensüberzeugung bekenne, welche Apostasie bedeuten würde. Diese sei bislang nicht erörtert worden, sodass der Antrag gestellt werde, den BF zu seinem Glaubensbekenntnis zu befragen. Der BF sei im Frühjahr auf die "AXXXX" gestoßen und sei aktives Mitglied. Weiters wurde beantragt, die Zeugin XXXX (erneut) zur der (nunmehr) areligiösen Einstellung zu befragen.

Der Eingabe vom 17.07.2018 angeschlossen wurde u.a. eine Eintrittserklärung vom 02.06.2018 in die religiöse Bekenntnisgemeinschaft "XXXX". Weiters beigelegt wurde ein Schreiben der Zeugin XXXX, in welchem die "Entscheidungsgründe für Atheismus" des BF angeführt seien.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.08.2018 erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Farsi beigezogen und die beantragte Zeugin XXXX (erneut) einvernommen wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

13. Mit Schreiben vom 03.09.2018 verwies der BF auf UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchsuchender des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 30.08.2018 und führte dazu näher aus. Mit Schreiben vom 10.10.2019 brachte der BF weitere Länderberichte in Vorlage.

14. Mit Beweismittelvorlage vom 14.12.2018 wurde u.a. eine Kopie einer Bestätigung von Mag. Mag Wilfried Apfalter, BA BA in seiner Funktion als Präsidiumsmitglied der XXXX und XXXX vom 12.12.2018 vorgelegt und zum Beweis für die behauptete atheistische Überzeugung des BF und der damit verbundenen Abkehr vom Islam beantragt, XXXX als Zeuge zu befragen.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.01.2019 erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Farsi beigezogen und drei Zeugen einvernommen wurden. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung erneut nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der nunmehr volljährige BF führt den Namen XXXX, geb. am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekannte sich zumindest bis zum November 2017 zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi. Der BF beherrscht Dari und Farsi in Wort und Schrift. Der BF verfügt auch über geringe Englischkenntnisse.

Der BF ist nicht verheiratet oder verlobt, er hat keine Kinder.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX (XXXX) im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni.

Der BF lebte ungefähr bis zu seinem XXXX Lebensjahr in Afghanistan. Der BF reiste dann mit seiner Familie in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich aufhältig war. Im Iran lebte der BF bis zu seiner Ausreise nach Europa in XXXX. Der BF besuchte dort ungefähr vier Jahre lang eine afghanische Schule. Er arbeitete zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern gelegentlich in der Landwirtschaft im Hilfsbereich und später zwei Jahre lang unregelmäßig als Hilfsarbeiter im Baubereich (Maurer- bzw. Fliesenlegerarbeiten).

Ungefähr drei Monate vor seiner Ausreise nach Europa war der BF nach einer Abschiebung für kurze Zeit (ungefähr vier Tage) in Afghanistan, in der Stadt XXXX aufhältig, bevor er wieder in den Iran zurückkehrte.

Seine Mutter, seine Schwester und sein jüngerer Bruder leben unverändert in XXXX, Iran. Seine Geschwister sind dort erwerbstätig. Der BF steht im regelmäßigen Kontakt mit seiner Schwester im Iran.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 21.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der BF persönlich ist in Afghanistan keiner physischer und/oder psychischer Gewalt durch die Taliban oder den IS oder anderer ausgesetzt.

Weiters ist konkret der BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. aufgrund einer schiitischen Glaubensrichtung in Afghanistan - konkret auch in seiner Heimatprovinz Ghazni oder den Städten XXXX oder Mazar-e Sharif - keiner gegen seine Person gerichteten psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt bzw. hat er eine solche im Falle seiner Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Damit im Zusammenhang stehend ist ebenso wenig jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan und konkret in der Provinz Ghazni oder den Städten XXXX oder Mazar-e Sharif physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Konkret der BF ist auf Grund der Tatsache, dass er sich im Iran und in Europa aufgehalten hat und damit einhergehend "westlicher" orientiert ist, in Afghanistan keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt bzw. hat er (oder jeder derartige "Rückkehrer") eine solche im Falle seiner Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.

Der BF wurde als schiitischer Muslim sozialisiert. Der BF nahm am 04. und 05.08.2016 am Werte- und Orientierungskurs des XXXX und am 05.11.2016 am Workshop "XXXX" teil. Der BF bekannte sich im verwaltungsbehördlichen Verfahren und auch in der Beschwerdeverhandlung am 13.11.2017 weiterhin ausdrücklich zum schiitischen Glauben, wenn er diesen zu diesem Zeitpunkt auch nicht streng lebte.

Wenngleich sich der BF bereits zuvor u.a. für die österreichische Kultur, Brauchtümer und religiöse Feste interessierte und auch in katholischen Kirchen war, entfaltete er atheistische Interessen bzw. Aktivitäten in Zusammenhang mit einer atheistischen bzw. areligiösen Einstellung erst nach der Beschwerdeverhandlung am 13.11.2017. Der BF stieß ungefähr im Frühjahr 2018 auf die "XXXX" und ist seitdem in Kontakt mit ihr. Seit Juni 2018 ist er Mitglied und bringt sich auch ein. Dies vorrangig durch den Besuch des monatlichen Stammtisches bzw. durch einen schriftlichen Beitrag, wenn er diesen wie zuletzt nicht besuchen kann.

