TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W142 2198669-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W142 2198663-1/10E

W142 2198669-1/9E

W142 2198674-1/8E

W142 2198671-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1098792606-151964604, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1098792410-151964493, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm

§34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1098793309-151964765, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm

§34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

IV. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1098793407-151964795, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm

§34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2), und ihren beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern, dem Drittbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3) und der Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF4) unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten die BF1 und der BF2 am 09.12.2015 für sich und ihre beiden minderjährigen Kinder die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.12.2015 gab die BF1 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zusammengefasst an, dass sie in Afghanistan keine Arbeit und keine Perspektive habe. Deshalb seien sie in den Iran geflüchtet. Im Iran habe ihrem Mann die Abschiebung nach Afghanistan gedroht. Die Kinder hätten im Iran keine Schule besuchen dürfen. Bei einer Rückkehr befürchte sie keine Zukunft zu haben und gebe es keine Perspektive für sie und ihre Kinder.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab sie an, dass sie Muslimin sei und der Volksgruppe der Tajik angehöre. Sie habe von 1998 bis 2010 die Grundschule in Herat besucht und sei Hausfrau gewesen. Berufsausbildung habe sie keine. Ihre Eltern, drei Brüder und fünf Schwestern würden in Afghanistan leben.

Die BF1 legte eine Geburtsurkunde und eine Heiratsurkunde, beides ausgestellt in Herat, vor.

3. Der BF2 gab in seiner Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen kurz zusammengefasst an, dass er in Afghanistan keine Schul- und Berufsausbildung gehabt habe und deshalb keine Arbeit bekommen habe. Er habe gewollt, dass seine Kinder die Schule besuchen können, deshalb sei er mit seiner Familie im Jahr 2014 in den Iran gegangen. Dort sei er Hilfsarbeiter gewesen. Da sie alle illegal im Iran gelebt hätten, seien sie drei Mal von den Behörden abgeschoben worden. Sie seien Sunniten und somit eine Minderheit im Iran. Deshalb seien sie gezwungen gewesen aus dem Land zu flüchten. Bei einer Rückkehr würden sie keine Zukunft und keine Perspektive in ihrer Heimat haben.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er an, er sei Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tajik an. Er habe von 1995 bis 1997 die Grundschule in Herat besucht und zuletzt als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er habe noch seine Eltern und fünf Geschwister.

Der BF2 legte eine Geburtsurkunde, ausgestellt in Herat, vor.

4. Am 12.04.2018 wurden die BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 gab an, dass es bei der Erstbefragung einen Fehler gegeben habe, sie habe nur 5 Jahre die Schule besucht. Zudem habe sie ihren Fluchtgrund nicht ganz sagen können, es habe geheißen, sie solle sich kurzhalten.

Befragt zu ihren Fluchtgründen gab die BF1 an, dass ihre Eltern sie als Kind mit ihrem Cousin "zwangsverlobt" bzw. sie ihm "versprochen" hätten. Der Vater und die Onkel seien streng gewesen und hätten unbedingt gewollt, dass sie den Cousin heirate. Mit 14 oder 15 Jahren habe sie ihren jetzigen Ehemann kennengelernt und im Geheimen entschlossen, seine Eltern zu schicken, damit diese um eine Verlobung bitten. Dies hätten die Eltern der BF1 aber abgelehnt. Als ihre Familie erfahren habe, dass sie einen Freund (den BF2) habe, habe sie nicht mehr in die Schule gehen dürfen und sei sie von ihrem Vater ein Monat lang eingesperrt worden. Sie sei krank geworden und hätte ihr Vater dann schließlich nachgegeben und der Verlobung zugestimmt. Die religiösen Onkel seien aber dagegen gewesen, hätten die BF1 geschlagen und mit dem Vater gestritten. Dann habe sie den BF2 geheiratet und bei ihm gelebt. Der BF2 habe gearbeitet. Die BF1 sei in weiterer Folge vom Ex-Verlobten bedroht worden. Der Ex-Verlobte habe gedroht öfter zur BF1 zu kommen, sie habe aber nichts sagen dürfen. Sie seien dann in den Iran gegangen. Der Cousin sei auch in den Iran gegangen und sei immer noch dort. Sie habe nicht gewollt, dass dies alles auch ihrer Tochter passiere. Sie wolle, dass diese in die Schule gehen könne, dies sei in Afghanistan schwierig und im Iran hätte sie nicht in die Schule gehen dürfen. Aus diesem Grund seien sie nach Europa geflüchtet. In der Erstbefragung habe sie nichts gesagt, da sie Angst gehabt habe. Auch der BF2 sei von einem Mann in Afghanistan bedroht und mit einem Messer verletzt worden. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen gab sie an, sie habe Angst vor ihrem Cousin. Seit sie in Österreich sei, habe sie erlebt, wie das Leben wirklich sein könne. Sie wolle nicht in dieses Elend zurück und dass ihrer Tochter so etwas passiere.

