TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/20 W251 2151770-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2018
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Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2151770-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2017, Zl. 1071704801-150600272, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 02.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er Teilhaber eines Lebensmittelgeschäfts gewesen sei und er aufgrund seines Geschäftspartners Probleme mit den Taliban bekommen habe. Sein Geschäftspartner habe auch für den Staat gearbeitet, weshalb der Beschwerdeführer von den Taliban bedroht worden sei (AS 21).

3. Am 15.09.2016 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an Teilinhaber eines Geschäftes gewesen zu sein. Sein Geschäftspartner habe gute Kontakte zu den Dorfpolizisten gehabt, weshalb diese oft im Geschäft des Beschwerdeführers und seines Partners gewesen seien und dort Marihuana geraucht hätten. Da der Beschwerdeführer mit der Anwesenheit der Dorfpolizisten und deren Drogenkonsum im Geschäft nicht einverstanden gewesen sei, habe sein Geschäftspartner die Partnerschaft aufgelöst. Einen Monat später sei der Beschwerdeführer von den Taliban entführt worden. Man habe ihm vorgeworfen mit den Dorfpolizisten in Kontakt zu stehen und Drogen und Alkohol geschmuggelt zu haben. Da der Beschwerdeführer dies zunächst abgestritten habe, sei er geschlagen worden. Am dritten Tag habe er die Anschuldigungen jedoch gestanden, sodass ihm eine Entscheidung von einem Richter der Taliban bevorgestanden sei. Bevor der Richter jedoch das Urteil fällen habe können, sei der Unterschlupf der Taliban angegriffen worden. Als Ruhe eingekehrt sei, sei es dem Beschwerdeführer gelungen zu fliehen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der von seiner Familie unterstützt werden könne. Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan somit nicht in eine ausweglose Situation geraten. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Verfahren beim Bundesamt nicht den Anforderungen des amtswegigen Ermittlungsverfahrens gemäß § 18 Abs. 1 AsylG genügt habe. So seien die herangezogenen Länderberichte unvollständig und zumindest teilweise nicht mehr aktuell. Eine nachvollziehbare Beweiswürdigung sei allein deshalb nicht erfolgt, weil sich das Bundesamt nur selektiv mit einzelnen Aspekten des Vorbringens des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe. Dem Beschwerdeführer drohe wegen seiner unterstellten regierungsfreundlichen Gesinnung und wegen unislamischen Verhaltens (unterstellte Beschaffung von Alkohol und Drogen) durch die Taliban sowie aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara Verfolgung in Afghanistan. Dem Beschwerdeführer drohe im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte, zumal die Sicherheitslage im gesamten afghanischen Staatsgebiet überaus prekär und angespannt sei.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.05.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

7. Mit Schriftsatz vom 11.06.2018 wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund von in seiner Person gelegenen Umständen, insbesondere aufgrund seines psychischen Gesundheitszustandes einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt sei. Der Beschwerdeführer verwies auf einen ärztlichen Befund eines Krankenhauses vom 05.06.2018 sowie auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018. Es wurde der Antrag auf Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Verschlechterung der vorhandenen Suizidalität gestellt.

8. Mit Urkundenvorlage vom 19.07.2018 wurde ein ÖSD-Zertifikat B1 ausreichend bestanden vom 27.06.2018 übermittelt.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.07.2018 wurde ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie zur schriftlichen Gutachtenserstellung bestellt. Gemäß dem erstatteten neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 31.08.2018 ist keine suizidale Einengung beim Beschwerdeführer feststellbar. Zudem ist der Beschwerdeführer in der Lage sich ohne fremde Hilfe Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung zu verschaffen und sich in einer fremden Stadt zu orientieren.

10. Der Beschwerdeführer nahm mit Schriftsatz vom 26.09.2018 Stellung zum Sachverständigengutachten und brachte vor, dass der Sachverständige keine vollständige Erhebung anhand der Kriterien des WHO Diagnosekatalogs ICD 10 durchgeführt habe. Zudem stelle sich die Situation von psychisch erkrankten Personen in Afghanistan als prekär dar und finde die Behandlung von psychisch erkrankten Personen nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif sei dem Beschwerdeführer aufgrund der Dürre und des fehlenden sozialen Netzwerkes sowie seines psychischen Gesundheitszustandes nicht zumutbar.

