Entscheidungsdatum
29.01.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W126 2155081-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2017, Zl. 1070423109-170071487, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 wird eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 29.01.2022 erteilt.
III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Am 30.03.2015 stellte die Beschwerdeführerin in der österreichischen Botschaft in Islamabad, Pakistan, einen Einreiseantrag gemäß § 35 AsylG für sich und ihre vier Söhne, und gab darin ihren in Österreich als Flüchtling anerkannten Ehemann (Beschwerdeführer zu GZ W197 1430064-1) als Bezugsperson an.
In der Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als BFA bezeichnet) vom 06.06.2016 betreffend den ältesten Sohn der Beschwerdeführerin (Beschwerdeführer zu GZ W126 2187672-1) wurde ausgeführt, dass schon die allgemeinen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung im Familienverfahren nicht vorliegen, weil der Beschwerdeführer bereits volljährig sei.
In der Stellungnahme des BFA gemäß § 35 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) vom 30.11.2016 betreffend die Beschwerdeführerin und zwei ihrer Söhne wurde ausgeführt, dass eine offizielle Eheschließung durch die Beschwerdeführerin und die Bezugsperson (in der Folge als Ehemann bezeichnet) nicht nachgewiesen werden habe können. Die Ehe sei nicht registriert worden und wäre eine im Heimatland offizielle Registrierung der Ehe mit einer 11-jährigen nicht möglich. Eine nachträgliche Registrierung einer Ehe zwischen einem Christen und einer Muslimin sei ebenfalls nicht möglich. Das Familienverhältnis der minderjährigen Kinder der Bezugsperson sei jedoch durch die beigebrachte DNA-Analyse erwiesen. Aufgrund der mangelnden gesetzlichen Familieneigenschaft der Lebensgefährtin werde ausgeführt, dass die Einreise der Beschwerdeführerin als zweiter Elternteil zur Aufrechterhaltung des Familienlebens (iSd Art. 8 EMRK) in Bezug auf die Minderjährigkeit der weiteren Antragsteller gewährt werde.
In der Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG vom 01.12.2016 teilte das BFA nach Prüfung der Sachlage mit, dass die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten wahrscheinlich sei und daher gemäß § 26 FPG ein Visum D mit Gültigkeitsdauer von vier Monaten auszustellen sei und die Einreise zu ermöglichen sei, sofern die Vertretungsbehörde keine Zweifel an der Identität hege.
Am 18.01.2017 stellte die Beschwerdeführerin in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.
In der Erstbefragung gab sie an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe. Sie stelle den gegenständlichen Antrag, weil ihr Ehemann den Status des Asylberechtigten erlangt habe und sie denselben Schutz beantragen wolle. In ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder gebe sei an, dass ihre Kinder seit deren Geburt in ihrer Begleitung bzw. Obhut seien und keine eigenen Fluchtgründe haben. Sie stelle auch für ihre Kinder einen Asylantrag.
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.03.2017 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie wisse, dass sie als "ledig" geführt werde, weil eine offizielle Eheschließung bzw. Registrierung einer Ehe mit einer 11-jährigen auch in Afghanistan nicht möglich sei und des Weiteren eine Registrierung einer Ehe mit einem Christen nicht möglich gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin habe die letzten sechs Jahre in Pakistan gelebt. Davor habe sie mit ihrem Ehemann gemeinsam in Ghazni gelebt. Damals seien sie gemeinsam nach Pakistan gegangen. Ihr Ehemann sei dann weiter nach Österreich gereist und sie sei gemeinsam mit ihren vier Söhnen in Pakistan geblieben. Während ihres Aufenthaltes in Pakistan habe die Beschwerdeführerin als Putzfrau gearbeitet. In Afghanistan sei es schwer, die Sicherheitslage sei schlecht und vor allem in Ghazni seien viele Taliban gewesen.
2. Mit angefochtenem Bescheid vom 24.03.2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigte gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.03.2018 erteilt (Spruchpunkt III).
Begründend wurde zusammengefasst dargelegt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Afghanistan in die Herkunftsprovinz Ghazni oder eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei, da sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten würde.
Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 24.03.2017 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater zur Seite gestellt.
