TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/18 W168 2174520-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.09.2018
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Entscheidungsdatum

18.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W168 2174520 - 1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2017, Zl. 1092670704/151643000/BMI-BFA_STM_AST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.06.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF. als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste unberechtigt in das Bundesgebiet ein und stellte am 28.10.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der am 28.10.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte er zusammengefasst vor, dass er in Ghazni, Afghanistan, geboren sei. Er sei ledig, gehöre der Religion der Moslems und der Volksgruppe der Schiiten an. Als Wohnsitzadresse gab er eine Anschrift in XXXX , Iran an. Er habe im Iran von 2006 bis 2012 die Grundschule besucht und zuletzt als Bauarbeiter gearbeitet. Er sei vor ca. einem Monat vom Iran aus schlepperunterstützt mit einem Van in die Türkei gereist. Von dort sei er mit einem Boot, das von Schleppern zur Verfügung gestellt worden sei, nach Griechenland gelangt. In weiterer Folge habe er sich alleine über Mazedonien, Serbien und Slowenien nach Österreich begeben. Der erste Plan wäre gewesen in die Schweiz zu reisen. Da an der Grenze diesem jedoch gesagt worden wäre, dass eine Einreise in die Schweiz nicht möglich wäre, hätten sich dieser und sein Cousin umentschieden und wären zurück nach Wien gereist. Weiters führte dieser aus, dass er sich seit dem Jahre 2001 illegal im Iran aufgehalten hätte. Über einen Reisepass würde dieser nicht verfügen. Die Reise aus dem Iran nach Österreich wäre schlepperunterstützt vorgenommen worden und hätte rund USD 2500 gekostet. Im österreichischen Bundesgebiet würde dieser über keine Familienangehörigen oder sonstige Verwandte verfügen. Von seiner Familie würde dieser über Kontaktdaten bzw. Rufnummern verfügen. Sein Cousin hätte mit ihm gemeinsam die Reise angetreten. Befragt ob es Gründe gegeben würde, die gegen eine Rückkehr in eines der durchreisten Länder sprechen würden, führte der Beschwerdeführer aus, dass nichts dagegensprechen würde, er jedoch hier in Österreich bleiben möchte. Befragt zum Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Iran aufgrund des Arbeitsmarktes keine Zukunft gehabt hätte. Er sei geflüchtet, da er dort keine Aussicht auf eine Arbeitsstelle gehabt hätte und als Bauarbeitet nur illegal beschäftigt gewesen sei. In den Iran könne er nicht wieder zurück, da er von dort illegal ausgereist wäre und bei einer erneuten Einreise verhaftet werden würde. Er würde dort bei einer Rückkehr nicht wieder akzeptiert werden, dürfte dort nicht wieder einreisen, bzw. müsste von dort auch wieder zurück nach Afghanistan.