11. Mit Parteiengehör vom 30.11.2018 wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, mit Kurzinformation vom 29.10.2018, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Lage in Herat und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2018 sowie eine ACCORD Anfragebeantwortung zu den Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 übermittelt.

12. Mit Stellungnahme vom 14.12.2018 wurde vorgebracht, dass die Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Staatsgebiets Afghanistans für Zivilisten äußerst prekär sei. Der Beschwerdeführer sei als Angehöriger der schiitischen Glaubensgemeinschaft besonders von Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte wie die Taliban und den IS bedroht. Zudem könne die Behandlung von psychisch erkrankten Personen in Mazar-e Sharif oder Herat nicht gewährleistet werden. Die Unterstützungsleistungen welche im Rahmen der Rückkehr geboten werden sind keinesfalls ausreichend um selbständig ohne Unterstützung durch ein soziales Netzwerk in Afghanistan zu überleben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache. Er ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder (AS 11, 75; Protokoll vom 30.05.2018 = OZ 10, S. 3, 6 f).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX (beim Bundesamt "XXXX" geschrieben), im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern (einem Bruder und einer Schwester) in einem Eigentumshaus aufgewachsen (AS 73; OZ 10, S. 6 ff). Der Beschwerdeführer hat drei Jahre die Schule besucht (AS 11; OZ 10, S. 7). Der Vater des Beschwerdeführers hat mit Schafen und Ziegen gehandelt. Der Beschwerdeführer hat bei der Viehzucht seines Vaters mitgeholfen (OZ 10, S. 8). Der Beschwerdeführer hat gemeinsam mit einem Geschäftspartner ca. drei Jahre lang ein Lebensmittelgeschäft betrieben (AS 73 f, 79; OZ 10, S. 8, 14). 2013 ist er in den Iran gereist und hat dort als Steinmetz gearbeitet (OZ 10, S. 8, 20).

Der Beschwerdeführer verfügt über seine Eltern, seine zwei Geschwister sowie seine Ehefrau in seinem Heimatdorf. Das Eigentumshaus der Familie wurde nicht verkauft, sondern es wohnen die Eltern, zwei Geschwister sowie die Ehefrau des Beschwerdeführers nach wie vor darin. Der Vater des Beschwerdeführers betreibt nach wie vor seine Viehzucht. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie (AS 83; OZ 10, S. 9).

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest 02.06.2015 durchgehend in Österreich auf (AS 11 ff).

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht (AS 63-67) und die ÖSD Deutschprüfungen für die Stufen A1, A2 und B1 bestanden (Beilage ./Q, ./R und Beilage zu OZ 14). Er verfügt über gute Deutschkenntnisse. Er hat am Kurs "Landes Call 2016" (Beilage ./N) sowie an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage ./P) teilgenommen. Der Beschwerdeführer hat von Oktober 2017 bis August 2018 ein Jugendcollege besucht (Beilage ./O).

Der Beschwerdeführer hat regelmäßig für Dienstleistungsschecks Dienstleistungen erbracht (Beilage ./E und ./S; OZ 10, S. 11).

Der Beschwerdeführer absolviert seit 09.04.2018 eine Lehre zum Gastronomiefachmann (Beilage ./L, ./M und ./D). Er bezieht seit 15.04.2018 keine Grundversorgung (Beilage ./I).

Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Vertrauensperson, den er "Vater" nennt. Er ist mit diesem weder verwandt noch wohnt er mit diesem ein einem gemeinsamen Haushalt (OZ 10, S. 20) oder steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften knüpfen und wird von seinen Arbeitgebern und in der Gemeinde sehr geschätzt (Beilage ./C, ./D, ./G bis ./K, ./S und ./T). Er verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich (OZ 10, S. 11).

Der Beschwerdeführer weist ein XXXX, XXXX Zustandsbild ohne Krankheitswert bei Zustand nach Anpassungsstörung (F XXXX) auf (OZ 19). Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban entführt noch festgehalten oder zur Zusammenarbeit aufgefordert. Er wurde von den Taliban auch nicht beschuldigt mit den örtlichen Dorfpolizisten zusammengearbeitet zu haben. Zudem wurde weder der Beschwerdeführer noch dessen Familie von den Taliban konkret bedroht.

