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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ASVG §44Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Oktober 2017, W178 2148584-1/12E, betreffend Rückforderung von Beiträgen nach dem ASVG und dem BMSVG (mitbeteiligte Partei: M GmbH in Wien, vertreten durch die Moore Stephens City Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1015 Wien, Kärntner Ring 5-7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei betreibt einen Handel mit Kraftfahrzeugen. Sie überließ ihren Dienstnehmern Kraftfahrzeuge zur privaten Nutzung, die sie von Herstellern bzw. Generalimporteuren dieser Fahrzeuge erworben hatte, um sie Kaufinteressenten zur Besichtigung bzw. für Probefahrten zur Verfügung stellen zu können.
2 Nach Durchführung einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA-Prüfung) schrieb die revisionswerbende Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) der mitbeteiligten Partei im Jahr 2015 weitere Beiträge nach dem ASVG und dem BMSVG für die Jahre 2009 bis 2012 in Höhe von EUR 8.916,79 vor. Die Beiträge wurden von der mitbeteiligten Partei entrichtet.
3 Mit Bescheid vom 16. Jänner 2017 wies die WGKK den in der Folge gestellten Antrag der mitbeteiligten Partei auf Rückerstattung der nachverrechneten Beiträge ab.
4 In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die mitbeteiligte Partei vor, die ihr für die Jahre 2009 bis 2012 durch die WGKK nachverrechneten Beiträge seien nach dem ASVG um EUR 5.869,09 und nach dem BMSVG um EUR 338,23, somit insgesamt um EUR 6.207,32, zu hoch bemessen worden. Bei Bewertung der Sachbezüge, die aus der Überlassung der Kraftfahrzeuge an die Dienstnehmer der mitbeteiligten Partei resultierten, sei nämlich gemäß § 4 Abs. 1 der Sachbezugswerteverordnung von den Anschaffungskosten inklusive der Normverbrauchsabgabe und der Umsatzsteuer auszugehen. Im Zuge der Nachverrechnung der Beiträge sei jedoch zu Unrecht zu diesen Anschaffungskosten gemäß § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung ein Zuschlag von 20% hinzugerechnet worden. § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung sei jedoch im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil der Verordnungsgeber dabei nicht die Überlassung von Vorführwagen an die Dienstnehmer von Kfz-Händlern, sondern die Bemessung des Sachbezuges von Dienstnehmern, denen von ihren Dienstgebern vergünstigt erworbene Vorführkraftfahrzeuge zur Verfügung gestellt würden, vor Augen gehabt habe.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde Folge und sprach aus, die WGKK habe der mitbeteiligten Partei Beiträge nach dem ASVG und dem BMSVG in Höhe von insgesamt EUR 6.207,32 rückzuerstatten. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.
6 Begründend führte das BVwG aus, es schließe sich der Ansicht des Bundesfinanzgerichts in dessen Erkenntnis vom 15. Februar 2016, RV/7103143/2014, zur Auslegung des § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte dieser Norm an. Ein Vorführfahrzeug nach dieser Bestimmung liege vor, wenn das Kraftfahrzeug an Kunden veräußert worden sei. In dem Zeitpunkt, in dem die streitgegenständlichen Fahrzeuge den Dienstnehmern der mitbeteiligten Partei zur Privatnutzung überlassen worden seien, seien jedoch Neufahrzeuge vorgelegen. Der zu beurteilende Sachverhalt sei daher nicht unter die Bestimmung des § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung, sondern unter deren § 4 Abs. 1 zu subsumieren. Der Ermittlung des Sachbezugswertes seien daher die tatsächlichen Anschaffungskosten (inklusive Umsatzsteuer und Normverbrauchsabgabe) zu Grunde zu legen. Die Revision sei zulässig, weil zu der damit angesprochenen Frage der Auslegung des Begriffes des Vorführkraftfahrzeuges nach § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung Rechtsprechung fehle.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der WGKK. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das BVwG den Begriff des Vorführkraftfahrzeuges nach § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung verkannt hat.
9 Die revisionswerbende Partei verweist zutreffend darauf, dass dem BVwG in Kopf und Spruch des angefochtenen Erkenntnisses insofern ein Schreibfehler unterlaufen ist, als bei Bezeichnung der mitbeteiligten Partei (der beschwerdeführenden Partei im Verfahren vor dem BVwG) der zweite und dritte Buchstabe des Firmenwortlautes vertauscht wurden. In der Begründung des Erkenntnisses wird - in Übereinstimmung mit dem Bescheid der revisionswerbenden Partei selbst - der Firmenwortlaut der mitbeteiligten Partei richtig wiedergegeben.
