TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/27 L504 2206867-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.11.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.8
FPG §53 Abs3
FPG §60
FPG §66 Abs1
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs3
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §105 Abs1
StGB §107 Abs1
StGB §107 Abs2
StGB §15
StGB §21
StGB §83 Abs1
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L504 2206867-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX1984 geb., StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2018, XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF, § 18 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX1984 geb., StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2018, XXXX beschlossen:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei [bP] ein türkischer Staatsangehöriger, der im Jahr 2008 legal nach Österreich einreiste und zuletzt einen unbefristeten Aufenthaltstitel für das österr. Bundesgebiet erhalten hatte, wurde wegen mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen in den Jahren 2012, 2013, 2017 und neuerlich 2018 strafgerichtlich verurteilt.

2. Auf Grund der jüngsten Verurteilung wurde die bP mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 06.03.2018, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Strafhaft befand (ZMR), eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme im Hinblick auf die Absicht der Behörde, gegen sie eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu erlassen, übermittelt und wurde sie unter einem zur Abgabe einer Stellungnahme anhand eines Fragenkatalogs aufgefordert. Dem Schreiben wurden die Länderfeststellungen zur Türkei beigefügt. Eine Stellungnahme ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

3. Mit E-Mail vom 06.03.2018 fragte das BFA beim Arbeitsmarktservice Oberösterreich an, ob die bP unter das Assoziationsabkommen mit der Türkei falle, was seitens des AMS bejaht wurde. Die bP habe auf Grund eines mehr als dreijährigen Beschäftigungsverhältnisses bei derselben Firma das Recht auf Bewerbung im gleichen Beruf beim Arbeitsgeber seiner Wahl erworben (Art 6 Abs. 1 2. Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei-ARB-Nr. 1/1980).

4. Das BFA holte schriftliche Urteilsausfertigungen sowie Auszüge aus dem Versicherungsdatenverzeichnis, dem Strafregister, dem kriminalpolizeilichen Aktenindex und den verwaltungspolizeilichen Vormerkungen der bP ein.

5. Mit Bescheid des BFA vom 23.07.2018 wurde gegen die bP gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gem. § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot wurde gem. § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III).

6. Mit Verfahrensanordnung vom 23.07.2018 wurde der bP von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beigegeben.

7. Gegen diesen, der bP am 25.07.2018 zugestellten Bescheid, wurde mit Schriftsatz ihres rechtsfreundlichen Vertreters vom 21.08.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde auf die Besachwalterung der bP hingewiesen, weshalb der angefochtene Bescheid nicht in Rechtskraft erwachsen sei und könne die belangte Behörde somit auch nicht auf ein Desinteresse am Verfahren seitens der bP schließen. Die bP leide an einer schizophrenen Erkrankung. Sie habe die strafbaren Handlungen unter Suchtmitteleinfluss und in einem inadäquaten Zustand begangen. Beantragt wird die Gewährung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubes, die Herabsetzung des Aufenthaltsverbotes sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

8. Mit der Beschwerdevorlage nahm das Bundesamt zu Beschwerdebehauptungen Stellung. Die Behauptung, die Behörde habe ihr Krankheit "ausgenutzt" und werfe ihr vor, dass sie in Konfliktsituationen nicht vor Gewaltanwendung zurückschrecke erfolge diese Feststellung auf Gerichtsunterlagen bzw. rechtkräftige Urteile der Strafgerichte. Hinsichtlich des behaupteten Zustellmangels - die bP sei besachwaltet und daher die Zustellung an sie unwirksam - wurde ausgeführt:

"[...]...wurde am 22.08.2018 ein Ersuchen an Herrn B. übermittelt, den Beschluss bezüglich der Sachwalterschaft innerhalb einer Woche an die Behörde zu übermitteln. [...] Weder in der Frist noch bis dato langte keine Stellungnahme ein. Folglich wurde am 11.09.2018 eine Anfrage bezüglich der Sachwalterschaft an das Bezirksgericht Schärding übermittelt. Am 13.09.2018 wurde das BFA informiert, dass die Sachwalterschaft von Herrn B. keine Vertretung vor Ämtern und Behörden umfasst. Somit besteht kein Zustellmangel und der Bescheid ist gültig."

Dem vorgelegten Verwaltungsakt ist die Auskunft zur Besachwalterung aus einem Mail des Bezirksgerichtes vom 13.09.2018 nachvollziehbar.

9. Mit Aktenvermerk vom 04.10.2018 wurde der Beschwerde vom BVwG die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1. Die in der Türkei geborene und die türkische Staatsangehörigkeit innehabende bP reiste im Jahr 2008 im Alter von ca. 24 Jahren nach Österreich ein, wo sie sich in der Folge niederließ und seither legal aufhältig ist. Ihr wurde am 05.06.2009 ein unbefristeter Aufenthaltstitel, Daueraufenthalt - EU mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt, erteilt.

2. Von 29.01.2009 bis 07.01.2013 ging die bP verschiedenen Beschäftigungen als Arbeiter nach; vom 08.01.2013 bis 30.04.2014 bezog sie staatliche Leistungen und vom 01.05.2014 bis zum Zeitpunkt ihrer vorläufigen Anhaltung im XXXX am 05.12.2017 Rehabgeld und Kollektivvertrags-Sachleistungsanspruch von € 1.000,00 monatlich. Vom 30.08.2016 bis 09.12.2016 war die bP als Arbeiter beschäftigt und bekam am 22.03.2017 bis 23.03.2017 eine Winterfeiertagsentschädigung.

