TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/18 W168 2185439-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.09.2018
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Entscheidungsdatum

18.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W168 2185439-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2017, Zahl 1016672004/14568279, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.06.2018, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.04.2014 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF und gab die oben angeführte Personalien an.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass sein älterer Bruder in Afghanistan ein LKW-Fahrer gewesen sei und die Taliban von ihm verlangt hätten, Waffen von Ghandar nach Jales zu transportieren. Da sich dieser jedoch geweigert habe, seien sie von den Taliban mit dem Tod bedroht worden und gezwungen worden, das Land zu verlassen. Sonst hätte er keine weiteren Fluchtgründe.

Eine durchgeführte Eurodac Abfrage ergab eine fremdenrechtlihe Registrierung des Beschwerdeführers in Bulgarien mit Datum 15.03.2014, sowie eine Asylantragstellung des Beschwerdeführers in Bulgarien mit Datum 19.03.2014.

Aufgrund begründeter Zweifel an den angegebenen Altersangaben wurde der BF einer forensischen Altersfeststellung unterzogen. Hierbei wurde mit Gutachten vom 14.06.2014 festgestellt, dass diese ein Mindestalter von 17,5 Jahren zum Zeitpunkt der Untersuchung aufweise und eine Minderjährigkeit des BF für diesen Zeitpunkt nicht mit dem erforderlichen Beweismaß ausgeschlossen werden könne.

Am 27.09.2016 wurden vom bevollmächtigten Vertreter des BF eine Teilnahmebestätigung vom 30.06.2016 über die Absolvierung eines Basiskurses Deutsch/Englisch und Mathematik/IKT, Zeugnis über eine absolvierte Prüfung am 17.12.2015 auf dem Niveau A2, Teilnahmebestätigung über die Bildungsveranstaltung Deutsch als Fremdsprache vom 11.12.2015, vom 27.10.2015, Teilnahmebescheinigung über die Bildungsveranstaltung "Basisbildung" vom 15.07.2015, Prüfungszeugnis "ÖIF-Test" vom 08.05.2015, Teilnahmebestätigung über Deutsch A2 Teil 2 vom 30.04.2015, vom 02.02.2015, Teilnahmebestätigung über Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache-Integrationskurs vom 18.12.2014, 20.11.2014, 16.10.2014, Teilnahmebestätigung vom 05.08.2014 bis 23.09.2014, Teilnahmebestätigung vom 25.11.2016 betreffend die Absolvierung des Vorbereitungslehrganges zum externen Pflichtschulabschluss im Zeitraum von 05.09.2016-31.08.2017, Zertifikat vom 25.10.2016, wonach der BF eine B1 Prüfung befriedigend bestanden habe, vorgelegt.

Am 01.12.2016 wurde vom BF beim BFA eine Säumnisbeschwerde eingebracht.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 03.04.2017, W 247 2149443-1/2E, wurde die Beschwerde des BF gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde kein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung treffe, da diese im Wesentlichen auf unbeeinflussbare und unüberwindliche Hindernisse zurückzuführen sei.

3. Am 26.09.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte der BF aus, dass er Hazara und schiitischer Moslem sei und aus Maidan Wardak stamme. Er spreche Dari, sowie nunmehr Deutsch. Identitätsdokumente könnten nicht in Vorlage gebracht werden. Er sei am 28.04.2014 schlepperunterstützt ins österreichische Bundesgebiet eingereist, bzw. habe für die Schleppung rund 10.000 US-Dollar bezahlt. Der BF habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht oder einen Aufenthaltstitel erhalten. Sein Bruder habe den Entschluss gefasst, das Land zu verlassen und habe auch die Reise organisiert.