10 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass, wenn sich die Verwaltungsbehörde bzw. nunmehr das Verwaltungsgericht bloß in der Bezeichnung des Adressaten seiner Entscheidung vergreift, aber aus der gesamten Erledigung offenkundig ist, wer gemeint war, die fehlerhafte Bezeichnung nicht schadet; in diesem Fall liegt ein berichtigungsfähiger Fehler vor, bei dem, solange eine Berichtigung nicht erfolgt ist, durch Auslegung der Entscheidung zu klären ist, an wen sie gerichtet ist (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2015/15/0081, mwN; vgl. in diesem Sinn auch VwGH 2.4.2008, 2007/08/0107). Im vorliegenden Fall kann - wie die revisionswerbende Partei selbst erkennt - kein Zweifel daran bestehen, dass Adressat des Erkenntnisses des BVwG die nunmehrige mitbeteiligte Partei ist.
11 Gemäß § 44 Abs. 1 erster Satz ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte, sofern im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende auf Cent gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinn gilt nach § 44 Abs. 1 Z 1 ASVG bei den pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinn des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6 ASVG. Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
12 Gemäß § 69 Abs. 1 erster Satz ASVG können zu Ungebühr entrichtete Beiträge zurückgefordert werden.
13 Nach § 6 Abs. 1 erster Satz BMSVG hat der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ab dem Beginn des Arbeitsverhältnisses einen laufenden Beitrag in Höhe von 1,53 vH des monatlichen Entgelts sowie allfälliger Sonderzahlungen an den für den Arbeitnehmer zuständigen Träger der Krankenversicherung nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 bis 6 ASVG zur Weiterleitung an die BV-Kasse zu überweisen, sofern das Arbeitsverhältnis länger als einen Monat dauert. § 6 Abs. 2 BMSVG ordnet hinsichtlich der Beiträge nach dem BMSVG (insbesondere) die Anwendung von § 69 ASVG an. Gemäß § 6 Abs. 5 BMSVG bestimmt sich nach § 49 ASVG unter Außerachtlassung der Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) und der Höchstbeitragsgrundlage (§ 108 Abs. 3 ASVG), welche Leistungen als Entgelt im Sinn des § 6 Abs. 1 BMSVG anzusehen sind.
14 § 50 ASVG in der hier maßgeblichen Fassungen vor dem Steuerreformgesetz 2015/2016 BGBl. I Nr. 118/2015 ordnet an, dass für die Bewertung der Sachbezüge die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer gilt.
15 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass infolge des engen sachlichen Zusammenhanges zur Regelung des Einkommensteuerrechtes in Fällen wie dem vorliegenden auf die bezughabenden Regelungen des Einkommensteuerrechtes Bedacht zu nehmen ist. Zwar sind die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Befreiungstatbestände einer gesonderten Überprüfung zu unterziehen, doch ist eine dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung tragende Interpretation dort geboten, wo der Wille des Gesetzgebers nach gleicher Behandlung gleich gelagerter Sachverhalte erkennbar wird (vgl. VwGH 20.3.2014, 2013/08/0043, mwN).
16 § 4 der Verordnung über die Bewertung bestimmter Sachbezüge (Sachbezugswerteverordnung), BGBl. II Nr. 416/2001 in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 467/2004, lautet auszugsweise:
"Privatnutzung des arbeitgebereigenen Kraftfahrzeuges
§ 4. (1) Besteht für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, ein arbeitgebereigenes Kraftfahrzeug für nicht beruflich veranlasste Fahrten einschließlich Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu benützen, dann ist ein Sachbezug von 1,5% der tatsächlichen Anschaffungskosten des Kraftfahrzeuges (einschließlich Umsatzsteuer und Normverbrauchsabgabe), maximal 600 Euro monatlich, anzusetzen. Die Anschaffungskosten umfassen auch Kosten für Sonderausstattungen. Selbständig bewertbare Sonderausstattungen gehören nicht zu den Anschaffungskosten.
(2) (...)
(3) (...)