Zu ihrem Sozialleben gab sie an, dass sie nur zu Hause und Hausfrau gewesen sei. In Österreich wolle sie Deutsch lernen und arbeiten gehen. Dies sei ihr Wunsch und habe sie in Afghanistan nichts machen können. In Afghanistan habe sie nur Kontakt zu Nachbarn gehabt. Hier in Österreich habe sie österreichische Freunde und erledige sie den täglichen Einkauf selbst. Sie fahre mit dem Fahrrad. Draußen würde sie immer so wie heute gekleidet sein, im Heim würde sie ein Kopftuch tragen, da dort viele ledige Männer wohnen würden. Diese Gewohnheit habe sie noch aus Afghanistan. Ihr Mann möge es, wenn sie kein Kopftuch trage. Sie sei seit zwei Jahren so gekleidet, ihr Kopftuch habe sie abgelegt, als sie nach zwei Monaten aus dem Asylheim ausgezogen seien. Sie habe es abgelegt, da man sich anpassen müsse. Hier sei es so üblich und sie wolle dies auch. In ihrer Heimatprovinz in Afghanistan habe sie einen bodenlangen Schleier, der nur die Augen freigelassen habe getragen. Ab dem 5. oder 6. Lebensjahr habe sie in Afghanistan das Kopftuch tragen müssen. Zu ihrem Lebensablauf in Österreich gab sie an, dass sie aufstehe, putze, Frühstück für die Kinder mache, das Mittagessen vorbereite und die Kinder in den Kindergarten schicke. Dann gehe sie einkaufen und hole die Kinder ab. Manchmal habe sie Deutschkurs. Ihre Kleidung habe sie mit ihrem Mann in einem Center gekauft. Der BF2 würde ihren Lebensstil mögen. Sie habe immer frei leben wollen, in Afghanistan sei sie eingeschränkt gewesen. Sie oder der Mann würden in der Familie entscheiden. In Afghanistan seien alle Rechte für Männer, nicht für Frauen. Seit sie hier sei, sei ihr bewusst, welche Rechte sie habe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsse sie zu Hause bleiben und könne man nicht in die Schule gehen. Sie wolle hier arbeiten und Deutsch lernen. Dort werde man depressiv.

Das BFA merkte an, dass die BF1 bei der Einvernahme offene lange Haare und Goldschmuck trage. Sie sei geschminkt und trage eine helle Jeans, weiße Sneakers und einen apricotfarbenen Pullover mit Rüschen am Ausschnitt.

Zu ihren Kindern gab die BF1 an, dass diese keine eigenen Fluchtgründe hätten.

Die BF1 legte Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen (Alpha Teil 2, A1 Teil 1 und 2); ein Prüfungszeugnis des ÖIF über die bestandene Prüfung Deutsch A1; eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF; eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Alphabetisierungkurs sowie Bestätigungen, wonach die BF1 seit Mai 2016 regelmäßig bei Veranstaltungen der Caristas mithelfe und Hausarbeiten (Putztätigkeiten) durchgeführt habe. Zudem legten sie Kindergartenfotos des BF3 und der BF4 vor.

