TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/21 W104 2182529-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.12.2018
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Entscheidungsdatum

21.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W104 2198569-1/13E

W104 2198575-1/13E

W104 2198582-1/12E

W104 2198579-1/11E

W104 2198587-1/13E

W104 2182529-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX , 5. XXXX , geb. XXXX , 6. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch Caritas für Menschen in Not - Flüchtlingshilfe, 4020 Linz,

XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX , 4. XXXX ,

5. Zl. XXXX und 6. vom 06.12.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VI. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , XXXX , XXXX ,

XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsgenehmigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 21.12.2019 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Sechstbeschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte 18.08.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.08.2015 wurde protokolliert, der Sechstbeschwerdeführer sei Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan, seine Muttersprache sei Dari und die Befragung erfolge in Farsi. Er habe seinen Herkunftsstaat acht Jahre zuvor in den Iran verlassen. Zum Fluchtgrund wurde protokolliert, der Vater habe infolge des Todes der Mutter, als der Sechstbeschwerdeführer etwa drei Jahre alt gewesen sei, wieder geheiratet. Daraufhin habe er fünf Jahre beim Onkel gewohnt und sei dann mit seinem Vater und dessen neuer Frau in den Iran gegangen. Dort habe er Probleme mit seiner Stiefmutter gehabt und bei seiner Familie keine Zukunft gesehen. In Afghanistan habe er niemanden und könne sich ein Leben alleine dort nicht vorstellen.

Am 29.12.2015 stellten der Zweitbeschwerdeführer (Vater des Sechstbeschwerdeführers), die Erstbeschwerdeführerin (Stiefmutter des Sechstbeschwerdeführers) und der Dritt- und Viertbeschwerdeführer (minderjährige Brüder des Sechstbeschwerdeführers) nach Einreise in die Republik Österreich unter Umgehung der Grenzkontrollen Anträge auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.12.2015 gab der Zweitbeschwerdeführer an, er sei Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Er sei verheiratet. Seine Frau und zwei Söhne seien mit ihm in Österreich. Ein weiterer Sohn - der Sechstbeschwerdeführer - halte sich seit vier bis fünf Monaten in Österreich auf. Zum Fluchtgrund befragt führte er im Wesentlichen aus, er habe im Herkunftsstaat keine Lebenssicherheit mehr gehabt und sei daher mit seiner Familie in den Iran geflüchtet. Dort hätten sie keine Papiere bekommen und seien daher immer wieder abgeschoben worden. Nach Österreich sei er gekommen, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Die Erstbeschwerdeführerin führte in ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.12.2015 aus, sie sei Staatsangehörige der islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und schiitische Muslima. Sie sei verheiratet und mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen nach Österreich eingereist. Ein Sohn sei seit vier bis fünf Monaten in Österreich aufhältig. Zum Fluchtgrund befragt gab sie an, sie hätten in Afghanistan keine Sicherheit gehabt und im Iran keine Papiere. Nach Österreich seien sie wegen der Zukunft ihrer Kinder gekommen.

Am 25.08.2016 langte eine Stellungnahme des Sechstbeschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, der zufolge es im Zuge der Erstbefragung des Sechstbeschwerdeführers zu unrichtigen und unvollständigen Protokollierungen infolge von Verständigungsschwierigkeiten mit dem Paschtu-sprachigen Dolmetscher gekommen sei. Er sei Hazara und Moslem und spreche Dari und Farsi. Die Ehe seiner Eltern sei 2002 geschieden worden. Trotz Übertragung der Obsorge an die Mutter habe diese ihn zur Gewährleistung einer angemessenen Versorgung in die Obhut des Vaters gegeben. Er habe nie mehr Kontakt zur Mutter gehabt und sei die folgenden sieben Jahre beim Onkel väterlicherseits in Herat und Pakistan aufgewachsen, weil der Vater bereits im Iran aufhältig gewesen sei. Im Jahr 2009 habe der Vater den Sechstbeschwerdeführer, die Stiefmutter sowie die beiden Halbbrüder in den Iran geholt. Der Aufenthalt im Iran sei illegal gewesen, er habe nicht zur Schule gehen können und Hilfsarbeiten verrichtet. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei durch die iranischen Behörden immer wieder angedroht und auch tatsächlich versucht worden. Dort drohe dem Sechstbeschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit Todesgefahr. Zwischenzeitig seien auch der Vater, die Stiefmutter und die beiden Halbbrüder nach Österreich geflüchtet.