3. Gegen den Bescheid erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch den ihr beigegeben Rechtsberater, fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I.
Der Beschwerde wurde eine Kopie der Heiratsurkunde der Beschwerdeführerin in Originalsprache sowie eine beglaubigte Übersetzung von einem allgemein beeideten gerichtlich zertifizierten Dolmetscher beigelegt. In der Übersetzung ist das Datum der Eheschließung im Jahr 1987 sowie die Bestätigung, dass die Ehe des angegebenen Brautpaares, nachdem alle Bedingungen der Trauung überprüft worden seien und das Brautpaar zugestimmt habe, geschlossen worden sei. Am Ende des übersetzten Dokuments sind die Namen von zwei Zeugen ersichtlich.
4. Am 14.02.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin und ihr Rechtsberater teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm (entschuldigt) nicht an der Verhandlung teil.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung sagte die Beschwerdeführerin aus, dass sie die Wahrheit angegeben habe, aber mit der Protokollierung nicht einverstanden sei, da es Dinge gebe, die sie so nicht gesagt habe. Sie habe eine Heiratsurkunde vorgelegt, welche nicht anerkannt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe die Heirat damals bei den Behörden registrieren lassen und diese Bestätigung darüber erhalten. Sie sei mit ihrem Ehemann verheiratet und habe gemeinsame Kinder mit ihm. Sie sei die Mutter dieser Kinder.
Die Beschwerdeführerin gab weiter an, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in der Provinz Ghazni gelebt habe. Sie habe keine Schulbildung und könne nicht lesen und schreiben. In Österreich habe sie zum ersten Mal einen Stift in der Hand gehalten und Kurse besucht. In Afghanistan habe sie auf den Feldern gearbeitet, die Tiere gefüttert, für ihre Kinder gekocht und sich um den Haushalt gekümmert. Sie habe keine Verwandten mehr in Afghanistan. Sie sei Muslimin, aber habe den Islam "satt". Ihr Ehemann sei sehr müde von der Arbeit, deshalb schaffe er es nicht mehr regelmäßig in die Kirche zu gehen. Ihr älterer Sohn gehe aber weiterhin regelmäßig in die Kirche. Ihre Söhne seien neun, elf, sechzehn und zwanzig Jahre alt. Bei ihrem sechzehnjährigen Sohn habe die Altersfeststellung ein Alter von achtzehn und bei ihrem zwanzigjährigen Sohn habe die Altersfeststellung ein Alter von vierundzwanzig Jahren ergeben. Ihr ältester Sohn sei erst seit zwei Monaten in Österreich. Er sei später illegal nachgekommen, weil eine Altersfeststellung seine Volljährigkeit ergeben habe.
Für die Beschwerdeführerin sei am Anfang alles schwer gewesen, mittlerweile könne sie Straßennamen lesen und den Weg alleine finden. Sie gehe fünf Tage die Woche alleine zum Deutschkurs und verstehe die Lehrerin inzwischen auch besser. Nach dem Kurs mache sie ihre Hausaufgaben und lerne lesen und schreiben. Danach gehe sie einkaufen, weil ihr Ehemann arbeite. Zu Hause bereite sie anschließend das Abendessen zu. In Österreich fühle sie sich frei. Sie könne sich hier ordentlich kleiden und müsse kein Kopftuch tragen. Wenn sie hinausgehe, müsse sie ihr Gesicht nicht verdecken. Ihr Ehemann habe damit kein Problem.
Zu den Gründen für das Verlassen Afghanistans gab sie im Wesentlichen an, dass sie selbst keine Schwierigkeiten gehabt habe. Ihr Ehemann sei als Christ angesehen worden sei, weil der Mullah ein Buch bei der Familie zu Hause gefunden habe. Diese Leute hätten das Haus durchsucht und hätten unter den Büchern zwei christliche Bücher sowie ein paar Notizen des Ehemanns der Beschwerdeführerin gefunden und mitgenommen. Sie hätten die Beschwerdeführerin beschimpft, dass die Familie ungläubig sei. Anschließend hätten sie die Dorfbewohner zusammengerufen. Als ihr Ehemann nach Hause gekommen sei, habe sie diesem von den Vorfällen erzählt und die Familie sei noch in derselben Nacht nach Quetta in Pakistan gereist, wo der Ehemann der Beschwerdeführerin ein Haus gemietet habe. In dieser Stadt seien Hazara verfolgt worden, weshalb ihr Ehemann nach einem Monat geflüchtet sei.