Zur Aufforderung, einen Lebenslauf zu schildern, gab der BF zu Protokoll, dass er im Herkunftsstaat ab dem Alter von acht Jahren als Hirte gearbeitet habe und ab dem 15. Lebensjahr als Schweißer tätig gewesen sei. Vor seiner Ausreise habe er mit seinem Bruder, der als Fahrer tätig gewesen sei, in einem großen Haus zusammengelebt. Seine Eltern seien bereits verstorben. Sein Bruder sei im Iran festgenommen worden, da dieser dort illegal aufhältig gewesen sei und keine Arbeitserlaubnis gehabt habe. Der BF habe in Afghanistan nur Kollegen, jedoch keine engeren Freunde. Er sei im Heimatland nicht vorbestraft oder sei inhaftiert gewesen, es bestehe gegen ihn keine Fahndungsmaßnahme und er sei nicht politisch tätig gewesen oder Mitglied einer politischen Partei. Der BF habe im Herkunftsstaat weder Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses, seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder mit Privatpersonen gehabt und an keinen bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF zusammenfassend aus, dass sein Bruder LKW-Fahrer gewesen sei. Dieser sei vor vier Jahren eines Nachts von den Taliban bedroht worden, indem diese ihn aufgefordert hätten, von Kandarhar nach Jalis Waffen zu transportieren. Die Gruppierung habe an das Schlafzimmerfenster geklopft und den Bruder des BF dazu angeleitet, die Tür zu öffnen. Sein Bruder habe überlegt, den Forderungen der Taliban nachzukommen oder das Land zu verlassen und habe sich letztendlich für die Flucht entschieden. Der BF wisse nicht genau, was die Taliban zu seinem Bruder gesagt hätten, sie hätten sich jedenfalls auf Paschtu unterhalten. Er habe Polizei oder Behörden nicht verständigt, da der Bruder des BF befürchtet habe, dass sie die Taliban im Fall der Kontaktaufnahme mit der Polizei ermorden könnten. Der BF könne nicht sagen, woher die Taliban über die Arbeitstätigkeit seines Bruders Bescheid wüssten. Durch seine Anwesenheit im Zeitpunkt der Bedrohung sei der BF ebenfalls davon betroffen gewesen. Der Bruder des BF habe zwar entschieden, dass beide gemeinsam flüchten würden, sei jedoch im Iran festgenommen worden. Der BF habe in Afghanistan keine Bekannten oder Verwandte und habe auch in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, führte der BF aus, dass er derzeit keiner beruflichen Tätigkeit nachgehe und keine Freunde bzw. Bekannte habe. Er lebe von der Grundversorgung und spiele in der Freizeit Fußball. Der BF habe in Österreich zudem weder eine Lebensgefährtin noch Privatbesitz und sei in keinem Verein tätig. Zum Vorhalt, dass er laut Strafregister vorbestraft sei, entgegnete der BF, dass dies eine Person mit gleichem Namen sei.

In Vorlage wurden Unterstützungserklärungen sowie mehrere Kursbestätigungen bzw. Teilnahmebestätigungen diverser Deutschkurse vorgelegt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchpunkt V.) Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. (Spruchpunkt VI.)

Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz damit im Wesentlichen zu begründen sei, da dem BF nicht gelungen sei, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Der BF habe nicht erklären können, weshalb sein Bruder gut Paschtu spreche und es erscheine zudem nicht nachvollziehbar, woher die Taliban wissen hätten können, dass der Bruder des BF ein LKW-Fahrer sei, da sie diesen für die Flucht hätten verwenden können, anstatt zu Fuß zu gehen und ein Taxi aufzusuchen. Es erscheine nicht glaubwürdig, dass der BF und sein Bruder ohne den Verkauf von Grundbesitz bzw. des Hauses über dermaßen viel Barmittel verfügen hätten können. Ebenfalls scheine die Reaktion des Bruders des BF aufgrund der Talibanbedrohung nicht kohärent zu sein, da der BF angegeben habe, dass dieser die Drohung zuerst akzeptiert habe. Wäre von den Taliban eine tatsächliche Gefahr ausgegangen, dann hätten beide unverzüglich das Land verlassen und wären nach Kabul gegangen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb weder der BF noch sein Bruder staatliche Hilfe in Anspruch genommen hätten, obwohl ihm diese zur Verfügung gestanden wäre. Weiters erscheine nicht glaubwürdig, dass der BF den Kontakt zu seinem einzigen Familienmitglied im Iran verloren habe, da dieser die gesamte Reise nach Europa organisiert habe. Insgesamt seien die Schilderungen bezüglich der Flucht des BF sehr vage und detailarm, weshalb die Behörde in einer Gesamtschau der Ausführungen nicht von einer glaubwürdigen Darstellung in Bezug auf sein Fluchtvorbringen aus. Es bestehe vielmehr der Eindruck, dass es sich beim Vorbringen des BF nicht um tatsächlich erlebte Ereignisse, sondern vielmehr um ein auf die Erlangung von Asyl ausgerichtetes Konstrukt handle.