Der BF2 gab in seiner Einvernahme an, dass er nicht genau gewusst habe, was bei der Erstbefragung gefragt worden sei und es ihm auch nicht rückübersetzt worden sei. Er habe seinen Fluchtgrund erklären wollen, es sei ihm aber nicht gestattet worden. In Afghanistan habe er mit seinem Vater auf einer Landwirtschaft gearbeitet (Felder bewirtschaftet). Zudem habe er eine Art "Rikscha" gehabt und Personen transportiert.

Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass in Herat ein Mann auf ihn zugekommen sei und gefragt habe, ob er 10 Kartons auf der Rikscha transportieren könne. Der BF2 habe dann den Transport durchgeführt und eingewilligt mehrere Transporte für den Mann durchzuführen. Der Mann habe aber nicht gewollt, dass der BF2 ihm beim Beladen helfe, was dem BF2 seltsam vorkam. Bei einem Transport habe der BF2 dann schließlich einen Karton geöffnet. Darin hätten sich Explosionsmaterial und Drogen befunden. Der BF2 habe den Karton dann schnell wieder zugemacht, es sei aber erkennbar gewesen, dass er geöffnet worden sei. Deshalb habe er dann die Luft des Dreirades abgelassen und dem Mann gesagt, dass er eine Reifenpanne habe. Der Mann habe trotzdem bemerkt, dass ein Karton geöffnet worden sei und habe seine Ware dann mit einer anderen Rikscha in der Gegend transportiert. Zwei Tage später habe dieser Mann den BF2 erneut angerufen, dieser habe ihm aber gesagt, dass er nicht mehr weiterarbeite. Der Mann habe den BF2 dann abermals angerufen und damit gedroht, dass er wisse wo er wohne und Fotos von ihm habe. Der BF2 habe dies alles seiner Frau erzählt und aus Angst seien sie zum Elternhaus gegangen. Ein Nachbar habe ihnen dann erzählt, dass ein Mann namens XXXX nach ihm gefragt habe. Seine Frau habe dann Afghanistan in den Iran verlassen wollen. Zudem berichtete der BF2 davon, dass er eines nachts, als er gearbeite habe, von XXXX mit einem Messer angegriffen worden sei. Der BF2 sei dann ins Krankenhaus gebracht worden und habe einen Gips bekommen. Er sei dann nochmal erneut angerufen und bedroht worden. Dann habe er das gemacht, was seine Frau gesagt habe. Er habe das Dreirad sowie Gold verkauft und habe mit einem Schlepper gesprochen. Dann seien sie in den Iran ausgereist.

Zu seinem Leben in Österreich gab er an, dass er arbeiten wolle. Seine Frau gehe in die Stadt, es werde dunkel, wenn sie heimkomme, aber er brauche sich keine Sorgen machen, dass ihr etwas zustoße. Seine Frau und er seien gleich.

Der BF2 legte eine afghanische Tazkira, eine afghanische Heiratsurkunde sowie eine Geburtsurkunde, eine Tazkira und eine Impfkarte der Kinder vor.

5. Mit den angefochtenen Bescheiden wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Beweiswürdigend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass dem Vorbringen der BF1 kein Glauben geschenkt werde und eine Verinnerlichung der westlichen Orientierung nicht habe erkannt werden können. Sie habe praktisch keine Unterschiede zwischen ihrem Leben in Afghanistan und jenem in Österreich vorgebracht. Auch dem Vorbringen des BF2 werde kein Glauben geschenkt und habe er dieses während des Verfahrens gesteigert.

6. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde von den BF fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde erhoben und unter anderem ausgeführt, dass das Vorbringen der BF glaubhaft gewesen sei und mit den Länderfeststellungen im Einklang stehe. Die BF1 habe in Österreich ein selbstbestimmtes Leben als Frau kennengelernt und sei sie aufgrund der nunmehr vorliegenden westlichen Orientierung bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt. Die Feststellung der Behörde, wonach eine westliche Orientierung nicht gegeben sei, sei nicht nachvollziehbar. Die BF1 habe dargelegt, dass sie selbstbestimmt und gleichberechtigt leben wolle, eine Ausbildung genießen und einen Beruf frei wählen und ausüben wolle. Zudem wolle sie keinen Bekleidungsvorschriften oder Bewegungseinschränkungen unterworfen werden.