3. Die bP ist von ihrer deutschen Ehegattin geschieden und nicht unterhaltspflichtig. Die bP lebte mit ihrer nunmehr geschiedenen Ehegattin vom 03.02.2012 bis 20.02.2012 in einem gemeinsamen Haushalt. Der bP wurde zuletzt am 16.02.2015 ein türkischer Reisepass ausgestellt.

4. Die bP leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Unter dem Einfluss der psychischen Störung ist bei der bP eine hochgradig potentielle Gefährlichkeit gegeben. Ohne Unterbringung der bP wäre konkret und naheliegend zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss ihrer geistigen bzw. seelischen Abartigkeiten Taten wie bisher begeht, also brachialgewalttätige Handlungen mit schweren körperlichen Folgen zum Nachteil anderer oder auch nachhaltige Drohungen mit dem Tod zum Nachteil anderer. Von einem signifikanten Behandlungserfolg kann noch nicht ausgegangen werden.

4.1. Die Behandlung der Schizophrenie ist in der Türkei möglich und für die bP auch zugänglich (AS 217).

5. Die bP wurde mit 11.09.2012 rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten mit einer Probezeit von 3 Jahren wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gem. §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (4) Z 1, § 27 (1) Z 1 1.2.7.8. Fall SMG verurteilt.

Mit 17.04.2013 wurde die Probezeit beim vorgenannten Urteil auf insgesamt 5 Jahre verlängert.

Mit 17.04.2013 wurde gegen sie eine bedingte Freiheitsstrafe von 4 Monaten mit einer Probezeit von drei Jahren sowie einer Geldstrafe zu 180 Tagessätzen wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB und dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB verhängt. Am 23.06.2014 wurde der unbedingte Teil der Geldstrafe vollzogen und ein Teil der Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen.

Mit 10.12.2013 wurde gegen sie eine bedingte Freiheitsstrafe von 1 Monat mit einer Probezeit von drei Jahren unter Bedachtnahme auf das vorgenannte Urteil gemäß §§ 31 und 40 StGB wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB verhängt. Mit 05.01.2017 wurde ein Teil der Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen.

Mit 11.05.2017 wurde gegen sie eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Monaten mit einer Probezeit von 3 Jahren wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gem. § 27 (1) Z 1 SMG und wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß § 15 StGB § 127 StGB verhängt.

Mit 29.01.2018 wäre die bP, sofern sie zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen wäre, das Vergehen der gefährlichen Drohung (§ 107 (1, 2) StGB) sowie das Vergehen der Körperverletzung und schwerer Körperverletzung (§§ 83 (2) und 84 (1) StGB) zuzurechnen gewesen. Weil sie zum Tatzeitpunkt an einer akuten Psychose im Rahmen der bestehenden schizophrenen Erkrankung litt, wurde sie gem. § 21 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gem. § 21 StGB eingewiesen. Der nächste Überprüfungstermin wurde für den 29.01.2019 angesetzt (AS 225).

2. Beweiswürdigung

1. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren Angaben.

2. Die Feststellungen zur Einreise und zum bisherigen legalen Aufenthalt der bP in Österreich, zu ihren aktuellen persönlichen und familiären Verhältnissen hierorts und ihrem bisherigen Berufsleben in Österreich sowie der Behandelbarkeit der Schizophrenie stützen sich auf die Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid und den dazu seitens der belangten Behörde eingeholten Urkunden sowie den Angaben der bP in der Beschwerde und dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 07.02.2017.

3. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen gegen die bP sowie zur psychischen Verfassung insbesondere der Gefährdungs- und Zukunftsprognose resultierten aus den dazu eingeholten bzw. im Akt einliegenden Datenbankabfragen sowie den übermittelten Urteilsausfertigungen.

4. Zum Vorbringen der bP zu den Gründen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes

4.1. Die belangte Behörde stützte sich bei ihrer Gefährlichkeits- und Zukunftsprognose auf die sieben Anzeigen und fünf rechtskräftigen Verurteilungen, wobei die belangte Behörde auf den Umstand, dass die bP kurz nach ihrer Einreise ins österreichische Bundesgebiet straffällig geworden ist und bereits im September 2012 zum ersten Mal verurteilt wurde, hinwies. Dass die bP im Zeitraum vom 24.08. bis 15.11.2010 unter anderem einer Minderjährigen Cannabiskraut angeboten und überlassen hat, wobei die bP zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig und der Altersunterschied mehr als zwei Jahre betrug, erachtete die belangte Behörde als besonders verwerflich. Den Taten der bP war eine hohe Gewaltbereitschaft immanent, wobei ihre Opfer nicht nur physisch, sondern auch psychisch verletzt wurden. Die Gefährlichkeit der bP wurde im Urteil des Landesgerichtes XXXX, vom 29.01.2018, ausführlich beschrieben, insbesondere warum die bP in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde. Ebenfalls wurde die Prognose gestellt, dass derzeit noch nicht von einem signifikanten Behandlungserfolg ausgegangen werden könne. Angesichts der obigen Ausführungen vermag der substantiierte Einwand in der Beschwerde, wonach die Feststellungen der belangten Behörde im Hinblick auf die getroffene Gefährlichkeits- und Zukunftsprognose nicht nachvollziehbar seien, keinen Bestand haben. Überdies weist die bP in ihrer Beschwerde selbst auf den Umstand hin, dass sie ihre Straftaten unter dem Einfluss von Suchtmitteln und ihrem "inadäquaten" Zustand begangen hat.

