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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des 1974 geborenen N G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Mai 1997, Zl. 121.785/2-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte am 14. Mai 1996 bei der österreichischen Botschaft in Ankara einen als "Erstantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehegattin.
Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag mit Bescheid vom 5. Jänner 1997 mangels einer gesicherten Unterkunft (sowie mangels eines gesicherten Lebensunterhaltes) für die Geltungsdauer der Bewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Begründend wurde ua. ausgeführt, in Wien liege die durchschnittliche Wohnnutzfläche bei 33 m2 pro Person. 3,4 % der in Wien lebenden österreichischen Staatsbürger verfügten über eine Wohnfläche von weniger als 10 m2 (österreichweit seien es nur 0,83 %), sodass die Bemessung einer ortsüblichen Unterkunft nicht nach dieser "vernachlässigbaren Minderheit, sondern der überwiegenden Mehrheit der österreichischen Bevölkerung" zu erfolgen habe. Die Nutzfläche der vom Beschwerdeführer als gesicherte Unterkunft angegebenen Wohnung betrage 40,65 m2 und bestehe aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und Vorraum. In dieser Wohnung seien abgesehen von der Ehegattin des Beschwerdeführers noch seine Schwiegereltern sowie sein Schwager aufhältig. Für die Beurteilung der Ortsüblichkeit einer Unterkunft könnten die Richtlinien für die Vormerkung und Vergabe von Gemeindewohnungen herangezogen werden, weil von 870.000 vorhandenen Wohnungen in Wien 250.000 Gemeindewohnungen seien. Ein Anspruch auf eine Gemeindewohnung bestehe laut den Vergaberichtlinien der zuständigen Magistratsabteilung, wenn ein Überbelag bestehe. Dies lasse den Umkehrschluss zu, dass eine Wohnung mit Überbelag in Österreich keine ortsübliche Unterkunft darstelle. Laut den erwähnten Vormerkrichtlinien (der Magistratsabteilung 50) sei eine Unterkunft wie die antragsgegenständliche Wohnung mit zwei Wohn- und Nebenräumen ab drei Personen überbelegt. Im Genehmigungsfall würden jedoch fünf Personen in dieser Wohnung ihre Unterkunft finden.
Eine Klärung, ob das erwähnte Kabinett überhaupt als Wohnraum zu werten sei, sei demnach nicht durchgeführt worden. Bei der Beurteilung einer Unterkunft als ortsüblich sei selbstverständlich auch auf die gesetzlich vorgeschriebenen hygienischen Verhältnisse und im Sinne der Volksgesundheit auf die erforderlichen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen zu achten. Für eine fünfköpfige Familie erschienen diese Voraussetzungen in der antragsgegenständlichen Wohnung, die weder über ein Badezimmer verfüge noch ein WC aufweise, nicht erfüllt. Überdies sei geplant, dass unterschiedliche Generationen in einer "Zimmer-Kabinett-Wohnung" ihre Unterkunft nähmen. Eine Unterkunft könne jedoch für ein junges Ehepaar, das eine Wohnung mit Eltern bzw. Schwiegereltern und Geschwistern bzw. Verschwägerten zu teilen habe, nur dann als ortsüblich erachtet werden, wenn jeder Generation und den Geschwistern bzw. Verschwägerten ein eigener Schlafraum zur Verfügung stehe. Ein von den Schlafräumen getrennter zusätzlicher Wohnraum für gesellschaftliche und kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten sei bei einer Unterkunft, die von zahlreichen Personen bewohnt werde, ebenfalls nicht wegzudenken.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung und brachte vor, die antragsgegenständliche Wohnung werde derzeit von drei Personen bewohnt. Der Schwager des Beschwerdeführers sei ausgezogen und habe sich auch "umgemeldet". Im Falle der Erteilung einer Bewilligung würden demnach vier Personen in der Wohnung wohnen. Da die Wohnung aus zwei Zimmern bestehe, werde für jede Generation, nämlich für den Beschwerdeführer, seine Ehegattin sowie für die Schwiegereltern ein eigener Schlafraum zur Verfügung stehen. Überdies weise die Wohnung ein Badezimmer auf. Nur das WC sei ein "Gang-WC", wie in vielen alten Wiener Häusern. Im Genehmigungsfall würden für jede Person ausserdem mehr als 10 m2 und für jedes Paar ein eigener Schlafraum zur Verfügung stehen.
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 22. Mai 1997 gemäß § 5 Abs. 1 AufG ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, die Behörde erster Instanz habe den Antrag mit der Begründung abgewiesen, dass die vom Gesetz verlangte ortsübliche Unterkunft nicht gegeben sei, weil die zur Verfügung stehende Wohnung in Ausstattung und Belag für den dauernden Aufenthalt von fünf Personen nicht ausreiche. Dabei hätte die Behörde auch die allgemeine Wohnsituation in der unmittelbaren Umgebung der angegebenen Wohnung zu berücksichtigen gehabt. Gegen diese Beurteilung habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen eingewendet, dass sein Schwager nunmehr ausgezogen sei. Die Wohnung bestünde aus zwei Zimmern, sodass für jede Generation ein Schlafraum zur Verfügung stünde.
