TE OGH 2019/1/22 10Ob112/18w

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Veröffentlicht am 22.01.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. G*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wirtschaftskammer Wien, 1010 Wien, Stubenring 8–10, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 26.395,32 EUR sA und Feststellung (5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2018, GZ 14 R 58/18d-16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin wurde in dem vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien zu 21 Cgs 3/13p geführten Verfahren („Anlassverfahren“) von Arbeitnehmern der beklagten Kammer rechtsfreundlich vertreten.

Mit Urteil vom 6. 10. 2014 wies das Arbeits- und Sozialgericht Wien im Anlassverfahren das auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension über den 31. 12. 2012 hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin, vertreten durch die beklagte Partei Berufung aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung; der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wurde nicht geltend gemacht. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte das erstinstanzliche Urteil und ließ die Revision nicht zu. Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision der Klägerin mit Beschluss vom 7. 6. 2016, 10 ObS 55/16k, zurück.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin gegen die beklagte Kammer Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Rechtsberatung geltend und stellt ein Feststellungsbegehren. Soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich brachte sie vor, wäre im Anlassverfahren in der Berufung auch eine Rechtsrüge erhoben worden, hätte der Oberste Gerichtshof die – von der ständigen Rechtsprechung abweichenden – Vorentscheidungen zu ihren Gunsten abändern und ihr die Berufsunfähigkeitspension zusprechen können. Da ihr infolge dieses Vertretungsfehlers keine Berufsunfähigkeitspension gewährt werde und sie bis auf weiteres (voraussichtlich bis zum Antritt einer Alterspension) als Arbeitslose dem Regime nach dem AlVG unterliege, entstünden ihr erhebliche Einkommenseinbußen.

Die beklagte Partei wendete im Wesentlichen ein, die rechtliche Beurteilung des im Anlassverfahren festgestellten Sachverhalts durch das Arbeits- und Sozialgericht Wien sei richtig. Das Unterbleiben einer (aussichtslosen) Rechtsrüge in der Berufung begründe keinen Vertretungsfehler.

Das Erstgericht wies sowohl das Leistungs- als auch das Feststellungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

In der außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf; insbesondere gelingt es ihr nicht darzulegen, dass die im Anlassverfahren ergangenen Entscheidungen von der ständigen Rechtsprechung abweichen:

1. Im Anlassverfahren wurde festgestellt, dass die 1963 geborene Klägerin von November 1990 bis März 1992 als Chefsekretärin im Tätigkeitsbereich Althaussanierung vorwiegend mit der Erstellung von Ausschreibungsunterlagen, der Angebotskontrolle, der selbständigen Betreuung der Geschäftskorrespondenz und der Kassaführung beschäftigt war und diese Tätigkeiten damals in die Verwendungsgruppe 4 des Gewerbe- oder des Industriekollektivvertrags eingestuft waren. Anschließend war die Klägerin bis zum Jahr 2000 selbständig erwerbstätig. Von 1. 7. 2000 bis 31. 12. 2012 bezog die Klägerin – sechsmal aufeinanderfolgend – eine jeweils auf zwei Jahre befristete Berufsunfähigkeitspension. Durch die lange Absenz vom Arbeitsmarkt entsprachen ihre Kenntnisse, die sie für die Ausübung ihrer Chefsekretärinnentätigkeit aufweisen musste, zum Stichtag (1. 7. 2000) nach Einschätzung der Allgemeinheit nur mehr denjenigen der Beschäftigungsgruppe 3. Die Klägerin war trotz ihrer Gesundheitseinschränkungen noch in der Lage, Tätigkeiten einer Informationsdienstangestellten in Handelsbetrieben, in Ämtern, Behörden und medizinischen Einrichtungen entsprechend den Beschäftigungsgruppen 3 und 2 des Kollektivvertrags für Angestellte in Handelsbetrieben zu verrichten (Auskunftserteilung, Reklamationsbearbeitung, administrative und schematische kaufmännische Bestell- und Lieferscheinbearbeitung etc).

2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen lässt sich dahin zusammenfassen, die im Anlassverfahren tätig gewordenen Gerichte seien zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin jedenfalls auf ihr zumutbare Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 des Handelskollektivvertrags verweisbar sei. Die Verweisung auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 sei weder unter Zugrundelegung des festgestellten sozialen Werts der Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin unter den Verhältnissen zum Stichtag (infolge mehrfacher Weitergewährung ist dies der 1. 7. 2000) noch bei (fiktiver) Zugrundelegung des unveränderten Fortbestehens des sozialen Werts ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten entsprechend der Verwendungsgruppe 4 mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden.

3. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung:

3.1 Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Berufstätige, die ihren Beruf längere Zeit nicht ausgeübt haben, später nur mehr in geringer eingestuften Berufstätigkeiten eingesetzt werden, was bei der Frage der Zumutbarkeit eines sozialen Abstiegs nicht unberücksichtigt bleiben kann. Bei der Lösung der Frage des sozialen Abstiegs ist daher jener Wert entscheidend, den die Allgemeinheit der vorhandenen Ausbildung und den vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten zum Zeitpunkt des Stichtags beimisst („sozialer Wert“; RIS-Justiz RS0084926). Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag kann ein Indiz für die Einschätzung des sozialen Werts sein und daher zur Beurteilung des sozialen Abstiegs herangezogen werden (RIS-Justiz RS0084890 [T3]).