5. Die belangte Behörde hat der bP eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme im Hinblick auf die Absicht der Behörde, gegen sie eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu erlassen, übermittelt und sie unter einem zur Abgabe einer Stellungnahme anhand eines Fragenkatalogs aufgefordert. Nachdem die bP auf das Schreiben nicht reagierte, kam die belangte Behörde richtigerweise zum Schluss, dass die bP an der Mitwirkung ihres Verfahrens nicht interessiert war. Die Beschwerde versucht dem entgegen zu treten, indem sie auf ihre Besachwalterung durch eine näher bezeichnete Person verweist, und auf Grund dessen einen Zustellungsmangel des angeführten Schreibens sowie des angefochtenen Bescheides ortet. Diesbezüglich ist auf das E-Mail des zuständigen Bezirksgerichtes vom 13.09.2018 zu verweisen, welches eine Besachwalterung der bP für die Vertretung vor Ämtern und Behörden verneinte (AS 283), womit dem in den Raum gestellten Zustellmangel der Boden entzogen wird.

6. Sofern sich die bP gegen die Höhe des Aufenthaltsverbotes wendet und einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub Monat beantragt, ist sie auf die rechtliche Beurteilung zu verweisen.

3. Rechtliche Beurteilung

1. Zu Spruchpunkt I

1.1. Erlassung eines für die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot

Am 12. September 1963 schlossen die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Türkei ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation (Assoziierungsabkommen). Am 23. November 1970 verabschiedeten die Vertragsparteien das "Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation" (im Folgenden: ZP), das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In weiterer Folge wurde am 19.09.1980 durch den Assoziationsrat (dem durch das ZP Normsetzungskompetenz übertragen wurde) der Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) gefasst, welcher den vorangegangenen Beschluss Nr. 2/76 weitgehend ablöste.

In Art. 6 ARB 1/80 werden die Rechte türkischer Staatsangehöriger geregelt, welche je nach Beschäftigungsdauer in Österreich bestimmte Ansprüche im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung und letztlich ihren Aufenthalt ableiten können. Demgegenüber regelt Art. 7 ARB 1/80 die Rechtsstellung der Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer.

1.2. Die belangte Behörde ging zutreffend davon aus, dass die bP der Anwendbarkeit des Assoziierungsabkommens unterliegt und damit gegen sie die Erlassung eines Aufenthaltsverbots - und nicht eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot - in Betracht zu ziehen war.

Im gg. Fall war Art. 6 ARB 1/80 durch ihre ausgeübten Beschäftigungen erfüllt.

Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann der türkische Staatsangehörige sie nur noch unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130).

Gemäß der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 20.12.2012, Zl. 2011/23/0170, verliert ein Fremder die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 infolge eines als Maßnahme nach Art. 14 ARB 1/80 zu verstehenden Aufenthaltsverbotes, welches gegen ihn erlassen worden ist (vgl. VwGH 17. März 2009, 2008/21/0206; VwGH 10. November 2009, 2008/22/0848).

Der EuGH hat sich in der Rechtssache Ziebell (Entscheidung vom 08.12.2011, C-371/08) ausführlich mit Art. 14 ARB und damit den Voraussetzungen für die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger auseinandergesetzt. Bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahmen ist - so der EuGH - zu berücksichtigen, wie diese Ausnahmen im Bereich der Freizügigkeit von Unionsbürgern ausgelegt werden (EuGH im Fall "Nazli", Rn. 56, 10.02.2000, C-3401/97; Fall "Bozkurt II", Rn. 55, 06.06.1995, C-434/93). Dies sei umso mehr gerechtfertigt, als Artikel 14 Absatz 1 nahezu denselben Wortlaut wie Artikel 45 Absatz 3 AEUV habe. Daher seien die im Rahmen der Artikel 45 bis 47 AEUV (ex-Artikel 39 bis 41 EGV) geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die Assoziierungsberechtigten zu übertragen (EuGH im Fall "Polat", Rn. 29 m.w.N. vom 04.10.2007, C-349/06).

Es ist jedoch laut EuGH nicht möglich, die Regelung zum Schutz der Unionsbürger vor Ausweisung (Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/38/EG) auf die Garantien gegen die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger zu übertragen ("Ziebell", Rn. 60). Für Unionsbürger würden zum Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen viel stärkere Maßnahmen getroffen, die nicht auf - aus vorwiegend wirtschaftlichen Überlegungen - assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragbar seien ("Ziebell", Rn. 70).

Für den Mindestschutz vor Ausweisungen sind stattdessen gemäß der Rechtsprechung des EuGH und entsprechend Artikel 12 der Richtlinie 2003/109/EG folgende Punkte bei der Ausweisung zu berücksichtigen ("Ziebell", Rn. 79):

-

Eine Gefahr im Sinne des Artikels 14 Absatz 1 muss gegenwärtig, tatsächlich und hinreichend schwer sein und überdies ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren ("Polat", Rn. 32 und 34). Darüber hinaus muss die in Rede stehende staatliche Maßnahme für die Wahrung dieses Grundinteresses unerlässlich sein ("Ziebell", Leitsatz).

-

Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr bedeutet, dass zum Beispiel bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung Tatsachen zu berücksichtigen sind, die nach der letzten Behördenentscheidung eingetreten sind und die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde ("Cetinkaya", Rn. 47; "Ziebell", Rn. 84).

-

Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen ist nicht zulässig. Maßgebend darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen sein. Dieses muss auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeuten. Der Umstand, dass mehrere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, ist hierbei für sich genommen ohne Bedeutung ("Polat", Rn. 35 f. m.w.N.; "Dogan", Rn. 24; "Nazli", Rn. 61, 63 f.; "Bozkurt II", Rn. 59). Dasselbe gilt für die Dauer einer Inhaftierung des Betroffenen ("Ziebell", Rn. 83).

