TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/15 W168 2181234-1

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Veröffentlicht am 15.10.2018
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Entscheidungsdatum

15.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W168 2181234-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2017, Zahl 1087581304/151373312, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.09.2018, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005,§ 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass er im Iran illegal gelebt habe und ihn die iranische Polizei nach Afghanistan oder Syrien schicken habe wollen, weshalb er mit seiner Familie sich dazu entschlossen habe, den Iran zu verlassen.

3. Am 05.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass er keine Identitätsdokumente besitze und jedes vierte oder fünfte Monat mit seiner Mutter in Afghanistan telefoniere. Er sei afghanischer Staatsbürger, stamme aus der Provinz Daikundi und gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der Schiiten an.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er in Afghanistan als Hirte und in der Landwirtschaft tätig gewesen sei. Seine Eltern und seine Geschwister seien nach wie vor in Afghanistan aufhältig und würden ebenfalls in der Landwirtschaft arbeiten. Der BF sei weder Teil einer bewaffneten Gruppierung gewesen noch sei er im Umgang mit Waffen ausgebildet. Er sei ledig, habe keine Kinder und seine gesamte Familie sei nach wie vor in Afghanistan wohnhaft. Die finanzielle Situation seiner Familie sei insgesamt schlecht gewesen. Der BF sei im Herkunftsstaat weder vorbestraft noch inhaftiert gewesen und habe keine Probleme mit den Behörden gehabt. Es bestehe gegen ihn kein Haftbefehl, er sei im Heimatland nicht politisch tätig und kein Mitglied einer politischen Partei gewesen. Der BF habe im Herkunftsstaat jedoch Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie mit Privatpersonen gehabt. Er habe im Herkunftsstaat auch aktiv an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen.

Zum Fluchtgrund befragt, brachte der BF vor, dass er geflüchtet sei, da er mit der Tochter eines Mullahs befreundet gewesen sei, die Eltern des Mädchens dies jedoch aufgedeckt und sie verfolgt hätten. Die Eltern hätten daraufhin auf den BF geschossen, dieser habe sich jedoch versteckt und sei über das Gebirge aus dem Tal geflüchtet. Mithilfe von Tierhändlern sei er nach Ghazni gelangt und habe sie befragt, wie er am besten in den Iran gelange. Zur Frage, was ihn bei Rückkehr in den Herkunftsstaat erwarten würde, erwiderte der BF, dass man gesucht werde, wenn man ohne Vereinbarung eine Beziehung eingehe und im schlimmsten Fall getötet werden würde. Es habe zwar keine konkreten, ihn betreffenden Vorfall im Herkunftsstaat gegeben, Paschtunen seien jedoch der Ansicht, dass Schiiten unrein seien. Der BF sei nicht aufgrund seiner Religions-oder Volksgruppenzugehörigkeit persönlich verfolgt oder bedroht worden. Auf Vorhalt, dass er in seiner Erstbefragung bezüglich seiner Fluchtgründe lediglich seine Situation im Iran angegeben habe, entgegnete der BF, dass die Dolmetscherin eine iranische Frau sei und er gefragt habe, ob er auch die auf Afghanistan bezogenen Fluchtgründe nennen soll, es jedoch gesagt worden sei, dass er eine weitere Einvernahme haben werde und im Zuge dessen mehr erzählen könne. Befragt, wie er die Tochter des Mullahs kennengelernt habe, entgegnete der BF, dass sie sich als Kinder zum ersten Mal getroffen hätten, da die landwirtschaftlichen Flächen ihrer und seiner Familie benachbart gewesen seien. Das Haus des Mullahs selbst habe sich ebenfalls nur 10-15 Gehminuten entfernt befunden. Zur Frage, ob seine Eltern wegen seiner Ausreise irgendwelche Schwierigkeiten bekommen hätten, erklärte der BF, dass sein Vater drei Monate im Gefängnis gewesen sei und erst nach Ausreise des BF in den Iran wieder freigekommen sei. Der Sohn und Bruder des Mullahs hätten den BF jedoch im Iran ausgeforscht und geschlagen, wobei er sich eine schwere Kopfverletzung und eine Beinverletzung zugezogen habe. Nachdem er drei Monate einen Gips getragen und eine andere Arbeitsstelle angetreten sei, habe er Angst bekommen und sei aus dem Iran geflüchtet. Konkrete Anhaltspunkte, wie ihn die Männer gefunden haben könnten, habe der BF nicht. Der Familie des BF würde es finanziell nicht gutgehen und sowohl die Anzahl der Taliban, als auch jene der Paschtunen habe sich vergrößert. Seine Eltern hätten von der Verbindung zur Tochter des Mullahs nichts gewusst. Der BF und seine Freundin hätten beide als Hirten im Ort gearbeitet.

