TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/16 W261 2200007-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.01.2019
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Entscheidungsdatum

16.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2199958-1/9E

W261 2200005-1/9E

W261 2200007-1/9E

W261 2200011-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin Gastinger, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Schwester XXXX als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

2. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Schwester XXXX als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan

3. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Schwester XXXX als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan

4. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Schwester XXXX als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

alle vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, jeweils gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt, vom

1. 29.05.2018, Zl. XXXX

2. 29.05.2018, Zl. XXXX

3. 29.05.2018, Zl. XXXX

4. 29.05.2018, Zl. XXXX

nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.12.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und den Beschwerdeführern wird gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 16.01.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Gang des Verfahrens:

XXXX , eine afghanische Staatsbürgerin, reiste nach eigenen Angaben am 31.10.2016 gemeinsam mit ihren vier minderjährigen Brüdern, dem Erstbeschwerdeführer XXXX (in der Folge mj. BF1), dem Zweitbeschwerdeführer XXXX (in der Folge mj. BF2), dem Drittbeschwerdeführer XXXX (in der Folge mj. BF3) und XXXX (in der Folge mj. BF4), irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz für sich und ihre minderjährigen Brüder.

Am 31.10.2016 erfolgte die Erstbefragung der Schwester der mj. BF1, BF2, BF3 und BF4 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Paschtu. Ihren Fluchtgrund betreffend führte diese aus, ihr Vater habe als Fahrer für Polizisten für die Regierung gearbeitet. Als er Polizisten von Nangahar nach Kabul fahren wollte, sei er in einen Hinterhalt der Taliban geraten, und alle seien durch eine Mine getötet worden. Nach diesem Vorfall hätten die Taliban ihren älteren Bruder XXXX bedroht. Sie hätten auch gedroht, sie und die mj. BF1, BF2, BF3 und BF4 zu töten, weshalb sie beschlossen hätten, das Land zu verlassen. Der ältere Bruder habe die Flucht organisiert und sei mit der Schwester und den jüngeren Brüdern geflüchtet. In der Türkei sei der Kontakt zu ihm abgebrochen, die Schwester sei daraufhin allein mit ihren jüngeren Brüdern weitergereist.

Mit Schreiben vom 08.11.2016 stellte die Bezirkshauptmannschaft Baden als regionale Organisationseinheit des Landes Niederösterreich als Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger hinsichtlich der mj. BF1, BF2, BF3 und BF4 fest, dass ihre ältere Schwester mit der Pflege und Erziehung betraut wurde.

Am 29.03.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Schwester der mj. BF1, BF2, BF3 und BF4 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt (in der Folge BFA oder belangte Behörde), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Dabei wiederholte sie betreffend die Fluchtgründe im Wesentlichen die Angaben der Erstbefragung. Weiters brachte sie vor, der ältere Bruder sei im August 2017 nach Afghanistan zurückgekehrt und nach einer Woche umgebracht worden. Die Schwester der mj. BF1, BF2, BF3 und BF4 habe am 27.07.2017 in Traiskirchen einen rechtmäßig in Italien lebenden Afghanen geheiratet. Sie legte eine Reihe von Integrationsunterlagen von sich und den mj. BF1, BF2, BF3 und BF4, Fotos ihres Vaters und ihre Heiratsurkunde vor.

Mit Beschluss vom 25.05.2018 übertrug das Bezirksgericht XXXX der Schwester die Obsorge für die mj. BF1, BF2, BF3 und BF4.

Mit Bescheid vom 29.05.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Schwester der mj. BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde der Schwester der mj. BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gegen die Schwester der mj. BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der Schwester der mj. BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Schwester der mj. BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Mit den nunmehr angefochtenen und im Spruch genannten Bescheiden vom 29.05.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der mj. BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. ab. Weiters erteilte die belangte Behörde den mj. BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit. (Spruchpunkt III.), erließ ihnen gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg. cit. iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg. cit. fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg. cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach die belangte Behörde aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg. cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde darin aus, die mj. BF hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, und ihre Schwester habe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen können. Bei einer Rückkehr würden die mj. BF1, BF2, BF3 und BF4 nicht in eine ausweglose existenzbedrohende Lage geraten, die Rückführung erfolge gemeinsam mit der Kernfamilie. Die mj. BF würden sich im Falle einer Rückkehr unter der Obhut ihrer Schwester befinden. Ein schützenswertes Privat- und Familienleben liege nicht vor, zumal sowohl die vier Brüder als auch die Schwester nicht zum dauerhaften Aufenthalt berechtigt seien, denn auch in deren Verfahren sei eine Rückkehrentscheidung getroffen worden.

