TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/2 W168 2185869-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2018
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Entscheidungsdatum

02.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W168 2185869-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018, Zahl 1096986807-151880869/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.05.2018, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unberechtigter Einreise am 26.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er sei Moslem schiitischer Ausrichtung, und gehöre der Volksgruppe der Hazara an, stamme aus der Provinz Maidan Wardak, wo sich seine Eltern und Geschwister aufhalten würden. Im Herkunftsstaat habe er sieben Jahre die Grundschule besucht und sein letzter ausgeübter Beruf sei Landarbeitergehilfe gewesen.

Er habe zunächst seine Heimat vor ca. sechs Monaten in Richtung Iran verlassen und habe dort zwei Monate gelebt. Vom Iran sei er weiter in die Türkei und sei dort drei Monate aufhältig gewesen. In weiterer Folge sei er schlepperunterstützt mit dem Schlauchboot auf eine griechische Insel gelangt und anschließend über ihm unbekannte Länder ins österreichische Bundesgebiet eingereist. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Bruder bei der Armee gearbeitet habe und von den Taliban getötet worden sei. Anschließend seien der Beschwerdeführer selbst und seine Eltern aufgrund der Tätigkeit seines Bruders ebenfalls von den Taliban bedroht worden und hätten daher das Land verlassen. Seine Eltern seien in Richtung Iran geflüchtet, über deren genauen Verbleib wisse der Beschwerdeführer jedoch nichts.

Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 13.12.2017 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, dass er psychisch und physisch in der Lage sei, die gestellten Fragen zu beantworten und nicht in ärztlicher Behandlung sei. Er spreche Dari, Paschtu sowie ein bisschen Deutsch und Englisch und habe im bisherigen Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Der Beschwerdeführer könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen und sei schiitischer Moslem. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er in keinem Verein oder einer sonstigen Organisation tätig sei, jedoch regelmäßig in einem Fußballverein mitspiele und bereits einige soziale Kontakte habe. Er habe keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich und habe in keinem anderen Staat um Asyl angesucht.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er in der Provinz Maidan Wardak im Eigentumshaus seiner Eltern gelebt und sieben Jahre die Schule besucht habe. Anschließend habe er mit seinen Eltern zusammen als Landwirt gearbeitet. Die Reise nach Europa habe er selbst mit der Hilfe seines Onkels bestritten. Ein Onkel des Beschwerdeführers befinde sich im Iran, über den Verbleib und den Gesundheitszustand seiner Eltern und Geschwister wisse er nicht Bescheid, da er seit seiner Ausreise keinen Kontakt mehr mit diesen habe.