Sie habe sechs Jahre lang alleine mit ihren Kindern in Pakistan gelebt. Ihre älteren Söhne hätten am Vormittag die Schule besucht und am Nachmittag Teppiche geknüpft. Die Beschwerdeführerin habe in fremden Haushalten gearbeitet und Wäsche gewaschen.
In Österreich wolle die Beschwerdeführerin die deutsche Sprache lernen und später als Putzfrau arbeiten. Dass ihr Ehemann Christ sei, störe sie nicht. Auch ihr Sohn dürfe sich alles aussuchen, sie werde ihn nicht daran hindern, die Kirche zu besuchen. Wenn ihr Ehemann und ihr Sohn diese Religion annehmen, werde sie dies wahrscheinlich auch tun, sie habe allerdings noch nicht genügend Informationen darüber. Sie würde das selbst entscheiden. Den Islam möge sie nicht mehr. Der Prophet habe zum Beispiel eine minderjährige Frau gehabt. Das sei der Grund, weshalb auch sie minderjährig verheiratet worden sei. Das sei eine schlechte Erfahrung, die sie gemacht habe. Wenn sie nach Afghanistan gehen müsste, würden sie ihre Nachbarn sofort als Frau eines Christen an die Taliban verraten und diese würden sie töten.
Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung ergänzend an, dass es notorisch sei, dass Personen, welche zum Christentum konvertiert seien, in Afghanistan verfolgt werden. Deswegen habe auch der Ehemann der Beschwerdeführerin Asyl erhalten und werden auch Familienangehörige von Konvertiten verfolgt. Die Beschwerdeführerin selbst habe den islamischen Glauben "satt" und sei diese Einstellung als Abfall vom Glauben zu werten, weshalb sie auch aus diesem Grund in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet verfolgt werde. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Abfall vom Glauben auch vom Staat nicht geduldet werde.
Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Bestätigungen über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs, an einem Kurs im Rahmen des Startpakets Deutsch & Integration sowie an dem Kurs Startpaket und Integration/ÖIF vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin stellte am 18.01.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige, Muslimin und Angehörige der Volksgruppe der Hazara. Im Alter von elf Jahren wurde die Beschwerdeführerin verheiratet.
Die Beschwerdeführerin lebte bis zur ihrer Ausreise aus Afghanistan nach Pakistan im Jahr 2010 gemeinsam mit ihrem "Ehemann" und ihren vier Söhnen in der Provinz Ghazni. Ihr "Ehemann" reiste nach einem Monat in Pakistan aus und die Beschwerdeführerin lebte daraufhin sechs Jahre lang mit ihren vier Söhnen in Pakistan.
Die Familie der Beschwerdeführerin hat Afghanistan verlassen, nachdem der Mullah gemeinsam mit anderen Männern im Herkunftsort bei einer Durchsuchung des Hauses der Familie zwei christliche Bücher sowie Notizen vom "Ehemann" der Beschwerdeführerin gefunden und mitgenommen hat. Der "Ehemann" der Beschwerdeführerin war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Nach der Durchsuchung wurde die Beschwerdeführerin als ungläubig beschimpft und der Familie wurde vorgeworfen, dass sie Christen geworden sind. Diese Männer haben anschließend die Dorfbewohner, etwa 50-60 Personen, zusammengerufen und allen erzählt, dass die Familie der Beschwerdeführerin ungläubig ist. Als der "Ehemann" der Beschwerdeführerin heimgekommen ist, erzählte sie ihm von den Vorfällen und die Familie ist noch in dieser Nacht aus Afghanistan ausgereist.