1.2.2. Die Geschäftspartnerschaft des Beschwerdeführers und seines ehemaligen Geschäftspartners wurde einvernehmlich aufgelöst. Der Beschwerdeführer wurde von seinem ehemaligen Geschäftspartner weder erpresst noch bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban, seinen ehemaligen Geschäftspartner oder durch andere Personen.

1.2.3. Der Beschwerdeführer hatte in Afghanistan selber keine konkret und individuell gegen ihn gerichteten Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Hazara.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer kann bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Dem Beschwerdeführer ist es jedoch möglich und zumutbar sich in der Stadt Mazar-e Sharif anzusiedeln. Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif ist zwar sehr angespannt, der Beschwerdeführer kann jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut und zudem anpassungsfähig. Er hat keine Sorgepflichten. Er kann zumindest anfänglich mit finanzieller Unterstützung seiner Familie rechnen und dann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 29.10.2018 - LIB 29.10.2018, S. 40).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 29.10.2018, S. 40).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 29.10.2018, S. 43).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 29.10.2018, S. 51).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 29.10.2018, S. 44).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 29.10.2018, S. 44). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 29.10.2018, S. 44 ff, 49).

Taliban

Die Taliban konzentrierten sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" nicht. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 ist auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (LIB 29.10.2018, S. 53 f).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten":

a. Politische Feinde: die Anführer und wichtigsten Mitglieder der Parteien und Gruppen, die den Taliban feindlich gesinnt sind;

b. Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen - alle Zivilisten, die für die Regierung oder für westliche diplomatische Vertretungen und andere Einrichtungen arbeiten;

c. Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

d. Personen, von denen angenommen wird, dass sie die Taliban für die Regierung ausspionieren oder Informationen über sie liefern;

e. Personen, die gegen die Shari'a (entsprechend der Auslegung der Taliban) und die Regeln der Taliban verstoßen;

f. Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft;

g. Kollaborateure des ausländischen Militärs - praktisch jeder, der den ausländischen Streitkräften in irgendeiner Weise hilft;

h. Auftragnehmer der afghanischen Regierung;

i. Auftragnehmer anderer Länder, die gegen die Taliban sind;

j. Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten;

k. Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern.

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und

k) bieten die Taliban allen Personen, die sich "fehlverhalten" die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen (Bericht Landinfo, Afghanistan der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne vom 23.08.2017 - Beilage

./V).

b) Regierungsmitarbeiter und Mitarbeiter westlicher Regierungen: Sie können einer Warnung oder Verurteilung vor Erhalt des letzten Drohbriefes entgehen, wenn sie Abgaben zahlen, Informationen liefern und ihre Kollegen für die Taliban ausspionieren, um deren Aktionen gegen die eigenen Arbeitgeber zu unterstützen oder zur Verbesserung der Organisation der Taliban beizutragen.

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein 'Übeltäter' ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist (Beilage ./V).

Als das System der Taliban Gestalt annahm und ihre Verhaltenskodizes ausgefeilter wurden, wurden auch Regeln eingeführt, die vorschreiben, dass die Taliban Kollaborateure mindestens zweimal warnen müssen, bevor sie gegen sie vorgehen. Dieses Verfahren gilt wohl seit 2009/2010. Von der Regel ausgenommen sind lediglich "große Kriminelle/Verbrecher", wie führende Persönlichkeiten in der Regierung. Daher gilt folgendes Verfahren für das Vorgehen gegen einen bestimmten Kollaborateur:

1. Person identifizieren;

2. Kontaktdaten herausfinden (Adresse oder Telefonnummer);

3. Person mindestens zweimal warnen;

4. verhören und vor Taliban-Gerichte stellen;

5. Person auf die schwarze Liste setzen, wenn sie sich weigert, den Anordnungen der Taliban Folge zu leisten;

6. Günstige Gelegenheit abwarten, um zuzuschlagen. (Beilage ./V).

Rekrutierung durch die Taliban:

Die Veränderung des Konfliktschemas wirkt sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, nämlich auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen (Bericht Landinfo, Afghanistan, Rekrutierung durch die Taliban, 29.06.2017 - Beilage ./VI, S. 8). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Beilage ./VI, S. 18).

Die Taliban rekrutieren über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen (Beilage ./VI, S. 12).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Beilage ./VI, S. 18). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Beilage ./VI, S. 19).

Ghazni

Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet. Die Provinz besteht aus 19 Distrikten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (LIB 29.10.2018, S. 104).

Ghazni zählt zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (LIB 29.10.2018, S. 105).