Zum Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass sein Bruder nach Pakistan umziehen habe wollen, sein Vater dies jedoch nicht erlaubt habe. Ein Freund seines Bruders habe drei Monate später dem Beschwerdeführer und dessen Vater mitgeteilt, dass dieser im Krieg gegen die Taliban getötet worden sei. Der Bruder des Beschwerdeführers sei von der afghanischen Regierung als Spion eingesetzt worden und habe vor seinem Tod Informationen weiterleiten können. Die Taliban hätten der afghanischen Regierung die Leiche mit dem Hinweis überstellt, dass sie alle Verräter finden und ermorden würden. Der Freund des Bruders habe der gesamten Familie des Beschwerdeführers dazu geraten, das Land zu verlassen, da sein Bruder den Taliban möglicherweise den Wohnort seiner Familie verraten habe. Der Vater habe den Beschwerdeführer in weiterer Folge aufgefordert, das Heimatland als Erster zu verlassen und ihn schlepperunterstützt zu seinem Onkel in den Iran geschickt, seine Familie sei jedoch auch nach zwei Monaten nicht nachgekommen und er wisse nach wie vor nicht, wo sich seine Familie derzeit aufhalte. Sein Onkel habe ihn ermutigt, nach Europa weiterzureisen, da er im Iran keinen gültigen Aufenthaltstitel habe. Befragt, weshalb der Freund seines Bruders über alle Ereignisse genau informiert sei, erwiderte der Beschwerdeführer, dass dieser ebenfalls als Spion tätig gewesen sei, man ihn höchstwahrscheinlich über die Vorfälle aufgeklärt habe und er hierarchisch aufsteigen habe wollen. Zur Frage, welche Funktion sein Bruder innerhalb der afghanischen Armee gehabt habe, entgegnete der BF, dass dieser bei der Kriminalpolizei tätig gewesen sei, jedoch nicht auffällig gekleidet gewesen sei. Auf den Vorhalt, dass der BF zuvor gesagt habe, dass sein Bruder mit seinem Freund nach Pakistan gegangen sei, erwiderte der BF, dass sein die Wahrheit vor seiner Familie verbergen habe wollen. Die genaue Polizeikaserne in Helmand, bei der sein Bruder stationiert gewesen sei, könne der Beschwerdeführer jedoch nicht wiedergeben. Die Frage, ob seine Familie bereits vor der Ermordung des Bruders bedroht worden sei, wurde vom BF verneint. Die Leiche des Bruders sei der Familie im Juni 2015 überstellt worden, sie habe die Polizei in weiterer Folge jedoch aufgrund der Machtlosigkeit afghanischer Behörden jedoch nicht vom Tod des Bruders verständigt. Die Bedrohung durch die Taliban sei nur indirekt über den Freund des Bruders erfolgt, eine direkte Drohung oder Übergriffe hätten weder auf die Familie des BF noch auf ihn selbst stattgefunden. Der BF habe zwei Tage nach dem Erhalt der Leiche aufgrund der Entscheidung seines Vaters das Land verlassen. Zur Frage, was passiert wäre, wenn er in Afghanistan geblieben wäre, entgegnete der BF, dass die Taliban glauben hätten können, dass er im selben Tätigkeitsfeld wie sein Bruder arbeite und diese Gruppierung im gesamten Land Kontakte habe, weshalb eine innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen sei. Die Familie des BF habe jedenfalls nicht genügend Zeit gehabt, um alle Besitztümer für ein neues Leben in einer größeren Stadt zu verkaufen. Da es habe keine Garantie dafür gegeben, dass die Taliban Mitglieder eine etwaige Verfolgung des BF unterlassen würden, habe sein Vater seine Ausreise bestimmt. Dem BF würde bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat aber jedenfalls keine Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder Todesstrafe von staatlicher Seite drohen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer eine Urkunde über ein absolviertes Schachtelbootrennen vom 06.08.2016, eine Kursbestätigung über Deutsch als Fremdsprache vom 05.07.2016, eine Teilnahmebestätigung über einen Deutschkurs intensiv vom 16.09.2016, Bestätigung über ein absolviertes Schnupperpraktikum vom 04.04.2017, weiteres Zertifikat über eine absolvierte A2 Prüfung vom 03.04.2017, Zeugnis über die Absolvierung mehrerer Fächer sowie eine Schulbesuchsbestätigung vom 11.12.2017 zur Vorlage gebracht.