Gegen diese Bescheide brachten die mj. BF und ihre Schwester, alle bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, mit Eingaben vom 27.06.2018 jeweils fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und legten Vertretungsvollmachten vor.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden der BF samt den Aktenvorgängen mit Schreiben vom 28.06.2018 dem BVwG zur Entscheidung vor, wo diese am 04.07.2018 einlangten.

Das BVwG beraumte für 20.11.2018 eine mündliche Verhandlung an, welche in weiterer Folge vertagt wurde.

Mit Schreiben vom 29.11.2019 übermittelte das BVwG das Länderinformationsblatt zu Afghanistan mit Stand 23.11.2018, die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, Auszüge aus der Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan vom Juni 2018 und den Landinfo Report Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 und räumte sowohl den mj. BF als auch der belangten Behörde die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Mit Schreiben vom 14.12.2018 gab das BFA zu den übermittelten UNHCR-Richtlinien eine schriftliche Stellungnahme ab. Zusammengefasst brachte die belangte Behörde dabei vor, dass die UNHCR-Richtlinien die wesentlichen Schlussfolgerungen der EASO Country Guidance nicht beeinträchtigen würden. Während sich die UNHCR-Richtlinien oft auf allgemeine theoretische Formulierungen beschränkten, würde die EASO Country Guidance ein praktisches Hilfsmittel mit konkreten rechtlichen Schlussfolgerungen für Entscheidungsfinder darstellen. Das BFA erachte eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul-Stadt als grundsätzlich zumutbar, jedoch sehr stark abhängig von individuellen Faktoren des Einzelfalls. Ob und für welche Fälle UNHCR eine IFA in Kabul-Stadt für zumutbar halte, bleibe derzeit offen.

Am 20.12.2018 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung der gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Beschwerdeverfahren der mj. BF1, BF2, BF3, BF4 und ihrer Schwester und Obsorgeberechtigten im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu statt, zu der die mj. BF und ihre Schwester gemeinsam mit ihrer Rechtsvertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH erschienen. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte die Schwester der mj. BF im Wesentlichen das aus, was sie bereits vor der belangten Behörde aussagte und legte eine Reihe von Integrationsunterlagen für sich und die mj. BF vor. Darüber hinaus gab die die Schwester der mj. BF bekannt, im fünften Monat schwanger zu sein. Seitens der Rechtsvertretung der mj. BF wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung Stellungnahmen zu den seitens des BVwG übermittelten Länderinformationen abgegeben und ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Afghanistan-Gefährdungsprofile" vom 12.09.2018, eine Stellungnahme zur Gefährdung von Kindern in Afghanistan vom 19.12.2018, eine Stellungnahme zur nichtgegebenen internen Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 20.11.2018 und eine Stellungnahme zur Verfolgung der der mj. BF und ihrer Schwester durch die Taliban im gesamten Staatsgebiet vom 17.12.2018 vorgelegt. Die bevollmächtigte Vertretung führte dazu aus, dass die mj. BF und ihre Schwester alle unter ein Gefährdungsprofil fallen würden und allein deshalb in Afghanistan mit asylrelevanter Verfolgung zu rechnen hätten. Sie könnten keine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen, da es sich um eine junge Frau mit vier minderjährigen Brüdern handle, die keinerlei finanzielle Unterstützung und kein Netzwerk in Afghanistan habe. Zudem erwarte die Schwester der mj. BF noch ein Kind. Außerdem hätten die mj. BF und ihre Schwester mit einer Verfolgung aufgrund ihrer (unterstellten) politischen Gesinnung zu rechnen, da ihr Vater für die Regierung tätig gewesen sei. Personen, die von den Taliban verfolgt würden, stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Die Schwester der mj. BF sei von ihrem in Italien legal aufhältigen Ehemann schwanger und könne dieses Familienleben keinesfalls in Afghanistan fortgesetzt werden.