Zum Fluchtweg befragt, erklärte der BF, dass er illegal in Österreich eingereist sei und für die Reise 20 Millionen Toman ausgegeben habe, indem er einen Teil von Freunden ausgeborgt und einen Teil im Iran angespart habe. Er habe in keinem anderen Land außer Österreich um Asyl angesucht und in keinem Land einen Aufenthaltstitel erhalten. Die letzte Nacht vor der Ausreise habe er im Elternhaus verbracht, wo auch seine Eltern, drei Brüder und sechs Schwestern aufhältig gewesen seien.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er bereits Deutschkurse besucht habe, bzw. das Deutsch Zertifikat A1 bestanden habe. Er habe in Österreich jedoch weder die Schule besucht noch gearbeitet. In Österreich trainiere er bei einem Fußballverein und habe bereits österreichische Freunde. Der BF lebe derzeit von der Grundversorgung und wolle im Bundesgebiet als Elektriker oder Mechaniker tätig sein.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine Bestätigung der Caritas vom 29.09.2017, zwei Empfehlungsschreiben sowie ein ÖSD Zertifikat A1 und eine Bestätigung über einen absolvierten Deutschkurs vom 28.04.2017 bis zum 07.07.2017 vorgelegt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz damit im Wesentlichen zu begründen sei, dass dem BF nicht gelungen sei, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. In der Erstbefragung am 17.09.2015 habe der BF keine Fluchtgründe aus Afghanistan vorgebracht. Er habe lediglich die Situation im Iran erwähnt. Auf diesen Vorhalt in der Einvernahme angesprochen, habe er angegeben, dass die Dolmetscherin eine iranische Frau gewesen sei und es wäre gesagt worden, dass er eine weitere Einvernahme haben werde und dort mehr erzählen könnte. Auch die Rückkehrbefürchtungen würden sich nicht decken, da der BF in der Erstbefragung angegeben habe, dass er in Afghanistan Angst vor den Taliban und dem Krieg gehabt habe. Hingegen habe er in der Einvernahme vor dem BFA angegeben, dass man ihn suchen würde und man als unrein bezeichnet werden würde, wenn man ohne Vereinbarung eine Beziehung eingehe. Auf den Vorhalt in der Einvernahme angesprochen, dass sich die Rückkehrbefürchtungen aus der Erstbefragung nicht mit jenen in der Einvernahme decken würden, gab der BF an, dass er auch Angst vor den Taliban gehabt habe. Näher zu seinem Fluchtvorbringen in der Einvernahme befragt, habe er keine konkreten Angaben tätigen können und oft oberflächlich und ausweichend geantwortet. Da der BF angegeben habe, dass er Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt habe, sei er diesbezüglich näher befragt worden. Einen den BF persönlich betreffenden Vorfall habe es keinen gegeben. Der BF sei wegen seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit weder persönliche verfolgt noch bedroht worden. In einer Gesamtschau der Ausführungen gehe die Behörde nicht von einer glaubwürdigen Darstellung in Bezug auf sein Fluchtvorbringen aus. Es bestehe vielmehr der Eindruck, dass es sich bei seinem Vorbringen nicht um tatsächlich erlebte Ereignisse, sondern vielmehr um ein auf die Erlangung von Asyl ausgerichtetes Konstrukt handle. Auch aus seinen übrigen Ausführungen wären etwaige Verfolgungsszenarien nicht ansatzweise erkennbar. Die vom Asylwerber geltend gemachte Furcht vor Verfolgung müsse nicht nur behauptet, sondern auch glaubhaft gemacht werden. Glaubhaftmachung bedeute, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht worden sei. Hinsichtlich der behaupteten Fluchtgründe habe dem BF kein Glauben geschenkt werden können, da seine Angaben keinesfalls plausibel und vage gewesen seien. Bei der behaupteten Gefahr durch Privatpersonen handle es sich weder um eine von einer staatlichen Behörde Afghanistans noch um eine dem afghanischen Staat zurechenbare Verfolgung, die von den staatlichen Einrichtungen allenfalls auch geduldet werden würde. Allein die Tatsache, dass er Schiit und Hazara sei, erfülle nicht