TE Vwgh Erkenntnis 1999/5/18 99/21/0015

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Veröffentlicht am 18.05.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FrG 1997 §56 Abs2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des G B in Wien, geboren am 2. Oktober 1978, vertreten durch Mag. Dr. Erhard Buder, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 94, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Oktober 1998, Zl. IV-865.910/FrB/98, betreffend Abschiebungsaufschub, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten reiste der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, am 18. Februar 1997 nach Österreich ein. Seinen ersten Asylantrag vom 20. Februar 1997 wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 24. Februar 1997 ab, einen zweiten Asylantrag vom 22. Jänner 1998 wies es mit Bescheid vom 14. Mai 1998 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache als unzulässig zurück.

Bereits mit Bescheid vom 20. Februar 1997 hatte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) über den Beschwerdeführer ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Dieser Bescheid blieb wie die beiden vorgenannten Bescheide des Bundesasylamtes unbekämpft.

Mit Antrag vom 8. Juli 1998 begehrte der Beschwerdeführer die Erteilung einer Abschiebungsaufschubes, weil er in seinem Heimatland im Sinn des § 57 Abs. 1 und 2 FrG gefährdet sei und weil seine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich erscheine. Er verweise hiezu auf sein Vorbringen im Asylverfahren, auf die "internationale Medienberichterstattung über die Repressionsmechanismen der serbischen Behörden gegenüber den Kosovo-Albanern der Gegenwart" und auf das Ersuchen des UNHCR vom 9. März 1998 über die Abstandnahme von Rückschiebungen in den Kosovo. In einer Stellungnahme vom 31. August 1998 führte er u.a. weiter aus, dass im Kosovo ein international geächteter Bürgerkrieg herrsche; es befänden sich tausende Menschen auf der Flucht, weil sie im Zuge des Bürgerkrieges aus ihren Heimatdörfern vertrieben worden seien; tagtäglich würde in den Medien über die Grausamkeiten in seiner Heimat berichtet werden.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 1998 wies die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung eines Abschiebungsaufschubes gemäß § 56 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ab. Dies begründete sie damit, dass der Beschwerdeführer am 20. Februar 1997 angegeben habe, dass er in seinem Heimatland "weder strafrechtlich, politisch noch im Sinne des § 37 verfolgt werden" würde. Sein Asylantrag sei rechtskräftig abgewiesen worden. Der Bundesminister für Inneres habe seiner Abschiebung nach Jugoslawien zugestimmt. Es lägen somit keine Gründe vor, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers unmöglich erscheine. Aufgrund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel würden (überdies) die Ergebnisse des Asylverfahrens berücksichtigt, zumal der Beschwerdeführer im gegenständlichen Antrag über sein im Asylverfahren erstattetes Vorbringen hinaus "nichts Konkretes" vorgebracht habe. Es bestünden somit keine stichhaltigen Gründe, dass er in Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG bedroht sei; ebenso wenig bestünden Anhaltspunkte dafür, dass seine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers im Wesentlichen deshalb abgewiesen, weil er einerseits am 20. Februar 1997 selbst angegeben habe, in Jugoslawien weder strafrechtlich noch politisch noch im Sinn des § 37 des Fremdengesetzes aus 1992 verfolgt zu werden, und weil andererseits sein Asylverfahren rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Auf sein Vorbringen betreffend die aktuelle Entwicklung der Situation im Kosovo ist sie hingegen nicht näher eingegangen. Erkennbar liegt dem die Überlegung zugrunde, dass dieses Vorbringen nicht ausreichend konkret sei, um eine Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG darzutun.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann vom Antragsteller im Verfahren über einen Antrag auf Gewährung eines Abschiebungsaufschubes nicht verlangt werden, gegen ihn gerichtete Misshandlungen oder Verfolgungen "nachzuweisen"; es trifft ihn aber die Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes durch Erstattung eines mit Beweisanboten untermauerten konkreten Vorbringens zumindest bezüglich jener Umstände beizutragen, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 98/21/0469). Die Mitwirkungspflicht des Fremden verliert freilich in dem Maß an Bedeutung, als von seiner individuellen Sphäre losgelöste Umstände eine Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bewirken können. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass eine maßgebliche Gefahr nicht nur aus dem Einzelnen gegenüber gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden kann. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. abermals das eben genannte Erkenntnis vom 12. Februar 1999).

Von diesen Erwägungen ausgehend durfte die belangte Behörde nicht stillschweigend über die - wenn auch nur kursorischen - Äußerungen des Beschwerdeführers betreffend die derzeitige Situation in seinem Heimatland hinweggehen, zumal gemäß § 56 Abs. 2 FrG bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen ein Abschiebungsaufschub auch von Amts wegen anzuordnen ist. Insbesondere hätte sie jene aus Medienberichten allgemein bekannten Vorfälle ab Ende Februar/Anfang März 1998 in ihre Überlegungen miteinbeziehen müssen, mit denen die Spannungen zwischen Serben und Albanern im Kosovo augenscheinlich eine neue Qualität erreicht haben und die gemäß den erwähnten Berichten mit Übergriffen ("Massakern") von serbischen Einheiten an der albanischen Zivilbevölkerung einhergegangen sind. Indem sie dies, gestützt auf die Ansicht, der Beschwerdeführer habe "nichts Konkretes" vorgebracht, unterließ, hat sie die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Mai 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999210015.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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