Der Fünftbeschwerdeführer wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte mit Schreiben vom 24.11.2016 vertreten durch seinen Vater einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.11.2017 führte der Sechstbeschwerdeführer im Wesentlichen aus, er sei in Kabul geboren und im Alter von drei oder vier Jahren mit seinem Onkel nach Pakistan und dann wieder nach Afghanistan gezogen. Mit elf Jahren sei er mit seinem Vater in den Iran gegangen, wo er ab dem 13. oder 14. Lebensjahr als Hilfsarbeiter zur Ernährung der Familie beigetragen habe. Zuvor habe er die Schule besucht. In Afghanistan würden noch zwei Onkel väterlicherseits leben. Sein Vater sei Leibwächter eines Politikers gewesen, von den Taliban bedroht worden und deshalb in den Iran gegangen. Daher habe der Onkel, der auch Kämpfer gegen Taliban und Russen gewesen sei, den Sechstbeschwerdeführer nach Pakistan mitgenommen. Im Iran würden Afghanen schlecht behandelt. Von Vater und Stiefmutter sei er oft geschlagen worden. Außerdem werde er in Afghanistan verfolgt, weil er Hazara und Schiit sei. Er habe dort niemanden, auch keine Wohnmöglichkeit und keinen Job.

Mit Bescheid vom 06.12.2017, dem Sechstbeschwerdeführer zugestellt am 15.12.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Sechstbeschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs, 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubwürdig. Die Sicherheitslage in Herat sei vergleichsweise gut und habe der Sechstbeschwerdeführer dort Verwandte und sei ihm die Niederlassung dort zumutbar.

Mit Verfahrensanordnung vom 12.12.2017 wurde dem Sechstbeschwerdeführer für ein etwaiges Beschwerdeverfahren eine Rechtsberatungsorganisation zur Seite gestellt.

Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2017 richtet sich die am 04.01.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde des Sechstbeschwerdeführers, in der ausgeführt wird, das Vorbringen des Sechstbeschwerdeführers sei glaubwürdig. Er werde wegen seiner Zughörigkeit zum schiitisch-muslimischen Glauben und zur Volksgruppe der Hazara sowie der Tätigkeit des Vaters verfolgt. Die Sicherheitslage in Afghanistan und auch in Kabul sei schlecht und lebe von der Kernfamilie des Sechstbeschwerdeführers niemand mehr im Herkunftsstaat. Eine Rückkehr sei nicht zumutbar. Außerdem sei der Sechstbeschwerdeführer gut integriert. Er habe einheimische Freunde, sei im Sportverein aktiv und ehrenamtlich tätig, arbeite als Lehrling und erhalte sich aus seiner Lehrlingsentschädigung. Eine Rückkehrentscheidung sei daher nicht zulässig.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.04.2018 führte der Zweitbeschwerdeführer im Wesentlichen aus, er sei in einem Dorf in Ghazni geboren, habe bis zu seinem zehnten Lebensjahr in Helmland gelebt und sei wegen der Einberufung seiner älteren Brüder zum Militärdienst mit diesen nach Pakistan geflohen. Dann sei er mit seinen Brüdern nach Kabul zurückgekehrt und habe dort einem Kommandanten als Leibwächter gedient, bevor die Taliban Kabul übernommen hätten. Diese hätten, als sie an die Macht gekommen wären, sein Haus durchsucht und sein Auto mitgenommen. Wegen dieser Tätigkeit und der im Zuge dessen ausgeführten Befehle habe er auch Feinde. 1375 nach dem iranischen Kalender sei er nach Pakistan ausgereist, wo er drei Jahre gearbeitet habe. Dann sei er in den Iran gereist. Von dort sei er einmal 1383 nach Kabul zurückgekehrt, um die Erstbeschwerdeführerin zu heiraten und zwei Mal (1386 und 1390) mit seiner Familie von den iranischen Behörden nach Afghanistan zurückgeschickt worden. Er sei jeweils nach etwa einem Monat wieder zurückgekehrt. Den Iran habe er wegen des unsicheren Aufenthaltsstatus verlassen. In Afghanistan hätte er keine Angehörigen mehr, seine Brüder würden in Pakistan leben. Außerdem habe er Probleme wegen seines Religionsbekenntnisses und seiner Volksgruppenzugehörigkeit.