(4) Bei Gebrauchtfahrzeugen ist für die Sachbezugsbewertung der Listenpreis im Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung des Fahrzeuges maßgebend. Sonderausstattungen bleiben dabei unberücksichtigt. Anstelle dieses Betrages können die nachgewiesenen tatsächlichen Anschaffungskosten (einschließlich allfälliger Sonderausstattungen und Rabatte) im Sinne des Abs. 1 des ersten Erwerbes des Kraftfahrzeuges zu Grunde gelegt werden.
(5) (...)
(6) Bei Vorführkraftfahrzeugen sind die um 20% erhöhten tatsächlichen Anschaffungskosten im Sinne des Abs. 1 anzusetzen."
17 Mit Beschluss vom 12. Oktober 2017, V 46/2016 ua., wies der Verfassungsgerichtshof Anträge des Bundesfinanzgerichts auf Aufhebung des § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung, idF BGBl. II Nr. 467/2004, als zu eng gefasst zurück. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, mit dem Ansatz eines Sachbezugswertes solle jener Vorteil steuerlich erfasst werden, der darin bestehe, dass sich der Arbeitnehmer jenen Aufwand erspare, der ihm erwachsen würde, wenn er für die Kosten eines vergleichbaren Kraftfahrzeuges aus Eigenem aufkommen müsste (vgl. aus der damit in Einklang stehenden hg. Rechtsprechung VwGH 26.7.2017, Ra 2016/13/0043; 21.4.2016, 2013/15/0259; jeweils mwN). Nach dem System der Sachbezugswerteverordnung sei hierbei stets vom ursprünglichen Neuwert des Fahrzeuges auszugehen. Für Gebrauchtfahrzeuge seien gemäß § 4 Abs. 4 der Sachbezugswerteverordnung die Listenpreise im Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung und alternativ die nachgewiesenen tatsächlichen Anschaffungskosten des Ersterwerbers anzusetzen. Im Fall einer (isolierten) Aufhebung des § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung wäre die Bewertung des Sachbezuges aus der Privatnutzung eines arbeitgebereigenen Kraftfahrzeuges nach § 4 Abs. 1 der Sachbezugswerteverordnung vorzunehmen und wären die tatsächlichen Anschaffungskosten für das Vorführkraftfahrzeug (nach Abzug der Sonderkondition für derartige Kraftfahrzeuge) anzusetzen, die der Kfz-Händler aufzuwenden gehabt habe. Ein solcher Inhalt der Bestimmung könne dem Verordnungsgeber aber nicht zugesonnen werden. Im Hinblick auf die einem Kfz-Händler für die Anschaffung von Vorführkraftfahrzeugen vom Hersteller bzw. Generalimporteur regelmäßig eingeräumten besonderen Konditionen wäre dann nämlich die Privatnutzung von Vorführkraftfahrzeugen gegenüber der privaten Nutzung anderer Kraftfahrzeuge unzulässig bevorzugt.
18 In Anknüpfung an diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. November 2018, Ro 2016/13/0013, die Ansicht des Bundesfinanzgerichtes, der sich das BVwG im vorliegenden Fall angeschlossen hat, § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung komme nicht zur Anwendung, wenn ein Kfz-Händler seinen Dienstnehmern Vorführkraftfahrzeuge zur Privatnutzung überlasse, verworfen. Ergänzend hat der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung, auf die insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, angemerkt, dass in einem derartigen Fall jedoch die Hinzurechnung der Normverbrauchsabgabe - zusätzlich zu dem Zuschlag von 20% nach § 4 Abs. 6 der Sachbezugswerteverordnung - zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Sachbezugswerte unzulässig ist.
19 Dieses Verständnis der Sachbezugswerteverordnung hat auch im vorliegenden Fall hinsichtlich der Bemessung der Beiträge nach dem ASVG und BMSVG Platz zu greifen. Infolge seiner abweichenden Auslegung hat das BVwG sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
20 Das BVwG hat es im Übrigen unterlassen, konkrete Feststellungen zu den den Dienstnehmern der mitbeteiligten Partei zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugen bzw. deren tatsächlichen Anschaffungskosten zu treffen. Solcher Feststellungen hätte es aber bedurft, um die Bewertung der Sachbezüge vornehmen zu können (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte etwa VwGH 28.9.2018, Ra 2015/08/0080).
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. Februar 2019
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017080035.J00Im RIS seit
18.06.2019Zuletzt aktualisiert am
18.06.2019