Laut den am 05.07.2018 vom BVwG eingeholten Speicherauszügen aus dem Betreuungsinformationssystem befinden sich alle mj. BF laufend in der vorübergehenden Grundversorgung.

Das BVwG holte am 15.01.2019 eine Strafregisterauskunft des mj. BF1 ein, wonach er strafrechtlich unbescholten ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person der Beschwerdeführer:

Der mj. BF1 trägt den Namen XXXX . Das Geburtsdatum wird mit XXXX festgelegt. Der mj. BF2 trägt den Namen XXXX . Das Geburtsdatum wird mit XXXX festgelegt. Der mj. BF3 trägt den Namen XXXX . Das Geburtsdatum wird mit XXXX festgelegt. Der mj. BF4 trägt den Namen XXXX . Das Geburtsdatum wird mit XXXX festgelegt.

Die BF sind alle minderjährig, ledig und kinderlos. Sie sind Staatsangehörige von Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitische Muslime. Die mj. BF sind Zivilisten.

Sie sind im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Laghman geboren und lebten dort bis zu ihrer Ausreise.

Die Muttersprache der mj. BF ist Paschtu.

Die Familie der mj. BF besteht aus den bereits verstorbenen Eltern, XXXX und XXXX , und dem ebenfalls bereits verstorbenen Bruder XXXX sowie der Schwester XXXX , welche mit den BF in Österreich lebt und die Obsorge über die BF übernommen hat.

Die mj. BF sind Vollwaisen und haben zwei Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits in Afghanistan, zu denen jedoch kein Kontakt besteht.

Die mj. BF besuchten in Afghanistan keine Schule.

Die mj. BF verließen Afghanistan gemeinsam mit ihrem älteren Bruder und ihrer Schwester im Herbst 2016. In der Türkei riss der Kontakt zum älteren Bruder XXXX ab. Später erfuhren die BF, dass der Bruder nach Afghanistan zurückgekehrt war und getötet wurde. Sie reisten gemeinsam mit ihrer älteren Schwester XXXX weiter und gelangten über den Iran, die Türkei und weitere Länder nach Österreich, wo sie mit ihrer Schwester am 31.10.2016 illegal einreisten und einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

1.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Das dargelegte Fluchtvorbringen, wonach die mj. BF aufgrund des Umstandes, dass ihr Vater als Fahrer für die Polizei gearbeitet und aus diesem Grund von den Taliban ermordet wurde, ebenfalls von den Taliban verfolgt werden, kann nicht festgestellt werden.

Die mj. BF waren in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan weder aufgrund politischer, ethnischer, religiöser oder sonstiger Gründe konkret gegen sie als Person gerichteter psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt, noch droht ihnen eine solche Gewalt.

Die mj. BF haben in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine konkret gegen ihre Person gerichtete Verfolgung von staatlicher oder privater Seite zu befürchten.

1.3. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die mj. BF befinden sich seit ihrer Antragstellung im Oktober 2016 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Sie beziehen seit ihrer Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der mj. BF1 besucht die vierte Klasse der Neuen Musikmittelschule

XXXX .

Die mj. BF2, BF3 und BF4 besuchen die erste Klasse der Neuen Musikmittelschule XXXX .

Sie haben Freunde gefunden und gehen gerne in die Schule.

Der mj. BF1 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Die mj. BF2, BF3 und BF4 sind in Österreich strafunmündig.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Den mj. BF ist eine Rückkehr und (Wieder-)Ansiedlung in ihre Herkunftsprovinz Laghman aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich, eine Neuansiedlung in eine andere Provinz Afghanistans ist den mj. BF aufgrund ihrer individuellen Umstände nicht zumutbar. Die Eltern und der ältere Bruder der mj. BF sind bereits verstorben. Der Schwester, welche für die mj. BF in Österreich sorgt, wurde mit Erkenntnis des BVwG vom heutigen Tag (W261 2200009-1) der Status der Asylberechtigten zuerkannt. In Afghanistan befinden sich zwar zwei Onkel und eine Tante, es besteht jedoch kein Kontakt mit diesen Verwandten. Darüber hinaus verfügen die mj. BF in Afghanistan über kein familiäres oder soziales Netzwerk, mit dessen Unterstützung sie eine Existenzgrundlage aufbauen könnten. Der mittlerweile verstorbene ältere Bruder der mj. BF verkaufte das Haus und die Grundstücke der Familie, um die Ausreise zu finanzieren.