Die Erstbeschwerdeführerin gab in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 10.04.2018 an, sie sei in einem Dorf in Ghazni geboren. Im Kindesalter sei sie nach Mazar-i-Sharif gezogen. Dort sei ihr Vater - ein Offizier - umgebracht worden, worauf sie mit ihrem Großvater nach Ghazni zurückgekehrt sei. Dort habe es mit dem Onkel und den Cousins Streitigkeiten um die Verheiratung der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin an einen Cousin und die Felder der Familie gegeben. Die Mutter habe auf die Felder verzichtet, um ihre Söhne zurückzubekommen und sei dann mit ihren Kindern nach Kabul, wo sie bedingt durch den Krieg ständig umgezogen seien. Ein Bruder und der Mann einer Schwester sei verschollen. Die Mutter sei von Raketensplittern getroffen worden und in der Folge verstorben. Nach ihrer Heirat im Jahr 1383 in Kabul sei die Erstbeschwerdeführerin dem Zweitbeschwerdeführer in den Iran gefolgt. Von dort seien sie zwei Mal nach Afghanistan abgeschoben worden. In Afghanistan hätte sie keine Angehörigen. Diese seien in Pakistan oder unbekannten Aufenthaltes. Afghanistan habe sie wegen der Sicherheitslage verlassen. Außerdem sei ihr Vater Offizier und ihr Mann beim Militär gewesen. Von den Taliban sei sie einmal 1375 wegen ihres Schleiers mit der Peitsche geschlagen worden und in der Schule sei sie wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit beschimpft und geschlagen worden. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Sie hätte nicht gewollt, dass diese wie sie aufwachsen müssten.

Bei einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.05.2018 schilderte der Zweitbeschwerdeführer nochmals die Durchsuchung durch die Taliban und gab an, er sei weder von diesen noch von den Feinden aus seiner Tätigkeit für den Kommandanten jemals persönlich bedroht worden. In Kabul könne er nicht leben, weil er dort erkannt werden könnte. In einer anderen Stadt kenne er niemanden.

Mit Bescheiden vom 18.05.2018, zugestellt am 23.05.2018, wies die belangte Behörde die Anträge des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin und des Dritt- bis Fünftbeschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs, 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, eine Verfolgung sei nicht glaubwürdig. Eine Rückkehr nach Ghazni sei bedingt durch die dortige Sicherheitslage nicht möglich. Jedoch sei die Sicherheitslage in Kabul vergleichsweise gut und eine Rückkehr dahin zumutbar.

Mit Verfahrensanordnung vom 18.05.2018 wurde der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer für ein etwaiges Beschwerdeverfahren eine Rechtsberatungsorganisation zur Seite gestellt.

Gegen die oben dargestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018 richtet sich die am 14.06.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen das bisherige Fluchtvorbringen widerholt wird. Die Erstbeschwerdeführeirn sei eine westlich orientierte Frau. Die geltend gemachten Fluchtgründe seien glaubhaft. Die Sicherheitslage in Afghanistan und auch in Kabul sie schlecht. Die Länderberichte seien unvollständig und habe sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit diesen auseinandergesetzt. Die Familie sei auch sehr um ihre Integration bemüht.

Mit Schreiben vom 09.10.2018 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Unterlagen zur Lage im Herkunftsstaat in das Verfahren ein und gab der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schreiben von 22.11.2018 legten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer Urkunden vor und gaben den Vollmachtswechsel zur nunmehrigen bevollmächtigten Vertreterin bekannt.

Am 03.12.2018 langte ein E-Mail mit einer Stellungnahme des Sechstbeschwerdeführers vom 02.12.2018 im Anhang am Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 03.12.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer, ihre bevollmächtigte Rechtsvertreterin, eine Zeugin und ein Zeuge - beide im Akt namentlich genannt - sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme. In der mündlichen Verhandlung schilderte die Erstbeschwerdeführerin ihren Lebensalltag in Österreich, führte aus, sie sei im Herkunftsstaat in der Schule wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit beleidigt und geschlagen und von den Taliban misshandelt worden, weil diese ihre Verschleierung bemängelt hätten. Sie sei auch der Meinung, Männer und Frauen sollten gleiche Rechte haben und sich gegenseitig respektieren. Der Zweitbeschwerdeführer führte aus, er sei im Fall einer Rückkehr bedroht, weil er Schiit sei und auch weil er für einen Kommandanten als Bodyguard gearbeitet habe. Die Taliban könnten ihn überall finden und die Leute, gegen die er damals im Zuge seiner Tätigkeit vorgegangen sei, könnten ihn überall finden. Der Sechstbeschwerdeführer führte aus, er glaube nicht an den Islam, würde nicht beten und habe es nie gerne getan.