die Voraussetzungen einer asylrelevanten Verfolgung, solange keine ihn individuell treffenden Gründe vorliegen würden. Soweit seine Rückkehrsituation in Betracht zu ziehen sei, werde angeführt, dass er sich in seiner Heimat niederlassen könnte. Es werde in diesem Zusammenhang besonders darauf hingewiesen, dass Familienangehörige von ihm nach wie vor in Daikundi leben würden, nämlich Vater, Mutter und Geschwister. Weiters würden seine Onkeln und Tanten in Afghanistan leben. Sein Gesundheitszustand stelle kein Rückkehrhindernis dar. Hinsichtlich der Sicherheits-und Versorgungslage in Afghanistan, die sich in Teilen des Landes als derart prekär darstellen könnte, dass sie relevant sein könnte, sei festzuhalten, dass eine derartige Gefährdung nicht für das gesamte Gebiet Afghanistans festzustellen sei. Aus den Länderfeststellungen gehe hervor, dass die Sicherheitslage in Daikundi als relativ friedlich eingestuft werde und über den internationalen Flughafen Kabul und anschließend am Landweg über die Provinz Bamyan sicher zu erreichen sei. Der BF sei volljährig, gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten in seinem Herkunftsstaat vertraut, da er sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht habe. Des Weiteren verfüge er bereits über Berufserfahrungen als Hirte und in der Landwirtschaft. Er verfüge zudem über Familienangehörige in seiner Herkunftsprovinz. Eine Unterstützung durch diese könne angenommen werden, da diese über finanzielle Einkünfte verfügen würden. Der BF sei mobil, gesund und arbeitsfähig und habe auch vor seiner Ausreise aus Afghanistan seine Existenz und seinen Lebensunterhalt sichern können. Die Behörde sei somit zur Ansicht gelangt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass ihm im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK drohe. Eine Rückführung in seine Herkunftsprovinz sei ihm somit zumutbar. Der BF habe keine Familienangehörigen oder andere besonders enge Beziehungen im Bundegebiet, weshalb kein im Sinne von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vorliege. Der Onkel der Mutter des BF und seine Familie würden sich in Österreich befinden. Eine besondere Beziehungsintensität bzw. ein Familienleben bestehe nicht, seine Kernfamilie befinde sich in Afghanistan. Der BF spreche und verstehe bereits teilweise die deutsche Sprache. Er habe in Österreich Deutschkurse besucht, seine sozialen Interessen in Österreich würden aus dem Kontakt zu einer Familie und dem Fußballverein bestehen. Er gehe keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach, befinde sich in keiner Ausbildung und gehe keiner Arbeit nach. Der BF halte sich seit dem 14.09.2015 in Österreich auf und habe nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens verfügt. Er sei illegal in Österreich eingereist und habe in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, der sich als unberechtigt erwiesen habe. Der BF verfüge über stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat: Er habe dort mehr als 17 Jahre gelebt und spreche eine Landessprache als Muttersprache. Der BF habe in Afghanistan auch 12 Jahre als Hirte und in der Landwirtschaft gearbeitet. Zudem würden sich seine Kernfamilie und weitere Verwandten in Afghanistan aufhalten. Im Gegensatz dazu sei er in Österreich schwächer integriert: Er habe an Deutschkursen teilgenommen, in Österreich bisher nicht gearbeitet, sei in keinem Verein und sei nicht ehrenamtlich tätig gewesen. Seine sozialen Interessen würden aus dem Kontakt zu einer Familie und einem Fußballverein bestehen. Die deutsche Sprache beherrsche er nur zum Teil und seinen Lebensunterhalt bestreite er im Rahmen der Grundversorgung, eine darüberhinausgehende Integration sei nicht hervorgekommen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wäre nicht zu erteilen und aus diesen Gründen sei eine Rückkehrentscheidung nach §9 Abs. 1 -3 BFA - VG zulässig.