Mit der Beschwerde wurden folgenden Unterlagen (neu) in Vorlage gebracht:

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Empfehlungsschreiben für die BF.

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Bestätigungen, wonach der BF2 den Kurs "Alpha Teil 2 für AsylwerberInnen" von 04.10.2016 bis 13.12.2016 sowie den Kurs "Deutsch A1 Vorkurs - Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache" von 06.02.2018 bis 12.04.2018 besucht habe.

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Bestätigung, wonach der BF2 einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF besucht habe.

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Bestätigung, wonach der BF2 in einem Flüchtlingsheim wohnhaft sei und regelmäßig Tätigkeiten im Haus (Mithilfe bei Veranstaltungen, Reinigungs- und handwerkliche Arbeiten) verrichte.

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Bestätigungen des Magistrats, wonach der BF2 zahlreiche Hilfstätigkeiten verrichtet habe.

7. Am 06.12.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt als weitere Partei des Verfahrens entschuldigt nicht teilnahm.

Die BF1 berichtete in der Verhandlung anfgangs erneut über die Probleme mit ihrem Cousin, die Heirat mit dem BF2 und dass sie im Jahr 2014 in den Iran gegangen seien. Zu ihrem Leben in Afghanistan führte sie zusammengefasst aus, keine Ausbildung gemacht zu haben. Sie interessiere sich für den Beruf "Friseur". In Afghanistan dürfe man keine Schulausbildung machen, man gehe ein paar Jahre, dann dürfe man nicht mehr. Mit ca. neun Jahren habe sie die Schule besucht. Sie wäre gerne weiter in die Schule gegangen, ihr Vater sei aber dagegen gewesen. Ihr Leben in Österreich sei ein sehr großer Unterschied zu Afghanistan. Hier kaufe sie alles ein, ihr Mann sei zu Hause. In Afghanistan würden dies alles die Männer machen. Als Frau sei es verboten gewesen zu einem Geschäft zu gehen. Zudem besuche sie hier 4 Mal pro Woche einen Deutschkurs und arbeite einmal in der Woche im SOMA-Markt. Jeden Samstag besuche sie den Schwimmkurs. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter auch diese schwere Zeit durchlebe. Sie wolle, dass ihre Tochter hier groß werde und die Schule besuche. In Afghanistan hätte sie keine Freiheiten, sie würde nicht einkaufen dürfen, nicht weiter in die Schule gehen und müsse einen "Jador" tragen. Heute trage sie ein T-Shirt, eine moderne Jeans, eine Jacke, sei geschminkt, trage große Creolen, habe sich die Haare selbst blond gefärbt und trage eine schöne Frisur. In Afghanistan dürfe sie so nicht auf die Straße gehen. Hier in Österreich habe sie ihr eigenes Geld.

Die BF1 legte (neu) ein Empfehlungsschreiben und eine Bestätigung über die Absolvierung eines Deutschkurses (A2/Teil 1 vom 01.10.2018 bis 12.11.2018) vor.

Der BF2 berichtete erneut über seine Tätigkeit in Herat mit dem Dreirad und dem Mann namens XXXX , der von ihm verlangt habe Pakete zu transportieren und ihn schließlich mit einem Messer verletzt habe. Dazu zeigte der BF2 dem Gericht auch eine Narbe am linken Unterarm. Zudem gab er an, dass er damit einverstanden sei, dass seine Frau eine Berufsausbildung mache. Sie könne machen was sie wolle. Er hoffe auch, dass seine Tochter sich weiterbilde. Die BF1 gehe im SOMA-Supermarkt arbeiten und komme am Abend nach Hause. Es sei schön, dass Frauen rausgehen und arbeiten gehen können. Die BF1 gehe in Österreich auch schwimmen. In Afghanistan könne sie nicht einmal ohne Kopftuch rausgehen, sondern müssten Mädchen ab sieben Jahren ein Kopftuch tragen. Seine Frau könne anziehen was sie wolle, in Afghanistan würde sie dafür gesteinigt werden. Wenn seine Tochter volljährig sei, könne sie selbst entscheiden, wen sie heirate.