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte fest, dass für die Behörde deutlich sei, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht glaubhaft seien, da der Sachverhalt vage geschildert worden sei und sich auf Gemeinplätze beschränkt habe. Der BF sei nicht in der Lage gewesen, konkrete und detaillierte Angaben über etwaige Erlebnisse und daran beteiligte Personen zu machen. Ein Indiz für seine persönliche Unglaubwürdigkeit sei, dass er im Zuge des Asylverfahrens versucht habe, sich durch falsche Altersangaben jünger zu machen, um sich somit ungerechtfertigt länger Zugang zu Mehrleistungen zu verschaffen. Ein weiteres Indiz für seine persönliche Unglaubwürdigkeit sei, dass er im Zuge der Erstbefragung angegeben habe, dass er und seine Familie von den Taliban bedroht worden sei und deshalb das Land verlassen habe. Aber bei der Einvernahme vor dem BFA habe er angegeben, dass er und seine Familie von den Taliban nicht persönlich bedroht worden seien und sie nur wegen der Warnung das Land verlassen hätten. Es sei für die Behörde nicht nachvollziehbar und nicht glaubhaft, dass er und seine Familie nicht gewusst habe, in welcher Branche der Bruder des BF tätig sei, noch dazu er gemäß den Angaben des BF zufolge bei der Polizei gearbeitet habe, da eine dementsprechende Polizeiausbildung lang dauere, weswegen die Familie auch mitbekommen habe müssen, wenn der Bruder diese Ausbildung absolviert habe. Es sei für die Behörde auch nicht nachvollziehbar, warum der BF in einem großen Land wie Afghanistan keine Neuansiedlungsalternative gehabt habe, wo es doch in Afghanistan kein Meldewesen gebe. In Zusammenschau des Sachverhaltes gehe die Behörde von keiner asylrelevanten Verfolgung aus bzw. habe er diese nicht glaubhaft machen können. Es sei unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte davon auszugehen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK drohe. Der BF wisse zwar im Augenblick nicht, ob sich seine Eltern und Geschwister in Afghanistan befinden würden, da er zu diesen momentan keinen Kontakt habe. Seine Familie besitze jedoch ein Eigentumshaus und eine Landwirtschaft in Afghanistan, auf der er früher schon gearbeitet habe und von der er früher schon gut leben habe können. Aus diesen Gründen lasse sich aus den individuellen persönlichen Verhältnissen keine Gefährdung im Sinne des § 3 oder auch §8 AsylG bei einer Rückkehr ableiten. Während des gesamten Verfahrens seien keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, die darauf hindeuten würden, dass der BF bei seiner Rückkehr in eine ausweglose und die Existenz bedrohende Lage geraten würde. Der BF befinde sich seit November 2015, also seit ungefähr zwei Jahren in Österreich, eine besondere Integration sei im Hinblick auf diesen Zeitraum nicht erkennbar und ein zweijähriger Aufenthalt im Bundesgebiet, der sich nur auf die Stellung eines Asylantrages beziehe, begründe keine rechtlich relevante Bindung zu Österreich. Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens des BF sei insbesondere unter Bezugnahme auf den relativ kurzen Aufenthalt in Österreich als gering einzustufen. Die Behörde verkenne nicht die Bemühungen des BF, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Dennoch dürfe nicht übersehen werden, dass seine Aufenthaltsberechtigung nur aufgrund der Asylantragstellung zustande gekommen sei.

3. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 07.02.2018 fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde nach zusammenfassender Wiedergabe des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers im Wesentlichen vorgebracht, dass die erkennende Behörde das Fluchtvorbringen des BF nicht mit der gebotenen Tiefe ermittelt habe. Die belangte Behörde habe es zur Gänze unterlassen, sich mit der Verfolgung von Hazara durch die Taliban zu befassen. Die von der belangten Behörde angeführten Berichte zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz und in Kabul seien als völlig veraltet und unvollständig anzusehen und würden in keinster Weise ein aktuelles Bild von der Situation zeichnen. Das gegenständliche Verfahren sei demnach mit groben Mängeln belastet. Überdies würden Angaben über die sozioökonomischen Bedingungen für alleinstehende männliche Hazara in Kabul, Herat und Mazar e-Sharif fehlen, die auf kein soziales Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen könnten. Das BFA habe es im gegenständlichen Fall unterlassen, seiner Entscheidung einschlägige und aktuelle Länderberichte zugrunde zu legen. Die vom BFA herangezogenen Länderberichte seien außerdem zumindest teilweise nicht mehr aktuell. Die allgemeinen Berichte, die sich auf einen Zeitraum beziehen würden, der mehr als neun Monate zurückliege, seien als veraltet anzusehen und daher nicht geeignet, die Grundlage für eine abschließende Beurteilung des Vorbringens des BF zu bilden. Es wurde auf einen Bericht der ACCORD Anfragebeantwortung vom 02.09.2016 und diverse Berichte verwiesen, in der die volatile Sicherheitslage, insbesondere jene der Hazara, in Afghanistan thematisiert wurde. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens-fehlende Feststellungen sowie eine qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit- habe das BFA jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen. Wenn die Behörde dem BF vorhalte, dass dieser in seinem Vorbringen vage und farblos geblieben wäre, so sei darauf hinzuweisen, dass der BF selbst die Gründe für den Tod seines Bruders nur aus zweiter Hand erfahren habe. Auch habe der BF auf Nachfrage konkrete und detaillierte Angaben machen können. Es bestehe bei der Sachverhaltskonstellation des BF das reale Risiko, von den Taliban verfolgt zu werden. Wenn die belangte Behörde dem BF die Glaubwürdigkeit abspreche, weil er bei der Erstbefragung und der Einvernahme leichte Unterschiede im Fluchtvorbringen zu Protokoll gegeben habe, so möge dies seine Glaubwürdigkeit nicht beeinträchtigen. Wenn die belangte Behörde dem BF vorwerfe, dass es unglaubwürdig sei, dass dessen Bruder eine polizeiliche Ausbildung begonnen habe, so lasse sich auch dies entkräften. Wenn die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung schließlich darlege, dass der BF im Herkunftsstaat ein Eigentumshaus besitze, sei dem zu entgegnen, dass der BF überhaupt nicht wisse, ob das Haus noch im Eigentum der Familie sei. Die belangte Behörde habe keinerlei Feststellungen zur Integration des BF in Österreich getroffen und von ihm vorgebrachte Sachverhalte ignoriert. Sie habe nicht einmal Negativfeststellungen zur Integration vorgenommen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es dem BF zumutbar sei, sich nach der Rückkehr nach Afghanistan in Kabul niederzulassen. Im vorliegenden Fall gehe das Bundesverwaltungsgericht zwar davon aus, dass der BF der Volksgruppe der Hazara angehöre, treffe aber zur Lage der Hazara keine Feststellungen. Dies gelte zudem fallbezogen umso mehr, als sich eine Gruppenverfolgung der Hazara nicht ohne Weiteres verneinen lasse. Die Möglichkeit der Gruppenverfolgung wäre daher von Amts wegen aufzugreifen gewesen. Der BF sei strafgerichtlich unbescholten und sein Aufenthalt in Österreich gefährde weder die öffentliche Ruhe oder Ordnung, noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des BF sei als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig. Der BF bemühe sich um seine Integration in Österreich, besuche eine Übungsklasse, strebe den Pflichtschulabschluss an und betreibe regelmäßig Sport. Darüber hinaus helfe der BF seinen Nachbarn, sollten diese etwas brauchen. Beantragt wurde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