3. Der Beschwerdeführer wurde am 29.09.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und brachte dabei zusammengefasst vor, dass er bezüglich seiner Angaben in der Erstbefragung berichtigen möchte, dass er mit seinem "Cousin" in Wahrheit nicht verwandt sei. Er sei schiitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er sei in Ghazni geboren und habe im Iran sechs Jahre die Grundschule besucht. Bis zur Ausreise habe er als Hilfsarbeiter auf diversen Baustellen gearbeitet. Sein Vater sei ebenfalls Bauarbeiter, seine Mutter Hausfrau. Er habe noch zwei weitere Brüder, die bei seinen Eltern leben würden. Der Beschwerdeführer könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen und gab an, niemals einen Reisepass besessen zu haben. Seine Ausreise habe er selbst finanziert, da er im Iran genauso wie sein Vater als Hilfsarbeiter am Bau gearbeitet habe. In seinem Heimatland habe er keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt, gegen ihn sei kein Gerichtsverfahren anhängig und er habe in keinem anderen Staat um Asyl angesucht. Zum Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Iran immer nur inoffiziell als Hilfsarbeiter habe arbeiten können. Wegen der schlechten Jobaussichten habe er sich entschlossen, gemeinsam mit einem Freund den Iran zu verlassen und nach Europa zu gehen. Außerdem seien Afghanen im Iran nicht beliebt. Er selbst sei drei Mal geschlagen und mit einem Messer verletzt worden. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer vier Jahre mit seiner Familie gelebt und er habe keine Fluchtgründe, die sich auf Afghanistan beziehen würden. Sein Vater habe ihm nur erzählt, dass sie den Herkunftsstaat wegen Grundstücksstreitigkeiten mit seinem Onkel verlassen hätten, er wisse jedoch keine näheren Details. Die Frage, ob er in Afghanistan persönlich eine konkrete Verfolgung zu befürchten hätte, verneinte der Beschwerdeführer. Er wäre jedoch bereits bei seinem ersten Versuch nach Europa zu gelangen alleine vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden. Befragt, ob ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er mit den Behörden keine Probleme habe und von staatlicher Seite nichts zu befürchten habe. Da sein Vater jedoch mit seinen Brüdern Probleme gehabt habe, könnte er eventuell diesbezüglich auch Probleme bekommen. Welche konkreten Probleme er bekommen könnte, obwohl die genannten Streitigkeiten bereits viele Jahre zurückliegen würden, wisse der Beschwerdeführer zwar nicht, aber er habe zudem auch keine sozialen Anknüpfungspunkte mehr in Afghanistan. Es würden sich noch die Verwandten väterlicherseits in Afghanistan aufhalten. Zu diesen hätte dieser jedoch keinen Kontakt. Zur Frage, ob etwas dagegen sprechen würde, sich in einem anderen Teil des Herkunftsstaates anzusiedeln, gab der Beschwerdeführer an, dass er allein sei und sich dort selbst etwas aufbauen müsste. Es wäre für ihn schwer, dort Fuß zu fassen.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Verwandten habe und von staatlicher Unterstützung in einem Asylquartier lebe. Er habe einen Deutschkurs an einer Volkshochschule besucht und bereits für die Prüfung auf B 1 gelernt. Zudem besuche er eine Schule und arbeite geringfügig für seine Gemeinde. Zum Vorhalt, dass er laut einer vorgelegter Stellungnahme des Vereins Omega nach Europa geschickt worden sei, da er im Iran jemanden anderen verletzt habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass das stimme, er sich jedoch lediglich wehren habe müssen. Er habe bereits erwähnt, dass Afghanen im Iran kein leichtes Leben hätten. Den Vorhalt, dass er sich auch im Gefängnis befunden habe, bejahte der Beschwerdeführer und führte aus, dass er von der iranischen Polizei in ein Anhaltezentrum gebracht und in weiterer Folge nach Afghanistan abgeschoben worden sei. Auf weiteren Vorhalt, dass er auch in Österreich wegen Körperverletzung angezeigt worden sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er damals attackiert worden sei, jedoch selbst keinen Streit begonnen habe.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer ein ambulanter Arztbrief eines Landeskrankenhauses vom 17.11.2016 mit der Diagnose "Anpassungsstörung", eine psychologische Stellungnahme vom 01.07.2016 des transkulturellen Zentrums mit der Diagnose "Anpassungsstörungen mit psychosomatischen Symptomen", ein Bescheid des Landes Steiermark vom 18.04.2016, wonach dem Antrag des Beschwerdeführers auf Aufnahme in die Grundversorgung stattgegeben werde sowie eine Teilnahmebestätigung vom 08.07.2016, wonach der Beschwerdeführer am Workshop "Besuch einer Recycling Anlage" teilgenommen habe, eine Bestätigung der Gemeinde XXXX , wonach der Beschwerdeführer diverse gemeinnützige Arbeiten durchgeführt habe, eine Vereinbarung über eine gemeinnützige Beschäftigung der Gemeinde XXXX vom 29.04.2017, wonach der Anerkennungsbeitrag 5 Euro/Stunde betrage, drei Zertifikate einen Deutschkurs auf Niveau A1, A2 sowie B1 betreffend, ein weiteres Zertifikat über 444 Unterrichtseinheiten vom 07.07.2016 sowie ein Zertifikat über einen Kurs vom 24.07.2017 bis 05.09.2017 und eine Schulbesuchsbestätigung vom 08.09.2017 vorgelegt.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2017, Zl. 15-1066149500/150422617, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