Die mj. BF sind als Minderjährige besonders vulnerable Personen. Sie laufen als Minderjährige Gefahr, Opfer von Zwangsarbeit und Ausbeutung zu werden. Die mj. BF sind 11, 12 und 14 Jahre alt und haben bisher keinerlei Berufserfahrung gesammelt.

Bedingt durch ihre Minderjährigkeit und ein fehlendes familiäres oder soziales Netzwerk wird es für sie, im Vergleich zur übrigen dort lebenden Bevölkerung, ungleich schwieriger sein, eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu finden, und sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Die bei den mj. BF vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihnen möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan Fuß zu fassen, und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefen die mj. BF vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 23.11.2018, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 und im Landinfo Report Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

Die Herkunftsprovinz der mj. BF, die Provinz Laghman, liegt inmitten des Hindukush-Gebirges. Sie besteht aus folgenden Distrikten:

Alishing/Alishang, Alingar, Dawlat Shah/Dawlatshah, Qargayi/Qarghayi und Mehtar Lam/Bad Pash (Pajhwok o.D.f). Laghman grenzt an die Provinzen Nangarhar im Süden, Kunar im Osten, Nuristan und Panjshir im Norden und Kapisa und Kabul im Westen. Mehtar Lam/Mehtarlam ist die Provinzhauptstadt. In der Provinz leben mehrheitlich Paschtunen, gefolgt von Tadschiken, Nuristani, Paschai. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 460.352 geschätzt.

Laghman zählte seit dem Fall der Taliban im Jahr 2001 zu den relativ friedlichen Provinzen; Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen nahmen jedoch in den letzten Jahren zu. Im Juli 2017 waren die Distrikte Alingar, Alishing und Dawlatshah von Sicherheitsproblemen betroffen, während sich die Sicherheitslage in der Provinzhauptstadt und ihren Vororten verbesserte. In Laghman befindet sich eine internationale Militärbasis (Forward Operating Base Gamberi).

Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 147 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Laghman 354 zivile Opfer (84 getötete Zivilisten und 270 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 14% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Luftangriffe werden durchgeführt. Dabei werden Aufständische, auch Talibananführer getötet. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräfte finden statt. Berichtet wurde, dass nun zum ersten Mal Zusammenstöße zwischen Aufständischen der Taliban und des IS von Nangarhar auf die Provinz Laghman übergeschwappt sind - beide Seiten haben hohe Verluste bei diesen Zusammenstößen zu verzeichnen. Die Provinz Laghman grenzt an die Provinz Nangarhar, in der sowohl Anhänger der Taliban als auch Anhänger des IS in abgelegenen Distrikten aktiv sind. Lokale Beamte berichten von Luftangriffen auf die Taliban und den IS in manchen Distrikten der Provinz Laghman. Regierungsfeindliche Gruppierungen, inklusive Anhänger der Taliban und des IS, haben versucht, in abgelegenen Teilen der Provinz ihre Aktivitäten auszuweiten. In der Provinz Laghman kam es zu Zusammenstößen zwischen Taliban- und IS- Kämpfern.

Die Provinz Laghman zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass im Einzelfall nur minimale Teilvoraussetzungen erfüllt sein müssen, um berechtigten Grund für die Annahme zu liefern, dass Zivilisten, welche in diese Provinz zurückgebracht werden, eine reelle Gefahr, ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen, gewärtigen hätten.