Der "Ehemann" der Beschwerdeführerin befindet sich seit 08.03.2012 in Österreich. Diesem wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2015, W197 1430064-1, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
1.2. Die Beschwerdeführerin besuchte in Österreich einen Werte- und Orientierungskurs und Deutschkurse. Die Beschwerdeführerin hat zuletzt an einem täglich von Montag bis Freitag stattfindenden Deutschkurs teilgenommen. Sie findet sich mittlerweile gut alleine zurecht und besucht auch den Deutschkurs alleine. Nach dem Kurs macht die Beschwerdeführerin in der Regel Hausaufgaben, liest und schreibt, danach geht sie einkaufen und bereitet das Abendessen für die Familie zu. Das Ziel der Beschwerdeführerin ist es, in Österreich die deutsche Sprache zu lernen und danach, zum Beispiel als Putzfrau, zu arbeiten. In Österreich fühlt sie sich frei, auch weil sie sich kleiden kann wie sie möchte und kein Kopftuch tragen muss.
Die Beschwerdeführerin ist Muslimin, hat aber mit dem Islam schlechte Erfahrungen gemacht und kritisiert diesen, unter anderem weil sie selbst mit elf Jahren aus dem Grund verheiratet wurde, weil auch der Prophet eine minderjährige Frau gehabt hat. Ihr "Ehemann" ist Christ, womit die Beschwerdeführerin kein Problem hat. Sie kann sich vorstellen, diesen Glauben auch anzunehmen. Dies ist ihre eigene Entscheidung.
In Afghanistan erhielt die Beschwerdeführerin keine Schulbildung und arbeitete auf den Feldern. In Pakistan hat die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihren Söhnen, ohne Ehemann, gelebt und in fremden Haushalten gearbeitet und dort Wäsche gewaschen.
Die innere Wertehaltung der Beschwerdeführerin steht im Widerspruch zu den in Afghanistan bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde ihr eine Ablehnung der konservativ-islamischen Wertevorstellungen unterstellt werden.
Es ist für die Beschwerdeführerin nicht möglich und nicht zumutbar sich in einem anderen Landesteil oder einer anderen Stadt Afghanistans niederzulassen.
1.3. Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan im konkreten Fall:
Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 07.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).
Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.01.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Bildung
Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 07.07.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014). Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.01.2004).
Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).
Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren
63.911 Frauen (CSO 2016).
Berufstätigkeit
Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016).
Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 09.12.2016; vgl. auch: AF 07.12.2016).
Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alphabetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).
Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.04.2016).
Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.04.2016).
Frauen im öffentlichen Dienst
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.04.2016).
Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).
Strafverfolgung und Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vgl. USDOS 13.04.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.06.2016).
Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).
Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.04.2016; vgl. auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.04.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.01.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.04.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.01.2016).
Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.04.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurden Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.04.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.04.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).
Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.04.2016).
Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täter bei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.04.2016).
Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.04.2016).
Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vgl. auch: HRW 12.01.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.01.2017).
Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.01.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.04.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.03.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z.B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 02.07.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.04.2016).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.03.2016).
Legales Heiratsalter
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.04.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.04.2016; vgl. auch: AA 9.2016).
In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.04.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).
Frauenhäuser
USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.04.2016).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).
Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.04.2016).
Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.04.2016).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und zu ihrer Herkunft ergeben sich aus dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Reisepass, dessen Kopie sich im Verwaltungsakt befindet, sowie aus den Angaben der Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren.
Die Angaben zur Eheschließung der Beschwerdeführerin im Alter von elf Jahren basieren ebenfalls auf den Angaben der Beschwerdeführerin und der - gemeinsam mit der Beschwerde - vorgelegten Kopie der nachträglich ausgestellten und im Verwaltungsakt befindlichen Heiratsurkunde.
Der Grund für die Ausreise der Familie der Beschwerdeführerin aus Afghanistan ergibt sich aus dem schlüssigen und gleichbleibenden Vorbringen der Beschwerdeführerin, welches übereinstimmend mit den Angaben ihres "Ehemannes" im Rahmen seines im Jahr 2012 eingeleiteten Asylverfahrens zur Ausreise aus Afghanistan ist. Beide schilderten unabhängig voneinander und in mehreren Jahren auseinanderliegenden Zeitpunkten, dass die Familie dadurch, dass in ihrem Haus zwei christliche Bücher sowie dazugehörige Notizen gefunden wurden, ins Blickfeld des Mullahs des Heimatdorfes und anschließend der anderen Dorfbewohner geraten sind.