Hinsichtlich der Sicherheits-und Versorgungslage in Afghanistan wurde ausgeführt, dass festzuhalten wäre, dass sich diese in Teilen des Landes als prekär darstellen und asylrelevant sein könnte. Es sei jedoch auch festzuhalten, dass eine derartige Gefährdung nicht für das gesamte Gebiet Afghanistans festzustellen sei. Es werde nicht verkannt, dass es sich bei Maidan Wardak um eine volatile Provinz Afghanistans handle. Es sei dem BF jedoch durchaus zumutbar, sich in einer sicheren Gegend wie Kabul niederzulassen. Aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in Afghanistan und des Umstandes, dass es sich beim BF um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung handle, sei davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würde. Die Behörde sei somit zur Ansicht gelangt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass dem BF im Falle der Abschiebung nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK drohe. Eine Rückführung nach Kabul sei ihm somit zumutbar. Der BF habe keine Familienangehörigen oder andere besonders enge Beziehungen im Bundesgebiet. Es liege somit kein im Sinne von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Der BF spreche und verstehe teilweise bereits die deutsche Sprache und habe in Österreich Deutschkurse besucht. Seine sozialen Interessen in Österreich würden aus Fußball spielen und Fahrrad fahren bestehen. Der BF sei in keinen Vereinen tätig und gehe keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Er halte sich seit dem 30.04.2015 in Österreich auf und habe nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens verfügt. Der BF verfüge über stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat: Er habe dort mehr als 17 Jahre gelebt und spreche eine Landessprache als Muttersprache. Er sei 10 Jahre einer Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Im Gegensatz dazu sei der BF in Österreich schwächer integriert: Er habe an Deutschkursen teilgenommen, habe bisher nicht gearbeitet, sei in keinem Verein und auch nicht ehrenamtlich tätig. Sein soziales Umfeld ergebe sich aus Beziehungen zu Personen in seiner Asylunterkunft. Seine Beziehung zu seinen Freunden könne keine stärkere Bindung zu Österreich als zu seinem Herkunftsstaat herstellen. Die deutsche Sprache beherrsche der BF zum Teil und seinen Lebensunterhalt bestreite der BF im Rahmen der Grundversorgung. Eine darüber hinausgehende Integration sei nicht hervorgekommen, die kurze Aufenthaltsdauer und die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit würden gegen eine verfestigte Eingliederung sprechen. Bei einer Abwägung der öffentlichen Interessen mit den privaten Interessen wäre im gegenständlichen Verfahren den öffentlichen Interessen der Vorzug zu geben und der Eingriff in das Privatleben nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Dies auch, da der Beschwerdeführer durch seine illegale Einreise gegen das öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens verstoßen hat. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wäre nicht zu erteilen und aus diesen Gründen sei eine Rückkehrentscheidung nach §9 Abs. 1 -3 BFA - VG zulässig.

