TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/17 W264 2177543-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.01.2019
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Entscheidungsdatum

17.01.2019

Norm

AsylG 2005 §15
AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §16 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W264 2177543-1/15E

W264 2177547-1/17E

W264 2177550-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin XXXX (BF2), geb. XXXX, StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2017, Zahl: 1104121204-160164134, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers (BF1) XXXX, geb. XXXX, StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2017, Zahl: 1104121106/160164135, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm

§ 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen Drittbeschwerdeführers XXXX geb.XXXX, StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch die BF2 und den BF1, diese vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2017, Zahl:

1104111001-160164275, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm

§ 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer BF1 und BF3, Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, reisten unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellten am 2.2.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Die Erstbefragung des BF1 und der BF2 erfolgte am gleichen Tage.

3. Die Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erfolgte jeweils am 20.9.2017 und wird zu den näheren Angaben auf die in den Fremdakten einliegenden Niederschriften hingewiesen. Der BF1 gab dabei unter anderem an, in der Kirche - in welcher er freiwillig helfe - eine Frau namens XXXX kennengelernt zu haben und sich seitdem für das Christentum zu interessieren. Die BF2 wurde unter anderem zu den Fluchtgründen des BF3 befragt und legte sie Dokumente vor. Als sie im Alter von einem Jahr gewesen sei, sei sie mit ihren Eltern in den Iran gezogen wegen angeblichen Feinden des Vaters in Helmand. Zusammengefasst gab sie an, dass der BF1 ihr zweiter Ehemann sei und ihr Exmann und ein Iraner sie im Iran verfolgt und bedroht hätten. Für den Fall der Rückkehr habe sie Angst, da sie hier in Österreich kein Kopftuch trage und dies durch Bilder im Facebook belegt sei. Sie würde als Ungläubige gelten, wofür die Todesstrafe verhängt werde.

4. Der BF1 legte Urkunden betreffend die Identität und Unterlagen über seine bisherigen Integrationsschritte in Österreich vor:

* Dienstzeugnis des XXXX vom 14.9.2017

* Empfehlungsschreiben Fam. XXXX, Haus XXXX vom 15.9.2017

* Schreiben der Dipl.-Päd. XXXX, Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Pfarrgemeinde XXXX und Obfrau des Vereins "XXXX" vom 11.9.2017, wonach BF1 und BF2 ehrenamtlich bei Projekten ihres Vereins und bei Gemeindefesten der evangelischen Pfarrgemeinde einbringen und wurden dazu Fotos beigelegt

* Bestätigung über die Teilnahme des BF1 an einem Deutschkurs aus Mai 2017

* Kopien von afghanischen Urkunden (Heiratsurkunde über 1. Ehe der BF2, Aufenthaltsgenehmigung für den BF1 im Iran, Identitätsnachweis für afghanische Staatsbürger, ausgestellt in Teheran

* Heiratsurkunde über Eheschließung des BF1 mit BF2

Die BF2 legte Urkunden betreffend die Identität und Unterlagen über seine bisherigen Integrationsschritte in Österreich vor:

* Identitätsausweis, ausgestellt in Teheran mit Staatsangehörigkeit Afghanistan

* Bestätigung über die Teilnahme des BF1 an einem Deutschkurs aus Mai 2017

* Schreiben der Dipl.-Päd. XXXX, Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Pfarrgemeinde XXXX und Obfrau des Vereins "XXXX" vom 12.9.2017, wonach die BF2 ehrenamtlich bei Projekten des Vereins und bei Pfarrgemeindefesten der evangelischen Pfarrgemeinde mittut und wurden dazu Fotos beigelegt

5. Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden der belangten Behörde - im Spruch näher bezeichnet - wurde mit Spruchpunkt I der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, mit Spruchpunkt II gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, mit Spruchpunkt III ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 wurde gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) 2005 eine Rückkehrentscheidung erlassen und mit Spruchpunkt IV wurde gemäß § 55 Abs 1 bis Abs 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

6. Gegen die oben näher bezeichneten Bescheide brachten die Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde ein und bekämpfen diese im vollem Umfang. Für die Beschwerdegründe - unter anderem Apostasie - wird auf den Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes hingewiesen.

