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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §3 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des B A in S, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Jänner 2018, Zl. I414 2173547- 1/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Kameruns, stellte am 5. April 2016, nachdem er über Italien in die Europäische Union eingereist und infolge einer Zurückschiebung von Deutschland nach Österreich verbracht worden war, im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 2. Juni 2016 gab der Revisionswerber als Geburtsdatum den 18. Oktober 1999 an. Vor den deutschen Behörden hat der Revisionswerber angegeben, dass er am 18. Oktober 1995 geboren sei.
2 Am 26. April 2016 legte der Revisionswerber eine am 14. April 2016 von der Republik Kamerun ausgestellte Geburtsurkunde vor, die als Geburtsdatum den 18. Oktober 1999 aufweist. Am gleichen Tag stellte das BFA an die italienische Dublin-Behörde ein Gesuch um Wiederaufnahme des Revisionswerbers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO. Die italienische Behörde stimmte der Rückübernahme des Revisionswerbers zu.
3 Ein vom BFA in Auftrag gegebenes medizinisches Sachverständigengutachten wies ein spätest mögliches fiktives Geburtsdatum des Revisionswerbers mit 14. November 1998 aus. Auf Basis dieses Ergebnisses stellte das BFA mittels Verfahrensanordnung vom 16. September 2016 fest, dass der Revisionswerber spätestens am 14. November 1998 geboren worden sei und dies als Teil der Verfahrensidentität bestimmt werde.
4 Infolgedessen trat das BFA vom Ersuchen gegenüber den italienischen Behörden zurück und erklärte den Selbsteintritt, weil nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen habe werden können, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet minderjährig gewesen sei.
5 Mit Bescheid vom 14. September 2017 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers sowohl gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Kamerun gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde dem Revisionswerber zugestellt.
6 Begründend führte das BFA zusammengefasst - soweit für den gegenständlichen Fall von Bedeutung - aus, dass aus der vorgelegten Geburtsurkunde der Schluss zu ziehen sei, dass es sich zwar um eine echte Urkunde handle, jedoch mit unwahrem Inhalt, weil das auf der Urkunde angegebene Geburtsdatum gemäß des Ergebnisses des medizinischen Gutachtens zur Altersfeststellung mit Sicherheit nicht zutreffen könne.
7 In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde ua. vorgebracht, dass die Behörde zwar den vorgelegten Geburtsnachweis als echt eingestuft habe, aber jede Begründung dafür schuldig bleibe, warum die Ausstellungsbehörde in Kamerun das Geburtsdatum verfälscht haben solle. Weiters wurde die Genauigkeit und wissenschaftliche Fundiertheit der gutachterlichen Altersfeststellung bestritten. Aufgrund der Minderjährigkeit des Revisionswerbers hätte der angefochtene Bescheid dem gesetzlichen Vertreter zugestellt werden müssen und nicht dem Revisionswerber selbst.
8 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9 Begründend führte das BVwG - sofern für das Revisionsverfahren relevant - aus, dass der Revisionswerber als Person unglaubwürdig erscheine, zumal er durch die Angabe von unterschiedlichen Geburtsdaten versucht habe, die Behörden in die Irre zu führen. Erst durch ein medizinisches Gutachten habe ein wahrscheinliches Geburtsdatum bestimmt werden können und es habe mangels Vorlage von identitätsbezogenen Dokumenten - außer einer Geburtsurkunde unwahren Inhaltes - eine Verfahrensidentität bestimmt werden müssen. Als Begründung für die unterschiedlichen Geburtsdaten habe der Revisionswerber nur lapidar angegeben, dass die Behörden nicht das aufschreiben würden, was er ihnen angegeben habe. Das BVwG schließe sich der Beweiswürdigung des BFA an und finde diese schlüssig und nachvollziehbar. Daran vermöge auch das Beschwerdevorbringen nichts zu ändern, welches sich vorwiegend mit der Glaubhaftigkeit des Geburtsdatums auseinandersetze.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
11 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber ua. Begründungsmängel in Bezug auf die vorgelegte Geburtsurkunde geltend.
12 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; daran anschließend etwa VwGH 20.5.2015, Ra 2015/20/0067, und VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0049 bis 0051, mwN).
14 Diesen Anforderungen wird das Erkenntnis des BVwG nicht gerecht.
15 Das BVwG hat sich mit der vom Revisionswerber vorgelegten Geburtsurkunde und seinem Beschwerdevorbringen nicht auseinandergesetzt. Dem Erkenntnis ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen das BVwG den Inhalt der - offenbar als echt angesehenen - Geburtsurkunde für unwahr hält. Das BVwG hat weiters nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb dem medizinischen Sachverständigengutachten mehr Glauben zu schenken sei.
16 Das BVwG hat sohin in Bezug auf das festgestellte Geburtsdatum des Revisionswerbers keine überprüfbare Beweiswürdigung und nachvollziehbare Begründung vorgenommen.
17 Der Verfahrensfehler ist relevant, weil dieser - wie die Revision aufzeigt - im Fall des Zutreffens der behaupteten Minderjährigkeit des Revisionswerbers Auswirkungen auf die Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung des vor dem BVwG angefochtenen Bescheides hätte (vgl. § 10 Abs. 3 BFA-VG).
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Dem Revisionswerber gebührt im Umfang der Eingabegebühr nach § 24a VwGG kein Aufwandersatz, weil er von der Entrichtung dieser Gebühr aufgrund der mit hg. Beschluss vom 1. Februar 2018, Ra 2018/20/0039, bewilligten Verfahrenshilfe einstweilig befreit ist.
Wien, am 25. Februar 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200039.L00Im RIS seit
19.03.2019Zuletzt aktualisiert am
03.04.2019