In der Begründung wurde seitens der belangten Behörde ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers mangels Vorlage gültiger Identitätsdokumenten nicht feststehe. Der Beschwerdeführer habe sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gleichlautend eine individuelle, konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungs-oder Bedrohungssituation von staatlicher Seite dezidiert nicht angegeben. Die Beweggründe, den Iran verlassen zu haben, würden als menschlich verständlich und durchaus plausibel und somit glaubhaft erachtet werden. Jedoch seien dies wirtschaftliche Gründe die sich auf den Iran beziehen würden und somit nicht prüfungsrelevant sind. Ebenso glaubhaft sei, da es vom Beschwerdeführer konkret und schlüssig sowohl in der Erstbefragung als auch in der neuerlichen Einvernahme seinerseits erklärt, dass er in Afghanistan keiner Verfolgung ausgesetzt sei. Der Beschwerdeführer selbst habe auch nicht ausgeschlossen, sich in einer der als sicher genannten Provinzen anzusiedeln, was den Schluss zulasse, dass er keiner unmittelbaren, konkreten, persönlichen Bedrohung ausgesetzt gewesen sei und sein Herkunftsland mit seinem Freund lediglich wegen der allgemein schlechten Lebensbedingungen verlassen habe. Die allgemeine und noch immer triste Situation im Herkunftsland sei durch verschiedene Berichte hinlänglich bekannt und der Wunsch nach besseren Lebensverhältnissen durchaus verständlich. Aktuell drohende Gefahr einer asylrechtlich relevanten Gefahr habe der Beschwerdeführer nicht plausibel und somit glaubhaft gemacht. Abschließend lasse das Bundesamt nicht außer Acht, dass es in Teilen Afghanistan zu militärischen Auseinandersetzungen, terroristischen Anschlägen und verbrecherischen Straftaten komme. Ebenso werde nicht verkannt, dass es in Afghanistan möglicherweise wirtschaftliche Probleme, eine schlechte Versorgungslage und eingeschränkte Ausbildungsmöglichkeiten gebe, die jedoch von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich seien. Dies seien jedoch Umstände, die für alle Bewohner des Landes gegeben seien und nicht nur für ihn persönlich und seien Familie zutreffe. Da dem Beschwerdeführer weder eine lebensbedrohliche Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt habe, gehe die Behörde davon aus, dass ihm im Herkunftsstaat auch keine Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Laut den Länderfeststellungen habe keine allgemeine Gefahr festgestellt werden können. Die Behörde gehe daher davon aus, dass ihm im Herkunftsstaat, vor allem in den sicher geltenden Gegenden wie insbesondere Kabul oder Herat auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die Sicherheitslage in Kabul werde im regionalen Gebrauch als zufriedenstellend beurteilt. Wie auch aus den Länderberichten hervorgehe, sei die Einreise über Kabul möglich und zumutbar. Nach problemlos möglicher Einreise über den internationalen Flughafen Kabul könne auch davon ausgegangen werden, dass von ihm beispielweise die Weiterreise nach Mazar-e-Sharif mit verschiedenen Verkehrsmitteln zu bewerkstelligen sei. Seit 2013 sei Mazar-e-Sharif ein internationaler Flughafen, der selbst von Wien direkt angeflogen werde, und somit für ihn erreichbar sei. Die Provinzhauptstadt Herat könne mittels Luftfahrzeug sowohl von Kabul als auch von Mazar-e Sharif aus erreicht werden. Der Beschwerdeführer sei gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig. Der Beschwerdeführer habe seine Familie aufgrund verschiedener beruflicher Tätigkeiten unterstützen können und auch seine Ausreise selbst finanziert. Aus den angeführten Gründen stehe fest, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan relativ rasch in der Lage wäre, sich eine Existenz aufzubauen, um für sich ausreichend sorgen zu können. Zumindest könne aufgrund eines funktionierenden Bankenwesens in Afghanistan eine finanzielle Unterstützung durch seine im Iran lebenden Familienangehörigen möglich sein. Abgesehen von einer einmaligen Rückkehrhilfe in Form von Bargeld könne im Fall des Beschwerdeführers auch mit der Unterstützung durch verschiedenste Organisationen und Institutionen gerechnet werden, sodass er nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Abschließend könne, insbesondere aufgrund der Information des aktuellen Länderinformationsblattes, die Möglichkeit einer sofortigen Rückkehr nach Afghanistan, konkret in den Bereich Kabul, Herat oder Mazar -e Sharif nicht ausgeschlossen bzw. als zumutbar angesehen werden.