6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften sei. Der BF habe in seiner Einvernahme zusammengefasst vorgebracht, dass er aufgrund einer unerlaubten Beziehung zu einem Mädchen von der Familie des Mädchens, allen voran seinem Vater, verfolgt werde und im Zuge dieser Verfolgung auf ihn geschossen worden sei. Als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und Schiit befürchte er eine zusätzliche Verfolgung in Afghanistan. Zudem könnte auch ein Nachfluchtgrund entstanden sein, zumal der BF sich bereits über zwei Jahre im Westen aufgehalten habe, davor zwei Jahre im Iran gelebt habe, insgesamt also bereits seit über vier Jahren nicht mehr in Afghanistan lebe und einen westlichen Lebensstil angenommen habe. Bezüglich der prekären Lage in Afghanistan wurde auf Berichte der UNO sowie der UNHCR verwiesen. Der BF sei strafgerichtlich unbescholten und sein Aufenthalt in Österreich gefährde weder die öffentliche Ruhe oder Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des BF sei als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig. Der BF bemühe sich um Integration. Er habe mehrere Deutschkurse absolviert und die ÖSD Zertifikate für A1 und A2 erworben. Das aktuell erworbene Zertifikat für A2 vom 06.12.2017 liege der Beschwerde in Kopie bei. Eine Rückkehrentscheidung im Fall des BF würde einen unzulässigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privat-und Familienlebens darstellen und gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.12.2017, beim BVwG am 29.12.2017 eingelangt, vom BFA vorgelegt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.09.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Zu seinen Familienmitgliedern befragt, führte der BF aus, dass seine Eltern und seine Geschwister sowie Tanten in der Provinz Daikundi in Afghanistan leben würden, mit denen er unregelmäßig in Verbindung stehe. Seine Familie führe im Herkunftsstaat ein gewöhnliches Leben und verdiene den Lebensunterhalt durch den Betrieb einer Landwirtschaft.