5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb dem Vorbringen des BF von der Erstbehörde keine Glaubwürdigkeit zugemessen worden sei. Er habe in seiner Erstbefragung sowie in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausführlich, ob in freier Erzählung oder auf Nachfrage, zu seinen Asylgründen Stellung genommen. Durch die Vorlage von Dokumenten und Beweismitteln habe er versucht, zur Feststellung seiner Identität sowie zur Wahrheitsfindung hinsichtlich der von ihm vorgebrachten Fluchtgründe beizutragen. Es werde noch einmal betont, dass der BF nicht wisse, woher sein Bruder Paschtu sprechen könne. Zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan sei noch anzuführen, dass diese entgegen der Behauptungen der Erstbehörde in ganz Afghanistan nach wie vor instabil und volatil sei. Wie der BF bereits ausgeführt habe, würden sich in Afghanistan keine Angehörigen mehr befinden. Die Argumentation der Erstbehörde, dass sich der Bruder des BF im Iran befinde, gehe ebenfalls ins Leere, da der BF in seiner Befragung ausgeführt habe, dass der Bruder im Iran verhaftet worden sei und er nichts über seinen weiteren Verbleib wisse. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, etwa in anderen Provinzen, stehe dem BF nicht zur Verfügung. UNHCR empfehle, dass es bei einer Rückkehr ein starkes soziales Netz im vorgeschlagenen Gebiet der Neuansiedelung geben müsse. Dabei sollte eine Zumutbarkeitsprüfung aufgrund des konkreten Einzelfalles stattfinden. Diese Prüfung habe die belangte Behörde unterlassen, weswegen das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet sei. Im gegenständlichen Fall könne daher unter Berücksichtigung des den BF betreffenden individuellen Umstands nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden. Die Rückkehr des BF nach Afghanistan erscheine daher derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar. Sollte dem Vorbringen des BF schon keine Asylrelevanz zugemessen werden, so wäre ihm aus angeführten Gründen jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weil im Falle der Abschiebung nach Afghanistan aufgrund der geschilderten Probleme eine reale Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK drohe. Zu Spruchpunkt III sei noch anzuführen, dass der BF laufend Deutschkurse besuche und viele Freunde in Österreich gefunden habe. Er spiele Fußball, gehe ins Schwimmbad und sei redlich bemüht, sich zu integrieren. Der BF habe in Österreich bereits einen Pflichtschulabschluss gemacht. Das entsprechende Zeugnis werde zur Bestätigung der Bestätigung angefügt. Er habe auch schon einige Bewerbungen für eine Schweißerlehre abgegeben.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 03.02.2018, beim BVwG am 07.02.2018 eingelangt, vom BFA vorgelegt.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.06.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Zu seinen Lebensumständen in Afghanistan befragt, erklärte der BF, dass er im Kindesalter als Hirte und in weiteren Verlauf seines Lebens als Schweißer gearbeitet habe und nach einer gewissen Zeit ungefähr 4000 Afghanis verdient habe. Sein Bruder habe sein Einkommen und die gemeinsame Wohnung verwaltet, welche in der Provinz Maidan Wardak gelegen sei. Der BF habe in Afghanistan nunmehr keine familiären Anknüpfungspunkte, da sein mitgereister Bruder während seines Aufenthaltes im Iran festgenommen worden sei.