Der BF übt derzeit den schiitischen Glauben nicht aus und hat sich auch emotional von ihm distanziert. Der BF hat seine Religionszugehörigkeit aber nicht aus ideellen Gründen gezielt aufgegeben und abgelegt und ist eine atheistische bzw. areligiöse Überzeugung auch kein wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden bzw. versteht er seine Konfessionslosigkeit nicht als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, die er auch in Afghanistan leben wird.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der BF atheistischen bzw. areligiöse Interessen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (losgelöst vom hier gegenständlichen Verfahren) weiter nachkommen würde oder diese bzw. eine Konfessionslosigkeit nach außen zur Schau tragen würde. Es ist nicht davon auszugehen, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des BF von einer atheistische bzw. areligiöse Überzeugung oder eine Konfessionslosigkeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würde oder bereits erlangt hätten.

Der BF hat keine persönlichen (sozialen oder familiären) Anknüpfungspunkte in Afghanistan und verfügte nie über Dokumente seines Herkunftsstaates oder iranische Dokumente. Die Familie des BF - bestehend aus seiner Mutter, seiner Schwester und seinem jüngeren Bruder - lebt schon seit vielen Jahren in XXXX, Iran. Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer atheistische bzw. areligiöse Überzeugung bzw. eines Abfalls vom islamischen Glauben oder Konfessionslosigkeit psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

Insgesamt ist der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Eine Rückkehr des BF in seine Heimatprovinz Ghazni ist nicht möglich.

Dem BF steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten XXXX und Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der BF hat sich vor seiner letzten Ausreise nur kurz in XXXX und noch nie in Mazar-e Sharif aufgehalten. Der BF kann XXXX und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF ausschließen könnten, liegen nicht vor. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Der BF leidet an einer depressiven Reaktion, einer posttraumatischen Belastungsstörung und nimmt Antidepressiva und Schlafmittel bei Bedarf. Er besuchte ab ungefähr Februar 2018 auch ein- bis zweimal im Monat Psychotherapiestunden, aber derzeit nicht mehr. Der BF ist mobil, anpassungsfähig und befindet sich im erwerbsfähigen Alter. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des BF.

Der BF liefe im Falle einer Rückkehr nach XXXX oder Mazar-e Sharif keiner Gefahr grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in XXXX oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen.

Die kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sind dem BF vertraut. Er besuchte mehrere Jahre lang eine afghanische Schule im Iran, arbeitete im Iran und beherrscht Dari und Farsi in Wort und Schrift. Er verfügt auch über geringe Englischkenntnisse.

Im Übrigen hat der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

1.4. Zum Leben in Österreich

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er auch in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit den dortigen Behörden. Er ist kein Mitglied einer politischen Partei und war auch sonst nicht politisch aktiv.

Der BF hält sich seit August 2015 in Österreich auf. Er hat keine Familienangehörige bzw. Verwandte in Österreich. Der BF hat in Österreich afghanische und österreichische Freunde, darunter Frau XXXX und lebt ungefähr seit August 2017 mit einem österreichischen Freund, Herrn XXXX, dem Neffen Frau XXXX, in einer Wohngemeinschaft in Wien.

Der BF besuchte zwischenzeitlich Kurse, darunter u.a. Werte und Orientierungskurs am 04. und 05.08.2016 sowie Deutschkurse und absolvierte Deutschprüfungen (höchstes in Vorlage gebrachtes Zertifikat: Niveau B1) sowie weitere Prüfungen (vor allem im Zusammenhang mit dem Pflichtschulabschluss bzw. Schulbesuch).

Er treibt in seiner Freizeit Sport. Er trainierte zumindest von XXXX mit der Kampfmannschaft des XXXX und ist Mitglied in einem XXXX und trainierte auch in einem Fitness-Club. Darüber hinaus nahm er am XXXX über 10 km teil sowie am XXXX.

Der BF ist nicht erwerbstätig. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er bewirbt sich (Lehrstelle in Mangelberufen) und war ab Juli 2018 XXXX auf Werkvertragsbasis tätig, mit einem maximalen Verdienst von 110 Euro im Monat. Der BF ist freiwillig tätig: So war er ab XXXX mehrere Monate lang gemeinnützig für die XXXX tätig. Der BF hat von XXXX bis XXXX an einem gemeinnützigen Projekt im Bereich Abfallservice der Stadt XXXX im Ausmaß von 120 Stunden teilgenommen. Weiters hat er am Projekt XXXX teilgenommen.

Der BF besuchte ab September 2016 einen zweisemestrigen Lehrgang zur Erlangung des Pflichtschulabschlusses (der Lehrgang umfasst die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Berufsorientierung und zwei Fachbereiche im Ausmaß von 1040 Unterrichtseinheiten), absolvierte in dessen Rahmen Prüfungen und besucht seit Herbst 2017 eine HTL in XXXX für Berufstätige.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 in der Fassung vom 23.11.2018 (verbliebene Fehler im Original, Nummerierung geändert):

"1.5.1.1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul ...

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern ...

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

...

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

...

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

...

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 ...

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

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Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

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Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

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KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan ...

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018; ...

Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).

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1.5.1.2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

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• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

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Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

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• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

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Zivilist/innen

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Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009- 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht- ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

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Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen

125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

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Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung u

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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