4. Am 15.05.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist bei der Verhandlung nicht erschienen.

Im Rahmen der Verhandlung führte der Beschwerdeführer aus, dass er sich geistig und körperlich in der Lage fühle, an der Verhandlung teilzunehmen, sich jedoch 2016 in psychologischer Behandlung befunden habe. Er habe die Entscheidung angefochten, da man sowohl seine Identität und die Tätigkeit seines Bruders angezweifelt habe.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er nunmehr keine familiären Anknüpfungspunkte im Heimatland habe. Ein Onkel und zwei Tanten würden im Iran leben, zu seinen Eltern und seinen Geschwistern habe der BF keinen Kontakt mehr. Im Iran habe er versucht, zu diesen wieder den Kontakt herzustellen, es sei ihm jedoch nicht gelungen. Ihren Lebensunterhalt habe die Familie des BF mit der Ernte aus dem Anbau von Kartoffeln und Gemüse verdient. Die Fragen des bevollmächtigten Vertreters, ob er je in Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat gewesen sei und dort ein soziales Netz habe, wurden vom BF verneint.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass die Beziehung zwischen seinem Bruder und seinem Vater problematisch gewesen sei und sein Bruder nach Pakistan umziehen habe wollen. Nach wenigen Wochen habe die Familie einen Freund des Bruders darüber informiert, dass dieser in Pakistan sei und es ihm gut gehe, zwei Monate später habe er dem Vater des Beschwerdeführers jedoch gestanden, dass sein Sohn als Spion tätig gewesen und deshalb von den Taliban ermordet worden sei. Am selben Tag sei der Familie auch die Leiche des Bruders überstellt worden und man habe ihn zudem begraben. Der Freund des Bruders habe die Familie gewarnt, dass sie nunmehr ebenfalls in Gefahr seien und das Land verlassen müssten, da der Bruder des BF Informationen über seine Familie preisgegeben habe und die Taliban angekündigt hätten, auch die Familien ihrer Opfer nicht zu verschonen. Zwei Tage später habe sein Vater den BF nach Kabul geschickt und er sei von dort aus schlepperunterstützt in den Iran gebracht worden. Sein Vater und die restliche Familie hätten sich wegen Geldmangel nicht dem BF angeschlossen, würden jedoch nach Verkauf ihrer verbliebenen Besitztümer nachkommen. Nach vergeblichen Versuchen des im Iran lebenden Onkels des BF, mit der Familie Kontakt aufzunehmen, habe er dem BF wegen fehlender Dokumente dazu geraten, das Land zu verlassen und ihn in die Türkei geschickt. Nach einem ca. zweimonatigen Aufenthalt in der Türkei habe ihm ein Landsmann angeboten, in seinem Geschäft zu arbeiten, bzw. habe dieser ihm nach drei Monaten die Weiterreise nach Europa empfohlen. Befragt, was er über den Freund seines Bruders wisse, entgegnete der BF, dass er ein Jugendfreund seines Bruders gewesen sei und er über seine genaue berufliche Funktion nicht Bescheid wisse. Da er jedoch mit dem Bruder zusammengearbeitet habe, sei er über dessen Tod jedoch auch informiert worden. Auf Vorhalt, dass er nunmehr im Gegensatz zum zuvor Geschilderten im Endeffekt doch wisse, welche Position der Freund des Bruders innehabe, nämlich, dass er ebenfalls für die Armee oder den Staat gearbeitet habe, erklärte der BF, dass die Familie über dessen Tätigkeit als Agent erst an diesem Tag erfahren habe. Zur Frage, welche Ausbildung ihr Bruder erhalten habe, erklärte der BF, dass er seiner Familie diese möglicherweise vorenthalten habe. Sein Bruder sei jedenfalls im Bereich Sicherheitstechnik tätig gewesen. Zum Vorhalt, dass seine Angaben fragwürdig seien, da nur jemand mit einer Spezialausbildung als Spion zu den Taliban entsandt werde, entgegnete der BF, dass es im Vorfeld lediglich äußerliche Anzeichen in Form eines langen Bartes und langer Haare gegeben habe, um den Taliban das Gefühl zu vermitteln, sein Bruder sei ebenfalls Mitglied. Die Frage, ob er selbst in Afghanistan konkret oder unmittelbar bedroht worden sei, wurde vom BF verneint. Auch seine Familie sei nicht direkt oder unmittelbar bedroht worden, sie habe lediglich über die Informationen seines Bruders von den Geschehnissen und einer möglichen Blutrache erfahren. Befragt, wieso er aus Kabul ausgereist sei, obwohl es kein Meldesystem gebe und es schwer wäre, ihn dort zu finden, erklärte der BF, dass es dennoch möglich gewesen sei, dass ihn die Taliban dort gefunden hätten. Es handle sich jedoch lediglich um bloße Annahmen. Zur Frage, weshalb die Taliban gerade ihn und nicht auch der Rest seiner Familie bedrohen sollte, erwiderte der BF, dass seine übrige Familie zwar gleichermaßen gefährdet sei, die Taliban jedoch befürchte, dass er sich als nunmehr ältester Sohn am ehesten rächen könnte. Auf weiteren Vorhalt, dass dies bloße Spekulationen seien, entgegnete der BF, dass die Terrorgruppierung selbst Personen nach einigen Jahrzehnten räche und somit auch damit rechne, selbst einem Vergeltungsschlag zu unterliegen. Wenn er selbst Beweise hätte, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, wäre er nunmehr nicht in Österreich. Er könne auch nicht von seinem im Iran lebendem Onkel verlangen, dass er sich in Afghanistan persönlich über den Verbleib seiner Familie erkundige. Im Iran habe die Gefahr bestanden, dass er in den Herkunftsstaat abgeschoben werde. Auf die Frage, wieso er davon ausgehe, dass er weiterhin einer Bedrohung unterliege, obwohl sich die von ihm geschilderten Vorfälle bereits 2015 zugetragen hätten, brachte der BF vor, dass er einerseits nichts über den Verbleib seiner Familie wisse und andererseits nach wie vor die Möglichkeit bestehe, dass die Taliban nach ihm suche, er für diese Verfolgungsgefahr jedoch keine Beweise vorlegen könne. Zum Vorhalt, dass die Sicherheitslage insbesondere in Kabul und in Mazar-e-Sharif grundsätzlich stabil sei und sich sicherheitsrelevante Vorfälle hauptsächlich gegen sogenannte "high profile" Personen richten würden, entgegnete der BF, dass ihm niemand garantieren könne, dass er dort überlebe und dort zudem die wirtschaftliche Lage der Familie schlecht sei, da sein Vater alle Besitztümer verkauft habe. Auch sein Onkel im Iran könne ihn nicht unterstützen, da er bereits einen Teil seiner Schleppung nach Europa gezahlt habe. Für das restliche Geld habe er seinen Lohn, welchen er in der Türkei verdient habe, aufgewendet.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er mit zwei Kollegen zusammenwohne und das Land Steiermark dafür aufkomme. Er sei Schüler am Gymnasium und habe bereits Deutsch zu lernen begonnen. In Österreich habe er mit Freunden einen kulturellen Austausch, nach der Absolvierung der Schule würde er gerne eine Lehre als Mechatroniker beginnen.