5. Gegen diesen Bescheid wurde am 23.10.2017 fristgerecht Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II und III erhoben. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass es die Behörde verabsäumt hätte, in die Entscheidung miteinzubeziehen, dass die Gesamtbeurteilung des Begehrens zum Entscheidungszeitpunkt anhand der verfügbaren spezifischen Informationen zum Herkunftsstaat zu erfolgen habe, insbesondere jener der Herkunftsprovinz, der Familiensituation und persönlichen Anknüpfungspunkte und entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes. Es wurde auf eine aktuelle Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.Juni 2017 zur Sicherheitslage der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers Ghazni, sowie auf mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen, wonach der Herkunftsort des Beschwerdeführers ein unsicherer Teil Afghanistans sei in dem die Taliban Selbstmordanschläge verüben würden und bei denen auch immer wieder Zivilisten zu Schaden kommen würden. Zusammenfassend lasse sich den erwähnten Informationen zur Herkunftsprovinz jedenfalls eine instabile Sicherheitslage zu diesem Gebiet entnehmen, welches daher mehrheitlich nicht unter der Kontrolle der afghanischen Sicherheitslage stehe. Eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative etwa in anderen Provinzen stehe dem Beschwerdeführer mangels eines sozialen oder familiären Netzwerkes nicht zur Verfügung, da die gesamte Familie im Iran lebe. Die belangte Behörde selbst habe im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass in Afghanistan die soziale Absicherung traditionell bei den Familien und Stammesverbänden liege. Existenzmöglichkeiten in den anderen Provinzen seien zudem von den persönlichen Umständen des Betroffenen und der jeweils aktuellen Sicherheits-und Versorgungslage abhängig. Der Beschwerdeführer habe bei Gesamtbetrachtung des Sachverhaltes keinerlei Bezug zu seinem Herkunftsstaat Afghanistan und kenne die örtlichen Gegebenheiten nicht. Angesichts dieser Sachverhaltskonstellation könne- entgegen der Meinung der belangten Behörde-eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit des Beschwerdeführers nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Folglich könne daher im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung darstellen würde. Der belangten Behörde seien daher insoweit wesentliche Verfahrens-und Ermittlungsmängel vorzuwerfen, als sie im Rahmen ihrer Beurteilung, ob dem Vorbringen des Beschwerdeführers ein glaubhafter Kern zukomme oder nicht, wesentliche Umstände, die-unbeachtlich der Beurteilung einer allfälligen Asylrelevanz des Vorbringens- jedenfalls schon für die Beurteilung einer allfälligen Asylrelevanz des Vorbringens-jedenfalls schon für die Beurteilung einer möglichen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan maßgeblich seien, nicht oder nur unzureichender Weise ermittelt. Beantragt wurde, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