-

Die Ausweisungsverfügung darf auch nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen ("Ziebell", Rn. 80).

-

Die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats haben, bevor sie eine Ausweisungsverfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlenden Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen ("Ziebell", Rn. 80).

-

Die Ausweisung ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit und als solche eng auszulegen ("Ziebell", Rn. 81). Erforderlich ist eine Einzelfallprüfung, bei der der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, zu wahren sind ("Ziebell", Rn. 82).

Wer Rechte aus Artikel 6 oder 7 ARB 1/80 geltend machen kann, darf damit nur ausgewiesen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens - außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt - eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt ("Nazli", Rn. 61).

1.3. Im Hinblick auf die angeführte Judikatur des EuGH sowie des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 29.11.2006, Zl. 2006/18/0339) ist festzuhalten, dass Art. 14 ARB 1/80 und die insoweit gebotene Gleichbehandlung von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit EWR-Bürgern verlangt, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen türkischen Staatsangehörigen, dem die Rechte nach dem ARB 1/80 zukommen, nur unter den Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG idF Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 erfolgen kann (VwGH 11.12.2007, 2006/18/0278; VwGH 9. 11. 2011, 2011/22/0264).

Hat der Fremde eine nach Art. 6 ARB 1/80 bzw. Art. 7 ARB 1/ 80 geschützte Rechtsposition erreicht, so zieht dies die Anwendbarkeit des § 66 bzw. § 67 Abs. 1 FPG 2005 idF FrÄG 2011 nach sich (VwGH 10.10.2012, Zl. 2012/18/0088).

Ein Vergleich des bisherigen § 86 Abs. 1 FPG 2005 mit der nunmehrigen Bestimmung des § 67 Abs. 1 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 zeigt, dass jene Kriterien, die erfüllt sein müssen, um davon ausgehen zu können, es liege nach diesen Bestimmungen eine maßgebliche vom Fremden ausgehende Gefahr vor, inhaltlich nahezu unverändert geblieben sind. Lediglich in § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG 2005 wird nunmehr nur noch auf die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, nicht aber auch auf eine solche der öffentlichen Ordnung (so noch der bis zur Novellierung mit BGBl. I Nr. 122/2009 geltende § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG 2005) abgestellt. Demgemäß ist davon auszugehen, dass die bisherige zu § 86 Abs. 1 FPG 2005 ergangene Rechtsprechung im Wesentlichen - lediglich unter Bedachtnahme auf die Einschränkung in § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG 2005 - auf die Beurteilung, ob eine Gefährdung im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG 2005 vorliegt, übertragbar ist. Darüber hinaus ergeben sich auch weitere Hinweise zur Auslegung betreffend das Vorliegen einer Gefährdung nach § 67 Abs. 1 FPG 2005 anhand des § 67 Abs. 3 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, weil in den dort genannten Fällen der Gesetzgeber festgelegt hat, dass das sonst mit einer Höchstdauer von zehn Jahren zu befristende Aufenthaltsverbot (§ 67 Abs. 2 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011) sogar auf unbestimmte Zeit ("unbefristet") ausgesprochen werden kann. Insoweit ist davon auszugehen, dass bei Erfüllen eines der in § 67 Abs. 3 FPG 2005 enthaltenen Tatbestände das Vorliegen einer Gefährdung im Sinn des § 67 Abs. 1 FPG 2005 indiziert ist (VwGH 9.11.2011, Zl. 2011/22/0264).

Bei der Beurteilung im Rahmen des § 67 FPG kann laut Verwaltungsgerichtshof auf den Katalog des § 60 FrPolG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden Der Verwaltungsgerichtshof hielt diesbezüglich zu § 60 FrPolG idF BGBl. 100/2005 in seiner Entscheidung vom 14.12.2006, 2006/18/0421 fest:

"Bei der Frage, ob gegen türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, ist § 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrPolG 2005 insofern von Bedeutung, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 60 Abs. 1 Z. 1 legcit genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 60 Abs. 2 legcit als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann. Für die Beantwortung, ob die in § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FrPolG 2005 iVm § 60 Abs. 1 Z. 1 legcit umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Ferner dürfen gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB die einem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar aus dem ARB zustehenden Rechte nur dann im Weg einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme abgesprochen werden, wenn diese Maßnahme dadurch gerechtfertigt ist, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist nur zulässig, wenn auf Grund eines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. (VwGH 27. Juni 2006, 2006/18/0138)."

1.4.

§ 60 FPG in der zitierten Fassung lautete:

(1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1.

die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.

anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1.

von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

[...]

§ 67 FPG idgF lautet:

(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

[...]

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

§ 67 Abs. 1 FPG sieht sohin zwei unterschiedliche Gefährdungsmaßstäbe - als Bezugspunkt für die für jedes Aufenthaltsverbot Voraussetzung bildende Gefahrenprognose - vor. Einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens des betreffenden Fremden vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) - wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte - darüber hinausgehend eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet.

Die belangte Behörde ging richtigerweise von einem unter 10 Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthaltes der bP im Bundesgebiet aus und legte ihrer Prüfung die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens des betreffen Fremden vorliegen muss, zu Grunde (§ 67 Abs. 1 1. Und 2. Satz FPG). Im Urteil des Gerichtshofes der europäischen Union (EuGH) vom 16.01.2014, Rs C-400/12, wurde ausgeführt, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss und vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen ist. Die Verfügung der Ausweisung wurde der bP am 25.07.2018 (AS 259) zugestellt, womit die bP seit 25.07.2008 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig gewesen sein müsste. Wie die bP in ihrer Beschwerde selbst ausgeführt hat, ist sie erst seit 02.09.2008, in Österreich aufhältig, womit der andauernde rechtmäßige Aufenthalt der bP unter 10 Jahren liegt. Eine weitergehende Prüfung hinsichtlich der Erfordernis der Kontinuität des Aufenthaltes im Hinblick auf die verbüßte Freiheitsstrafe, wie es die belangte Behörde gemacht hat, konnte daher unterbleiben.