Regierungsfeindliche Elemente haben weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (LIB 29.10.2018, S. 105).

Im Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen Missbrauch (LIB 29.10.2018, S. 106).

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv. Für den Zeitraum 1.1.- 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine IS-Vorfälle registriert (LIB 29.10.2018, S. 107).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 29.10.2018, S. 83 f).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 29.10.2018, S. 84, 242).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 29.10.2018, S. 84).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 29.10.2018, S. 83 f).

Lage in der Stadt Mazar-e Sharif und Herat aufgrund der Dürre

In der Provinz Balkh kommt es in den Bezirken Balkh, Nahar Shahi, Marmal, Khelm und Khas Balkh im Umkreis von Mazar-e-Sharif zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung. Über die Wasserversorgung in der Stadt Mazar-e Sharif gibt es jedoch keine Beschwerden bzw. diesbezüglichen Berichte (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2018 - Anfragebeantwortung vom 13.09.2018, S. 2; ACCORD Anfragebeantwortung zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 12.10.2018 - Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 5).

Afghanistan wird rund 2 bis 2,5 Mio. Tonnen an Getreide importieren müssen, um seinen Bedarf zu decken. Das sind rund zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Da die Getreideernte im Iran und Pakistan gut sein wird, wird dieses Defizit durch konventionelle marktwirtschaftliche Kanäle ausgeglichen werden können. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Märkten unverändert und lagen in Mazar-e-Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017 (Anfragebeantwortung vom 13.09.2018, S. 3).

Die Möglichkeiten für Gelegenheitsarbeit sind sehr begrenzt. Die meisten Menschen finden nur 2-3 Tage pro Woche Arbeit. Am höchsten ist der Tageslohn für ungelernte Arbeitskräfte in Takhar, gefolgt von den Provinzen Kundus, Badakhshan, Balkh, Faryab, Sar-e Pul und Ghor (Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 15). In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt (Anfragebeantwortung vom 13.09.2018, S. 8).

Für die von der Dürre betroffenen Haushalte dokumentierter Rückkehrer und Binnenvertriebener wird Nahrungsmittelhilfe in zugänglichen Gebieten geleistet. Insbesondere stellt die afghanische Regierung den Haushalten Futtermittel, Weizensaatgut und Düngemittel im Rahmen ihrer jährlichen Lebensmittelverteilung zur Verfügung (Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 18).

Insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) stellt sich die Situation nicht als stark lebensmittelunsicher dar, zumal diese Stadt im August und September 2018 nur der IPC-Kategorie 2 (stressed) zugeordnet wurde und die Prognose für Oktober 2018 bis Januar 2019 zwar eine Verschlechterung in den umliegenden Provinzen insbesondere im Norden abzeichnet, jedoch insbesondere jenen Teil der Provinz Balkh, in dem die Stadt Mazar-e Sharif liet, nach wie vor der IPC-Kategorie 2 (stressed) zugeordnet wurde, sodass sich diesbezüglich keine Verschlechterung zeigt (Abbildung ACCORD Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 12). In der Stadt Mazar-e Sharif stellt sich die Situation daher nicht dergestalt dar, dass es alleine bei einer Ansiedelung in dieser Stadt einer mangelhaften Versorgung mit Wasser oder Nahrungsmitteln kommt. Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen.

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84,7-89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus (LIB 29.10.2018, S. 285).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (LIB 29.10.2018, S. 287).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 29.10.2018, S. 288).

Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB 29.10.2018, S. 288).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 29.10.2018, S. 288).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 29.10.2018, S. 288 f).

Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet (LIB 29.10.2018, S. 47 ff).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (LIB 29.10.2018, S. 295).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet.". Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es werden keine bestimmten sozialen Gruppen ausgeschlossen. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 29.10.2018, S. 295 f).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 29.10.2018, S. 296).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 29.10.2018, S. 297 f).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 29.10.2018, S. 298).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (LIB 29.10.2018, S. 298).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. In der afghanischen Gesellschaft existiert die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Mitglieder der Hazara-Ethnie beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Die Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (LIB 29.10.2018, S. 298 f).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 29.10.2018, S. 299).

Angehörige der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 29.10.2018, S. 338 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan. In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 29.10.2018, S. 340 f).

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2017 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den 177. Platz. 83,7% der Afghanen betrachten die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Die Provinzen mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind Kabul mit 89,6%, Uruzgan mit 87,9%, Nangarhar mit 87,8% und Helmand mit 86,9% (LIB 29.10.2018, S. 265).

Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für amtliche Korruption vor, jedoch setzt die Regierung diese Vorschriften nicht effektiv um. Beamte gehen oft ungestraft korrupten Praktiken nach. Korruption ist in der afghanischen Gesellschaft verbreitet und die Geldflüsse des Militärs, der internationalen Geldgeber und des Drogenhandels verschärfen das Problem zusätzlich. Verschiedene Bereiche sind von Korruption betroffen. Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet, insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen. Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet (LIB 29.10.2018, S. 265 f).

Bestechung bleibt im öffentlichen Sektor weiterhin verbreitet und Schmiergeldzahlungen können direkt oder indirekt von Beamten gefordert oder auch von den Bürgern und Bürgerinnen selbst angeboten werden. Afghanen zahlen in den folgenden Bereichen Bestechungsgelder: Rechtswesen, Arbeitsmarkt, an administrativen Behörden auf Provinz- und Distriktebene, Sicherheitsbehörden sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen. Trotz der Bemühungen der Geldgeber und der afghanischen Regierung Mechanismen zur Förderung von Verantwortlichkeit und Transparenz zu entwickeln, wurde ein erheblicher Teil der Hilfsgelder für Afghanistan durch Korruption und Fehlleitung veruntreut (LIB 29.10.2018, S. 266).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 29.10.2018, S. 334).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 29.10.2018, S. 334 f).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018 - Beilage ./VII, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (Beilage ./VII, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 29.10.2018, S. 347).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 29.10.2018, S. 348 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 29.10.2018, S. 349 f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 29.10.2018, S. 350 f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 29.10.2018, S. 351 f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 29.10.2018, S. 352).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 29.10.2018, S. 351).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt sind.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./VII (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem - Beilage ./I;

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 02.03.2017 mit Aktualisierung vom 30.01.2018 - Beilage ./II;

Gutachten Mag. Mahringer vom 05.03.2017 - Beilage ./III; Bericht Landinfo zu Afghanistan betreffend die Organisation und Struktur der Taliban vom 23.08.2017 - Beilage ./IV; Bericht Landinfo zu Afghanistan betreffend den Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne vom 23.08.2017 - Beilage ./V; Bericht Landinfo zu Afghanistan betreffend Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017 - Beilage ./VI; EASO Bericht zu Afghanistan betreffend Netzwerke aus Jänner 2018 - Beilage ./VII) und Beilage ./A bis ./T (Medizinischer Befund vom 22.05.2018 - Beilage ./A;

Schreiben Gesundheitspsychologin vom 19.03.2018 - Beilage ./B;

Unterstützungsschreiben vom 29.05.2018 - Beilage ./C;

Arbeitsbestätigung - Beilage./D; Konvolut Dienstleistungschecks - Beilage ./E; Zeitbestätigung (Dolmetschen beim Arzt) - Beilage ./F;

Unterstützungsschreiben Mai 2018 - Beilage ./G;

Unterstützungsschreiben vom 15.05.2018 - Beilage ./H;

Unterstützungsschreiben vom 07.09.2016 - Beilage ./I;

Unterstützungsschreiben vom 09.05.2018 - Beilage./J;

Unterstützungsschreiben vom 04.04.2018 - Beilage ./K; Lehrvertrag vom 23.04.2018 - Beilage./L; Konvolut Lohnzettel - Beilage ./M;

Kursbestätigung 02.11.2016 - Beilage. /N; Teilnahmebestätigung Jugendcollege vom 12.04.2018 - Beilage ./O; Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 30.08.2017 - Beilage ./P; ÖSD Zertifikat A1 vom 05.09.2017 - Beilage ./Q; ÖSD Zertifikat A2 vom 06.07.2017 - Beilage ./R; Unterstützungsschreiben vom 12.03.2018 - Beilage ./S; Unterstützungsschreiben vom 08.05.2018 - Beilage ./T) sowie in den Schriftsatz vom 11.06.2018 samt Beilage (OZ 11 - samt Arztbrief der barmherzigen Brüder vom 05.06.2018), in die mit Urkundenvorlage vom 19.07.2018 vorgelegten Unterlagen (OZ 14 - ÖSD Zertifikat B1 ausreichend bestanden vom 27.06.2018), in das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 31.08.2

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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