6. Mit Übermittlung vom 28.06.2018 wurde ein Empfehlungsschreiben der Teamleitung "Zukunft - Bildung - Steiermark", VHS Fürstenfeld, sowie das Angebot für den Beschwerdeführer an einer Schnupper- bzw. Praktikumswoche in einer Schlosserei teilzunehmen an das BVwG übersendet.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.06.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen, zu den Gründen der Erhebung der gegenständlichen Beschwerde und seinen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat an der Verhandlung nicht teilgenommen; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Mit dem Beschwerdeführer wurden die Situation in Afghanistan aufgrund der mit der Ladung übermittelten aktuellen Länderfeststellungen besprochen und diesem ausführlich Gelegenheit eingeräumt hierzu Stellung zu nehmen. Ebenso wurden im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG mit dem Beschwerdeführer seiner Befürchtungen in Bezug auf die Rückkehr, bzw. seine in Österreich gesetzten integrativen Schritte, sowie seine Zukunftserwartungen besprochen. Der Beschwerdeführer führte vor dem BVwG zusammenfassend aus, dass er sich nicht in ärztlicher Behandlung befinden würde und körperlich und geistig in der Lage wäre an der Verhandlung teilzunehmen. Die Mitglieder seiner Familie würden sich weiterhin in Esfahan im Iran aufhalten. Zu diesen hätte er etwa einmal im Monat telefonischen Kontakt. Diesen würde es gesundheitlich gut gehen, doch die wirtschaftliche Lage im Iran hätte sich für Flüchtlinge geändert. Der Vater würde in der Baubranche arbeiten, die Mutter wäre Hausfrau, ein Bruder hätte geheiratet und würde als Schneider arbeiten. Er selbst hätte sich legal im Iran aufgehalten und dort seit seinem 12. Lebensjahr in der Baubrache gearbeitet und damit sein Geld verdient. Vorgehalten, dass der Beschwerdeführer in der ersten Instanz zu Protokoll gegeben hat, dass er den Iran wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation verlassen hat, führte der Beschwerdeführer aus, dass noch ein anderer Grund bestanden hätte den Iran zu verlassen. Er hätte auch Probleme mit anderen Jugendlichen im Iran gehabt. Diese hätten ihm alles wegnehmen wollen was er gehabt hätte, bzw. hätten ihn diese auch verletzt und bedroht. Aus diesem Grund hätte er XXXX ohne Erlaubnis der Behörden verlassen und wäre zu seiner Großmutter nach Teheran gefahren. Nach 6 Monaten wäre er wieder zurück nach XXXX gekommen, doch dort hätte er wieder diese Jugendlichen gesehen. Der Vater des Beschwerdeführers hätte daraufhin gemeint, dass er den Iran verlassen solle, weil er Geld verdient hätte und somit keine Geldsorgen bei der Ausreise hätte. Aus diesem Grund hätte er den Iran verlassen wollen. Er wäre jedoch zuvor von der iranischen Polizei erwischt worden und nach Afghanistan, nach Herat abgeschoben worden. Von dort wäre er nach drei Tagen wieder illegal in den Iran und weiter mit einem Schlepper über die Türkei nach Europa gereist. Die Schleppung hätte rund 8 Millionen Toman gekostet, welches etwa einer Summe von rund 10 Monatsdurchschnittsgehältern entsprechen würde. Den Beschwerdeführer danach befragt, warum er dieses Geld nicht dafür verwendet habe sich in Afghanistan eine erste Lebensgrundlage zu schaffen, führte der BF aus, dass eine Rückkehr von Herat in den Iran nicht gerne gesehen werde. Außerdem hätte er einen anderen Akzent und würde somit von anderen ausgelacht werden. Manches Mal würden Rückkehrer aus dem Iran auch als Iraner bezeichnet werden. In dem Hotel in dem er in Herat gewohnt hätte, hätte man ihn schief angesehen und dort hätten sich nur Kriminelle befunden. Er hätte dort niemanden gehabt der ihm helfen hätte können und er hätte dort nicht weiterleben können. Nachgefragt, ob dies alle Befürchtungen betreffend einer Rückkehr wären, führte der BF aus, dass die Familie Afghanistan verlassen hätte, da es eine Feindschaft geben würde. Er hätte nichts gegen das Verlassen von Afghanistan tun können. Persönlich wäre er nie bedroht worden. Er hätte nie versucht in Afghanistan zu leben, weil die Situation dort prekär wäre. Die Schleppung nach Europa hätte rund 3000 Euro gekostet. Er hätte für diesen Betrag sehr lange arbeiten müssen. Wenn er diesen Betrag in rund 10 Monaten ausgegeben hätte, dann hätte er nichts mehr gehabt und hätte auf der Straße schlafen müssen. Man würde in Afghanistan Kontakte brauchen um eine Arbeit zu bekommen. Auch wäre es so, dass den Leuten die aus dem Iran zurückkommen das Geld in Kabul aus der Tasche gezogen würde. Bei einer Rückkehr würde er befürchten, da dort niemanden hätte der ihm helfen könnte, bzw. er keine Papiere und Dokumente hätte, dass er dort nichts anfangen könnte. Die aktuelle Lage in Afghanistan insbesondere in den großen Städten dem BF zur Kenntnis gebracht, führte dieser aus, dass er hierzu nichts sagen könne, bzw. hierüber mit der Vertretung sprechen würde. Befragt, warum der Beschwerdeführer in Österreich gegenständlichen Asylantrag gestellt habe, antwortete dieser dass er eigentlich in die Schweiz wollte, letztlich jedoch in Österreich bleiben wollte. In Österreich würde er seinen Lebensunterhalt durch staatliche Hilfe bestreiten und einen Deutschkurs besuchen. Auch hätte er bei der Gemeinde gearbeitet und nach einem Fußballspiel den Platz aufgeräumt. Es wurden folgende Bestätigungen vorgelegt: Besuch der 5. Klasse eines Oberstufenrealgymnasiums, ein Formular betreffend einer Einstufung für die VHS - XXXX und ein Unterstützungsschreiben eines Lehrers der VHS XXXX dem zu entnehmen ist, dass der BF sich auf die B2 Prüfung vorbereiten würde und fleißig den Unterricht zur Erlangung eines Pflichtschulabschlusses zu erreichen. Der BF würde in der Gemeinde mitarbeiten und dort auch kochen und hätte sich in der Gemeinde auch gut integriert. Er wäre auch für eine weitere Ausbildung bereit. Weiter zur Integration befragt, führte der BF aus, dass er in Österreich keine nähere Beziehung hätte, jedoch Personen hätte ihm als Vertrauenspersonen dienen würden. Zu seinem Alltag in Österreich befragt, führte der BF in deutscher Sprache aus, dass er einen Deutschkurs besuchen würde und anschließend würde er Fußball spielen, schwimmen, bzw. in die Stadt gehen. Er würde jeden Tag 1 bis 2 Stunden Deutsch lernen und hätte eine Prüfung bereits abgelegt. Nächstes Jahr wolle er mit dem Pflichtschulabschluss beginnen. Auch könne er möglicherweise bald ein Praktikum in einer Schlosserei beginnen. Die Vertretung abschließend befragt wurde von dieser ein Auszug aus dem Gutachten Stahlmann betreffend Rückkehrer aus dem Iran, als auch eine gutachterliche Stellungnahme betreffend einer IFA für den Beschwerdeführer in Afghanistan vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer besitzt die afghanische Staatsangehörigkeit, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Ghazni. Er wurde nach eigenen Angaben am 09.07.1999 geboren. Der Beschwerdeführer ist im Alter von vier Jahren mit seiner Familie von Afghanistan in den Iran gezogen. Er hat im Iran sechs Jahre lang die Grundschule besucht und bis kurz vor seiner Ausreise als Bauarbeiter gearbeitet. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, steht nicht in durchgehender ärztlicher Behandlung und benötigt keine Medikamente. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und lebte bis zur Ausreise mit seinen Eltern und seinen Brüdern im Iran. Die gesamte Familie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor im Iran und mit dieser hat der Beschwerdeführer regelmäßig telefonischen Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist unberechtigt und unter Aufwendung für afghanische Verhältnisse hoher Geldbeträge schlepperunterstützt nach Österreich gelangt und hat im Bundesgebiet gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Seit seiner Antragstellung im Oktober 2015 hält sich der Beschwerdeführer durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus Mitteln der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat an mehreren Kursen (insb. Deutschkursen) teilgenommen, hat die Deutschprüfungen A1, A2, sowie B1 bestanden und besuchte im Schuljahr 2017/2018 ein Bundesoberstufenrealgymnasium. Der Beschwerdeführer hat einzelne Gemeindearbeiten verrichtet. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten und keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen.