Zu seinem Fluchtgrund befragt führte der BF während der Verhandlung vor dem BVwG zusammenfassend aus, dass er im Heimatland als Schweißer gearbeitet habe, sein Bruder als Chauffeur tätig gewesen sei. Eines Tages hätten die Taliban dem Bruder des BF vorgeschlagen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und Waffenlieferungen von Kandarhar nach Djalrez abzuwickeln. Da sein Bruder mit den Taliban Paschtu gesprochen habe, habe der BF die Unterredung nicht verstanden. In weiterer Folge habe ihm sein Bruder jedoch berichtet, dass es eine direkte Todesdrohung gewesen sei, wenn sie die gewünschten Anweisungen nicht befolgen würden. Sie hätten sich daher noch in derselben Nacht dazu entschlossen, das Land zu verlassen und seien nach Djalrez gefahren und hätten die Reise von dort aus mit einem Taxi nach Herat fortgesetzt. In Herat habe sein Bruder mit einem Schlepper gesprochen, der sie in den Iran gebracht habe. Zur Frage, ob er jemals direkt bedroht worden sei, erwiderte der BF, dass er zwar nicht persönlich, aber aufgrund des gemeinsamen Haushaltes mit seinem Bruder auch jene Drohungen erhalten habe. Auf Nachfrage, weshalb diese Personen auch aktuell ein Interesse an einer konkreten Bedrohung des BF haben sollten, entgegnete dieser, dass er zwar den genauen Grund nicht kenne, aber es als Tatsache anzunehmen sei, dass sie beide von den Taliban bedroht worden seien. Der BF selbst habe im Gegensatz zu seinem Bruder keinen LKW Führerschein. Zum Vorhalt, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb er für die Taliban ohne LKW Führerschein von besonderem Interesse sein sollte bzw. ihn nunmehr weiterhin bedrohen würde, obwohl sein Bruder bereits geflüchtet sei, erklärte der BF, dass sie ihn nach der alleinigen Flucht seines Bruders nicht am Leben gelassen hätten. Konkrete Beweise dafür habe der BF dafür zwar nicht, jedoch seien die Gründe der Taliban sowieso nicht nachvollziehbar und würden ihn wie viele andere Jugendlichen einfach entführen können. Sie hätten jedoch keine Anzeige bei der Polizei erstattet, da diese nichts hätte unternehmen können.

Befragt, wieso sich der BF nicht in eine der größeren Städte Afghanistans begeben hätten, die stabil unter Regierungskontrolle stehen würden, erklärte der BF, dass es dort einerseits nicht so sicher sei wie man annehme und andererseits, dass sein Bruder damals diese Entscheidung getroffen habe. Auf die Frage, welches immanente Interesse die Taliban hätten, ihn auch in Kabul weiterhin zu verfolgen, erwiderte der BF, dass das Prinzip der Blutrache, nämlich, dass ein Familienmitglied für ein anderes büßen müsse, in Afghanistan weit verbreitet sei. Die geschilderten Bedrohungen hätten zwar bereits 2014 stattgefunden, es gebe jedoch viele Gründe, weshalb der BF nach wie vor gefährdet sei, da die Vorherrschaft der Taliban im Vergleich zu 2014 noch zugenommen habe und die Mitglieder der Terrormiliz den BF und seinen Bruder auch erkennen würden. Auf weitere Nachfrage, wieso er mangels Melderegister dennoch davon ausgehe, in Afghanistan von den Taliban gefunden zu werden, erklärte der BF, dass dies möglicherweise so sei, aber es auch in den größeren Städten Afghanistans jeden Tag Selbstmordanschläge gebe. Er selbst sei im Herkunftsstaat jedoch nicht gefährdeter als die übrige Bevölkerung. Die allgemeine Lage in Afghanistan werde jedoch von Tag zu Tag schlimmer, zudem sei die Wirtschaft insgesamt schlecht und eine große Anzahl an Leuten sei obdachlos. Es sei allgemein schwierig, in Afghanistan einen Job zu finden, der BF habe bereits erfolglos versucht, einen Lehrplatz zu finden.