Diese Einwendungen hätten allerdings nicht belegen können, "aus welchen Gründen die Ermessensübung der Behörde bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung gesetzwidrig gewesen wäre". Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, mache es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen. Sei eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so dürfe gemäß § 5 Abs. 1 AufG eine Bewilligung nicht erteilt werden. Diese Beurteilung zeige im Falle des Beschwerdeführers, dass eine ortsübliche Unterkunft nicht vorliege, "auch wenn Sie über einen eigenen Schlafraum verfügen". Es sei davon auszugehen, "dass nach der Durchschnittsbetrachtung der für das Bundesland Wien ortsüblichen Wohnverhältnisse" die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren angegebene Unterkunft "nicht der Ortsüblichkeit entspricht". Diese Erwägung habe auch die Behörde erster Instanz bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit im Bundesland Wien herangezogen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 1. Juli 1997) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.
§ 5 Abs. 1 AufG lautete:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
Weder nach der Aktenlage noch nach dem Beschwerdevorbringen verfügte der Beschwerdeführer jemals über eine Aufenthaltsbewilligung. Sein Antrag war daher nicht als Verlängerungsantrag zu werten. Der angefochtene Bescheid ist demnach auch nicht mit Ablauf des 31. Dezember 1997 gemäß § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 außer Kraft getreten.
Nach der Judikatur desVerwaltungsgerichtshofes steht der Behörde bei der Beurteilung der Frage der Ortsüblichkeit der Wohnung eines Antragstellers kein Ermessen zu. Sie hat diese Frage vielmehr in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Mai 1997, Zl. 95/19/0676, und vom 4. September 1998, Zl. 95/19/1088). Dies verkennt die belangte Behörde, soweit sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die Richtigkeit der "Ermessensausübung der Behörde" (gemeint wohl: der Behörde erster Instanz) bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung verweist. Dieser Hinweis vermag - unabhängig vom dahinter stehenden Entscheidungswillen der belangten Behörde - eine Ermessensentscheidung im Übrigen schon deshalb nicht zu tragen, weil auch die Behörde erster Instanz keine Ermessensentscheidung getroffen hat.
Der Beschwerdeführer hat bereits in seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung die Gesamtnutzfläche der ihm zur Verfügung stehenden Unterkunft in Österreich mit 40,65 m2 angegeben. Überdies wurde im Verwaltungsverfahren präzisiert, dass die ihm zur Verfügung stehende Wohnung aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche, Vorraum sowie einem Bad bestünde. Damit ist der Beschwerdeführer seiner im Verwaltungsverfahren obliegenden Pflicht zur Mitwirkung an der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes hinreichend nachgekommen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, wenn sie die Ortsüblichkeit einer von einem Antragsteller als ihm zur Verfügung stehend angegebenen Wohnung im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG in Zweifel zieht, Feststellungen über die Beschaffenheit der im Antrag angegebenen Wohnung zu treffen. Im vorliegenden Fall wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen festzustellen, ob in der angegebenen Wohnung für den Beschwerdeführer und seine Ehegattin sowie für seine Schwiegereltern jeweils eine abgetrennte Schlafmöglichkeit besteht. Ebenso wäre zu ermitteln und darzulegen gewesen, ob Inländer mit vergleichbarer Familienstruktur und sozialer Schichtung in vergleichbaren Wohngegenden (Bezirksteilen) zu einem noch ins Gewicht fallenden Anteil vergleichbare Wohnungen so nutzen, wie es der Beschwerdeführer mit seiner Familie beabsichtigt (vgl. dazu grundlegend die hg. Erkenntnisse vom 28. Februar 1997, Zlen. 95/19/0566 bis 0571, vom 21. November 1997, Zl. 96/19/0541, und vom 4. September 1998, Zl. 95/19/1088).
Derartige Feststellungen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, obwohl sie (anscheinend) das Vorhandensein eines eigenen Schlafraumes für den Beschwerdeführer und seine Ehegattin einräumte, unterlassen. Da diese unterlassenen Feststellungen auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Zu keinem anderen Ergebnis würde man gelangen, wenn man den angefochtenen Bescheid so verstehen wollte, dass die belangte Behörde - ohne eine derartige Verweisung ausdrücklich und dem Umfang nach klar vorzunehmen - auf die Feststellungen über die Unterkunft des Beschwerdeführers sowie über die Erwägungen zur mangelnden Ortsüblichkeit im Bescheid der Behörde erster Instanz verwiesen haben sollte. Die Behörde erster Instanz setzte sich zwar mit der allgemeinen Wohnsituation in Wien auseinander, sie hat es aber, entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, ebenfalls unterlassen, die Wohnsituation von Inländern mit vergleichbarer Familienstruktur und sozialer Schichtung in vergleichbaren Wohngegenden bzw. Bezirksteilen, wie oben dargelegt, festzustellen. Ein bloßer Vergleich der Wohnsituation des Beschwerdeführers (nach Erteilung der von ihm angestrebten Bewilligung) mit dem Durchschnitt der Wiener Bevölkerung bzw. mit dem gesamtösterreichischen Durchschnitt trägt dem durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geprägten Verständnis des § 5 Abs. 1 AufG hingegen nicht Rechnung. Gleiches gilt auch für die von der Behörde erster Instanz herangezogenen Vergaberichtlinien des Magistrats der Stadt Wien für Gemeindewohnungen, da diese, zumindest soweit sie im Bescheid der Behörde erster Instanz wiedergegeben werden, ebenfalls nicht nach Familienstruktur und sozialer Schichtung sowie Wohngegenden differenzieren. Im Übrigen ist nicht zu erkennen, weshalb die Zuteilung einer Gemeindewohnung voraussetzt, dass die bisherigen Wohnverhältnisse des Bewerbers für Wien nicht ortsüblich sind.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Umsatzsteuer war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden. Art. 6 Abs. 1 MRK steht dem nicht entgegen.
Wien, am 14. Mai 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997191352.X00Im RIS seit
02.05.2001