Zum Fluchtgrund befragt, brachte der BF vor, dass er in seiner Heimat ein Nachbarmädchen geliebt habe, die er bereits seit der Kindheit kenne. Das erste Angebot, ihn zu treffen, habe das Mädchen nicht erwidert und ihn erst nach ca. 20 Tagen vor ihrem Vater gewarnt. Dennoch hätten sich das Mädchen und der BF weiterhin ohne das Einverständnis ihrer Eltern getroffen und überlegt, in eine andere Stadt zu gehen, da es in Afghanistan eine Straftat darstelle, wenn sich ein unverheiratetes Paar treffe. Sie hätten diese Pläne jedoch aus finanziellen Gründen verworfen und eines Tages habe seine Freundin den BF darüber informiert, dass sie von ihrer Familie beobachtet werde und diese über die geheimen Treffen Bescheid wisse. Eines Tages sei das Paar vom bewaffneten Vater und vom Bruder des Mädchens aufgesucht worden, woraufhin sie geflüchtet seien. Als das Mädchen jedoch gestürzt sei, sei der BF weitergelaufen, da er Angst um sein Leben gehabt habe. Nach kurzer Zeit habe der BF Schüsse gehört und sei auf einen Berg geflüchtet, wo er die Nacht verbracht habe. Beim Abstieg habe er Hirten kennengelernt, die Vieh in der Stadt Ghazni verkauft hätten und diese um Hilfe gebeten, ihn gegen eine Gegenleistung mitzunehmen. Anschließend sei er nach Nimroz weitergefahren, wo er sich mithilfe von Schleppern weiter in den Iran begeben habe. Im Iran habe er gearbeitet, um die Kosten für die Schleppung abzuzahlen und auch in einer Steinschneidefabrik gearbeitet und eines Tages auf den Onkel und den Bruder seiner Freundin getroffen, die ihn daraufhin beschimpft und mit Holzstangen geschlagen hätten. Aus Angst um sein Leben sei er nach Europa geflüchtet. Befragt, wann die Bedrohungen stattgefunden hätten, erwiderte der BF, dass dies 2014 erfolgt sei und er danach nicht mehr bedroht worden sei. Zur Frage, weshalb er nach den Übergriffen der Verwandten seiner Freundin nicht einfach nach Afghanistan zurückgekehrt sei, erwiderte der BF, dass er das Haus im Iran nicht verlassen habe und ihn die besagten Männer durch soziale Kontakte in Afghanistan noch leichter als im Iran gefunden hätten. Zudem müsse man bei einer Bewerbung in Kabul persönliche Daten angeben, anhand derer man gefunden werden könnte. Zu den Treffen mit dem besagten Mädchen befragt, erklärte der BF, dass er sie meistens auf dem Feld getroffen habe, da sie ihren Vater, der zudem als Art Bote zwischen Regierung und Volk tätig gewesen sei, ebenfalls in der Landwirtschaft unterstützt habe. Über den Verbleib seiner damaligen Freundin befragt, erklärte der BF, dass diese nunmehr mit irgendeinem Regierungsmitglied verlobt sei. Zum Vorhalt, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass der BF nach so vielen Jahren nach wie vor gesucht werde, vor allem, wenn das besagte Mädchen bereits eine Heirat in Aussicht habe, erklärte der BF, dass für ihn nach wie vor Gefahr bestehe, da er mit dem Mädchen geschlafen habe, was gegen islamische Grundsätze verstoße und die Steinigung als Sanktion habe. Einen Straf-oder Haftbefehl könne der BF jedoch nicht vorlegen, da sein Vater für die Einholung dessen zum Vater des Mädchens gehen müsste. Sein Vater sei bereits inhaftiert gewesen, da man ihm vorgeworfen habe, dass sein Sohn jemanden vergewaltigt habe. Auf Vorhalt, weshalb der BF nicht versucht habe, seine Freundin zu heiraten, wenn er mit dieser sowieso schon eine Beziehung geführt habe, entgegnete der BF, dass die Familie damit bestimmt nicht einverstanden gewesen wäre und er nach Ansicht des Vaters sowieso die Steinigung verdient hätte. Zum weiteren Vorhalt, dass der Vater die Ehre seiner Tochter schützen und ihr somit die Ehe ermöglichen müsste, erwiderte der BF, dass man im Koran verankerte Grundsätze in Afghanistan sowieso nicht ernsthaft praktiziere. Zudem sei der Vater seiner ehemaligen Freundin sowieso kein echter Mullah, da er in dubiose Geschäfte verwickelt sei. Der BF sei sicher gewesen, dass ihn dieser aufgrund weitreichender Kontakte überall in Afghanistan finden hätte können. In der Provinz Daikundi hätten bereits Steinigungen stattgefunden, da es keine Regierung gebe, die dies unterbinde. Zum weiteren Vorhalt, dass nicht verständlich sei, weshalb das betroffene Mädchen nunmehr mit einem Regierungsmitglied verlobt sei, obwohl gerade Frauen in Afghanistan nach vorehelichem Geschlechtsverkehr mit negativen Konsequenzen zu rechnen hätten, erwiderte der BF, dass sie deshalb nicht in Gefahr sei, weil ihr Vater behauptet habe, dass sie vergewaltigt worden sei. Im Verfahren vor der 1.Instanz habe der BF keine ausführlichen Angaben getätigt, da er nicht dazu aufgefordert worden sei, seine Ausführungen näher zu erläutern. Auf weitere Nachfrage, weshalb der BF auch weiterhin bedroht werden sollten, obwohl die geschilderten Vorfälle bereits vier Jahr zurückliegen würden und auf Aufforderung, konkrete Indizien oder Beweise vorzulegen, erwiderte der BF, dass es sich bei dem Mann um einen reichen Mann handle und er sowohl seine Frau als auch seine Tochter am Feld arbeiten lassen würde. In Afghanistan sei man zudem nicht vor Angriffen der Taliban sicher und die meisten Angriffe würden in Kabul stattfinden, von denen jedoch nicht nur "high profile" Leute, sondern auch Hazara und Schiiten betroffen seien. Konkrete Hinweise, diese Angaben zu belegen, habe er lediglich nur indirekt durch die Medien.