Zu den Reisemodalitäten befragt, brachte der BF vor, dass sein Bruder insgesamt etwa 10.000 Dollar für die Reise bezahlt habe. Die Geldsumme hätten sowohl er selbst als auch sein Bruder durch ihre Arbeitstätigkeit angespart. Auf Vorhalt, dass sie mit diesem Geld auch in einer anderen Stadt eine Lebensgrundlage schaffen hätten können, erwiderte der BF, dass sie in Afghanistan nach Verbrauch des Geldes keine Jobperspektive gehabt hätten. Man könne die Angst vor dem Tod nicht in Geld aufwiegen. Der BF und sein Bruder hätten sich insgesamt einen Monat im Iran aufgehalten und der Schlepper habe dem BF erklärt, dass sein Bruder von der iranischen Polizei verhaftet worden sei. Anschließend seien sie in die Türkei weitergereist und von dort aus mittels LKW nach Bulgarien gebracht worden, wo sie von der Polizei entdeckt worden seien. Zur Frage, weshalb sie nicht in Bulgarien geblieben seien, erwiderte der BF, dass sie nur dort unter der Woche, jedoch nicht am Wochenende Essen bekommen hätten.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er von der Caritas mit 180 Euro im Monat unterstützt werde und aufgrund der Absolvierung von Deutschkursen sowie einer Schulabschlussprüfung bislang nicht gearbeitet habe. Neben zahlreichen Bekannten und Freunden habe der BF im österreichischen Bundesgebiet keine engeren Verbindungen. In seiner Freizeit spiele der BF Fußball oder gehe schwimmen und bereite sich auf Bewerbungsgespräche vor. Er sei kein Mitglied in einem Verein und beabsichtige, in Österreich eine Lehre zu absolvieren.

Der bevollmächtigte Vertreter des BF brachte vor, dass insbesondere Kabul als volatilster Ort Afghanistans bezeichnet werde und sich erst gestern ein Anschlag mit zwölf toten Zivilisten ereignet habe. Aus zahlreichen Berichten gehe hervor, dass die Hauptstadt der für Zivilisten gefährlichste Ort Afghanistans sei. Zur Integrationssituation des BF sei festzuhalten, dass er sich seit mehr als vier Jahren in Österreich befinde, einen Pflichtschulabschluss aufweise und einen quasi sofortigen Eintritt ins Erwerbsleben mit einem positiven Bescheid vor sich habe.

Im Rahmen der Verhandlung wurden vom BF ein Lebenslauf vom 29.03.2017, ein Motivationsschreiben für die Tätigkeit als Schweißer und zahlreiche Teilnahmebestätigungen über absolvierte Deutschkurse, ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung, Prüfungszeugnis ÖIF-Test auf der Niveaustufe A2 sowie ein weiteres Zertifikat über eine absolvierte Deutschprüfung auf B1-Niveau übermittelt.

Zudem wurden aktuelle Berichte zur Lage in Afghanistan, darunter ein Zeitungsartikel von Frederike Stahlmann, ein Gutachten von Dr. Rasuly.

Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

Mit Eingabe vom 05.07.2018 wurde vom BFA als Nachreichung zur Beschwerdevorlage die Verständigung der Staatsanwaltschaft vom Rücktritt der Verfolgung wegen § 83 Abs. 1 StGB übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

• Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

• Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.06.2018;

• Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen:

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Dari. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgewachsen, bzw. hat zuletzt in der Provinz Maidan Wardak gelebt. Der Beschwerdeführer hat im Heimatstaat keine Ausbildung absolviert und vor der Ausreise als Schweißer gearbeitet. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bruder des Beschwerdeführers im Iran verhaftet wurde. Der Beschwerdeführer hält sich seit April 2014 im Bundesgebiet auf. Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

1.1. Zu den Beschwerdepunkten:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer unmittelbaren Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in der Stadt Kabul, besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer hat an mehreren Kursen und Ausbildungen teilgenommen und verfügt über Deutschkenntnisse; er hat in Österreich Deutschkurse, bzw. die Pflichtschulabschlussprüfung und Deutschprüfungen auf A2 und B1 Niveau absolviert. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten, hat keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen zu sich in Österreich aufhältigen Personen, bzw. ist das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet nicht dargelegt worden. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Das Bestehen von besonderen Gründen die für ein Verbleiben der beschwerdeführenden Partei im Bundesgebiet sprechen sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

(UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In . Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. .

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

(The Guardian 31.5.2017) [Anm.: man beachte, dass die Opferzahlen in dieser Grafik, publiziert am Tag des Anschlags, noch überhöht angegeben wurden]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 18 von 201

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017). .

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016). .

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüb

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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