Der Asylstatus des "Ehemannes" der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem bereits anführten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2015, W197 1430064-1.
2.2. Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführerin in Österreich stützen sich auf die Erzählungen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung. Es besteht kein Grund an diesen zu zweifeln. Die regelmäßigen Kursbesuche sind sich aus den im Rahmen der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bestätigungen ersichtlich.
Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht, dass ihre persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in der Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind, steht. Sie lehnt die Verschleierung ihres Gesichts, und somit das Tragen eines Kopftuchs ab, geht im Alltag alleine außer Haus und lebt selbstbestimmt.
Sie machte diesbezüglich glaubhafte Angaben über ihren eigenständigen Alltag und den Wunsch, die deutsche Sprache zu lernen und in Österreich zu arbeiten. Dies zeigte sich insbesondere, als sie überzeugend ausführte, dass sie es schätze, in Österreich frei zu sein. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung zudem glaubhaft dargelegt, dass sie in Österreich zum ersten Mal einen Stift in der Hand gehalten hat, und in Afghanistan weder eine Schule besucht noch lesen und schreiben gelernt hat. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich führen.
Sie führte auch glaubhaft an, dass sie selbst entscheidet, welcher Religion sie angehört und sie sich vorstellen könnte, wie ihr "Ehemann" und ihr ältester Sohn zum Christentum zu konvertieren, aber dass sie dafür mehr Informationen benötigt und es dann ihre Entscheidung ist, was ebenfalls für ein selbstbestimmtes Leben spricht.
Die Schilderungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Verhandlung ergeben ein Gesamtbild, dass sie ein selbstbestimmtes Leben als Frau führt, die in einer Weise lebt, die nicht mit den traditionellen-konservativen Ansichten betreffend die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft übereinstimmt und diese Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan und die traditionelle Wertehaltung ablehnt. Die Beschwerdeführerin gab klar zum Ausdruck, dass ihre eigene Verheiratung im Alter von elf Jahren eine schlechte Erfahrung für sie war. Sie ist in ihrer nach außen offen dargelegten Wertehaltung und in ihrer Lebensweise - trotz ihrem erst relativ kurzen Aufenthalt in Österreich - an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert. Die Beschwerdeführerin hat die Absicht, in Österreich zu arbeiten und selbstbestimmt zu leben.
Dass die Beschwerdeführerin regelmäßig einkaufen geht und abends für ihre Familie kocht, steht der Annahme einer selbstbestimmten Lebensweise nicht entgegen, insbesondere da sie glaubhaft erklärte, dass ihr Mann um vier Uhr morgens zur Arbeit geht und zwischen 16 und 17 Uhr sehr müde nach Hause kommt. Zudem gab sie diesbezüglich an, dass sie ihre Wege alleine macht und in der Lage ist, sich auch alleine zurechtzufinden. Die Lebensführung der Beschwerdeführerin ist - gerade wegen der langen Arbeitszeiten ihres Mannes - in hohem Maße selbständig (vgl. dazu auch VwGH Ra 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).
Die Einstellung der Beschwerdeführerin steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen. Es ist davon auszugehen, dass ihr aufgrund ihrer Lebensweise eine Ablehnung der konservativ-islamischen Wertevorstellungen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan unterstellt werden würde.
In Ermangelung staatlicher Schutzfähigkeit und der als Frau bereits per se erhöhten Vulnerabilität muss angenommen werden, dass die Konsequenzen einer solchen Zuschreibung im Fall der Beschwerdeführerin bis hin zur Existenzbedrohung gehen können.
Im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin ist daher von einer aktuellen Verfolgungsgefahr auszugehen.
2.3. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage der Frauen in Afghanistan stützen sich auf das dem Parteiengehör unterworfene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 31.01.2018, und beruhen auf einer Vielzahl von im Länderinformationsblatt angeführten verschiedenen, voneinander unabhängigen Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen. In ihrer Kernaussage bieten diese Dokumentationen ein stimmiges und einheitliches Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche und besteht daher für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der darin getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Die Beschwerdeführerin ist den Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten.