Nachdem sich die bP seit 02.09.2008 rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist davon auszugehen, dass er ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG erworben hat. Zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes hält sich der Beschwerdeführer jedoch nicht bereits zehn Jahre im Bundesgebiet auf. Das gegenständliche Aufenthaltsverbot ist daher am "mittleren" Maßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satz FPG iVm. § 67 Abs. 1 FPG und Art. 28 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie zu prüfen (vgl. VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/21/0370, mit Verweis auf VwGH vom 13.12.2012, 2012/21/0181).

1.5. Gefährdungsprognose

Der VwGH hat in seiner umfangreichen Judikatur zu § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 mehrfach festgestellt, dass Gefährdungsprognosen auf Basis dieser Bestimmung möglich sind und auch vorgenommen werden müssen (vgl. zuletzt VwGH, Ra 2016/21/0035, 25.02.2016; mwH auf B 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0079; B 28. Jänner 2016, Ra 2016/21/0017; E 15. Oktober 2015, Ra 2015/21/0133).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH vom 19.02.2014, 2013/22/0309; vgl. auch E 20. August 2013, 2013/22/0070; E 31. Mai 2011, 2008/22/0831; E 27. Mai 2010, 2007/21/0297).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 4 FPG ist auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, somit insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH Ra 2016/21/0075, 24.05.2016).

Bei der in § 67 Abs. 1 FPG vorgesehenen Gefährdungsprognose ist nicht auf den Zeitpunkt der strafbaren Handlung oder der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung abzustellen, sondern soll beurteilt werden, ob im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - mit Blick auf die Gegenwart und die Zukunft - das persönliche Verhalten (nach wie vor) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (VwGH, 2012/18/0098, 07.11.2012)

Die fremdenpolizeiliche Beurteilung ist unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Aus dem Status als "Freigänger" während der Strafhaft lässt sich keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Vorverhalten ergebenden Gefährdung ableiten (VwGH vom 25.02.2016, Zl. RA 2016/21/0051; vgl. E 12. Oktober 2010, 2010/21/0335).

1.6. Gesinnungswandel

Der ständigen Judikatur des VwGH zufolge ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH vom 25.01.2018, Ra. 2018/21/0004 sowie VwGH vom 19. April 2012, Zl. 2010/21/0507, und vom 25. April 2013, Zl. 2013/18/0056, jeweils mwN). Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Entscheidung nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen kann, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0193; vgl. auch VwGH vom 22. Jänner 2013, 2012/18/0185 und vom 22. Mai 2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013). Wenn sich die Gefährdung über einen - beginnend mit der Haftentlassung - Zeitraum von mehr als 8 Jahren nicht erfüllt, kann die diesem Aufenthaltsverbot zugrundeliegende Zukunftsprognose grundsätzlich nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117).

Bei der im Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot gebotenen Prognosebeurteilung kommt es nicht (nur) auf die strafgerichtlichen Verurteilungen als solche an (vgl. VwGH vom 20. November 2008, 2008/21/0603). Es ist vielmehr eine - aktuelle - Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Fremden vorzunehmen und die Frage zu beantworten, ob sich daraus (weiterhin) eine maßgebliche Gefährdung ableiten lässt (VwGH vom 25.04.2013, Zl. 2012/18/0072).

Gemäß der Entscheidung des VwGH vom 13.10.2000, Zl. 2000/18/0013 kann nicht von triftigen Gründen gesprochen werden, wenn der Fremde zwar durch die Begehung zahlreicher Taten (hier schwere Diebstähle bzw. Diebstähle durch Einbruch) ein Verhalten gesetzt hat, das eine nicht unerhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt, bei Begehung der Tathandlungen aber erst 15 bzw. 16 Jahre alt war und sich seit der letzten Straftat zweieinhalb Jahre wohlverhalten hat (Hinweis E 14.3.2000, 98/18/0340, einen in mehreren Angriffen über einen Zeitraum von mehreren Monaten begangenen gewerbsmäßigen Diebstahl betreffend; E 18.1.2000, 98/18/0375, einen Raub betreffend). Auch der EGMR geht in seiner Entscheidung vom 22.03.2007, Maslov gg. Österreich, Bsw. 1638/03 davon aus, dass die Tatsache, dass der BF nach Haftentlassung 1 1/2 Jahre nicht straffällig wurde, die Befürchtung mildert, der BF könne eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen.

Wenn zwischen der gerichtlichen Verurteilung und der Erlassung des Bescheides, mit dem über den Fremden ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde, ein Zeitraum von vier Monaten liegt, ist dieser für die Erstellung einer Prognose über ein künftiges Wohlverhalten des Fremden viel zu kurz (VwGH vom 20.07.1995, Zl. 95/18/0856; vgl. auch VwGH vom 03.12.1990, Zl. 90/19/0146 - versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt am 14.2.1987, Aufenthaltsverbot vom 2.9.1988, bis 31.12.1993 befristet - kein Zeitraum für eine verlässliche Prognose über das künftige Wohlverhalten).