1.5.2 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist generell festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

In der Herkunftsprovinz der mj. BF, der Provinz Laghman, werden zahlreiche Projekte implementiert: der Bau eines Flughafens, der die vier östlichen Provinzen verbinden soll, Dämme, ein Solarenergieplan, Parks, Straßen, ein Wasserversorgungssystem, der Campus der Universität Laghman sowie die Errichtung eines Kricket-Stadiums usw.. Ein Abschnitt der Kabul-Jalalabad Autobahn geht durch die Provinz Laghman. Auch wurde Ende 2013 eine 14 km lange Straße gebaut, welche die Provinzhauptstadt Mehtarlam mit dem Distrikt Qarghayi verbindet). Mitte April 2017 wurde in Mehtarlam der Bau einer Tangente in der Provinz Laghman angekündigt.

2017 stieg die Opium-Produktion in der Provinz Laghman um 64% im Vergleich zu 2016. Alle Distrikte der Provinz, in denen Mohn angebaut wird, waren davon betroffen. Im Laufe des Jahres 2017 wurden 23 Hektar Mohnfelder umgewidmet.

1.5.3 Kinder und Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern. Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren.

Kinder, vor allem Buben, sind als Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt. In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen. Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Kinderarbeit bleibt daher ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt.

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet.

Die Lebensbedingungen für Kinder in Waisenhäusern sind schlecht. Berichten zufolge sind 80% der Kinder zwischen vier und 18 Jahren in den Waisenhäusern keine Waisenkinder, sondern stammen aus Familien, die nicht die Möglichkeit haben, für Nahrung, Unterkunft und Schulbildung zu sorgen. Quellen zufolge werden Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt; auch sind sie manchmal Menschenhandel ausgesetzt. Der Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtungen und Bildung wird nicht regelmäßig gewährleistet.

Mit dem Begriff "unbegleitete Minderjährige" werden Personen bezeichnet, die unter 18 Jahre alt sind bzw. das nationale Volljährigkeitsalter nicht erreicht haben und getrennt von ihren Eltern bzw. ohne die Obhut eines Vormundes leben.

Ca. 58% der nach Afghanistan zurückkehrenden Jugendlichen sind minderjährig. Besonders gefährdet sind aus dem Iran kommende unbegleitete Minderjährige, deren Anzahl im Jahr 2017 auf ca. 2.000 geschätzt wurde. Schätzungen zufolge waren ungefähr 15% der aus dem Iran zurückgeführten Afghanen zum Zeitpunkt ihre Rückkehr zwischen 15 und 17 Jahre alt, dennoch gab es auch einige Zehnjährige darunter. Die Rückkehr ist oft nicht freiwillig und zahlreiche Heimkehrer sind unbegleitete Buben, die willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt sind. Schätzung von IOM zufolge ist die Anzahl der nach Afghanistan zurückkehrenden unbegleiteten Minderjährigen von 2.110 im Jahr 2015 auf 4.419 im Jahr 2017 gestiegen.

Einer Aussage des Direktors der Afghanistan Migrants Advice and Support Organisation aus dem Jahr 2015 zufolge gibt es in Afghanistan keine auf UMF spezialisierten Reintegrationsprogramme. Wegen der hohen Zahl an Rückkehrern und Rückkehrerinnen beschränken sich die Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen auf die Bereitstellung von Grundversorgungsdiensten wie Unterkunft, Essen und Transport. Unbegleitete Minderjährige werden durch Vormundschaftsvereinbarungen von IOM versorgt. Kinder sind gefährdet, sexuell durch Mitglieder der Sicherheitskräfte missbraucht zu werden.

Quellen zufolge entscheidet meist der weitere Familienkreis, ein minderjähriges Familienmitglied nach Europa zu schicken. Ohne familiäre Unterstützung wäre es dem Minderjährigen meistens gar nicht möglich, die Reise nach Europa anzutreten; dies ist eine wichtige Netzwerkentscheidung, die u.a. die Finanzen der Familie belastet. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Minderjährige unabhängig von seiner Familie beschließt, das Land zu verlassen und nach Europa zu reisen. Meist sind dies junge Leute aus gebildeten, wohlhabenden Familien. Dies wird oft durch den Kontakt zu Freunden und Bekannten im Ausland, die über soziale Medien ein idealisiertes Bild der Lebensbedingungen in Europa vermitteln, gefördert. Eine größere Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen ist auf der Suche nach Arbeit in den Iran, nach Pakistan, Europa und in urbane Zentren innerhalb Afghanistans migriert; viele von ihnen nutzten dafür Schlepperdienste.