In der Verhandlung brachten die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme ein, in der das Vorbringen zur Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführers sowie zur Verfolgungsgefahr für schiitische Hazara wiederholt wird und unter Berufung auf weitere Länderberichte zur Sicherheitslage im Herkunftsstaat ausgeführt wird. Die Minderjährigkeit der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sei besonders zu berücksichtigen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl;

* Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;

* Einsichtnahme in folgende vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Berichte:

-

Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 29.06.2018;

-

European Asylum Support Office (EASO): Country Guidance:

Afghanistan, June 2018;

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf;

-

European Asylum Support Office (EASO): Country of Origin Information Report: Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017;

https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports;

-

European Asylum Support Office (EASO): Bericht Afghanistan Netzwerke (Übersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), Stand Jänner 2018;

https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports;

-

Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 31.5.2018;

-

Ecoi.net - European Country of Origin Information Network:

Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke), 15.2.2013;

-

Landinfo, Informationszentrum für Herkunftsländer: Afghanistan:

Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Arbeitsübersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), 23.8.2017;

https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf;

* Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.

2. Feststellungen:

2.1. Feststellungen zur Person der Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer und zu ihren Fluchtgründen

Der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin wurden in unterschiedlichen Dörfern im Distrikt XXXX , Provinz Ghazni, Afghanistan geboren.

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer sind Staatsangehörige der islamischen Republik Afghanistan und Angehörige der Volksgruppe der Hazara. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Der Sechstbeschwerdeführer bekennt sich zu keiner Glaubensrichtung. Er betet auch nicht. Der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin sind seit dem Jahr 2004 verheiratet. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder.

Der Sechstbeschwerdeführer ist Sohn des Zweitbeschwerdeführers aus erster Ehe. Er wurde am XXXX volljährig und ist in Kabul geboren. Nach der Scheidung seiner Eltern wuchs er beim Onkel väterlicherseits in Pakistan und Herat auf, bis er mit etwa elf Jahren vom Zweitbeschwerdeführer in den Iran geholt wurde. Er hat für insgesamt sechs Jahre im Herkunftsstaat, Pakistan und dem Iran die Schule besucht. Ab seinem 13. oder 14. Lebensjahr war er im Iran als Hilfsarbeiter tätig.

Die Erstbeschwerdeführerin wuchs zunächst in ihrem Heimatdorf in Ghazni auf und zog im Kindesalter nach Mazar-i-Sharif. Nach dem Tod ihres als Offizier tätigen Vaters kehrte sie mit ihrem Großvater ins Heimatdorf zurück. Bedingt durch familiäre Streitigkeiten mit dem Onkel und den Cousins der Erstbeschwerdeführerin um die Verheiratung der Schwester und Grundstücke der Familie im Heimatdorf zog die Zweitbeschwerdeführerin nach Verzicht auf die Grundstücke mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Kabul um. Sie hat im Herkunftsstaat vier Jahre die Schule besucht.

Der Zweitbeschwerdeführer lebte zunächst in Helmland und reiste dann mit seinen Brüdern nach Pakistan aus. Er kehrte mit etwa 14 Jahren nach Afghanistan zurück, wo er etwa 1994 bis 1996 als Leibwächter eines Kommandanten beschäftigt war. Nachdem die Taliban Kabul eingenommen hatten, reiste er nach Pakistan aus, von wo er drei Jahre später in den Iran reiste. Im Iran war der Zweitbeschwerdeführer zunächst als Hilfsarbeiter am Bau und dann als Maurer beschäftigt. 2004 kehrte er für etwa einen Monat für die Heirat mit der Erstbeschwerdeführerin nach Kabul zurück. Der Zweitbeschwerdeführer hat keine Schule besucht.

Die Erstbeschwerdeführerin folgte dem Zweitbeschwerdeführer nach der Heirat in den Iran. Dort wurden der Dritt- und Viertbeschwerdeführer geboren. Der Fünftbeschwerdeführer wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

Die Ausreise aus dem Iran erfolgte wegen der unsicheren Lebensbedingungen für dort aufhältige afghanische Staatsangehörige.

In Afghanistan sind keine Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin oder des Zweitbeschwerdeführers mehr aufhältig.