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. B 22. Mai 2014, Ra 2014/21/0014). Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (VwGH vom 26.01.2017, Zl. Ra 2016/21/0233 - vgl. E 22. September 2011, 2009/18/0147; B 22. Mai 2014, Ro 2014/21/0007; B 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).

1.7. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Judikatur wurden bereits verschiedene Fallkonstellationen im Rahmen von Einzelfallbeurteilungen jeweils unter Zugrundelegung der sich ergebenden maßgeblichen Gefährdung und in weiterer Folge der Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG, welche u.a. zu einer "reduzierten Gefährlichkeit des Mitbeteiligten führen" kann, beurteilt.

Es wurde beispielsweise ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gegen einen seit mehr als fünfzehn Jahren in Österreich lebenden türkischen Staatsbürger, der unter anderem wegen seines Suchtmitteldeliktes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war, für zulässig erachtet (VwGH 27. 6. 2006, 2006/18/0138). Auch wurde eine Beschwerde gegen ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot einer polnischen Staatsbürgerin, die wegen Schlepperei und Gebrauch fremder Ausweise zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon zwei Monate unbedingt, verurteilt worden war, und gegen die über fünfzig Verwaltungsvormerkungen wegen Parkdelikten oder Übertretung der Höchstgeschwindigkeit vorlagen, abgewiesen (VwGH 27. 3. 2007, 2007/18/0135.)

In der Entscheidung des VwGH vom 13.12.2012, Zl. 2012/21/0181 wurde festgehalten: "Die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität fällt unter den Ausdruck "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd Unionsbürgerrichtlinie (Rl 2004/38/EG) (vgl. EuGH Urteil 23. November 2010, Rs C-145/09 (Panagiotis Tsakouridis)). (Hier: Der bandenmäßige Handel mit Betäubungsmitteln wurde der Fremden nicht angelastet. Sie hat zwar mit Heroin gehandelt, allerdings weder in einer kriminellen Vereinigung noch gewerbsmäßig und vor allem in der weit überwiegenden Zahl der Fälle als Beitragstäterin zu Tathandlungen ihres damaligen Lebensgefährten; auch die Qualifikation des § 28a Abs. 2 Z 3 SMG 1997 (Begehung in Bezug auf Suchtgift in einer das fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge) war nur hinsichtlich der als Beitragstäterin verübten Taten erfüllt. Zu berücksichtigen war auch, dass nur eine zur Gänze bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt wurde (vgl. EuGH Urteil 23. November 2010, Rs C-145/09 (Panagiotis Tsakouridis)).)"

Die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes wegen zahlreicher strafbarer Handlungen gegen fremdes Eigentum und körperliche Integrität ist auch bei einem rund neunzehn Jahre dauernden Aufenthalt des Fremden in Österreich gerechtfertigt, wenn der Zeitpunkt des Wegfalls der maßgeblichen Umstände für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes wegen der trotz zwischenzeitlicher Verurteilungen wiederholt begangenen und in ihrer Schwere noch gesteigerten Straftaten nicht vorhergesehen werden kann (VwGH 17.02.2006, 2005/18/0666).

Es entspricht auch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei Verbrechen gegen das SMG in der Regel weder ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegenstehen (vgl. zuletzt VwGH vom 28. Mai 2008, Zl. 2008/21/0339 sowie EGMR vom 10.07.20013, Benhebba gegen Frankreich, Bsw. 53441/99).

Auch beim Delikt des schweren und gewerbsmäßigen Betruges handelt es sich ohne Zweifel um ein die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens besonders schwer gefährdendes und beeinträchtigendes Fehlverhalten (vgl. VwGH 10.12.2008, 2008/22/0568; VwGH 23.03.1992, 92/18/0044), welches nicht nur auf eine hohe Bereitschaft der Negierung österreichscher Gesetze und gesellschaftlicher Regeln hinweist.

Schon die Verhinderung von (vorsätzlichen und fahrlässigen) Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit von Personen stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar (VwGH 09.11.2009, Zl. 2006/18/0318; VwGH 29.11.2006, Zl. 2006/18/0339).

Auch wiederholte Angriffe auf fremdes Vermögen zu unterbinden, berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft iSd § 86 Abs. 1 Satz 2 FrPolG 2005 (VwGH 22.05.2007, Zl. 2006/21/0004; 29.11. 2006, 2006/18/0327).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. April 2001, Zl. 99/18/0454, mwN) handelt es sich bei der Suchtgiftkriminalität um eine besonders gefährliche Art der Kriminalität, bei der die Wiederholungsgefahr erfahrungsgemäß besonders groß ist.

Der VwGH wies auch mit Entscheidung vom 22.03.2017, Ra 2017/19/0028, eine Revision eines BF zurück, welcher sich 17 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat. In diesem Fall stellte der BF vier unbegründete Anträge auf internationalen Schutz, täuschte Behörden durch Angabe unterschiedlicher Daten zu seiner Person mehrfach über Identität und Herkunft, um die Außerlandesbringung zu verhindern, missachtete ein Aufenthaltsverbot, wurde zweimal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt wegen versuchten Diebstahls, nahm an Deutschkursen teil und verrichtete gelegentlich soziale und berufliche Tätigkeiten. Auch Vorbringen zu Erkrankung wurde hinreichend berücksichtigt.