Im Rahmen der Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer eine Bestätigung eines Turnvereins vom 07.05.2018, wonach der BF jede Woche Fußball spiele, ein Empfehlungsschreiben einer Gesundheitspsychologin vom 09.05.2018 sowie eine Bestätigung vom 08.05.2018, wonach der BF am Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung teilnehme, vorgelegt.

In einer Stellungnahme vom 24.05.2018 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF auf Berichte verwiesen, welche insbesondere auf die mangelhafte Versorgungslage in Kabul hinweisen würden. Auf Grund der schlechten Sicherheitslage seien junge afghanische RückkehrerInnen aus dem Iran oder Pakistan in Afghanistan selbst zu Binnenvertriebenen geworden und seien den Risiken von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Der Vertretung des Beschwerdeführers wurden mit Datum 11.09.2018 die aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan zur Kenntnis übermittelt und dieser die Möglichkeit einer Stellungnahme hierzu eingeräumt. Mit Stellungnahme vom 25.09.2018 führte die Vertretung sich stützend auf die jüngsten UNHCR Guidelines zusammenfassend aus, dass aufgrund dieser Kabul nicht mehr eine innerstaatliche Fluchtalternative darstellen würde. Die diesbezüglichen Feststellungen des LIB Afghanistan wären nicht nachzuvollziehen, bzw. würden sich aus diesen ergeben, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Herat oder Mazar- e Sharif verschlechtert habe, bzw. als unzureichend zu bezeichnen wäre. Eine Zumutbarkeit dieser Städte für eine IFA würde somit nicht bestehen. Auch wurde auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bericht von Frederike Stahlmann vom 28.03.2018 verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

• Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

• Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.05.2018;

• Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist Muslim schiitischer Ausrichtung. Seine Identität steht nicht fest. Er stammt aus der Provinz Maidan Wardak, wo er zuletzt als Landarbeitergehilfe arbeitete. Der Beschwerdeführer reiste im November 2015 unberechtigt ins Bundesgebiet ein, wo er am 26.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers sind nach Angaben des Beschwerdeführers unbekannten Aufenthalts, ein Onkel des BF lebt im Iran.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

1.2. Zu den Beschwerdegründen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar konkret betreffenden Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat. Die zu Protokoll gegebene Fluchterzählung ist nicht glaubhaft.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in den großen Städten wie Masar - e Sharif, Herat oder auch in der Stadt Kabul, besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen jungen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen arbeitsfähigen gesunden Mann der in Afghanistan schulische Ausbildungen absolviert hat, bzw. bereits in Afghanistan erste berufliche Erfahrung gesammelt hat. Dem Beschwerdeführer kann eine weitere Teilnahme am Erwerbsleben in Afghanistan zugemutet werden.

Der Beschwerdeführer ist unberechtigt und unter Aufwendung hoher geldlicher Summen für die schlepperunterstützte Reise nach Österreich gereist. Der unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im November 2015 durchgehend nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und bestreitet den Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Er hat in Österreich Deutschkurse (A1) besucht und Zertifikate über eine diesbezüglich absolvierte Prüfung vorgelet. Auch hat dieser ein privates Empfehlungsschreiben, eine Schulbesuchsbestätigung betreffend des Besuches von Sportveranstaltungen, bzw. eines Vorbereitsungslehrganges zur Pflichtschulabschlussprüfung, sowie eine Bestätigung betreffend des Besuches von Sportveranstaltungen vorgelegt. Er hat in Österreich keine Verwandten und keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen.

Das Bestehen von besonderen Gründen die für ein Verbleiben der beschwerdeführenden Partei im Bundesgebiet sprechen sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

(UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In . Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. .

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

(The Guardian 31.5.2017) [Anm.: man beachte, dass die Opferzahlen in dieser Grafik, publiziert am Tag des Anschlags, noch überhöht angegeben wurden]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 18 von 201

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017). .

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016). .

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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