Das Vorliegen einer insgesamt besonders zu berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann auch unter besonderer Berücksichtigung der gesetzten integrativen Schritte, aufgrund auch der insgesamt kurzen Dauer der Aufenthaltes in Österreich, in casu nicht festgestellt werden. Das Bestehen von besonderen Gründen die für ein Verbleiben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechen sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

1.2 Zu den Beschwerdepunkten:

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in eine größeren Städte wie Kabul, Masar - e Sharif, oder Herat besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen jungen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine maßgebliche Gefahr dass dieser mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer allgemeinen asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre, bzw. grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen könnte und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer alleine deshalb weil er sich den Großteil seines Lebens im Iran aufgehalten hat, bzw. sich zuletzt in Europa aufgehalten hat und er als afghanischer Staatsangehöriger, der aus dem Iran sowie aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt ist, gerade aus diesen Gründen in Afghanistan in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, bzw. es ihm in Afghanistan unmöglich wäre durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Artikel 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (EMRK).

Das BFA hat ein insgesamt mängelfreies Verfahren durchgeführt. Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Verfahren ihrer Ermittlungspflicht durch die Vornahme einer detaillierten Befragung nachgekommen und dem angefochtenen Bescheid ist ein im vorliegenden Verwaltungsakt dokumentiert umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Sachverhalt wurde unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesamtes festgestellt und rechtlich korrekt durch das BFA gewürdigt.

In der Beschwerde, als auch in der Verhandlung vor dem BVwG, sowie den Stellungnahmen konnten keine wesentlichen, bzw. verfahrensrelevant neuen Sachverhaltselemente glaubhaft bzw. substantiiert begründet dargelegt werden, welche geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen grundlegend in Frage zu stellen. Für die in der Beschwerde und den in den Stellungnahmen gestellten Anträge betreffend der angefochtenen Spruchpunkte II und III. des Bescheides des BFA vom 10.10.2017 ergeben sich auch nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG keine konkreten Anhaltspunkte.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

(UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In . Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. .

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

(The Guardian 31.5.2017) [Anm.: man beachte, dass die Opferzahlen in dieser Grafik, publiziert am Tag des Anschlags, noch überhöht angegeben wurden]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 18 von 201

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017). .

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016). .

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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