In seiner Entscheidung vom 24.05.2016, Ra 2016/21/0075, hielt der VwGH fest, dass das VwG zwar zutreffend unter Bedachtnahme auf alle Umstände der für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Straftaten des Fremden auf eine erhebliche kriminelle Energie und in Verbindung mit seinen "finanziellen Sorgen" auf eine große Wiederholungsgefahr ("hohe Wahrscheinlichkeit einer Rückfälligkeit") geschlossen hat. In diese Beurteilung musste das VwG aber auch die für den Fremden sprechenden Umstände, wie die Schadensgutmachung und das Geständnis, die auch schon vom Strafgericht bei der Bemessung der 20-monatigen Freiheitsstrafe als mildernd berücksichtigt worden waren, einbeziehen. Sie vermögen aber die vom VwG angenommene besondere Schwere der Straftaten und die daraus abgeleitete Gefährdung nicht maßgeblich herabzusetzen, zumal das VwG beim Fremden "keine Reue" oder "ernsthafte Aufarbeitung seiner Straftaten" erkennen konnte. In diesem Zusammenhang ist aber auch aus der bedingten Nachsicht der Strafe für sich genommen nichts zu gewinnen (vgl. E 19. März 2013, 2011/21/0152; B 22. Mai 2014, Ro 2014/21/0053). Dass der insgesamt erbeutete Betrag nicht auch noch die für die Verwirklichung des qualifizierten ("schweren") Diebstahls erforderliche Wertgrenze überstieg, aber immerhin mehr als dessen Hälfte betragen hatte, kann auch nicht entscheidend zugunsten des Fremden veranschlagt werden, hat dieser Umstand doch schon bei der Bewertung der Straftaten seinen Niederschlag gefunden. Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 4 FrPolG 2005 ist auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, somit insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse. Das VwG ist vom Fehlen maßgeblicher Anknüpfungspunkte im Inland ausgegangen, daher lässt sich auch diesbezüglich die Dauer des Aufenthaltsverbotes von sechs Monaten nicht rechtfertigen. Insgesamt wurde bei dieser Stattgabe einer Amtsrevision die Herabsetzung des Aufenthaltsverbotes von drei Jahren auf sechs Monate als "krasse Fehlbeurteilung" durch das BVwG gesehen.

Demgegenüber wurde die Revision zurückgewiesen, nachdem das BVwG das auf sieben Jahre verhängte Aufenthaltsverbot auf vier Jahre herabgesetzt hat, da der BF zusammengefasst lediglich zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe wegen Straftaten nach dem SMG verurteilt wurde.

Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 2. 4. 2015, 27945/10, Sarközi and Mahran v. Austria, zur Verhängung eines Aufenthaltsverbots nach mehrmaliger strafgerichtlicher Verurteilung trotz eines minderjährigen Kindes mit einem österreichischen Staatsbürger festgehalten, dass va die Schwere der sieben strafgerichtlichen Verurteilungen und die Tatsache, dass der BF bei ihrer letzten Straftat bewusst gewesen sein muss, dass eine Ausweisung droht, zu berücksichtigen war.

In der Entscheidung vom 15.11.2012, Bsw. 52873/09, Shala gg. Schweiz, wurde ein aus dem Kosovo stammender und im Rahmen eines Familiennachzugs im Alter von 7 Jahren in die Schweiz gekommen BF nach mehreren strafrechtlichen Verurteilungen eine Ausweisung für die Dauer von 10 Jahren ausgesprochen, nachdem er 18 Jahren in der Schweiz gelebt hatte. Der BF wurde 2003 wegen fahrlässiger Körperverletzung, grober Verletzung von Straßenverkehrsregeln sowie pflichtwidrigem Verhalten bei einem Unfall zu einer bedingten 3-monatigen Freiheitsstrafe und wegen grober Verletzung von Straßenverkehrsregeln zu einer 30-tägigen Freiheitsstrafe verurteilt. 2004 erhielt der BF wegen Rauferei eine bedingte Freiheitsstrafe von 45 Tagen. Im Jahr 2007 wurde er wegen Missbrauchs einer Fernmeldeanlage sowie versuchter Erpressung zu einer Geldstrafe verurteilt und wurde die Bewährung für die 45-tägige Freiheitsstrafe aufgehoben. Unter Artikel 8 EMRK machte er vor dem Gerichtshof geltend, seine Wegweisung sei aufgrund der fehlenden Möglichkeit, sich im Kosovo beruflich zu integrieren, unverhältnismäßig. Angesichts der mehrmaligen Straftaten des Beschwerdeführers, der Beschränkung der Einreisesperre auf 10 Jahre und des engen Bezugs, den er noch zu seinem Herkunftsland habe, befand der Gerichtshof, dass die von den Schweizer Behörden vorgenommene Abwägung der privaten Interessen des Beschwerdeführers mit dem Interesse der Schweiz, die Einwanderung zu kontrollieren, verhältnismäßig ausgefallen war.

Der EGMR sah auch hinsichtlich eines gegen einen in Österreich lebenden neunzehnjährigen Türken verhängten Aufenthaltsverbotes in der Dauer von fünf Jahren keine Verletzung von Art. 8 EMRK. Dies da der BF seit dem vierzehnten Lebensjahr mehrere Straftaten beging und u. a. wegen schweren Raubes als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurde. Der EGMR wog insbesondere folgende Punkte ab:

* die Schwere der Delikte (von zehn Opfern erlitten drei schwere Verletzungen) und das Alter des Täters bei deren Begehung;

* die Dauer seines Aufenthalts in Österreich (zwölf Jahre während einer prägenden Phase in Kindheit und Jugend);

* das Verhalten des Täters nach den jeweiligen Verurteilungen (keine neuerliche Straftat nach seiner Entlassung aus der Freiheitsstrafe;

andererseits Lehrabbruch wegen Konflikten am Arbeitsplatz und Arbeitslosigkeit);

* soziale, kulturelle und familiäre Verbindungen in Österreich und in der Türkei;

Eine Würdigung der begangenen Straftaten bei der Beurteilung eines Gesamtfehlverhaltens im Rahmen des § 36 Abs 1 FrG 1997 (nunmehr § 67 FPG) hat auch dann zu erfolgen, wenn die darauf beruhenden Verurteilungen getilgt wären (vgl VwGH 27.06.2001, 2000/18/0041, VwGH 18.03.2003, 2002/18/0198).