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.5.5 Paschtunen und Sunniten

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch die mj. BF sind.

1.5.6 Taliban und Aufständische

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer

Die Feststellungen zu den Namen, zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Muttersprache, zum Familienstand, zu den Aufenthaltsorten, ihrem Leben in Afghanistan, ihren Familienangehörigen und ihrer Ausreise aus Afghanistan gründen sich auf die diesbezüglichen Angaben der Schwester der mj. BF im gegenständlichen Verfahren. Die Angaben sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen plausibel. Die hierzu getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei. Das BVwG sieht keine Veranlassung, an diesen Aussagen der Schwester der mj. BF zu zweifeln.

Die mj. BF kennen ihre Geburtsdaten nicht. Die angegebenen Geburtsdaten basieren auf den Angaben der mj. BF vor der belangten Behörde. Diese Daten dienen primär der Identifizierung im Asylverfahren. Es steht fest, dass die mj. BF sowohl zum Zeitpunkt der Einreise, als sie ca. 8, 9 und 11 Jahre alt waren, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung mit einem Alter von ca. 11, 12 und 14 Jahren, minderjährig waren und sind.

Die Reiseroute, der Zeitpunkt des Verlassens Afghanistans, der Zeitpunkt der Einreise in Österreich und der Zeitpunkt der Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2 Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Aus den Ausführungen der Schwester der mj. BF anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.12.2018 ergibt sich für die erkennende Richterin folgendes Bild:

Das Vorbringen, wonach der Vater der mj. BF in Afghanistan als Fahrer für die Afghanische Polizei tätig war und aus diesem Grund von den Taliban bedroht und gedrängt wurde, seinen Beruf aufzugeben, sowie das Vorbringen, dass der Vater nach der Weigerung, seine Tätigkeit zu beenden, in einen Hinterhalt der Taliban geriet und durch eine Mine getötet wurde, ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen grundsätzlich glaubhaft. Die Schwester der mj. BF konnte jedoch nicht glaubhaft darlegen, dass nach dem Tod des Vaters auch die Kinder weiterhin Verfolgung durch die Taliban zu befürchten hätten. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung befragt, ob sie selbst oder einer ihrer vier minderjährigen Brüder in Afghanistan jemals psychisch oder physisch bedroht worden seien, gab die Schwester der mj. BF an "Sie haben einmal meinen älteren Bruder geschlagen. Wir haben nie erfahren, wer das war. Nachdem sie meinen Vater getötet haben, hat mir mein Bruder gesagt: Wir können hier nicht mehr leben. Wenn es ein bisschen dunkler wird, kann niemand mehr das Haus verlassen. Es ist lebensgefährlich. Weil sie uns bedroht haben, dass sie meine Brüder entführen und umbringen wollen, sind sie nicht zur Schule gegangen. Wir waren die ganze Zeit zu Hause. Niemand von uns konnte das Haus verlassen." (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Die Schwester der mj. BF gab an, die Taliban hätten dem Vater telefonisch und in Briefen gedroht, ihn umzubringen und seine Kinder zu entführen. Weiters führte sie aus, dass nach dem Tod des Vaters auch der ältere Bruder von den Taliban bedroht worden sei. Es ist vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht plausibel, warum die Angehörigen des Vaters, nachdem die Taliban durch seine Ermordung dafür gesorgt hatten, dass er nicht mehr für die Regierung arbeitet, weiterhin Verfolgung zu befürchten hätten. Auch der Umstand, dass die Geschwister noch sechs Monate nach dem Tod des Vaters im Heimatdorf lebten, spricht nicht für eine tatsächliche akute Bedrohung. Selbst wenn von der Glaubhaftigkeit dieser Schilderungen der Schwester der mj. BF ausgeht, legte sie damit nur eine Verfolgung des älteren Bruders dar. Dass die minderjährigen BF nach dem Tod des Vaters eine konkrete, gegen sie gerichtete Verfolgung zu befürchten hatten oder im Falle einer Rückkehr zu befürchten hätten, brachte die Schwester der mj. BF nicht nachvollziehbar vor.