Auch hat sich insbesondere seit der Verhandlung auf Basis der aktuellen Quellenlage, vor allem des aktuellen Länderinformationsblatts vom 29.06.2018 (mit Kurzinformation vom 08.01.2019), die Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin nicht wesentlich verändert beziehungsweise nicht in einer Weise verändert, die für die Frage der Asylgewährung entscheidungswesentlich wäre.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat. Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. (§ 11 Abs. 1 AsylG)
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. (vgl. VwGH 05.08.2015, Ra 2015/18/0024, mit Verweis auf VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. 13.09.2016, Ra 2016/01/0054). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, die Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt; sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein. Für die Asylgewährung ist entscheidend, ob der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen muss (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 22.02.2017, Ra 2016/19/0238, mit Verweis auf den Beschluss des VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005, mwN).
Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. etwa VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100, mwN). Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059, mwN). (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0162)
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994, mit Verweis auf VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Mit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).
Zur Frage der Asylrelevanz der Lebensbedingungen von Frauen in Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16.01.2008, 2006/19/0182, auf eine diesbezügliche Stellungnahme des UNHCR vom Juli 2003 Bezug genommen, wonach unter anderem afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen (oder dies tatsächlich tun), bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden sollten. In diesem Sinne hatte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 06.07.2011, 2008/19/0994, betont, dass für Frauen, die einen den in Afghanistan vorherrschenden sozialen Normen widersprechenden Lebensstil angenommen haben, eine Anpassung an die Lebensverhältnisse von Frauen in Afghanistan nicht zumutbar sei (siehe auch VwGH 01.06.2010, 2006/19/1197; 10.12.2009, 2006/19/1197; 16.01.2008, 2006/19/0182).
Nach der jüngst ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301, mit Verweis auf VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).
Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994 bis 1000).
In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde keine (Mindest-)Dauer festgelegt, während derer eine Asylwerberin einen "westlich-orientierten" Lebensstil im soeben dargestellten Sinn gelebt haben muss, um davon ausgehen zu können, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Diese Beurteilung erfordert stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles. (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301)
3.2. Für den konkreten Fall bedeutet dies folgendes:
Ein Familienverfahren scheidet hinsichtlich der Beschwerdeführerin aus, da die Ehe der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Alters zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht gültig zustande gekommen ist.
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen allein auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter sowie individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.
Nach der Einschätzung des UNHCR (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018) bemüht sich die afghanische Regierung zwar, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, trotzdem sind Frauen auf Grund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und gerade Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden gesellschaftlich stigmatisiert und sind hinsichtlich ihrer Sicherheit gefährdet. Laut den oben angeführten Länderfeststellungen sind Frauen unter anderem im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten, bis hin zu Drohungen und Misshandlungen, konfrontiert. Es bestehen auch nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen nur eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung zugestanden wird. Frauen sind besonders gefährdet, in Afghanistan Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten - wie zB die freie Fortbewegung oder eine ausgeübte Erwerbstätigkeit - als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird (vgl. dazu auch EGMR 20.07.2010, 23.505/09, N./Schweden).
Für die Beschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt sowie unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation der Gefahr einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Die Beschwerdeführerin unterliegt einer diesbezüglich erhöhten Gefährdung, weil sie auf Grund ihrer Wertehaltung und Lebensweise bei einer Rückkehr gegenwärtig in Afghanistan als eine Frau wahrgenommen würde, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt.
Die selbstbestimmte Lebensführung der Beschwerdeführerin ist zu einem solch wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden, dass von ihr nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und religiösen Normen zu entgehen. Auf Grundlage des Ermittlungsverfahrens ergibt sich das Vorliegen einer aktuellen Verfolgungsgefahr asylrelevanter Intensität aus der Annahme einer als staatsfeindlich angesehenen und als politisch gewerteten Gesinnung. Durch ihr Verhalten und ihre Einstellung wird die Beschwerdeführerin soziale Normen in Afghanistan verletzen, in dem sie gegen das bestehende traditionellen Gesellschaftssystems verstößt, was als feindliche politische Gesinnung gewertet werden kann.
In einer Zusammenschau dieser Umstände ist im individuellen Fall der Beschwerdeführerin die fü