3.2 Auch die Ansicht, selbst bei (fiktiver) Zugrundelegung des unveränderten Fortbestehens des sozialen Werts der Kenntnisse und Fähigkeiten zum Stichtag entsprechend der Verwendungsgruppe 4 sei eine Verweisung auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 für die Klägerin nicht mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden, steht mit der ständigen Rechtsprechung in Einklang, nach der im Rahmen der Verweisung gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige hinzunehmen sind (RIS-Justiz RS0084890 [T9], RS0085599 [T14]). In diesem Sinn ist die Verweisung von Angestellten auch auf Tätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrags in der Regel mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden (RIS-Justiz RS0085727 [T3]). Beispielweise wurde die Verweisung einer überwiegend als Buchhalterin, Lohnverrechnerin und Fakturistin in der Verwendungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für die Angestellten im Handwerk und Gewerbe eingestuften Versicherten auf einfache Sachbearbeitertätigkeiten entsprechend der Beschäftigungsgruppe 3 der Angestelltenkollektivverträge als zulässig angesehen (10 ObS 114/15k).

4. Dass selbst bei (fiktiver) Zugrundelegung des unveränderten Fortbestehens des sozialen Werts der Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin entsprechend der Verwendungsgruppe 4 deren zumutbare Verweisbarkeit auf Beschäftigungen entsprechend der Beschäftigungsgruppe 3 zu bejahen sei, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Inwiefern in einer Rechtsrüge – wenn sie erhoben worden wäre – erfolgreich geltend gemacht hätte werden können, dass im Anlassverfahren doch eine Ausnahme vom Grundsatz der Zulässigkeit einer Verweisung auch auf Tätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe eines (ähnlichen) Kollektivvertrags zu machen gewesen wäre, wird nicht aufgezeigt.

4.1 Die Klägerin hält unter Hinweis auf die Entscheidung 10 ObS 12/14h, SSV-NF 28/13, daran fest, im Hinblick auf das Verbot der Diskriminierung Behinderter (Art 7 Abs 1 letzter Satz B-VG), dürfe sich ein Qualifikationsverlust infolge langer behinderungsbedingter Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, insbesondere während Zeiten des Bezugs von Invaliditätspension, Berufsunfähigkeitspension oder Rehabilitationsgeld nicht zum Nachteil der versicherten Person auswirken. Es hätte daher unbeachtlich bleiben müssen, dass ihre Kenntnisse, die sie für die Ausübung ihrer Chefsekretärinnentätigkeit benötigte, infolge ihrer langen Absenz vom Arbeitsmarkt, herabgesunken sind und zum Stichtag nur mehr der Beschäftigungsgruppe 3 entsprochen haben.

4.2 Dazu ist vorerst darauf hinzuweisen, dass eine Feststellung, wonach die Klägerin im Jahr 1992 ihre Angestelltentätigkeit krankheitshalber oder behinderungsbedingt zugunsten einer selbständigen Erwerbstätigkeit aufgeben musste, nicht besteht. Soweit die Revisionswerberin ihr Vorbringen darauf aufbaut, dass ihre Abwesenheit vom Arbeitsmarkt ab dem Ende ihrer Angestelltentätigkeit bis zum Stichtag und das damit einhergehende Absinken der Qualifikation eine Folge ihrer Berufsunfähigkeit sei, entfernt sie sich somit vom festgestellten Sachverhalt. Weiters setzen sich die Revisionsausführungen darüber hinweg, dass bei Beurteilung der Zumutbarkeit des sozialen Abstiegs auf den Stichtag 1. 7. 2000 abzustellen war und somit ohnedies nur die vor diesem Stichtag liegende Absenz vom Arbeitsmarkt berücksichtigt wurde, während sämtliche nach diesem Stichtag liegenden Zeiten des Bezugs einer (jeweils) befristeten Berufsunfähigkeitspension außer Betracht blieben.

4.3 Im Übrigen ist der Revision entgegenzuhalten, dass bei der Beurteilung des sozialen Abstiegs nach ständiger Rechtsprechung nicht jene Kenntnisse und Fähigkeiten maßgeblich sind, die die Klägerin am Stichtag 1. 7. 2000 noch besaß, sondern (abstrakt) darauf abzustellen ist, welchen noch vorhandenen Wert die Allgemeinheit den von der Klägerin seinerzeit erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten beimisst („sozialer Wert“ – siehe oben Pkt 2.1). Dies wird damit begründet, dass es andernfalls zu einer Benachteiligung jener Versicherten käme, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht mehr in der Lage sind, der vor dem Stichtag ausgeübten Tätigkeit weiterhin nachzugehen, weil der Verlust von Kenntnissen und Fähigkeiten in der Regel gerade auf den geistigen und körperlichen Zustand des Versicherten zum Zeitpunkt des Stichtags zurückgeht (10 ObS 137/14s, SSV-NF 28/76). Auf diese Weise wird selbst im Fall einer krankheitshalber oder behinderungsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsmarkt eine gleichheitswidrige Diskriminierung vermieden.

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Textnummer

E124342

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00112.18W.0122.000

Im RIS seit

21.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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