7. Die belangte Behörde legte die bezughabenden Akte samt Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langten diese am 23.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Die öffentliche mündliche Verhandlung wurde am 3.10.2018 im Beisein seines Rechtsvertreters, eines Dolmetsch für die Sprachen Dari/Farsi durchgeführt und wurde XXXX zeugenschaftlich einvernommen. Der zeugenschaftlich Befragte wurde wahrheitserinnert und auf die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage sowie auf das Aussageverweigerungsrecht über alles das ihm in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde, hingewiesen.

Für die Angaben der Beschwerdeführer und des Zeugen wird auf das Verhandlungsprotokoll vom 3.10.2018 hingewiesen.

Es wurden auch Beweismittel vorgelegt:

* Bestätigung eines Volontariats des Diakoniewerks in XXXX über ehrenamtliche Mitarbeit des BF1 in der Behindertenarbeit

* Bestätigung des Küchenleiters des XXXX vom 27.9.2018 betreffend den BF1

* Empfehlungsschreiben der Dipl.-Päd. HOL XXXX vom 24.9.2018

* Bestätigung des evangelischen KirchenchorsXXXX vom 21.9.2018 über die Angehörigkeit der BF2 zum Kirchenchor

* Arbeitszeugnis des XXXX über die BF2 vom 27.9.2018

* Zeugnis der Kurartor-StV. der evangelischen Pfarrgemeinde XXXX aus September 2018, wonach BF1 und BF2 immer wieder den Gottesdienst besuchen, die BF2 im Kirchenchor singt und beide einen Taufkurs besuchen und sich in keiner Weise von der Gesellschaft ausschließen.

* ÖSD-Zertifikat A1 betreffend den BF1 (sehr gut bestanden)

* ÖSD-Zertifikat A1 betreffend die BF2 (gut bestanden)

* Reich bebildertes Fotoalbum, aus welchen Kopien der Farbfotos angefertigt wurden (BF2 im Dindlkleid im Kirchenchor beim Singen in der Kirche; BF1 und BF2 umgeben von Einheimischen beiderlei Geschlechts; BF1 und BF2 mit dem Pfarrer vor dem Christbaum; BF2 und BF3 mit einem Weihnachtsmann; Selfies der BF2 mit ihrer Arbeitskollegin und Foto der BF2 mitXXXX und XXXX aus der Kirchengemeinschaft; Fotos der BF2, BF3 und des BF1 vom "Chorausflug auf die XXXX-Alm"; BF2 und BF1 in geselliger Runde im Garten; BF1 bis BF3 mit "XXXX" bei Kaffee und Eiskaffee; BF2 mit BF3 beim Kinderschminken; BF2 im Dirndkleid mit BF1 und BF3

* Fotos des BF1 bzw der BF2 beim Deutschlernen mit "XXXX"

* Foto der BF2 mit "XXXX", wobei die BF2 den Arm und die Wange an die Schulter des Herrn legt

* Selfie der BF2 in der Kirche vor dem Hochaltar

* Fotos des BF2 mit seinen Arbeitskollegen in der Küche

* Mehrere Dienstleistungs-Schecks der BF2

In der Verhandlung zeigte der BF1 seinen Facebook-Account am Mobiltelefon vor, von welchem Fotos angefertigt wurden.

9. Mit Email vom 2.1.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht von Herrn XXXX mitgeteilt, dass es Taufurkunden von "XXXX" gibt und wurde bloß ein Zeugnis für XXXX, geb. XXXX, übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus und wird zur Person der Beschwerdeführer BF1 bis BF3 und zu deren Fluchtgründen festgestellt:

1.1. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet. Deren gemeinsames Kind ist der BF3. Sie reisten unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellten am 2.2.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Die Identität der Beschwerdeführer steht mit der für das Verfahren ausreichenden Sicherheit fest.

1.3. Die BF1 bis BF3 sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan.

1.4. Der BF1 ist Angehöriger der Volksgruppe der Quezelbash (auch Kizilbasch, Qizilbasch) und ist in Teheran, Iran, geboren, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Der Beschwerdeführer hat Angehörige im Bundesgebiet: seine Ehegattin BF2 und den gemeinsamen minderjährigen Sohn BF3.