Dass der Erstbeschwerdeführerin und den Zweit- bist Sechstbeschwerdeführern im Herkunftsstaat Übergriffe durch die Taliban oder aufgrund privater Feindschaften wegen der Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführers als Leibwächter für einen Kommandanten drohen, kann nicht festgestellt werden.

Dass der Erstbeschwerdeführerin und den Zweit- bis Sechstbeschwerdeführern im Herkunftsstaat Übergriffe aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara drohen, kann nicht festgestellt werden.

Eine innere Überzeugung des Sechstbeschwerdeführers, aus der heraus er den Islam als Religion ablehnt, kann nicht festgestellt werden. Vermeidet der Sechstbeschwerdeführer einen offenen Bruch mit den islamischen Traditionen des Herkunftsstaates, so sind Übergriffe wegen Apostasie nicht zu erwarten.

Die Erstbeschwerdeführerin hat bereits im Herkunftsstaat vier Jahre die Schule besucht und kann daher lesen und schreiben. Im Iran war die Erstbeschwerdeführerin Hausfrau. In Österreich hat sie bis auf die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs und an Deutschkursen keine Aus- und Fortbildungsmaßnahmen besucht. Sie spricht Deutsch auf A1-Niveau. Die Erstbeschwerdeführerin trägt seit etwa vier Monaten kein Kopftuch mehr und befürwortet die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Sie kümmert sich in Österreich hauptsächlich um den Haushalt und die Kinderbetreuung, insbesondere um die Betreuung des Fünftbeschwerdeführers. Der Zweitbeschwerdeführer ist ehrenamtlich tätig. Dass die Erstbeschwerdeführerin Behördenkontakte, die die ganze Familie betreffen, übernehmen würde, kann nicht festgestellt werden. Die Erstbeschwerdeführerin hat keine konkreten Vorstellungen von einer möglichen künftigen Berufstätigkeit. Sie pflegt alltägliche Kontakte zu Nachbarn, zu Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfern, ihren eigenen Lehrerinnen und Lehrern und denen ihrer Kinder. Sie nimmt an Schulveranstaltungen und an Sportveranstaltungen ihrer Kinder teil. Die Erstbeschwerdeführerin hat während ihres etwa dreijährigen Aufenthaltes in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten in Afghanistan darstellen würde. Dass der Erstbeschwerdeführerin allein aufgrund ihres Geschlechts im Herkunftsstaat Übergriffe drohen, kann nicht festgestellt werden.

Im Fall einer Rückführung der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbis Sechstbeschwerdeführer in ihre Herkunftsprovinz Ghazni würden diesen Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit als Folge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Handlungen regierungsfeindlicher Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung drohen.

Für den Fall einer Ansiedelung der Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer außerhalb der Herkunftsprovinz in den Städten Mazar-e-Sharif, Herat oder Kabul kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführerin und den Zweit- bis Sechstbeschwerdeführern Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit als Folge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierungen oder durch Handlungen regierungsfeindlicher Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung drohen.

Im Fall einer Ansiedelung in einer der größeren Städte wie Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat besteht die Gefahr, dass die Zweit- und Sechstbeschwerdeführer kein ausreichendes Einkommen erwirtschaften können, um die gesamte Familie zu ernähren. Insbesondere den Drittbis Fünftbeschwerdeführern droht daher unter Berücksichtigung ihrer Minderjährigkeit und der dadurch gegebenen Abhängigkeit von der Versorgung durch den Erst- und Sechstbeschwerdeführer die Gefahr, ihre notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, und Unterkunft nicht befriedigen zu können und dadurch in eine ausweglose Lage zu geraten sowie dass ihr Zugang zu Schulbildung nicht gewährleistet wäre. Den Dritt- und Viertbeschwerdeführern droht auch die Gefahr, zur Kinderarbeit gezwungen zur sein.

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer sind unbescholten.

2.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

2.2.1. Staatendokumentation (Stand 29.06.2018, außer wenn anders angegeben)

Allgemein:

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt mit einer prekären Sicherheitslage.