2.3 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Feststellungen zu ihrer Antragstellung, ihren Aufenthaltstiteln in Österreich und zu den Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus den eingeholten Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem vom 05.07.2018.

Die Feststellungen zu den Schulbesuchen und ihrem Privatleben beruhen auf den glaubhaften Angaben der Schwester der mj. BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und auf die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten unbedenklichen Integrationsunterlagen.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF1 ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug vom 15.01.2019.

2.4 Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat (innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative)

Die Feststellungen zur Rückkehr der mj. BF nach Afghanistan ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung der von den mj. BF in ihrer Beschwerde, in ihren Stellungnahmen zur Gefährdungslage in Afghanistan diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den von der Schwester der mj. BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Eine Rückkehr in deren Herkunftsprovinz Laghman ist den mj. BF aufgrund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage nicht möglich, wie dies auch die zitierten EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 bestätigen.

Die BF sind als Minderjährige, die bedingt dadurch, dass ihre Eltern und ihr älterer Bruder bereits verstorben sind und ihre Schwester, die sich um sie kümmert, und der der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, welche in Österreich lebt, sowie zu den zwei Onkeln und einer Tante in Afghanistan kein Kontakt besteht, über kein soziales Netzwerk verfügen, die zudem als 11-, 12- und 14-Jährige bisher keinerlei Berufserfahrung haben, als besonders vulnerable Personen anzusehen. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde ist es ihnen daher aufgrund ihrer individuellen Situation nicht möglich, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.

Die BF würden, wie dies auch die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen belegen, ohne familiären und/oder sozialen Rückhalt bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Die BF werden dort als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die zudem noch Vollwaisen sind, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Lebensgrundlage vorfinden, die es ihnen ermöglichen wird, die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz zu decken.

Bei den mj. BF handelt es sich demgemäß eindeutig um vulnerable Personen, die besonderen Schutzes bedürfen.

2.5 Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch Gebrauch gemacht. Jene Länderinformationen, die die mj. BF mit ihrer Stellungnahme in der Beschwerdeverhandlung dem BVwG vorlegten, decken sich im Wesentlichen mit den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen. Im Ergebnis lässt sich aus allen in dieses Verfahren eingebrachten Länderinformationen ableiten, dass Minderjährige, die weder ein soziales oder familiäres Netz in Afghanistan und auch keine Berufserfahrung haben, als vulnerable Personen anzusehen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1 Zu Spruchteil A I - Abweisung des Antrages auf internationalen Schutzes laut Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides:

Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) lauten wie folgt:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkrieges hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Die belangte Behörde begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass die mj. BF keine Verfolgung ihrer Person oder eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne der GFK vorgebracht haben. Es konnte daher in diesem Fall schon aus diesem Grund nicht zur Gewährung internationalen Schutzes kommen. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde aus folgenden Gründen im Recht:

Wie aus den Feststellungen und aus der Beweiswürdigung ersichtlich, haben die älteren Geschwister der mj. BF Afghanistan nach dem Tod ihres Vaters verlassen. Eine konkrete persönliche Bedrohung, aus welcher möglicherweise eine aktuelle asylrelevante Verfolgung der mj BF in seinem Herkunftsstaat ableitbar wäre, konnten diese bzw. ihre Schwester für sie jedoch nicht glaubhaft machen.

Eine drohende Verfolgung aus anderen politischen, religiösen, ethnischen Motiven oder sonstigen Gründen, welche von ihrem Heimatstaat oder von Aufständischen ausgehen und konkret gegen ihre Person gerichtet sind, brachten die mj. BF bzw. deren ältere Schwester für sie nicht vor.

Da die mj. BF weder glaubhaft machen konnte noch auf Grund des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen ist, dass ihnen eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, waren die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG richtigerweise als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zu Spruchteil A II Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. (subsidiärer Schutz) der angefochtenen Bescheide:

Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Stattgabe der Beschwerden hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) lauten wie folgt:

Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des EuGH sind nach der Statusrichtlinie vom subsidiären Schutz nur Fälle realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zu erleiden (Art. 15 lit. a und b), sowie Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt (lit. c) umfasst. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführender Verletzung von Art. 3 EMRK. (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/01606-12)

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg. cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg. cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg. cit. zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg. cit.) offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 u

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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