1.5. Die BF2 ist aus der Provinz Helmand.

1.6. Die Muttersprache der BF1 bis BF3 ist Dari/Farsi.

1.7. Die BF1 bis BF3 sind in Österreich unbescholten.

1.8. Die BF1 bis BF3 sind gesund.

1.9. Der BF1 und die BF2 können in deutscher Sprache bereits über einfache Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis kommunizieren.

1.10. Der BF1 und die BF2 haben bereits aktiv zu ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit durch Arbeitsleistung beigetragen.

1.11. Die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergab, dass die BF2 eine selbständige Frau ist, welche sich in ihrer Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

1.11.1. Die BF2 lehnt das in Afghanistan an den Tag gelegte Frauenbild, die Vorbehalte gegenüber Frauen ab sowie ebenso die im Herkunftsstaat aufoktroyierten Lebensverhältnisse für Frauen.

1.11.2. Die BF2 kleidet, frisiert und schminkt sich nach westlicher Mode und trägt auch Trachtenmode.

1.11.3. Die BF2 singt im evangelischen Kirchenchor und hält Kontakt zu Österreichern beiderlei Geschlechts.

1.11.4. Sie lebt nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition.

1.12. Zur Situation in Afghanistan wird festgestellt:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018, zuletzt aktualisiert am 8.1.2019:

Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters

5.6.2018) . Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Karte Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

• Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

• Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok

2.8.2017) . Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

• Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

3.8. Helmand

Die Provinz Helmand hat eine Fläche von 36.402 km2 und ist damit die größte Provinz Afghanistans (VOA 12.3.2018; vgl. TD 31.5.2016). Helmand hat. inklusive der Hauptstadt Lashkargah City. folgende administrative Einheiten: Nadali. Marja. Garmsir. Khanshin. Disho. Nava. Greshk. Sangin. Kajaki. Musa Qala. Baghran. Noorzad und Washir. Im Osten grenzt sie an die Provinz Kandahar. im Norden an Uruzgan. Daikundi und Ghor; im Westen grenzt sie an die Provinzen Farah und Nimroz. und im Osten an die Durandlinie (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.ab). In der Provinz Helmand befinden sich ein regionaler und zwei militärische Flughäfen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 955.970 geschätzt (CSO 4.2017). Helmand ist eine der landwirtschaftlich fruchtbarsten Provinzen Afghanistans. Der Fluss Helmand fließt in einem relativ gut organisierten Kanalsystem durch die Provinz und bewässert somit Agrarflächen (TD31.5.2016). Die Provinz ist ein großes Zentrum der Opiumproduktion (IWPR 28.2.2018) welches in hohem Maßen die Finanzen der Taliban unterstützt (Pajhwok 1.2.2018; vgl. NPR 8.11.2017. TD 31.5.2016;) und Korruption unter Politikern fördert (NPR 8.11.2017). Schätzungen Regierungsbeamter zufolge haben die Taliban Anfang des Jahres 2017 85% der mohnanbauenden Provinz Helmand kontrolliert (RFERL 12.2.2018). Das Klima in der Provinz eignet sich zum Anbau eines großen Spektrums an Kulturpflanzen (TD 31.5.2016). Beamten zufolge bauen immer mehr Bauern in den zentralen, südlichen und nördlichen Distrikten von Helmand Mohn an (Tolonews 5.3.2018). Helmand war im Jahr 2017 die Provinz mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Berichten zufolge wurde die Provinz Helmand in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 zu den volatilen Provinzen des Südens gezählt, in welcher aufständische Gruppierungen in einer Anzahl von Distrikten aktiv waren und Angriffe ausführten (Khaama Press 10.3.2018; vgl. Khaama Press 6.2.2018, Khaama Press 24.1.2018, Khaama Press 17.1.2018, RFERL 15.2.2018, Xinhua

20.2.2018) . Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die afghanischen Kräfte, unterstützt von US- amerikanischen Truppen, in den vorangegangen Monaten an Boden gewinnen konnten (JDN

5.2.2018) , wenngleich die Taliban rund die Hälfte der Provinz kontrollierten (JDN 5.2.2018; vgl. BBC 1.3.2018).

Sangorian, eine regierungsnahe Milliz mit etwa 500 - 1.000 Kämpfern, wurde durch den afghanischen Geheimdienst (NDS - Directorate of National Security) gegründet, um die Aufständischen Gruppierungen zu unterlaufen und sie intern zu bekämpfen. Die Sangorian sehen sich selbst dafür verantwortlich, Versuche der Taliban, die Provinzhauptstadt Lashkar Gah einnehmen zu wollen, zu vereiteln (RFERL 15.2.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in den Provinzen Helmand, Kandahar, Nimroz, Kunduz, Ghazni und Farah verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 329 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. 2017 war Helmand die Provinz mit der dritt-höchsten Anzahl registrierter Anschläge (Pajhwok 14.1.2018). Im gesamten Jahr 2017 wurden in Helmand 991 zivile Opfer (386 getötete Zivilisten und 605 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und Blindgängern/Landminen. Dies bedeutet einen Steigerung von 10% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. So machte im Jahr 2017 die Anzahl ziviler Opfer, die aus Luftangriffen resultierten, im Distrikt Sangin der Provinz Helmand, im Distrikt Chahar Dara der Provinz Kunduz und im Distrikt Deh Bala der Provinz Nangarhar 50% der zivilen Opfer durch internationale Luftangriffe in Afghanistan insgesamt aus und war damit vergleichsweise hoch (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Helmand

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, bei denen Aufständische teils schwere Verluste hinnehmen müssen (Khaama Press 10.3.2018; vgl. Xinhua 20.2.2018, Reuters 3.12.2017). Mit Luftangriffen wird auch gezielt gegen illegale Drogenlabore vorgegangen, die in Helmand eine Haupteinnahmequelle der Taliban darstellen (WP 20.11.2017; vgl. WP 21.11.2017, Reuters

3.12.2017) .

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Helmand

Helmand ist bekannt dafür, eine Festung der Taliban zu sein (Xinhua 20.2.2018); sie kontrollieren oder beeinflussen weite Teile der afghanischen Provinz (NPR 8.11.2017; vgl. VOA 12.3.2018); speziell die nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Diese waren lange Zeit ein Schlachtfeld, speziell die Gegend um den Distrikt Sangin (JDN 5.2.2018; vgl. Tolonews 29.5.2017, NYT 23.3.2017).

Die Taliban greifen Kontrollposten und kleinere Stützpunkte während der Nacht an (NYT 24.2.2018; vgl. Tolonews 27.2.2018). So wurden die umstrittenen nächtlichen Anti-TerrorismusRazzien durch die afghanischen Spezialkräfte wieder eingeführt. Umstritten deswegen, weil sie in der Vergangenheit zu hohen zivilen Opfern führten und als inakzeptabler Verstoß gegen die Privatsphäre gesehen wurden. Mittlerweile werden sie von lokalen Beamten und Aktivist/innen mit Vorsicht begrüßt (IWPR 28.2.2018).

Für die Talibanaufständischen war das Jahr 2017 eines der tödlichsten Jahre in Helmand: So kamen 2.000 Taliban ums Leben (Tolonews 19.2.2018). Auch die anhaltenden militärischen Operationen gegen die Taliban haben diese geschwächt (Pajhwok 13.1.2018; vgl. VOA

12.3.2018) . Nichtsdestotrotz rekrutieren die Taliban nach wie vor lokale Jugendliche. Arbeitsmöglichkeiten sind gering, deswegen schließen sich die Menschen den Taliban an (Tolonews 19.2.2018).

Eine Nichtregierungsorganisation im Bildungsbereich unterzeichnete mit den Taliban in Helmand eine Absichtserklärung (memorandum of understanding - MoU), in der es um eine Lösung im Bildungsbereich geht. Beide Seiten einigten sich auf den Schutz von Madrassen, Schulen und anderen Gebäuden, sowie die Eröffnung von geschlossenen Schulen und Madrassen. Die Bildungsabteilung der Provinz war nicht involviert; dies wurde vom Sprecher des Gouverneurs bestätigt (MF 14.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden in der Provinz keine Vorfälle zwischen dem IS und den Streitkräften gemeldet, während zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 Zusammenstöße zwischen IS-Anhängern und den Streitkräften registriert wurden (ACLED 23.2.2018).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen. die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu. weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit. der hauptsächlich ethnische Hazara angehören. ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden. behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit. dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

Im Ulema-Rat. der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten. die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht. beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche. konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen. welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden. regelmäßig. um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS

15.8.2017) . Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS . Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017). Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA

5.2018) . Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS

15.8.2017) . Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert.

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für NichtMuslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nichtmuslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS

15.8.2017) . Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen.

Frauen in den ANDSF

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans besonders herausfordert (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 3.7.2014; vgl. BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Aufnahme afghanischer Frauen in die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANA, ANP und NDS) wurde immer von zahlreichen Herausforderungen begleitet. Die traditionelle afghanische Gesellschaft und patriarchalische Mentalität machen es Frauen schwer, am öffentlichen Leben teilzuhaben, insbesondere in Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen. Aus diesen Gründen erlauben die meisten Familien ihren Töchtern und Frauen nicht, sich den Verteidigungs- und Sicherheitskräften anzuschließen. Auch Unsicherheit ist wahrscheinlich ein starker Grund für das Fehlen von Frauen in den Verteidigungs- und Sicherheitsinstitutionen (AIHRC 9.12.2017).

Frauen sind Diskriminierung in verschiedenen Bereichen ausgesetzt, zum Beispiel in Hinsicht bestimmter Rechte und Privilegien, Weiterbildungsmöglichkeiten und den Zugang zu beruflichen Fortbildung im In- und Ausland. Einer Befragung der AIHCR zufolge, an der 648 Frauen teilnahmen (579 in der ANP, 60 in der ANA und zwölf im NDS), gaben die befragten Frauen an, dass in den drei Institutionen Diskriminierung gegen Frauen stattfindet. Einige Gründe, warum Frauen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor nicht die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Fortbildung und zur Weiterbildung erhalten, liegen in den Institutionen selbst; andere hängen mit Familie und Gesellschaft zusammen. Ein Anteil der befragten Frauen (17%) in den Provinzen (Kabul, Parwan, Kapisa und Panjshir) gaben gegenüber AIHCR an, keinen Zugang zu geschlechtergetrennten, geeigneten Toiletten und Umkleidebereichen zu haben. Das Fehlen von Umkleidebereichen bietet eine Grundlage für Missbrauch und Belästigung von Frauen und führt dazu, dass viele Frauen den Arbeitsplatz aufgeben. Auch gaben 13,2% der Befragten an, sexuell belästigt worden zu sein. Die Unterschiede beim Ausmaß der Belästigungen in den drei Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen (ANP, ANA und NDS) sind gering, jedoch in der ANP höher als in ANA und NDS (AIHRC 9.12.2017).

Im letzten Quartal des Jahres 2017 errichtete das afghanische Innenministerium ein Komitee zur Prävention von sexueller Belästigung und Gewalt; auch wurde eine Arbeitsanweisung dafür errichtet und die Aufgaben der bestellten Mitglieder erarbeitet - Berater/innen der Koalitionspartner sollen dem Komitee zur Seite stehen, um sicherzustellen, dass die Bemühungen gegen sexuelle Belästigung und Gewalt stark und effektiv sind (SIGAR 30.1.2018). Die AIHRC, in Kooperation mit dem afghanischen Verteidigungsministerium und dem Innenministerium erarbeitet derzeit ein Programm für den Ombudsmann, um externe Berichterstattung, Kontrolle und Opferunterstützung für weibliche Mitarbeiter der beiden Ministerien errichten. Dieses Programm soll Mitgliedern der ANDSF und der afghanischen Bevölkerung die Möglichkeit geben, geschlechtsspezifische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gefahrlos der AIHRC melden zu können (USDOD 12.2017; vgl. AIHRC 9.12.2017).

Im Allgemeinen verbesserte sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte seit 2001, wenngleich sexuelle Belästigung und Gewalt sowie geschlechtsspezifische Gewalt die erfolgreiche Integration und Verbleib von Frauen in der ANDSF bedrohen. Um dieses Risiko zu minimieren, hat das Verteidigungsministerium außerdem ein Gender Integration Office gegründet, welches aktiv Leitlinien und Prozesse errichtet, um sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden und zu melden. Außerdem bietet das Büro Unterstützung für männliche und weibliche Opfer sexuellen Fehlverhaltens an (USDOD 12.2017).

Ein Dutzend Frauen arbeiten in der Crisis Response Unit der afghanischen Polizei. Diese Einheit ist die Ersthelfer bei großen Angriffen. Die konkrete Mitgliederanzahl dieser Einheit ist unbekannt, wird landesweit auf 5.000 Mitglieder geschätzt; von den 254 Planstellen, die für Frauen vorgesehen sind, sind 83 tatsächlich besetzt. Die Frauen nehmen - so wie Männer auch - an den Operationen dieser Einheit teil und sind nicht nur für die Sicherheitskontrolle von Frauen zuständig. Eine der Mitarbeiterinnen dieser Einheit berichtet davon, monatlich 640 USD Grundgehalt zu erhalten (zusätzlich kommen noch kleine Belohnungszahlungen für Kampfoperationen hinzu); sie könne damit ihre Mutter, ihren Bruder und drei junge Kinder versorgen, die bei Verwandten leben, während sie manchmal monatelang auf Einsatz ist (LAT 3.3.2017).

Die türkische Polizeiakademie Sivas Police Vocational School hat bisher 1.956 afghanische Männer und 1.027 Frauen polizeilich in der Türkei ausgebildet. Die sechste Ausbildungsklasse für Frauen der afghanischen Nationalpolizei läuft mit Anfang des Jahres 2018; an dieser nehmen derzeit 243 Kandidatinnen teil (HDN 15.2.2018). Auch in Indien wurden bereits 4.000 Mitglileder der afghanischen Nationalpolizei und Nationalarmee in der Vergangenheit ausgebildet. Zum ersten Mal wird in Indien auch weibliches Militärpersonal an der Offiziersakademie in Chennai (Anm.: Bundesstaat Tamil Nadu) zu Offizierinnen ausgebildet. 17 Frauen entstammen der afghanischen Armee selbst, drei aus der Luftwaffe und eine nicht bekannte Anzahl aus Spezialeinheiten sowie weiteren Bereichen des afghanischen Verteidigungsministeriums (NDTV 6.12.2017).

Nachdem das von der afghanischen Regierung und der NATO angestrebte Ziel, den Frauenanteil in den ANDSF von 2010 bis 2020 auf 10% zu bringen, nicht realisierbar scheint, setzte sich die Regierung ein neues Ziel: Bis 2025 sollen 5.000 Frauen in die nationale Armee und 10.000 Frauen in die nationale Polizei eintreten (TD 30.4.2018). Nichtsdestotrotz lag am 3. März 2018 der Frauenanteil in den ANDSF bei 4.335, was einen Rückgang um 297 Frauen im Vergleich zum vergangenen Quartal ausmacht. Insgesamt arbeiteten 3.040 Frauen für die ANP, 1.295 für die ANA, 72 für die ASSF und 98 für die AAF.

1.504 waren Offiziere, 1.551 Unteroffiziere, 1.305 einberufenes Personal und 145 Kadetten. Aktuell ist das Women's Participation Program (WPP) im Laufen, eine Initiative zur Steigerung und Förderung des weiblichen Anteils innerhalb der afghanischen Sicherheitsinstitutionen. Das Programm fördert sichere und geschützte Einrichtungen, angemessene Ausrüstung, Ausbildung usw. (SIGAR 30.4.2018a).

Frauen in der Medienwelt

Im Jahr 2016 machten Frauen 20% der Medienmitarbeiter aus, verglichen mit 30% im Jahr 2015. Einige Frauen leiten Radiostationen und bestimmte Radiosender setzen sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Dennoch haben Reporterinnen Schwierigkeiten, ihren Beruf auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen führen zu Einschränkungen für Frauen innerhalb der Medien. Berichten zufolge ist sexuelle Belästigung in der Medienbranche weiterhin verbreitet (USDOS 3.3.2017). Viele Journalistinnen arbeiten unter Pseudonymen, um Belästigungen und Vergeltungsmaßnahmen zu vermeiden. In den Provinzen Kunduz, Nuristan und Panjshir sind keine Journalistinnen tätig (USDOS 20.4.2018). Zwischen Juli und Dezember 2017 betrafen 12 der 169 registrierten Gewaltvorfälle gegen Journalisten Frauen (AJSC 11.1.2018).

Frauen

5.2018) Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR . Trotzdem gilt Afg

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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