Allgemeine Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Quellen:

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AD - Analisi Difesa (20.5.2018): Afghanistan: dilaga l'offensiva di primavera Talebana,

http://www.analisidifesa.it/2018/05/afghanistan-dilaga-loffensiva-di-primavera-talebana/, Zugriff 23.5.2018

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AJ - Al Jazeera (22.5.2018): Afghanistan: Policemen killed in deadly Taliban attacks in Ghazni, https://www.aljazeera.com/news/2018/05/afghanistan-policemen-killed-deadly-taliban-attacks-ghazni-180522085446606.html, Zugriff 23.5.2018

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AP - Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul,

https://www.channelnewsasia.com/news/asiapacific/taliban-and-is-create-perfect-storm-of-bloodshed-in-kabul-9909494, Zugriff 30.1.2018

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BBC (21.3.2018): Kabul Sakhi shrine: 'Dozens dead' in New Year attack, http://www.bbc.com/news/world-asia-43484206, Zugriff 22.3.2018

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BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire, http://www.bbc.com/news/world-asia-42855374, Zugriff 29.1.2018

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INSO - International NGO Safety Organisation (o.D.): Gross Incident Data, http://ngosafety.org/country/afghanistan, Zugriff 28.3.2018

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LIGM - Lead Inspector General Mission (15.2.2018): Operation Freedom's Sentinel,

https://media.defense.gov/2018/Feb/15/2001878589/-1/-1/1/FY2018_LIG_OCO_OFS_Q1_DEC2017.PDF, Zugriff 20.3.2018

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Slate (22.4.2018): ISIS Suicide Bomber Kills at Least 50 Outside Afghanistan Voter Registration Center, https://slate.com/news-and-politics/2018/04/isis-suicide-bomber-kills-at-least-50-outside-afghanistan-voter-registration-center.html, Zugriff 7.5.2018

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TG - The Guardian (29.1.2018): Afghanistan: gunmen attack army post at Kabul military academy, https://www.theguardian.com/world/2018/jan/29/explosions-kabul-military-academy-afghanistan, Zugriff 29.1.2018

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TG - The Guardian (24.1.2018): Isis claims attack on Save the Children office in Afghanistan, https://www.theguardian.com/world/2018/jan/24/explosion-attack-save-the-children-office-jalalabad-afghanistan, Zugriff 29.1.2018

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UNGASC - General Assembly Security Council (27.2.2018): UN The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of February 27th, http://undocs.org/S/2018/165, Zugriff 20.3.2018

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UNGASC - General Assembly Security Council (10.8.2017): Speical Report on the strategic review of the United Nations Assistance in Afghanistan, Report of the Secretary-General, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/special_report_on_the_strategic_review_of_the_united_nations_assistance_mission_in_afghanistan.pdf, Zugriff 7.5.2018

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UNGASC - General Assembly Security Council (9.3.2017): the situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of March 3rd 2017 https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/n1705111.pdf, Zugriff 28.3.2018

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UNGASC - General Assembly Security Council (15.3.2016): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of March 7th 2016 https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1605468.pdf, Zugriff 28.3.2018

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USDOD - United States Deapartment of Defense (12.2017): Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://www.defense.gov/Portals/1/Documents/pubs/1225-Report-Dec-2017.pdf, Zugriff 20.3.2018

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WSJ - Wall Street Journal (21.3.2018): Suicide Bomber, in Crowd of New Year Pilgrims, Kills Dozens in Kabul, https://www.wsj.com/articles/suicide-bomber-in-crowd-of-new-year-pilgrims-kills-dozens-1521630534?mod=e2fb, Zugriff 21.3.2018

Sicherheitslage Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).

Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016). Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018). Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018). Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018). Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018). Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017). Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.- 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

Quellen:

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AJ - Al Jazeera (11.6.2018): Afghanistan: At least twelve killed in Kabul suicide blast,

https://www.aljazeera.com/news/2018/06/afghanistan-dozen-killed-kabul-suicide-blast 180611102329495.html, Zugriff 12.6.2018

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AJ - Al Jazeera (21.5.2018): Afghanistan: Policemen killed in deadly Taliban attacks in Ghazni, https://www.aljazeera.com/news/2018/05/afghanistan-policemen-killed-deadly-taliban-attacksghazni-180522085446606.html, Zugriff 23.5.2018

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (23.2.2018):

Islamic State in Afghanistan,

https://www.acleddata.com/2018/02/23/islamic-state-in-afghanistan/ Zugriff 26.3.2018

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CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (4.2017):

Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, http://cso.gov.af/Content/files/%D8%AA%D8%AE%D9%85%DB%8C%D9%86%20%D9%86%D9%81%D9%88%D8%B3/Final%20Population%201396.pdf, Zugriff 4.5.2018

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Dawn (26.5.2017): Taliban attack on Afghan base kills at least 15 soldiers, https://www.dawn.com/news/1335568, Zugriff 19.3.2018

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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