Abschließend wurde mit den BF ein Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe "Afghanistan Gefährdungsprofile" vom 12.09.2018, ein Leitfaden zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan von UNHCR, LIB Afghanistan (Stand 13.11.2018) sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 erörtert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. Die BF haben keine Familienmitglieder mehr in Afghanistan, sämtliche Familienangehörige leben mittlerweile im Iran. Die BF1 und der BF2 stammen aus Herat, haben dort geheiratet und sind im Jahr 2014 in den Iran gegangen, wo sie eine zeitlang lebten. Die BF1 hat in Afghanistan nur für kurze Zeit die Schule besucht, musste diese dann aber wieder abbrechen. Einen Beruf hat die BF1 in Afghanistan nicht erlernt, sie war lediglich zu Hause als Hausfrau tätig. Ebenso musste sie sich den dort herrschenden strengen Bekleidungsvorschriften unterwerfen. In Österreich erlernt sie die deutsche Sprache, betreibt Sport und schätzt es nunmehr, sich in Österreich frei entfalten zu können. Sie trifft selbst ihre eigenen Entscheidungen und hat auch ihr eigenes Geld, welches sie durch Aushilfe in einem Sozialmarkt selbstständig verdient. Die BF1 ist eine junge selbstständige Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die BF1 trägt in Österreich moderne Kleidung wie Jeans, T-Shirts und Sneakers. Sie trägt auch Make-up und hat sich die Haare blond gefärbt. Die BF1 beabsichtigt, in Österreich eine Ausbildung zur Frisörin zu machen, um berufliche Selbstständigkeit zu erlangen. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen. Die BF1 würde im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund ihrer nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung, die sich vorrangig in ihrem Wunsch nach Bildung und Unabhängigkeit äußert, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sein. Bei der BF1 handelt es sich um eine moderne und aufgeklärte Frau, die mit ihrer Flucht nach Österreich zudem ihre Vorstellungen über die einer Frau zustehenden Rechte verwirklichen und nach diesen Maßstäben ihr weiteres Leben gestalten will. Sie ist auch bestrebt ihrer Tochter in Österreich ein selbstbestimmtes und freies Leben zu ermöglichen. In Österreich absolvierten die BF1 und der BF2 Deutschkurse sowie einen Werte- und Orientierungskurs. Der BF2 hat zudem zahlreiche Hilfstätigkeiten ausgeübt.

Der minderjährige BF3 wurde in Afghanistan, die minderjährige BF4 im Iran geboren. Für den BF3 und die BF4 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Die BF sind strafrechtlich unbescholten und nehmen Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

Situation der Frauen in Afghanistan:

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon

77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

Frauenhäuser

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in

den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).

Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).

Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).

Reisefreiheit

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).

2. Beweiswürdigung:

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

Auf Grund der glaubwürdigen Angaben der BF zu ihrer Nationalität, Ethnie und zu ihrer regionalen Herkunft konnten diese ebenso den Feststellungen zugrunde gelegt werden.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ die BF1 durch ihr Auftreten und die Spontanität ihrer Antworten einen in jeder Hinsicht glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Nach der Art ihres Auftretens und ihres Kommunizierens handelt es sich bei der BF1 um eine Frau, die sich der sozio-kulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst ist. Dies zeigte sich insbesondere, als die BF1 anführte, dass sie es schätze in Österreich frei zu sein, sie sich nicht an die strengen Kleidervorschriften halten müsse und sie sich auch die Haare färben bzw. sich schminken könne. Sie erlernt die deutsche Sprache, verlässt alleine das Haus, macht Sport (Radfahren und Schwimmen), geht einer Beschäftigung in einem Sozialmarkt nach und möchte auch den Beruf der Frisörin erlernen. Es ist ihr zudem wichtig, Bildung zu erwerben und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um damit Unabhängigkeit zu erlangen. Die BF1 vermittelte in der mündlichen Verhandlung sehr glaubhaft, dass sie nach ihren eigenen Bedürfnissen und damit selbstbestimmt zu leben beabsichtigt. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich führen. Aus alldem geht hervor, dass die BF1 das - mit ihrer derzeitigen Lebensweise in Widerspruch stehende - konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Ge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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