Auf Vorhalt, dass er sich der BF mit 20 Millionen Tomans auch in Afghanistan eine Existenz aufbauen hätte können, entgegnete der BF, dass das Geld für die Schleppung zwar viel sei, die Sicherheitslage in Afghanistan aufgrund der Bedrohung durch den Mullah jedoch bedenklich sei. Die Hälfte des Geldes habe er sich von anderen Dorfbewohnern ausgeborgt und noch nicht zurückgezahlt.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, brachte der BF vor, dass er im Bundesgebiet seinen Lebensunterhalt aus den Mitteln der Grundversorgung bestreite und bisher nur Hilfstätigkeiten verrichtet habe. Er habe bereits Freunde gefunden und mit einem in Österreich aufhältigen Onkel habe er ein gutes Verhältnis und bis vor Kurzem auch zusammengewohnt. Weiters besuche der BF einige Fortbildungskurse und spiele Fußball in einer Mannschaft und wolle in Zukunft eine Lehre als Mechaniker oder Elektriker absolvieren.

Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

Eine Kursbestätigung des Volkshochschule Oberösterreich vom 15.02.2018, ein Zertifikat über die Absolvierung der ÖSD Zertifikat A2 Prüfung, ein Empfehlungsschreiben sowie eine Teilnahmebescheinigung über die Absolvierung eines Lehrganges und ein Kompetenznachweis wurden in Vorlage gebracht.

9. In einer Stellungnahme vom 10.09.2018 wurde ausgeführt, dass die außereheliche Beziehung eine Ehrverletzung der Familie des Mädchens darstelle und eine Verfolgung aus religiösen Gründen drohe, weil er mit der Ehrverletzung islamische Rechtsnormen verletzt habe und ihm daher zumindest unterstellt werde, den aus dem islamischen Recht resultierenden Vorschriften nicht gerecht zu werden. Bezüglich der Verfolgung aus religiösen Gründen werde auf UNHCR Richtlinien sowie ein Erkenntnis des BVwG verwiesen. In einem Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 werde ausgeführt, dass die Gefahr, allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, im gesamten Staatsgebiet bestehe. Der BF wäre im Fall der Rückkehr nach Kabul von unzumutbaren Härten betroffen, da er keinen Zugang zu grundlegender Infrastruktur, bedingt durch das Fehlen jeglichen sozialen Netzwerkes in diesen Städten hätte. Er habe in Afghanistan keine Schulbildung erhalten und verfüge über keine nennenswerte Berufserfahrung, da er in Afghanistan lediglich Hilfsarbeiten ausgeführt habe. Damit wäre der BF im Fall der Neuansiedelung in genannten Städten von unzumutbaren Härten betroffen. Solche würden einer internen Fluchtalternative laut UNHCR entgegenstehen. Der BF könnte nicht auf eine interne Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif verwiesen werden, da die dortige Sicherheits-und Versorgungslage unzureichend und eine interne Fluchtalternative im Ergebnis mangels Zumutbarkeit nicht bestehe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

• Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

• Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2018;

• Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen:

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Dari. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgewachsen. Die Familie des BF besitzt eine Landwirtschaft in der Provinz Daikundi und hält sich weiterhin dort auf. Mit den Familienangehörigen steht der Beschwerdeführer alle drei bis vier Monate in Kontakt. Der Beschwerdeführer hält sich seit September 2015 im Bundesgebiet auf.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen jungen gesunden Mann.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

1.2. Zu den Beschwerdegründen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer asylrelevanten unmittelbaren Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in einer der größeren Städte von Afghanistan wie Masar -e Sharif, Herat oder auch Kabul besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer hat an mehreren Kursen teilgenommen und verfügt über Deutschkenntnisse; er hat in Österreich Deutschkurse, bzw. einen Lehrgang besucht und Zertifikate über eine abgelegte Prüfung auf dem Niveau A2 sowie B1 vorgelegt. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten, hat keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen zu sich in Österreich aufhältigen Personen, bzw. ist das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet nicht dargelegt worden. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

Das Bestehen von besonderen Gründen die für ein Verbleiben der beschwerdeführenden Partei im Bundesgebiet sprechen sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

(gekürzt und zusammengefasst durch das BVwG)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

(UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In . Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. .

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

(The Guardian 31.5.2017) [Anm.: man beachte, dass die Opferzahlen in dieser Grafik, publiziert am Tag des Anschlags, noch überhöht angegeben wurden]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 18 von 201

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017). .

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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