Verwaltungsübertretungen weisen nicht schon für sich genommen eine solche Schwere auf, dass sie die Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FrPolG 2005 ohne weiteres indizieren würden, wenn sie im Katalog des § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 nicht enthalten sind (VwGH vom 29.06.2017, Zl. Ra 2017/21/0068, vgl. VwGH 7. Mai 2014, 2013/22/0233). Vom EGMR wurden in der Rechtssache Yildiz gegen Österreich vom 31.10.2002 (Bsw. 37295/97) sieben Verwaltungsstrafen in Zusammenschau mit zwei strafrechtlichen Verurteilungen als nicht nebensächlich betrachtet.

2. Im gegenständlichen Fall war ausgehend von oben Gesagtem wie folgt zu erwägen:

2.1. Über die bereits zuvor in den Jahren 2012 und 2013 erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen hinaus, unter denen sich zwei gegen die körperliche Integrität Dritter und eine versuchte Nötigung sowie zwei Verstöße gegen das SMG fanden, war die bP kurz nach Ende der offenen Probezeit bereits wieder am 15.02.2017 einschlägig rückfällig geworden.

Die bP wurde vom LG vom 29.01.2018 RK 29.01.2018, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen verurteilt:

§§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB [Anm.: Vergehen der schweren Körperverletzung]

§ 107 Abs. 1 und 2 StGB [Anm.: Vergehen der gefährlichen Drohung]

Die bP hat am 04.03.2017 in 4780 Schärding unter dem Einfluss eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, nämlich einer akuten Psychose im Rahmen der bestehenden schizophrenen Erkrankung eine Person am Körper misshandelt, indem sie ihn wegstieß und dadurch fahrlässig schwer am Körper verletzte, wobei die Person gegen ein Geschäftsregal prallte und zu Boden stürzte und dadurch Blutergüsse im Hüft- und Rückenbereich sowie Frakturen von drei Wirbeln der Lendenwirbelsäule erlitt; und dieselbe Person durch die Äußerung "abstechen, Messer" mit dem Tode gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Der Sachverständige Dr. S. hat zu der Erkrankung der bP ausgeführt:

"Die bP litt zum Tatzeitpunkt an einer akuten Psychose im Rahmen der bestehenden schizophrenen Erkrankung. Diese Störung entspricht einer geistigen bzw. psychischen Abnormität höheren Grades. Auf Grund der vorgelegenen psychosebedingten Erlebniswahrnehmungs- und Erlebnisverarbeitungsstörung, der pathologisch veränderten Denkprozesse und Affektstörung war der Betroffene nicht in der Lage, zwischen subjektivem inneren Erleben und äußerer Realität ausreichend zu unterscheiden, um den dafür notwendigen perspektiven Wechsel durchzuführen. Er war zur Tatzeit daher weder diskretionsnoch dispositionsfähig. Die Tatbegehungen standen im Zusammenhang mit dieser psychischen Störung. Unter dem Einfluss der psychischen Störung ist beim Betroffenen eine hochgradige potentielle Gefährlichkeit gegeben. Ohne Unterbringung wäre konkret und naheliegend zu befürchten, dass die bP unter dem Einfluss seiner geistigen bzw. seelischen Abartigkeit Taten wie bisher begeht, also brachialgewalttätige Handlungen mit schweren körperlichen folgen zum Nachteil anderer oder auch nachhaltige Drohungen mit dem Tod zum Nachteil anderer.

Hingegen liegen die forensisch-neuropsychiatrischen Voraussetzungen für eine bedingte Nachsicht der Unterbringung im Sinn des § 45 Abs.1 StGB nicht vor. Von einem signifikanten Behandlungserfolg kann nämlich noch nicht ausgegangen werden. Außerdem fehlt ein entsprechender sozialer Empfangsraum, in welchem eine entsprechende Betreuung des Betroffenen in Freiheit gewährleistet wäre."

2.2. Sofern die bP in ihrer Beschwerde meint, dass sie all ihre Handlungen unter Suchtmitteleinfluss und in einem adäquaten Zustand begangen habe und nunmehr versucht, mit kompetenten Personal ihr Leben in Ordnung zu bringen, steht ihr die oben angeführte Judikatur entgegen, nach der es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist. Dies ist konkret nicht der Fall, zumal bei der bP frühestens am 29.01.2019 eine Maßnahmenüberprüfung stattfindet.

Im Hinblick auf ihre Hoffnung nach Entlassung aus der Anstalt ein geläutertes Leben führen zu wollen, ist jedoch auch zu bedenken, dass sie es bereits in der Vergangenheit verabsäumt hat, wegen ihrer Psychose bzw. wegen ihrer Suchtmittelkrankheit hinreichend ärztliche Hilfe zu suchen bzw. in Anspruch zu nehmen, was zuletzt eben zu einer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geführt hat. Nach Ansicht des Sachverständigen kann auch von einem signifikanten Behandlungserfolg noch nicht ausgegangen werden.

Es ist angesichts der Wirkungslosigkeit der bisherigen Sanktionen und der raschen Rückfälle konkret zu befürchten, dass die bP ihr sozialschädliches Verhalten in Zukunft beibehalten wird. Dabei sind auch die generell hohe Wiederholu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten