TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/23 W159 2152110-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2019
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Entscheidungsdatum

23.01.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2152110-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX, 4910 Ried im Innkreis, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2018, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und Moslemin, reiste (spätestens) am 12.10.2015 gemeinsam mit ihrem Sohn XXXX , geb. XXXX , und ihrem Ehemann XXXX , geb. XXXX , illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2015 gemeinsam mit ihrem Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 14.10.2015 gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Mann einen Schlepper organisiert habe. Zu ihrem Fluchtgrund befragt sagte sie, sie hätten Afghanistan verlassen, weil sie keine Sicherheit gehabt hätten. Ihr Leben sei in Gefahr gewesen. Ihr Mann sei einmal durch einen Bombenanschlag, welcher für einen Militärkonvoi bestimmt gewesen sei, schwer verletzt worden. Sie könne auch nicht sagen, was passiert sei. Ihr Ehemann sei in Logar zu Fuß unterwegs gewesen, als plötzlich eine Bombe explodiert sei. Er sei lange in medizinscher Behandlung gewesen. Er habe sich ein Monat im Krankenhaus in XXXX aufgehalten, sein Bein sei bis jetzt nicht geheilt.

In der Niederschrift zum Antrag auf internationalen Schutz, am 05.12.2016, gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Eltern und sie in den Iran gezogen seien. Sie sei ungefähr vier Jahre alt gewesen. Im Alter von sieben Jahren habe sie begonnen die Schule zu besuchen und sei fünf Jahre zur Schule gegangen. Mit sechszehn Jahren habe sie geheiratet und habe nach der Hochzeit nach Afghanistan zurückkehren müssen. In Afghanistan sei sie Hausfrau gewesen und habe mit ihren Schwiegereltern gemeinsam in einem Haus gelebt. Ihre Eltern, Großeltern und Geschwister würden alle im Iran leben. Ihr Ehemann sei der Cousin ihres Vaters. Sie habe ihn geliebt und habe sich gegen ihren Vater durchsetzen können, denn dieser sei gegen die Verbindung gewesen.

Die Beschwerdeführerin erzählte nachgefragt, dass sie aufgrund der Kriegssituation in Afghanistan geflüchtet seien. Sie hätten sich der Flüchtlingswelle nach Europa angeschlossen, obwohl sie ursprünglich in den Iran ausreisen wollten.

Sie sei nicht vorbestraft und habe in ihrer Heimat keine Probleme mit der Polizei gehabt. Sie sei nicht politisch tätig gewesen und kein Mitglied einer politischen Partei Sie habe keine Probleme aufgrund ihres Religionsbekenntnisses bzw. ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gehabt. Sie sei jedoch von der Familie ihres Mannes bedroht worden. Sie sei wegen Feinseligkeiten der Familie ihres Mannes geflohen. Sie seien schlechte Menschen. Der Schwiegervater der Beschwerdeführerin habe mit dem Gewehr auf ihren Mann geschossen, da sie getrennt hätten leben wollen. Die Beschwerdeführerin sei wegen Kleinigkeiten von ihrem Schwiegervater geschlagen worden. Vor drei Jahren sei ihr Mann bei einer Explosion verletzt worden und sei deswegen auch im Krankenhaus gelegen. Er sei in XXXX und in Pakistan medizinisch versorgt worden. Die Situation sei für sie sehr schlecht gewesen. Ihr Mann habe sein Grundstück verkauft. Er habe sich zusätzlich Geld von seinem Cousin geliehen um die Ausreise finanzieren zu können. Sie seien heimlich ausgereist.

Die Beschwerdeführerin gab des Weiteren an, dass sie zurzeit keine Beziehung und keinen Kontakt zu ihrem Mann habe. Sie würden nur durch das gemeinsame Kind verbunden sein. Das Ehepaar sei seit 10 Monaten getrennt sein. Ihre Religion würde vorsehen, dass bei einer Trennung von länger als 6 Monaten die Ehe automatisch geschieden sei. Die Beschwerdeführerin sehe ihre Ehe als geschieden an. Ihr Mann jedoch sehe sie als seine Frau für immer an. Sie könne deshalb nicht in ihren Herkunftsstaat zurückkehren, denn man würde sie töten. Auch ihre Familie würde eine Scheidung nicht akzeptieren.

In Österreich habe sie einen Deutschkurs besucht und ihn erfolgreich abgeschlossen.

In einer ergänzenden Niederschrift vom 24.02.2017 gab die Beschwerdeführerin an, die einzige Obsorgebevollmächtigte für ihren Sohn zu sein. Ihre Eltern würden sich nunmehr in Deutschland aufhalten.

Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 16.03.2017 wies die belangte Behörde unter Spruchpunkt I. den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und unter Spruchpunkt II. gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 wurde nicht, erteilt. Die Abschiebung sei gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig. Unter Spruchpunkt VI. setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe eine Verfolgung durch ihren Herkunftsstaat nicht glaubhaft machen können. Sie habe lapidar behauptet, dass ihr Fluchtgrund, die Feindseligkeiten der Familie ihres Mannes, sei. Die Beschwerdeführerin habe in diesem Zusammenhang angegeben, dass sie aufgrund der Streitigkeiten bei verschiedenen Verwandten an verschiedenen Orten gewohnt hätte. Als die Beschwerdeführerin bei ihrer Tante in XXXX gelebt habe, habe sie keine Probleme gehabt. Sie habe auch angegeben, dass als die Wege nach Europa sich geöffnet hätten, der Entschluss zur Flucht gefasst worden sei. Es würde der Beschwerdeführerin somit eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehen. Die belangte Behörde stellte feste, dass die Beschwerdeführerin keine exponentiell, schützenswerte Integrationsverfestigung darlegen könne, noch welche abgeleitet werden könne. Die Selbsterhaltungsfähigkeit bzw. eine Integration am Arbeitsmarkt sei nicht gegeben. Auch würde die Beschwerdeführerin sich nicht bemühen am Arbeitsmarkt zu integrieren.

Im Falle einer Rückkehr würde die Beschwerdeführerin nicht in eine Situation kommen, die einer asylrelevanten Gefahr gleichzusetzen wäre. Es könne nicht angenommen werden, dass sich die Beschwerdeführerin in Afghanistan nicht eine neue Existenz aufbauen könne.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin innerhalb offener Frist Beschwerde, mit der sie den Bescheid zur Gänze bekämpft. Im Zuge der Beschwerdeerhebung wurde der Verein für Menschenrechte zur Vertretung im Verfahren bevollmächtigt.

Darin wurde grundsätzlich die Fluchtgeschichte der Beschwerdeführerin wiederholt. Weiters führt die Beschwerde aus, dass die belangte Behörde ihr Problem der Scheidung bei weitem unterschätze. Die Schwiegereltern hätten der Beschwerdeführerin bereits mit dem Umbringen gedroht. In Afghanistan sei es nicht möglich, sich ohne Einwilligung des Ehemannes und des Schwiegervaters scheiden zu lassen. Im Falle einer Scheidung würde der Sohn auf jeden Fall der Familie des Mannes zugesprochen werden. Sie könne auch keinen Schutz durch staatliche Behörden erwarten. Körperliche Züchtigung durch das Familienoberhaupt sei in Afghanistan akzeptiert. Es habe sie aber nicht nur der Schwiegervater in Afghanistan geschlagen. Der Ex-Ehemann der Beschwerdeführerin habe diese mit einem Messer angegriffen, weil sie sich geweigert hätte, weiterhin ein Kopftuch zu tragen. Sie würde abgesehen von der Verfolgung durch die Familie des Ex-Ehemannes auch aus diesem Grund mit gesellschaftlicher Verfolgung zu rechnen haben. Wie aus den Länderberichten ersichtlich sei, könne der afghanische Staat, Frauen, nicht den notwendigen Schutz bieten.

Die Beschwerdeführerin wäre bei einer Rückkehr mit einer gravierenden Einschränkung ihrer Menschenrechte konfrontiert, weil sie bedingt durch die Verfahrensdauer auch schon die die Lebensweise, die Frauen in Österreich genießen würden, angenommen habe.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 06.12.2018 an, an der unter anderem die Beschwerdeführerin und ihr mj. Sohn teilnahmen.

Von Seiten des BFA, RD Oberösterreich, erschien niemand, der Rechtsvertreters XXXX nahm an der Verhandlung teil.

Die Beschwerdeführerin erschien zur Verhandlung mit langen offenen Haaren, teilweise gefärbt, geschminkt, insgesamt in einem sehr westlich orientierten Aussehen. Der Beschwerdeführerin-Vertreter wies darauf hin, dass die Beschwerdeführerin eine Tätowierung auf dem linken Unterarm habe.

Die Beschwerdeführerin gab an zur Sippe der XXXX zugehören, aber nur männliche Nachkommen dieser Sippe würden als XXXX bezeichnet werden.

Sie habe bis zu ihrem 4. oder 5. Lebensjahr in Afghanistan in der Provinz XXXX gelebt. Danach sei sie mit ihrer Familie in den Iran übersiedelt, wo sie vermutlich zwischen 10 und 15 Jahre gelebt habe. Dann sei sie verheiratet worden und sei mit ihrem Ehemann aus dem Iran in ihre Heimat zurückgekehrt nach XXXX , weil ihre Schwiegerfamilie dort gelebt habe. Sie habe für drei Jahre mit ihren Schwiegereltern zusammenleben müssen.

Die Beschwerdeführerin gab an, ca. zehn Jahre die Schule im Iran besucht zu haben. Da die Familie nicht legal aufhältig gewesen sei, wäre ein Besuch einer staatlichen Schule nicht möglich gewesen. Der Unterricht sei in einem Haus mit afghanischen Lehrern und Schülern abgehalten worden. Als sie im Iran in ihrem Elternhaus gelebt habe, habe ihr Vater sie versorgt. In Afghanistan habe ihr Ehemann bzw. ihre Schwiegerfamilie sie versorgt. Sie habe in Afghanistan nicht arbeiten dürfen. Im Iran habe sie vor der Heirat als Friseurin gearbeitet.

Die Beschwerdeführerin gab an, etwa vier Jahre mit ihrem ersten Ehemann zusammengelebt zu haben. Er sei der Sohn des Onkels mütterlicherseits meines Vaters. Man könnte ihn auch als Cousin ihres Vaters bezeichnen. Sie habe sich ihren Ehemann selbst ausgesucht.

Der Richter hält der Beschwerdeführerin vor, sie habe in der Verhandlung gesagt, sie sei verheiratet worden. Bei der belangten Behörde habe sie angegeben, dass ihr Vater ursprünglich gegen die Hochzeit gewesen sei und sie sich durchsetzen habe können.

Die Beschwerdeführerin erklärte, um heiraten zu können, müsse man das Einverständnis der Älteren innerhalb der Familie haben. Da der Vater seinen Onkel gekannt habe, habe er die Heirat abgelehnt. Ihr Vater sei eineinhalb Jahre sehr wütend auf sie gewesen. Er habe sich geweigert mit der Beschwerdeführerin zu sprechen. Sie habe ihren Vater dann dazu gebracht, dass er zustimme.

Die Unterschiede zwischen ihrem Leben im Iran und dem Leben in Afghanistan seien enorm gewesen. Sie sei als Kind in den Iran gekommen. Er habe vor der Heirat ihr nicht gesagt, dass er sie nach Afghanistan bringen werde. Nach der Hochzeit sei sie vor die Wahl gestellt worden mit nach Afghanistan zu gehen oder im Elternhaus zu bleiben. Die Beschwerdeführerin gab an, sie habe im Haus der Schwiegereltern leben müssen. Sie habe sich aus dem Iran, lange Kleider mit Ärmeln mitgenommen. Da sie verliebt gewesen sei, habe sie diese Kleidung im Haus der Schwiegereltern angezogen. Ihr Schwiegervater habe ihr verboten, das anzuziehen, was sie sich selbst ausgesucht habe. Ihr sei befohlen worden die Kleidung ihrer Schwägerinnen zu tragen. Drei Tage nach ihrer Ankunft habe ihr Schwiegervater sie geohrfeigt. Sie hätte beabsichtigt den Onkel väterlicherseits besuchen, der in der Nähe gewohnt habe. Der Schwiegervater habe ihr die Regeln erklärt und ihr gesagt, nur wenn er es ihr erlauben würde, dürfte sie das Haus verlassen. Als ihr Ehemann die Beschwerdeführerin verteidigt habe, hätte der Schwiegervater seinen eigenen Sohn zusammengeschlagen. Der Schwiegervater meinte, unter seinem Dach würden seine Regeln gelten. Wenn das junge Ehepaar nicht bereit sei, seine Worte zu akzeptieren, müsse es gehen.

Nachgefragt erzählte die Beschwerdeführerin sie hätten nicht gehen können. Ein einziger Sohn der Familie hätte es gewagt sich von der Familie zu trennen. Er sei von allen gemieden worden. Ihr Ehemann habe ihr mitgeteilt, sie müssten das einige Zeit über sich ergehen lassen, damit er etwas Geld zusammensparen könne. Die Schwiegermutter teilte der Beschwerdeführerin mit, dass wenn sie es wagen sollte zu widersprechen, dann werde sie ihr ihren Sohn wegnehmen und sie töten.

Die Beschwerdeführerin habe Kontakt mit ihrem Vater aufgenommen und ihm über diese Verhältnisse erzählt. Er habe ihr zuerst geraten, zurück in den Iran zu ziehen, dann habe er ihr angeraten zu ihrer Tante väterlicherseits zu ziehen und nicht mehr zurückzukehren. Die Beschwerdeführerin sei dann zur Tante väterlicherseits gezogen. Diese sei dann von der Schwiegerfamilie der Beschwerdeführerin bedroht worden. Sie drohten sie würden die Scheidung aussprechen, sollte der Onkel und die Tante väterlicherseits sie nicht hinausschmeißen. Ihr damaliger Ehemann sei finanziell von der eigenen Familie abhängig gewesen, hätte an sein Erbe gedacht und hätte keine freien Entscheidungen treffen können. Er habe versucht die Beschwerdeführerin zu überzeugen, wieder in sein Elternhaus zu ziehen. Sie habe sich dagegen entschieden. Der Vater der Beschwerdeführerin habe Geld geschickt, da die Schwiegerfamilie sie nicht mehr unterstützt hätte. Der erste Ehemann der Beschwerdeführerin habe sein Grundstück verkauft. Mit diesem Geld seien sie nach Europa gereist.

Auf Nachfrage des Richters gab die Beschwerdeführerin an in Afghanistan keine Probleme mit staatlichen Behördenorganen oder mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban gehabt zu haben. Ihr Grund für die Ausreise seien die geschilderten Probleme mit der Schwiegerfamilie gewesen. Die Schwiegereltern seien vermögend gewesen. Sie hätten Grundstücke und ein großes Haus besessen. Sie hätten einen Autohandel gehabt. Die ganze Familie habe in einem großen Haus gelebt.

Die Beschwerdeführerin gab an Verwandte in Afghanistan, zwei Tanten väterlicherseits und ein Onkel väterlicherseits zu haben. Ihre Eltern würden seit zweieinhalb Jahren in Deutschland mit den jüngeren Geschwistern leben.

Als die Beschwerdeführerin mit ihrem ersten Ehemann nach Österreich gekommen sei, habe sich alles geändert. Ihr Ehemann hätte sich vor seinem Vater und dem Vater der Beschwerdeführerin gefürchtet. Er habe in Österreich übermäßig viel Alkohol konsumiert. In der Unterkunft, in welcher sie gelebt hätten, hätten zahlreiche ledige Männer gelebt. Die Beschwerdeführerin habe ihren damaligen Ehemann nicht vom Alkoholkonsum abbringen können. Ihr Ehemann hätte ihr verboten einen Deutschkurs zu besuchen, weil der Deutschkurslehrer ein junger Mann gewesen sei. Der Betreuer sei ein Türke gewesen und habe ihren Mann darum gebeten, die Beschwerdeführerin in den Deutschkurs zu lassen. Daraufhin habe der Ehemann den Betreuer mit dem Messer bedroht und habe ihm unterstellt, dass er Gefallen an der Beschwerdeführerin gefunden habe. Einige Male sei auch die Polizei eingeschritten. Die Beschwerdeführerin erzählte, dass ihr Ehemann sie geschlagen hätte. Vor der Polizei habe sie es nicht zugegeben, damit ihr Ehemann nicht abgeführt werde. Als sie mit ihrem Vater telefoniert habe und diesem erzählt hätte, dass der Ehemann übermäßig Alkohol konsumiere, habe der Ehemann gelauscht, sei in das Zimmer gestürmt und habe versucht die Beschwerdeführerin zu erwürgen. Er habe so festgedrückt, dass die Beschwerdeführerin zusammengefallen sei. Er habe die weiße Karte ihres Sohnes und seine eigene weiße Karte mitgenommen. Der Ehemann sei barfuß im Schnee gestanden und habe ein Messer an die Kehle des Sohnes gehalten. Die Nachbarn seien zurückgewichen. Er habe mit dem Messer die Beschwerdeführerin getroffen. Die gerufene Polizei sei mit der Ambulanz eingetroffen. Ihr Ehemann hätte sich gestellt und angegeben, dass er bereuen würde, seine Frau getroffen zu haben. Aufgrund der Fürsprache seiner Ehefrau sei er ungefähr 6 oder 8 Monate im Gefängnis, gewesen. Er sei danach in XXXX untergebracht gewesen und hätte einen anderen Mann attackiert. Als er die Beschwerdeführerin kontaktiert habe, habe sie jedes Mal das Telefon aufgelegt. Er habe ihr eine Nachricht geschrieben, er habe das Land verlassen und sie habe sein Leben zerstört, er würde die Beschwerdeführerin niemals gehen lassen. Die Beschwerdeführerin habe beim Gericht in Österreich gesagt, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht scheiden lasse.

Nachgefragt erklärte die Beschwerdeführerin, dass obwohl ihr Vater gegen diese Eheschließung gewesen sei, er immer wieder im Laufe der Ehe gesagt habe, sie würde ihr Gesicht verlieren und er wolle nicht, dass es zu einer Scheidung komme. Er bitte die Beschwerdeführerin, alles zu ertragen. Anfänglich hätten nur die Mutter und die Brüder

der Beschwerdeführerin von der Scheidung erfahren. Nachdem der Vater

der Beschwerdeführerin von der Scheidung erfahren habe, sei er sehr wütend gewesen und habe sie verstoßen. Er habe eineinhalb Jahr nicht mit der Beschwerdeführerin gesprochen, obwohl sie weinend angerufen habe. Sie habe Angst vor der Schwiegerfamilie gehabt und, dass sie zurückgeschoben werde. Sie sei einsam gewesen, obwohl sie ihren Sohn gehabt habe.

Die Beschwerdeführerin habe nach ihrer Scheidung, in Österreich, einen afghanischen Staatsangehörigen der Volksgruppe Hazara, geheiratet. Nachgefragt erzählte sie, sie habe ihren jetzigen Ehemann in der Unterkunft, in welcher sie etwa ein Jahr alleine gelebt habe, kennengelernt. Als sie ihn kennen gelernt habe, sei ihr bewusst gewesen, dass sie Tadschikin und er Hazara sei. Er habe mit ihr befreundet sein wollen. Sie habe nicht mit ihm zusammen sein wollen, da es ihre Religion nicht gestatten würde. Dann habe sie es sich anders überlegt und ihm gesagt, dass sie ihn heiraten wolle. Sie habe ihn geheiratet, weil er ein guter Mann sei. Sie hätte ihn beobachtet und festgestellt, dass er zeitig arbeiten gehe und spät nach Hause komme und ständig Bücher mit sich trage. So habe sie sich gedacht, dass er ist kein schlechter "Fang" sei. Sie habe ihr Leben mit jemanden verbracht, der sehr engstirnig gewesen sei und sich nicht auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentriert habe. Sie habe ihren jetzigen Mann im April 2017 geheiratet und sei jetzt im

5. Monat schwanger.

Auf die Frage ob sie sich als streng religiös sei, antwortete sie, sie befolge viele Dinge in ihrem Glauben nicht. Sie dürfte kein Tattoo haben und keine westliche Kleidung tragen.

Die Beziehung ihres jetzigen Mannes zu ihrem Sohn sei unbeschreiblich schön, obwohl sie anfänglich Vorbehalte gegenüber Hazara gehabt habe. Sie habe festgestellt, dass er ein liebevoller Vater sei. Seit ihrer Eheschließung habe ihr Ehemann ihr kein einziges Mal vorgehalten, dass ihr Kleid zu kurz oder der Ausschnitt zu tief sei. Sie habe ihm erzählt, dass sie gerne das Schwimmen erlernen möchte und er habe sie motiviert.

Sie habe nunmehr auch Kontakt zu ihren Eltern, welche in Deutschland leben würden. Ihr Sohn würde seit letztem Jahr in den Kindergarten gehen. In der Nähe der Unterkunft gäbe es auch eine Fußballmannschaft für kleine Kinder ab 4 Jahre. Er habe zwei Trainer und sei offiziell angemeldet. Er würde zwei Mal in Woche Fußball trainieren, doch das Wetter sei jetzt zu kalt um zu trainieren.

Die Beschwerdeführerin erzählte sie habe als Lehrling in einer Fleischerei in XXXX gearbeitet. Sie habe eine Ausbildung machen wollen, sie habe früher nicht die Möglichkeit gehabt. Sie habe nur den A1 Deutschkurs machen können, weil ihr Sohn klein gewesen sei. Ihr damaliger Mann habe ihr verboten den Deutschkurs zu besuchen. Nach der Trennung habe sie den Deutschkurs besuchen können. Sie habe sich auch entschieden zu Hause am Computer Deutsch zu lernen. Weil sie ein weiteres Kind bekomme, sei sie zu Hause und würde den Haushalt führen. Die Ausbildung sei schwierig gewesen, sie habe um fünf Uhr morgens beginnen müssen. Ihr Arbeitgeber sei mit ihr sehr zufrieden gewesen. Problematisch sei die öffentliche Anbindung gewesen.

Nachgefragt erzählte die Beschwerdeführerin dem Richter, dass sie im Sommer mit einem Bikini mit einer kurzen Hose, Schwimmen gegangen sei. Um Geld zu sparen, habe sie es alleine gelernt. In ihrer Freizeit lerne sie Deutsch und Englisch. Sie wolle Kontrolleurin (Schaffnerin) oder Polizistin werden. Ihr Mann würde ihr helfen Mathematik zu lernen. Sie würde auch für den Führerschein lernen. Ihr Leben sei in Österreich unbeschreiblich. Sie fühle sich sehr wohl. Sie könne anziehen was sie wolle. Sie habe auch Fahrrad und Rollschuh fahren gelernt. In Afghanistan habe sie keinen Sport machen dürfen.

Sie sei jetzt mit einem Mädchen schwanger. Sie werde es alles machen lassen, was es wolle. Sie wolle ihrer Tochter Gutes beibringen, aber nicht einschränken. Eine gute Erziehung sei sehr entscheidend und Respekt sehr wichtig. Sie wolle aber nicht, dass das Mädchen ein Kopftuch trage. Sie solle auch Sport ausleben dürfen und eine Ausbildung bekommen. Ihr Mädchen werde auch einen sehr guten Vater haben. Nachgefragt erzählte die Beschwerdeführerin, sie gehe überall alleine hin, sie brauche keine Erlaubnis. Sie sage ihrem Mann aus Respekt, dass sie einkaufen gehe. Durch den großen Bekanntenkreis ihres Mannes, würden sie viele Freunde haben. Sie würde im Kindergarten mit vielen anderen Eltern sprechen.

Die Beschwerdeführerin müsse erstmal ihr Baby auf die Welt bringen. Danach möchte sie wieder arbeiten gehen. Sie plane möglichst bald in Österreich den Führerschein zu machen, dadurch würde sie sich leichter bei der Arbeit tun.

Müsste die Beschwerdeführerin nach Afghanistan zurückkehren, könne sie dort keine zwei Tage leben. Ihr Ex-Mann habe in Afghanistan Fotos von der Beschwerdeführerin verteilt, wie sie sich in Österreich jetzt kleide und anziehe. Die Situation in Afghanistan sei für alle Frauen sehr schwierig, sie hätten dort keine Rechte und dürften dort nichts entscheiden. Im Falle dessen, dass die Beschwerdeführerin nach Afghanistan zurückgeschickt werde, würde sie getötet werden. Damals als sie frisch verheiratet nach Afghanistan gefahren sei, sei sie wegen unwichtigen Sachen sehr unfair behandelt worden. Die Schwiegerfamilie glaube, dass die Beschwerdeführerin das Leben ihres Sohnes zerstört habe, ohne zu überlegen, dass er selbst für sich verantwortlich sei und würde sie töten.

Anmerkung: Die Beschwerdeführerin hat die Fragen zur Integration bereits im guten Deutsch beantwortet und sonst auch teilweise auf Deutsch beantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführerin wird Folgendes festgestellt:

Sie ist Staatsbürgerin von Afghanistan und wurde am XXXX in Afghanistan geboren. Sie gehört der Volksgruppe Tadschiken an und ist Moslemin.

Im Bundesgebiet hält sie sich mit ihrem zweiten Ehemann und ihrem Sohn aus erster Ehe auf. Der zweite Ehemann ist Hazara und ebenso Staatsbürger von Afghanistan. Das Ehepaar hat sich in Österreich kennengelernt. Die Beschwerdeführerin ist schwanger. Sie wird im April voraussichtlich einer Tochter das Leben schenken.

Die Beschwerdeführerin ist westlich orientiert: Sie hat einen Mann geheiratet, der einer anderen Volksgruppe und Religion zugehörig als sie. Sie ist westlich gekleidet, verschleiert sich nicht und tritt geschminkt in der Öffentlichkeit auf und hat ein Tattoo. Sie hat bereits Deutschkurse besucht und sich selbst die deutsche Sprache angeeignet. Sie geht alleine einkaufen und treibt Sport. Unteranderem hat sie sich das Schwimmen selbst beigebracht, dies unter Verwendung eines Bikinis und kurzer Hose sowie Radfahren und Rollschuhlaufen. Die Beschwerdeführerin führt im österreichischen Bundesgebiet ein selbstbestimmtes Leben und will auch ihrer noch ungeborenen Tochter ein solches ermöglichen. Vor ihrer Schwangerschaft hat sie eine berufliche Ausbildung begonnen. Sie möchte den Führerschein machen, um Beruf und Familie später managen zu können.

Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen folgendes festgestellt:

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon

77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

Frauenhäuser

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in

den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).

Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).

Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).

Reisefreiheit

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 7.6.2018

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 11.5.2018

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AF - Asia Foundation (11.2017): A Survey of the Afghan People, Afghanistan 2017,

https://asiafoundation.org/wp-content/uploads/2017/11/2017_AfghanSurvey_report.pdf, Zugriff 7.6.2018

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AIHRC - Afghanistan Independent Human Rights Commission (11.3.2018): Summary of the Report on Violence Against Women The causes, context, and situation of violence against women in Afghanistan,

http://www.refworld.org/publisher,AIHRC,,,5ab132774,0.html, Zugriff 6.4.2018

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APA - Austrian (5.12.2017): Überreichung von Beglaubigungsschreiben an Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen,

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20171205_OTS0125/ueberreichung-von-beglaubigungsschreiben-an-bundespraesident-dr-alexander-van-der-bellen, Zugriff 5.4.2018

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BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf, 30.4.2018

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BFA Staatendokumentation (3.7.2014): Afghanistan 2014 and beyond, https://www.ecoi.net/en/document/1216171.html, Zugriff 8.6.2018

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CSO - Central Statistic Organization (2017): Afghanistan Statistical Yearbook - Education, http://cso.gov.af/Content/files/%D8%B3%D

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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